Tatami (2023)

IM WÜRGEGRIFF DES STAATES

7,5/10


tatami© 2023 Judo Production LLC / Juda Khatia Psuturi


LAND / JAHR: GEORGIEN, USA 2023

REGIE: ZAR AMIR EBRAHIMI, GUY NATTIV

DREHBUCH: ELHAM ERFANI, GUY NATTIV

CAST: ARIENNE MANDI, ZAR AMIR EBRAHIMI, JAIME RAY NEWMAN, NADINE MARSHALL, LIR KATZ, ASH GOLDEH, MEHDI BAJESTANI, VALERIU ANDRIUTA, ELHAM ERFANI U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Am Ende des Films äußert sich der Iran mit den Worten, die Judoka Leila Hosseini (Arienne Mandi) hätte Schande über ihr eigenes Land gebracht. Genauer betrachtet fällt jedoch auf, dass sich das Regime ganz von selbst nicht nur eins, sondern gleich mehrere Eier gelegt hat. Die Schande und die Schmach, die es erleidet, gehen aufs eigene Konto. Dumm gelaufen. Wieder eine Heldin weniger, nebst all den Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftlern und sonst noch eigenständig denkenden Leuten, die ihrem Herkunftsland den Rücken kehrten. Unter Druck, Angst und immerwährenden Repressalien lassen sich keine Erfolge erzielen. Augenscheinliches und völlig selbsterklärendes Beispiel ist der Sportfilm von Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi (Holy Spider), der nicht nur die taktische Kunst des Judo innovativ auf die Leinwand bringt, sondern vor allem konfliktreicher Politthriller sein will, der nicht unbedingt einfache Antworten sucht. Tatami – so nennt sich die aus Reisstroh geflochtene Matte, auf welche Kampfsportarten wie eben Judo ausgetragen werden – widmet sich mehreren Standpunkten, nur nicht jener des iranischen Machtapparats. Verständnis dafür muss man auch nicht aufbringen. Dass dieses Vorgehen gegen die Menschenrechte sein muss, ist so klar und akkurat wie der Hell-Dunkel-Kontrast in den Schwarzweiß-Bildern des Films. Ob Hauptfigur Leila Hosseini am Ende wohl Farbe bekennen könnte – und sich dies auch auf die Optik des Films niederschlägt? Auf solche Spielereien verzichtet das Regieduo dann doch. Was zählt, ist das pure menschliche Drama ohne Schnickschnack – verzweifelt, wütend, trotzig.

Denn die panische Angst des Regimes, bei den Judo-Weltmeisterschaften auf eine israelische Konkurrentin zu stoßen, bringt dieses dazu, die auf einer Erfolgswelle dahingleitende Athletin Hosseini zu Verrat und Sabotage zu zwingen. Dabei ist längst nicht sicher, ob die Israelin Lavi jemals auf Hosseini treffen wird, nur die Möglichkeit allein, die daraus wohl, würde sie eintreten, ein Politikum gemacht hätte, lässt den iranischen Geheimdienst handeln. Längst ist der Austragungsort in Tiflis, Georgien, von Schergen des Mullahs unterwandert. Das Smartphone von Trainerin Maryam läutet ununterbrochen, und geht sie mal ran, wettert der Judo-Verband ins Mikro. Hosseini aber will sich nicht beirren lassen. Und schon gar nicht auf ihren Erfolg verzichten. Die eigene Familie ergreift derweil die Flucht, während sich die Sache immer weiter zuspitzt, die Drohungen konkreter werden und der Trotz der Judoka bald schon einer revolutionären Agenda weicht, in welcher es ums Prinzip der Sache geht, und nicht mal um den eigenen Willen, ein sportives Ego-Ding durchzuziehen.

Ebrahimi und Nattiv, der zuletzt auch Helen Mirren als Golda in Szene gesetzt hat, finden in ihrem Konfliktdrama die richtige Intensität – und auch jene Objektivität, die Möglichkeiten zur Lösung der gefährlichen Problematik weder als ideal oder als gänzlich ungeeignet zu betrachten. Einerseits könnte man bei Hosseinis Streben nach Erfolg und ihrer trotzigen Unbeirrbarkeit einen gewissen Egoismus herauslesen. Sind Sieg, Anerkennung und vielleicht gar eine Goldmedaille es wirklich wert, dafür Mann und Kind in die Wüste zu schicken? Ist es das wert, gegen ein ganzes strenges Regime aufzubegehren? Ist es das, worum es im Leben geht? Der materielle Erfolg? Oder doch lieber die Sicherheit, die Gesundheit und der Schutz der Liebsten? Tatami erreicht irgendwann mal den Punkt – womöglich genau dann, wenn Hosseini vor lauter Verzweiflung sich selbst verletzt –, wo es um mehr geht als um Wohlbefinden und Sicherheit. Plötzlich ändern sich die Prioritäten, es geht um Ideale, die für mehr und für alle stehen, die nicht frei sein dürfen. Frei, zu entscheiden, und frei, zu gewinnen. Diese Emanzipation findet im Wettstreit mit den Judo-Kontrahentinnen genug Symbolik – statt dem Würgegriff der Mullahs ist es der Würgegriff der georgischen Kandidatin, die Hosseini in die Knie zwingt. Virtuos wirbelt die Kamera um die Ringenden herum, ist mal oben, mal unten. Gekonnt wechseln die Schauplätze innerhalb einer abgesteckten, nahezu isolierten Bühne, auf welcher sich dieses immer packender werdende Kammerspiel entfesselt. Kraftvolle Rhythmen unterlegen dabei das differenzierte Spiel.

Mit Tatami hat die Iranische Revolution, die sich phänomenal häufig dem Sprachrohr des Kinos bedient, wieder eine neue starke Stimme dazugewonnen. Tatami illustriert einen Ist-Zustand, den man so und nicht anders vielleicht wirklich als Tutorial zur Befreiung betrachten könnte.

Tatami (2023)

Being The Ricardos

ALLES LACHT NACH UNSERER PFEIFE

7/10


beingthericardos© 2021 Amazon Studios


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: AARON SORKIN

CAST: NICOLE KIDMAN, JAVIER BARDEM, J. K. SIMMONS, NINA ARIANDA, JAKE LACY, ALIA SHAWKAT, TONY HALE, CLARK GREGG U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Neuerdings setzt Hollywood – insbesondere jenes, dass den Streaming-Sektor fest im Griff hat – vermehrt auf Biopics uns hier völlig unbekannter Show- und Mediengrößen setzt. Lokale Autoren, die längst schon ihre Memoiren niedergeschrieben haben, wie zum Beispiel J. R. Moehringer in The Tender Bar, sind ebenso vertreten wie Musicalschreiberlinge (Tick, Tick… Boom!) oder B-Promis aus der zweiten Reihe wie erst kürzlich in The Eyes of Tammy Faye mit Jessica Chastain. Die Amis sehen das vermutlich gerne, denn sie kennen sich aus mit der Fernsehlandschaft des 20. Jahrhunderts. Liberace ging ja noch, der war zwar auch nicht so ein klarer Fall von Showlegende in Europa, aber immerhin so schillernd, dass ihn zumindest ein paar Las Vegas-Reisende hätten kennen können. Bei der Fernsehshow I love Lucy ist es dann aber ganz aus – da wüsste ich nicht weiter. Was bitte soll das gewesen sein? Das ist ungefähr so, als würde man die Lebensgeschichte der Darsteller von Vater und Mutter Beimer aus der Lindenstraße in den Vereinigten Staaten verkaufen wollen. Aber gut, man muss nicht alles vorher kennen, um es auszuprobieren. Und schon gar nicht, wenn Nicole Kidman unter der Regie von Aaron Sorkin (Drehbuch-Oscar für The Social Network) zu ihrer natürlichen Haarfarbe zurückfindet und an der Seite von Javier Bardem die Fernsehwelt Amerikas dirigiert. Da könnte was dran sein.

Zugegeben, man geht da tatsächlich relativ schnell in medias res. Der Film beschreibt eine Woche hinter den Kulissen der beliebten Sitcom, und zwar nicht irgendeine, sondern eine ganz besonders von Medien und Politik in Schwung gebrachte. Wir wissen ja: unter Präsident McCarthy waren Leute, die auch nur irgendwie mit dem Gedankengut der kommunistischen Partei geliebäugelt hatten, weg von allen möglichen Fenstern. Es gab Vernehmungen und Anhörungen, und wurde da der Verdacht nicht ausgeräumt, ging’s den Leuten bestenfalls so wie Dalton Trumbo, der sich nicht mal zu seinem Spartacus-Oscar bekennen durfte. Lucille Ball, Schauspielerin und Zugpferd ihrer Show, hat in dieser einen Woche mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Medien verdächtigen die forsche Powerfrau der roten Gesinnung, und Gatte sowie Co-Star Desi Arnaz, Exil-Kubaner und Musiker, muss immer wieder beteuern, dass er keine andere hat. Als wäre das nicht schon genug der Troubles, muss nebenbei noch eine Folge von I love Lucy aufgezeichnet werden.

Lustigerweise erinnern die nachgestellten Schwarzweiß-Szenen der Serie an das Marvel-Spinoff Wandavision: prüder Humor aus den 50ern, wo unter anderem nicht mal das Wort „schwanger“ fallen darf. Aaron Sorkin blickt dabei nach scheinbar akribischer Recherche der Fakten hinter die Kulissen der Erfolgsmaschinerie Fernsehen, besetzt jede noch so halbwegs erwähnenswerte Randfigur und beginnt gleich montags mit einem Meeting, der die Fronten klarlegt und verhärtet. Showbiz ist kein Spaß, das wissen wir natürlich längst – damals war‘s das aber noch weniger. Zu viele Eitelkeiten, zu viele Köche, die den Brei gerade mal nicht verderben, denn sie sind schließlich Geldgeber, vor denen man buckeln muss. Mittendrin die beiden Stars von damals, die man nicht unbedingt hätte kennenlernen wollen, die aber durch Sorkins feine Klinge der Dialogkunst Wortgefechte als intellektuelle Action verkaufen. Mag sein, dass dies anfangs etwas ermüdet, da all diese Figuren im Grunde überhaupt nicht tangieren. Was viel mehr tangiert, sind aber die Schachzüge einer akkuraten Produktion, die sich keine Fehler erlauben darf, und wenn es auch nur 30 Minuten seichte Unterhaltung sind. Tatsächlich wird dieser Wettlauf mit Medien und Eheglück immer packender, Nicole Kidman zeigt wieder mal, dass sie fest im Sattel der Filmbranche sitzt und Javier Bardem gibt vor allem in seinen Bongo-trommelnden Gesangseinlagen eine verblüffend gute Vorstellung.

Being The Ricardos

Queen & Slim

AM WEG DES GRÖSSTEN WIDERSTANDS

6/10

 

Queen & Slim© 2020 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2020

REGIE: MELINA MATSOUKAS

DREHBUCH: LENA WAITHE

CAST: DANIEL KALUUYA, JODIE TURNER_SMITH, BOOKEM WOODBINE, STURGILL SIMPSON, CHLOË SEVIGNY, INDYA MOORE U. A. 

 

Da haben sie wieder den Salat, diese Amerikaner. Der mutwillige Mord an George Floyd hat abermals die Gemüter erhitzt, Demos auf den Plan und zu Gewalt aufgerufen, vorwiegend gegen die von Weißen dominierte Exekutive. Langsam müsste man vermuten, ob beim Auswahlverfahren für Polizisten nicht generell ein gewisser arger Schlendrian herrscht, denn wie sonst kommt der rassistische Pöbel andauernd in Griffweite einer Polizeimarke? Wie viele davon würden übrigbleiben, die frei vom Hass auf Schwarze sind?

In Queen & Slim, einem Thriller-Roadmovie quer durch die Vereinigten Staaten mit Ziel Florida, wird diesmal allerdings ein Weißer erschossen. Ein Ordnungshüter, der vor farbigen Mitbürgern panische Angst verspürt. Nach einem Tinder-Date geraten Queen & Slim in eine Fahrzeugkontrolle, werden angehalten, müssen aussteigen. Schon da beginnt der Missbrauch von Amtsgewalt. Ein falsches Wort folgt dem nächsten und schon liegt der tote Polizist in der Gosse. Notwehr, klarer Fall. Das sagt auch die Fahrzeugkamera des Streifenwagens. Doch nüchtern betrachtet werden die beiden vor Gericht den Kürzeren ziehen, oder nicht? Also: gemeinsam fliehen, Richtung Süden eben, um mit einem Flieger nach Kuba ins Exil.

Schon klar, das ist der Traum der Revoluzzer. Und von vornherein zum Scheitern verurteilt, das sagt uns das Kino schon längst, nicht erst seit Bonny & Clyde. Das sagt uns das Kino mit Thelma & Louise, Sugarland Express oder Wisdom – alles Roadmovies auf dem Weg ins Wunderland, in die Illusion, in eine bessere, nicht existente Welt, wo alles seine Ordnung hat, und jeder die Wahrheit kennt. Denn würde das jeder tun, wäre sonnenklar, dass Queen & Slim nicht zwingend schuldig sind. Womit der Film einen kleinen Denkfehler hat, der mich rückblickend nicht ganz zufriedenstellen kann. Fakt ist: die Tat wurde gefilmt, und zwar so gut, dass der Tathergang mühelos rekonstruiert werden kann. Warum also so eine Angst vor dem Rechtsstaat? Ist es tatsächlich so, dass die Justiz wirklich immer noch das Recht der Schwarzen sabotiert? Musikvideo-Macherin Melina Matsoukas überhöht den Pessimismus der schwarzen Minderheit so stark, dass das Ausbrechen aus dem Rechtsstaat näherliegt als die ungleich höhere Chance zu nutzen, einen Prozess durchzustehen, der die Korrumpierbarkeit der Justiz nicht ganz so über einen Kamm schert. Nein, das machen sie nicht, die beiden. Dafür sind sie viel zu sehr Black Power, viel zu sehr gegen die Politik eines Donald Trump, die den Grundverdacht der Ablehnung mit sich herumträgt. Queen & Slim kämpfen sich vorwärts und feiern ihren gar nicht so privaten Aufstand. Badl stehen Gleichgesinnte Schulter an Schulter. Matsoukas arbeitet diesen afro-amerikanischen Gemeinschaftssinn extrem hervor. Die beiden Outlaws werden meist umjubelt, werden zu Helden hochstilisiert, zu Vorbildern gar, was natürlich nach hinten losgeht, wie der Film an manchen, aber vielleicht zu wenigen Stellen klar hervorhebt.

Queen & Slim ist die zeitgemäße Antithese zu Green Book, doch der Rassenhass bleibt meist außen vor. Er geistert wie ein Gespenst in den Köpfen der Protagonisten, als hätten beide ihr fixes Vorurteil trotz fehlenden empirischen Wissens, als wäre es rein die Kränkung für ein Unglück, das stellvertretend sein muss für einen ganzen gesellschaftlichen Zustand. Es ist ein Gefühl, dem beide nachgeben, mit Leidenschaft, einem richtigen Gangsterpärchen gleich, doch für das Gute nur. Das Amerika, das an den Fenstern des türkisfarbenen Oldtimers vorbezieht, ist seltsam anachronistisch. Sklaven auf dem Feld, Pferde auf der Ranch, und im Keller schrummt der Blues. Ein reaktionäres Amerika, das Freiheit nur denen gibt die es erkämpfen wollen. Queen & Slim – ein gefälliger Brother- and Sisterhood-Gruß, der längst nicht immer erwidert wird.

Queen & Slim