Copshop

ÄRGER AM REVIER

5/10 


copshop© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JOE CARNAHAN

CAST: GERARD BUTLER, FRANK GRILLO, ALEXIS LOUDER, TOBY HUSS, RYAN O’NAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Hab nur ich das Gefühl oder nimmt die Zahl der wirklich lohnenden Actionfilme mit der Zeit kontinuierlich ab? Wenige, darunter Guy Ritchie, bemühen sich noch, im Rahmen von Blutrache, Hopsnehmen und Geballere sowas wie eine Geschichte zu erzählen. Der Rest ist kaum nennenswerte Stangenware. Das liegt aber auch oftmals an den Skripts, die sich sichtlich schwertun, innerhalb der dem Film inhärenten Logik den Konflikt zu einem plausiblen Ende zu führen. Schade drum, denn gute Ansätze sind mit Sicherheit da. So auch im neuen Film von Actionspezialist Joe Carnahan, der mit Gerard Butler und Frank Grillo zwei heiße Eisen aufeinander loslassen kann.

Dabei ist die Ausgangssituation durchaus griffig und hätte jemanden wie Quentin Tarantino in seinen wilden Jahren womöglich hellhörig werden lassen: Ein Hitman namens Teddy Muretto (Frank Grillo mit schulterlanger Mähne) flieht vor einem anderen Hitman (Gerard Butler), der ihn am Kieker hat. Die Idee schlechthin: er lässt sich nahe dem lokalen Polizeirevier mitten in der Wüste festnehmen und inhaftieren. So müsste er sicher sein. Dumm nur, dass der andere Hitman dieselbe Idee hat. Und plötzlich sitzen sie sich gegenüber, jeder in einer Zeile, zur Freude aller direkt vis a vis. Wer sie da reingebracht hat? Jungpolizistin und Revolver-Aficionada Valerie, die gerne wissen will, was die beiden verbindet.

Klingt nach Dialogkrimi? Ist es aber nicht. Klar, dass die beiden nicht lange hinter Gitter bleiben, folglich fliegen bald die Fetzen und es spritzt das Blut quer durch die Büroräume einer Polizeistation, die sehr gut auch als Kulisse für den Klassiker Assault – Anschlag bei Nacht herhalten hätte können. Nicht minder rabiat wird diese dann auch heimgesucht. Und man möchte meinen: Butler und Grillo begleichen die Rechnung, wie es sich für Kontrahenten dieses B-Movie-Kalibers durchaus gehört. Dabei haben sie selbige ohne den Wirten gemacht, und der ist eine Frau, nämlich Alexis Louder, die allen die Show stiehlt. Ihre Rolle des tüchtigen Cops mit einer skeptischen Sicht auf die Dinge, die noch dazu zäh und widerspenstig alten Hasen Paroli bietet, könnte ein neuer Stern am Himmel des Actionkinos sein, eine Mischung aus knallharter Pam Grier und resoluter Lashana Lynch. Blut, Schweiß und jede Menge Patronen markieren ihren Weg durch den nächtlichen Wahnsinn. Das sind Shootouts, wie man sie gerne hat, und zwar auf engstem Raum. Wie eingangs erwähnt, erreicht Carnahans nächtlicher Reißer, der zumindest im Intro und im Abspann so tut, als wäre er ein Grindhouse-Movie aus den Bahnhofkinos der Siebziger, leider nicht sein Ziel. Mächtige Plot Holes tun sich auf, die das Erreichte zurück an den Start schicken. Da haben wir es wieder, das schlecht durchdachte Skript fürs Actionkino, das sich in der letzten Viertelstunde auf die faule Haut legt und keinen Ehrgeiz mehr hat, sein Publikum zu überzeugen, geschweige denn zu überraschen. In Erinnerung bleibt Alexis Louder. Nun – vielleicht war‘s das ohnehin schon wert.

Copshop

City of Lies

RAP AND REVENGE

4,5/10


cityoflies© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: BRAD FURMAN

CAST: JOHNNY DEPP, FOREST WHITAKER, TOBY HUSS, DAYTON CALLIE, SHEA WIGHAM, LOUIS HERTHUM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Dass man Schauspieler tatsächlich aufgrund ihrer relativ privaten Beziehungsquerelen so dermaßen fallen lässt – ich dachte, über diese Methoden ist das Showbiz längst hinweg. Welch ein Irrtum: Nach dem Schmutzkübel- und Rosenkrieg mit Amber Heard ist einer wie Johnny Depp nicht mehr derselbe. Von der Planke seiner Black Pearl stößt man ihn ebenfalls – der nächste Blockbuster wird wohl noch etwas dauern. Leute wie Bruce Willis und Nicholas Cage haben damit keine Probleme, die beiden genießen ihren Wanderpfad durchs Low Budget-Dickicht. Depp hingegen bemüht sich redlich, seinem Plan B zu entgehen und wird zumindest noch für Filme engagiert, die gewisse inhaltliche Qualitäten aufweisen. The Professor zum Beispiel, oder Warten auf die Barbaren – ein Historienfilm, in welchem der Star so richtig fies sein darf. In City of Lies ist er an der Seite eines auffallend erschlankten Forest Whitaker zu sehen und gibt einen Detektive, der mit den Morden an den Rappern Notorious B.I.G. und Tupac Shakur zu tun hat.

Man muss kein Afficionado in Sachen Rapmusik sein – da reicht das musikalische Allgemeinwissen. Denn Notorious B.I.G. und Tupac Shakur, die waren zwar in ihrem Genre halbgottgleiche Kapazunder, traurigen Weltruhm erlangten sie allerdings erst durch ihren gewaltsamen Tod. Beide starben im selben Jahr fast zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten durch mehrere Schüsse. Der oder die Täter wurden nie gefasst. Ein kriminalistisches Mysterium. Und zwar eines, das aufgrund seiner mittlerweile im Schlepptau befindlichen Legenden- und Verschwörungen ähnlich wie beim Kennedy-Attentat allerhand Theorien für möglich hält. Auf Basis eines Tatsachenromans von Randall Sullivan mit dem (von mir verkürzten) Titel LAbyrinth verfilmt Brad Furman (u. a. The Infiltrator, Der Mandant) die Nachforschungen des Ermittlers Russel Poole (Johnny Depp), der gemeinsam mit einem Journalisten den Spuren der Mörder so nahe wie bislang möglich kommt, ohne Beweise allerdings niemanden jemals belangen wird können. Ob das so eine gute Idee war, sich dieser Ansammlung an Fakten zu bedienen, um daraus statt einer Dokumentation einen Spielfilm zu machen, ist eine gute Frage. Denn in die Gänge kommt diese nüchtern dargebotene Kriminalchronik leider wirklich nicht.

In ungesund graugelbem Farbton gehalten, offenbart sich die investigative Arbeit als ein Kommen und Gehen wenig greifbarer Gestalten, und überhaupt scheint Johnny Depp im Gegensatz zu Whitaker, der als einziger ein bisschen aufs Gas steigt, von seiner Rolle und auch vom Filmstoff selbst durchaus gelangweilt. Esprit entwickelt er keinen. Vielleicht erfordert das auch die Rolle des schon ewig auf diesem Fall herumkauenden Ermittlers, der noch dazu in Rückblenden zu sehen ist, die den ganzen Verschwörungskrimi die Attraktivität eines aus Zeitungsschnipseln zusammengetragenen Sammelalbums verleihen. Was überbleibt, ist das ergänzte Allgemeinwissen um die Schicksale zweier Musiker. Mehr aber auch nicht.

City of Lies

Spenser Confidential

WENN MACHENSCHAFTEN ZU SCHAFFEN MACHEN

6/10


spenserconfidential© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: PETER BERG

CAST: MARK WAHLBERG, WINSTON DUKE, ALAN ARKIN, BOKEEM WOODBINE, ILIZA SHLESINGER, MICHAEL GASTON, MARC MARON, POST MALONE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Mark Wahlberg hat seinen Arbeitsrhythmus gefunden. Und auch seinen Meister. Der heißt nämlich Peter Berg. Kaum mehr ein Film von ihm ohne seinen Star. Womöglich ist die gemeinsame Arbeit ein Musterbeispiel an Geschmeidigkeit. Berg braucht gar nicht mal groß zu erwähnen, wie Wahlberg seine Figuren anlegen soll. Vermutlich läuft das Ganze auf paraverbaler Ebene ab. Die Kombination hat sich bewährt – und scheint immer und immer wieder zu funktionieren. Der True-Story-Thriller Boston zum Beispiel war ausgezeichnete Arbeit, Lone Survivor ebenso. Spenser Confidential, produziert von Netflix, beweist ebenfalls gutes Handwerk, wenngleich sich mittlerweile auch eine gewisse Routine eingeschlichen hat. Aber, nichtsdestotrotz: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Und wo Berg draufsteht, ist Wahlberg drin.

Der ist übrigens zu Beginn des Films tatsächlich wo drin – und zwar im Knast. 5 Jahre absitzen aufgrund von Körperverletzung gegen einen Vorgesetzten. Der natürlich, wie wir schon ahnen, den Tango Korrupti getanzt hat. Wahlberg aber – von vorne bis hinten ein so wehrhafter wie fairer Mann, nimmt die Strafe an. Um nach diesen fünf Jahren, vom Dienst entlassen, wieder in diesen Sumpf aus Mord und Machenschaften hineingezogen zu werden. Allein: er kann nicht anders, als der Sache mit dem Mord an denjenigen, den er damals vermöbelt hatte, nachzugehen. Und er fischt in sehr trüben Gewässern, ihm zur Seite ein Hüne von einem Boxer (Winston Duke), der zwar nicht so viel redet, dafür aber zum treuen Begleiter wird.

Man darf sich nicht täuschen lassen: Spenser Confidential ist kein Buddy-Movie im klassischen Hollywood-Sinn. Kein ungleiches Duo, dass sich zusammenraufen muss und von einer Stunt-Nummer zur nächsten schlittert. Spenser Confidential beruht auf dem Roman Wonderland und lässt die Figur des Spenser, die Autor Robert B. Parker im Stile der Hardboiled-Krimis erfunden hat, für Unruhe bei den Bösen sorgen. Das allerdings als jemand, der zu viele Fragen stellt. Entsprechend investigativ ist auch dieser Krimi, der mit einzelnen faustverwöhnenden Fights für erfrischende Intermezzi sorgt und eine schnüffelnasige Story bietet, der man gut folgen kann. Seltsamerweise aber fehlt dem Streifen, trotzdem er vieles richtig macht, irgendwie das gewisse Etwas. Vielleicht sind all die Antagonisten wieder mal viel zu eindimensional gezeichnet, vielleicht ist es auch der bis zum Ende sichtbare, klare rote Faden, vielleicht auch diese Unfehlbarkeit von Mark Wahlberg, der als selbsternannter Detektiv des Lichts Licht in Sachen bringt, die ihn nichts angehen. Doch wer würde das sonst tun, wenn nicht er, der hartgesottene Amateurermittler. Am Ende lässt Spenser Confidential die Möglichkeit offen, es zukünftig vielleicht mit einem kleinen Franchise zu tun zu bekommen. Das wäre durchaus in Ordnung – aber auch nicht mehr. 

Spenser Confidential

Queen & Slim

AM WEG DES GRÖSSTEN WIDERSTANDS

6/10

 

Queen & Slim© 2020 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2020

REGIE: MELINA MATSOUKAS

DREHBUCH: LENA WAITHE

CAST: DANIEL KALUUYA, JODIE TURNER_SMITH, BOOKEM WOODBINE, STURGILL SIMPSON, CHLOË SEVIGNY, INDYA MOORE U. A. 

 

Da haben sie wieder den Salat, diese Amerikaner. Der mutwillige Mord an George Floyd hat abermals die Gemüter erhitzt, Demos auf den Plan und zu Gewalt aufgerufen, vorwiegend gegen die von Weißen dominierte Exekutive. Langsam müsste man vermuten, ob beim Auswahlverfahren für Polizisten nicht generell ein gewisser arger Schlendrian herrscht, denn wie sonst kommt der rassistische Pöbel andauernd in Griffweite einer Polizeimarke? Wie viele davon würden übrigbleiben, die frei vom Hass auf Schwarze sind?

In Queen & Slim, einem Thriller-Roadmovie quer durch die Vereinigten Staaten mit Ziel Florida, wird diesmal allerdings ein Weißer erschossen. Ein Ordnungshüter, der vor farbigen Mitbürgern panische Angst verspürt. Nach einem Tinder-Date geraten Queen & Slim in eine Fahrzeugkontrolle, werden angehalten, müssen aussteigen. Schon da beginnt der Missbrauch von Amtsgewalt. Ein falsches Wort folgt dem nächsten und schon liegt der tote Polizist in der Gosse. Notwehr, klarer Fall. Das sagt auch die Fahrzeugkamera des Streifenwagens. Doch nüchtern betrachtet werden die beiden vor Gericht den Kürzeren ziehen, oder nicht? Also: gemeinsam fliehen, Richtung Süden eben, um mit einem Flieger nach Kuba ins Exil.

Schon klar, das ist der Traum der Revoluzzer. Und von vornherein zum Scheitern verurteilt, das sagt uns das Kino schon längst, nicht erst seit Bonny & Clyde. Das sagt uns das Kino mit Thelma & Louise, Sugarland Express oder Wisdom – alles Roadmovies auf dem Weg ins Wunderland, in die Illusion, in eine bessere, nicht existente Welt, wo alles seine Ordnung hat, und jeder die Wahrheit kennt. Denn würde das jeder tun, wäre sonnenklar, dass Queen & Slim nicht zwingend schuldig sind. Womit der Film einen kleinen Denkfehler hat, der mich rückblickend nicht ganz zufriedenstellen kann. Fakt ist: die Tat wurde gefilmt, und zwar so gut, dass der Tathergang mühelos rekonstruiert werden kann. Warum also so eine Angst vor dem Rechtsstaat? Ist es tatsächlich so, dass die Justiz wirklich immer noch das Recht der Schwarzen sabotiert? Musikvideo-Macherin Melina Matsoukas überhöht den Pessimismus der schwarzen Minderheit so stark, dass das Ausbrechen aus dem Rechtsstaat näherliegt als die ungleich höhere Chance zu nutzen, einen Prozess durchzustehen, der die Korrumpierbarkeit der Justiz nicht ganz so über einen Kamm schert. Nein, das machen sie nicht, die beiden. Dafür sind sie viel zu sehr Black Power, viel zu sehr gegen die Politik eines Donald Trump, die den Grundverdacht der Ablehnung mit sich herumträgt. Queen & Slim kämpfen sich vorwärts und feiern ihren gar nicht so privaten Aufstand. Badl stehen Gleichgesinnte Schulter an Schulter. Matsoukas arbeitet diesen afro-amerikanischen Gemeinschaftssinn extrem hervor. Die beiden Outlaws werden meist umjubelt, werden zu Helden hochstilisiert, zu Vorbildern gar, was natürlich nach hinten losgeht, wie der Film an manchen, aber vielleicht zu wenigen Stellen klar hervorhebt.

Queen & Slim ist die zeitgemäße Antithese zu Green Book, doch der Rassenhass bleibt meist außen vor. Er geistert wie ein Gespenst in den Köpfen der Protagonisten, als hätten beide ihr fixes Vorurteil trotz fehlenden empirischen Wissens, als wäre es rein die Kränkung für ein Unglück, das stellvertretend sein muss für einen ganzen gesellschaftlichen Zustand. Es ist ein Gefühl, dem beide nachgeben, mit Leidenschaft, einem richtigen Gangsterpärchen gleich, doch für das Gute nur. Das Amerika, das an den Fenstern des türkisfarbenen Oldtimers vorbezieht, ist seltsam anachronistisch. Sklaven auf dem Feld, Pferde auf der Ranch, und im Keller schrummt der Blues. Ein reaktionäres Amerika, das Freiheit nur denen gibt die es erkämpfen wollen. Queen & Slim – ein gefälliger Brother- and Sisterhood-Gruß, der längst nicht immer erwidert wird.

Queen & Slim

Black and Blue

DIENST NACH GEWISSEN

5,5/10

 

black-and-blue© 2019 Sony Pictures GmbH

 

LAND: USA 2019

REGIE: DEON TAYLOR

CAST: NAOMIE HARIS, TYRESE GIBSON, FRANK GRILLO, MIKE COLTER, REID SCOTT U. A.

 

Trau ihm, er ist ein Cop – so hieß der begleitende deutsche Untertitel des Polizeithrillers Internal Affairs aus den Neunzigern mit Andy Garcia und Richard Gere als schlimmem Finger. Spätestens seit damals ist uns Filmnerds klar: die Exekutive, die für Recht und Ordnung sorgt, dein Freund und Helfer in allen öffentlichen Lebenslagen, der meint es nicht immer gut. Vor allem nicht dann, wenn Profit im Spiel ist, das Geld der Bösen lockt und der Schlüssel zur Aservatenkammer locker in der Hand sitzt. Drogen sind auch gern gesehen, deren Handel gebilligt, sofern der Schnee nicht auf die blauen Schultern fällt. Kommt irgendwas ans Licht, gibt’s einen Triple 9 – folglich Tod der Schurken durch Notwehr, angeblich. Die meisten sind aber ohnehin rechtschaffen, tragen das Gesetz am rechten Fleck und verbiegen es nicht. Im Laufe von Filmen wie diesen sind das aber genau jene, die zum Handkuss kommen, und die, die das Gesetzt verdrehen, sitzen am längeren Hebel, weil sie ein besseres Netzwerk haben als so ein junges Greenhorn wie Naomie Harris. Miss Moneypenny ist hier als blauuniformierte Streifenpolizistin unterwegs, die ihr jugendliches Gossenleben hinter sich lässt und nach ihrem Einsatz in Afghanistan einen Neustart wagen will.

Wie es Copthriller wie diese eben wollen, fällt für die Hauptfigur aller Anfang schwer. Alicia, so heisst die brave Gesetzteshüterin, darf Zeuge davon werden, wie genau das Drogendezernat mit verdächtigen Subjekten umgeht. Und zwar nicht sehr zimperlich. Die Methode lässt sich auch gut und gerne auf unliebsame Augen- und Ohrenzeugen erweitern, vor allem dann, wenn diese eine Bodycam mit sich herumführen, die alles brav in Farbe festgehalten hat. Was folgt, ist natürlich ein Katz-und-Maus-Spiel. Niemandem ist mehr zu trauen und Naomi versucht, wo es nur geht, sich zu verstecken. Tyrese Gibson als brummeliger Ex-Krimineller, der, geläutert und resozialisiert, Schichtdienst im Supermarkt schiebt, wird auch irgendwann wichtig und gibt dem sonst sehr vorhersehbaren Thriller eine  – sagen wir mal so – gewisse Starthilfe in eine recht geschmeidige Richtung. Denn Gibson ist auf seine Art von einnehmender Vertrauenswürdigkeit, und zu sehen, wie der Schrank von einem Mann drauf und dran ist, sich abermals in gefährliche Situationen zu begeben, geht nicht ohne Bangen ab. Also hofft man, das für ihn alles gut ausgeht. Es sei Harris aber verziehen, den Kerl mit in die Sache hineingezogen zu haben, denn beide sind ein recht gutes Gespann. Dieses Buddy-Movie-Element im spaßbefreiten Stile von „Freunde in der Not“ macht den Streifen vor allem recht menschlich und von der Seite der Guten her angenehm aufrichtig.

Black and Blue könnte auch genauso gut Black and White heissen, da die Grenzen sehr klar gezogen sind. Die Guten und die Bösen. Grauzonen gibt es nur alibihalber. Wir wissen, woran wir sind. Klar spielt Frank Grillo nur den Oberbösling, was könnte der Mann mit der einschlägigen Visage eines Antagonisten denn sonst noch spielen? 100 Meilen gegen den Wind wird klar, welche Bullen zur inoffiziellen Sorte gehören. Da strengt sich Regisseur Deon Taylor nicht wirklich an, das läuft alles nach stereotypem Schema. Aber gut, dank dem ungleichen Pärchen lässt sich Black and Blue als brauchbarer Actionthriller, der nicht sonderlich aufwühlt, als Absacker nach einem aufwühlenden Tag durchaus genießen.

Black and Blue

Point Blank

GESUND GESTOSSEN

5,5/10

 

POINT BLANK© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: JOE LYNCH

CAST: ANTHONY MACKIE, FRANK GRILLO, MARCIA GAY HARDEN U. A. 

 

Was machen Ensemblestars aus dem Marvel-Kosmos, wenn sie gerade am Ende ihrer Epoche angelangt sind? Sie machen mal Urlaub, könnte ich mir denken. Oder sie lassen sich von Netflix anheuern, an der Hintertür am Set zu Avengers, winkend mit einem netten Angebot und einem günstigen Vertrag mit allerlei Boni. Anthony Mackie konnte an diesen Anwerbern, so wie es aussieht, nicht wirklich vorbei. Obwohl Mackie nicht vergessen darf, irgendwann in die Fußstapfen Captain Americas zu treten, rufen wir uns eine der letzten Szenen aus Endgame in Erinnerung. Doch der afroamerikanische Star, im MCU bekannt als Falcon, will sich zu Recht nicht festlegen lassen. Da lässt sich zwischendurch ohne weiteres etwas ganz anderes spielen, nämlich das Remake eines französischen Thrillers mit dem bezeichnenden Titel Point Blank. Und um nicht ganz alleine dazustehen, muss Kollege Frank Grillo – ebenfalls aus dem Cap-Cast – auch mit an Bord. Somit haben wir mal ein Buddyteam, das so wie damals bei The First Avenger: Civil War ebenfalls auf zwei Seiten steht. Auf der Seite der Guten und der Bösen.

Mackie ist natürlich der Gute, und er ist Krankenpfleger und werdender Papa. Grillo ist der Böse, und einer von zwei Brüdern, die ein Attentat auf einen Lokalpolitiker verübt haben. Der eine entkommt, der andere wird überfahren – und landet im Spital. Klar, dass Blut dicker als Wasser ist, und der Flüchtige seinen Partner da raushauen will. Das geht aber nur mit fachkundigem Personal. Und wer eignet sich da nicht besser als Anthony Mackie, der, um das Leben seiner entführten schwangeren Frau bangend, alles tut, was Grillo will. Ihnen auf den Spuren: Ermittlerin Marcia Gay Harden als derber Cop, aus ihrem Sprachrepertoire bevorzugt das Wort „Fuck“ verwendend. Und was den Rest des Films dann passiert, ist wie der Benefit für einen Mars-Riegel: voll mobil und am Besten zwischendurch. Wobei Zwischendurch auch mal sehr entspannend ist.

Dieses Zwischendurch ist also Point Blank, das ist nichts, was den Patschenkinogeher vom Sofa haut, das ist nichts, was mit irren Schauwerten auftrumpft und nichts, was wir nicht irgendwo so ähnlich auch schon gesehen haben. Dass sich der US-Film gerne an europäischen Vorlagen vergreift, ist schon längst bekannt. Manchmal ist das komplett unnötig, manchmal aber taucht die Existenz eines Originals erst dann aus der Versenkung, wenn die US-Filmbranche in gefälligem Kopieren ihre Seherschaft vor den Screen holt. Das ist in der Musikbranche genauso. Doch wenn da Cover-Versionen gang und gäbe sind, warum nicht auch im Film? Ein bisschen anders sollte es dann schon sein, neue Impulse vielleicht, ein neuer Zugang. Point Blank, das Original, kenne ich nicht. Muss ich aber auch nicht mehr sehen. Und will ich auch nicht verwechseln mit einem Krimi selben Titels aus den 60er-Jahren von John Boorman, was die Verwirrung erst so richtig komplett macht. Die US-Version des Europa-Originals erzählt schon alles, was ich wissen muss, noch dazu mit einem gefällig-smarten Hauptdarsteller, der den relativ unbekannten Frank Grillo (ehrlich, ich kann mich leider nicht mehr an einen Antagonisten wie Crossbones aus dem Marvel-Universum erinnern) auf Fluchtwegen durch die Stadt pflegt. Im Koffer alles was er braucht, von Morphium bis Adrenalin. Das führt zu launigen Stress-Sequenzen, zu ordentlich Projektilverkehr und zu wohltuender Vorhersehbarkeit, die eben dadurch nicht weiter (ver)stört, weil es eben ein relativ anspruchsloser Happen ist, wie die Thrillerlektüre eines B-Schreiberlings am Strand, die für Kurzweil sorgen darf, mit all den redundanten verbalen Kraftausdrücken, die das klischeehafte Bild eines kernigen Verbrecheralltags erst so richtig finster machen. Reflektieren wir darüber? Nein, Point Blank kann man so stehen lassen, als etwas, worüber man nicht weiter nachdenkt. Außer vielleicht, welchen Film Anthony Mackie wohl als nächstes machen wird, bevor er das Vibraniumschild aus dem Kasten holt.

Point Blank

Cops

MIT KANONEN AUF SPATZEN

6/10

 

cops© 2018 Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH 2018

REGIE: STEFAN A. LUKACS

CAST: LAURENCE RUPP, ANTON NOORI, ANNA SUK, MIRIAM FUSSENEGGER, ROLAND DÜRINGER, MARIA HOFSTÄDTER, MICHAEL FUITH U. A.

 

Es herrscht Krieg im Grätzel. Gewalt in den eigenen vier Wänden, und da sind Parteien, die den Hausfrieden stören. Schießt mal jemand scharf aus dem Fenster oder raubt die laute Musik des Nachbarn den Schlaf der anderen, ist die WEGA zur Stelle. Wiens Spezialeinheit für besonders hartnäckige Fälle, und die decken das ganze Spektrum an ungebührlichem Verhalten ab, bis hin zu den wohlgekannten Ausschreitungen beim Fußball. Vor allem da zählt die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung, von welcher sich die Abkürzung auch ableitet, mehrere Mann hoch, bewaffnet mit Schild und Automatik, mit Schlagstock und Helm. Fast wie Ritter, wie die Wächter einer Festung. Das hat was Martialisches, starkes, mächtiges. So ausgebildet, gestählt und durchtrainiert, könnte Mann es mit Drachen oder Horden Untoter aufnehmen, wie zurzeit in Westeros. Da braucht es Männer mit Ehrenkodex, und mit der Gewissheit, für gefährliche Unterfangen auserwählt worden zu sein. Da braucht es belastbare Ideale und nicht totzukriegende Loyalität einem gerechten Zorn gegenüber. Das Dumme nur – manchmal fühlen sich jene bestimmt, hier mitzumischen, die mit ihrem Ego so ihre Probleme haben. Und die trotz Muckis und Schrankgröße vom Scheitel bis zur Sohle innen drin ganz klein sind, wie eine Kirchenmaus. Die gekränkt wurden, und das moderne Wächtertum dafür nutzen, um wieder größer zu werden.

Im österreichischen Copdrama von Stefan A. Lukacs tritt Burschi in die Fußstapfen seines Altvorderen Roland Düringer, der selbst bei der Polizei Dienst verrichtet und schon längst Schild und Helm gegen Diplomatie und psychologischer Kriegsführung eingetauscht hat. Gegengewalt durch physische Stärke oder gar präventives Gerangel mit verdächtigen Subjekten geht gar nicht mehr. Das sieht Bursche etwas anders. Und er trainiert, beweist sich und anderen, dass es zum harten Kerl reicht, und schafft die Prüfung zur exekutiven Elite, nur um im ersten Einsatz seiner Karriere an die Grenzen von Leben, Tod und Verantwortung zu stoßen. Burschi greift zur Waffe, um seinen Vorgesetzten zu retten – und tötet einen Menschen. Natürlich ist der Frischling erstmal ein Held, ein Beschützer. Doch war der fatale Eingriff wirklich notwendig? Das Leben eines anderen zu nehmen ist nichts, was sich zu einem Heldenmythos romantisieren lässt. Nichts dass sich durch entsprechende Rechtfertigung mildern lässt. Nach dieser unerwarteten Wendung wird alles anders für den Muskelprotz und aufgeräumten Krieger, für den geschäftigen Verteidiger der Freiheit und des Friedens. Vor allem ändert sich die Sicht der Dinge.

Cops ist bei weitem kein Actionfilm, nicht mal wirklich ein Thriller, obwohl er Anleihen hat. Cops ist ein hemdsärmeliges Psychodrama, welches das stereotype Soll eines harten Kerls hinterfragt. Und dabei herauszufinden versucht, was die Rambos, Bishops und Triple X´s im echten Leben zu dem macht, was sie sind. Und wie es hinter ihren meist tätowierten Muskeln eigentlich aussieht, ganz tief drin. Und wer dieses Männerbild eigentlich verlangt. Lukacs legt in manchen Momenten wirklich dort den Finger drauf, wo es wehtut. Lässt Laurence Rupp zwischen Panik und Absolution in den Spiegel blicken und ziemlich straucheln. Allerdings fehlt der Story etwas der Mut, wirklich zu differenzieren. Denn die Männer der WEGA, die sind hier, sofern sie nicht namenlos bleiben, Mitläufer, Vorspieler und von Minderwertigkeit zerfressene Gestalten, die sich entweder in einer Obsession verlieren oder so tun, als wären sie halbstarke Burschen, die den fiktiven Action-Unsinn aus dem Fernsehen leben wollen, wie schulpflichtige Buben an freien Nachmittagen. Mit Sicherheit lassen sich diese Psychogramme nicht über einen Kamm scheren. Hätte die WEGA Leute rekrutiert, die psychisch labil sind, würde das Konzept dahinter gar nicht funktionieren. Ich denke auch nicht, dass Cops Rekruten besagter Einheit, sofern sie den Film gesehen haben, überhaupt kompromittiert hat. Profis, die sich den urbanen Gefahren einer Großstadt stellen, wären fehl am Platz, würde sie das Bild, das Lukacs hier gezeichnet hat, in irgendeiner Weise stören. Die Männer der WEGA, die stehen da drüber, anders kann das gar nicht sein. Dann sonst hätten wir es mit Ego-Problemen zu tun, wie Burschi sie hat.

Cops

The Highwaymen

MÄNNER FÜRS GROBE

5/10

 

highwaymen© 2019 Photo by Hilary B Gayle / Courtesy of Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: JOHN LEE HANCOCK

CAST: KEVIN COSTNER, WOODY HARRELSON, KATHY BATES, JOHN CARROLL LYNCH, WILLIAM SADLER U. A.

 

Schön, Kevin Costner wohlauf zu sehen. Ein bisschen brummiger ist er geworden, im Hüftbereich spannt das Hemd und gesprochen wird nur mehr das Nötigste. Für einen Mittsechziger, der bald in die Rente hechten wird, nichts Ungewöhnliches, sofern er nicht der Filmbranche dient. Kevin Costner, der schnürt sich seine Hose gottseidank noch nicht bis zur Brust, und sein Fedora steht ihm gut, weil er noch dazu das auffällig selbstgefärbte Haupthaar verdeckt, das irgendwie lächerlich wirkt, ungefähr so wie bei Silvio Berlusconi. Natur wäre besser gewesen. Und die soziale Entfremdung? Womöglich seiner strafverfolgenden Laufbahn in vorliegendem Film geschuldet. Dort spielt er Frank Hamer, einen Texas Ranger außer Dienst, der aber wieder reaktiviert werden soll, weil womöglich ein ganz großer Fisch an seiner bald ausgeworfenen Angel baumeln könnte. Was heißt einer – zwei Fische: Nämlich das berüchtigtste Verbrecherpaar der Kriminalgeschichte – Bonny & Clyde.

Da denkt natürlich jeder Filmkenner an Arthur Penns bleihaltige Ballade selbes Titels, mit Warren Beatty und Faye Dunaway aus dem Jahr 1967. Die Bankräuber und mehrfachen Mörder mit einem kolportierten Sinn für Gerechtigkeit Marke Robin Hood waren ja tatsächlich Publikumslieblinge, allerdings der fragwürdigen Sorte. Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus, jedenfalls nicht so wie Mord und Totschlag. Dieses Auflehnen gegen ein ungerechtes System heiligte anscheinend die Mittel, über die sich keiner der anfeuernden Normalbürger, die sich über ihre Veranda gelehnt und den beiden Turteltauben zugewunken hatten, den Kopf zerbrach. Oliver Stone hat dann Jahrzehnte später dem Benny & Clyde-Mythos mit Natural Born Killers die rosarote Brille vom Gesicht geschlagen. Bestien waren das, da braucht man gar nicht viel die Perspektiven wechseln. Und Bestien – die müssen gejagt werden. Also zurück zu Frank Hamer, der mit seinem Rentnerbuddie die R.E.D.-Gang um Bruce Willis aussehen lassen will wie ein Kaffeekränzchen. Nun, wenn Costner in den Waffenladen marschiert, um sich ein vom Staat gesponsertes Equipment von Faustfeuerwaffe bis Maschinengewehr zuzulegen, erinnert das ein bisschen an Michael Douglas in Falling Down, oder gar an einen Black Friday für Schwarzeneggers Cyborg-Alter Ego. Diesmal aber sind die beiden Opas aus Fleisch und Blut, und ihre mangelnde Agilität wird das Bleiarsenal schon ordentlich ausgleichen.

An Costners Seite agiert Woody Harrelson in zurücknehmender Haltung. Motivation sieht bei ihm meistens anders aus. Was das vielseitige Talent aus seiner Rolle des raubeinigen Mandy Gault herausholen kann, ist eine routinierte Hommage an Typen wie Clint Eastwood. Diese Interpretation hat aber auch schon Kevin Costner, also sind die beiden gesetzten Haudegen fast schon wie Brüder, obwohl Brüder ja meist grundverschieden sind. In The Highwaymen ergänzt Harrelson den anderen lediglich mit seinem lockereren Mundwerk, während Der mit dem Wolf tanzt in stoischer Nachdenklichkeit den schwer fassbaren, sträflich romantisierten Pistoleros in die Quere kommen will. Dabei stößt Costner relativ früh an seine schauspielerischen Grenzen, und auch John Lee Hancock, der unter anderem für das inhaltlich recht sperrige Hinter-den-Kulissen-Drama Saving Mr. Banks um Walt Disney einen recht geschmeidigen Zugang gefunden hat, verhaspelt sich dabei szenenweise vor allem in Sachen Tempo. Einerseits ist es ja schön und gut, die beiden Männer fürs Grobe näher kennenzulernen – aber ergiebig ist das nicht. Und ändert auch nichts daran, nicht unbedingt mehr von den beiden wissen zu wollen. Dadurch erzählt The Highwaymen relativ wenig und spult in ermüdendem Leerlauf die Chronik der Ereignisse ab. Spannender wäre es gewesen, Bonnie & Clydes Umstände nicht ganz auszusparen und mehr über den medialen Hype zu berichten. Verständnis für die beiden Kultkiller will der Film um nichts in der Welt aufbringen. So aber macht Hancock die „Bösen“ zu etwas unantastbar Besonderem, da das Konzept seines Thrillers es nicht vorsieht, von Costner und Harrelson abzurücken und das bürgernah Revolutionäre der Gesetzlosen zu hinterfragen. Am Ende lässt sich The Highwaymen zu einem Zugeständnis überreden, um nur für wenige Sekunden zum finalen Kugelhagel doch noch einen Seitenblick zu riskieren – auf eine personelle Staffage, die aber niemandem nützt.

Und so zieht sich die Netflix-Produktion in schnurgerader Eintönigkeit wie der Highway selbst durch karges Gelände, den Mördern beharrlich auf der Spur, was ein ganz gutes Bild der Fakten gibt, aber im Ganzen nur als der eine Teil eines komplexen Krimievents taugt, das Geschichte geschrieben hat. Sowohl im Film als auch im echten Leben.

The Highwaymen

Nur Gott kann mich richten

DIE WUT DER VERZWEIFLUNG

8,5/10

 

nurgottkannmichrichten© 2018 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: ÖZGÜR YILDIRIM

CAST: MORITZ BLEIBTREU, BIRGIT MINICHMAYR, KIDA KHODR RAMADAN, EDIN HASANOVIC, PETER SIMONISCHEK U. A.

 

Alles für die Familie, oder nicht? Natürlich lässt sich dieser Leitsatz höchst unterschiedlich auslegen. In erster Linie habe ich hier gleich Marlon Brando vor Augen als Vorsitzender der italo-amerikanischen Mafia. In diesem Fall aber meine ich genau das, was unter Familie im biologisch-gesellschaftlichen Sinn zu verstehen ist: die Vernetzung und ewige Bindung, die das eigen Fleisch und Blut mit sich bringt. Vater, Bruder, Tochter, all das. Wenn alle Stricke im Leben reißen sollten, ist Familie das, was bleibt. Erschütternd für jene, die in dieser sozialen Basiskonstellation keinen Halt finden oder nie gefunden haben. Die stärkste Bindung ist aber die zwischen Mutter und Kind. Das ist natürlich nichts Neues, diese Intensität der Verbundenheit ist eigentlich überall auf der Welt gleich stark und unerschütterlich. Die Verpflichtung der Familie gegenüber, also Familie im weitesten Sinn, die verträgt global gesehen schon einige Diskrepanzen. In dem aufwühlenden Thriller Nur Gott kann mich richten ist die Treue zum nächstgelegenen Blutsverwandten sowohl Antrieb als auch Grund für einen verhängnisvollen Strudel in den Untergang.

Schauplatz ist ein düsteres Frankfurt am Main abseits aller Glasfassaden und Hochhäuser der Wirtschafts- und Handelsmetropole. Hier sind es dunkle Seitengassen, Lagerhallen und periphere Industrieviertel inmitten verwahrloster urbaner Ödnis. Spielhallen, Shisha-Bars und die Reviere türkischstämmiger Gangs. Da gibt es den Kriminellen Ricky, der mit seinem Bruder ein Ding dreht, dieses versemmelt und gleich zu Beginn in den Knast wandert. Womit wir die erste starke Bindung haben, nämlich die zwischen Brüdern. Moritz Bleibtreu als der Ältere, Edin Hasanovic als das Liebkind eines dementen, in schleichender Armut dahinsiechenden Übervaters, gespielt von Peter Simonischek in gewohntem Theaterdeutsch. Dieser Vater, der kann nur fordern, niemals danken. Die Pflicht des Sohnes den Altvorderen gegenüber, die hält den Tyrannen schadlos. Von einem ganz anderen Erzählstrang ausgehend bringt Regisseur Özgür Yildirim die alleinerziehende Mutter Diana ins Spiel, die eine Tochter hat, die an Herzinsuffizienz leidet. Dringend muss ein Spenderorgan her, doch das kann dauern. Es sei denn, Mama begibt sich auf illegalen Pfaden in den Sumpf des osteuropäischen Organhandels. Doch das wiederum kostet Geld. Geld, dass Diana, die gleichzeitig auch Polizisten ist, nicht hat. In Anbetracht dessen, dass das eigene Kind locker über allem, und eben auch über dem Gesetz steht, bleibt nichts unversucht, um für das Wohl des Nachwuchses zu sorgen. Als Cop in Uniform darf die von mir sehr geschätzte und stets famose Burgtheaterschauspielerin Birgit Minichmayr eine Rolle bekleiden, die sie meines Wissens so noch nie probiert hat. Mit diesem Genre des Film Noir betritt die Linzerin so gut wie Neuland. Und nicht anders zu erwarten meistert sie auch Genre des anspruchsvollen Actionkinos souverän. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Minichmayr und Moritz Bleibtreu gemeinsam vor der Kamera stehen. (Taking Sides – Der Fall Furtwängler, an der Seite von Harvey Keitel).

Beide Handlungsstränge also, die des Gangsters Ricky und der Polizistin Diana, winden sich durch den anonymen Moloch der deutschen Stadt, um wie vom Schicksal geprüft scheinbar rein zufällig aufeinanderzutreffen. Dieser Aufprall, diese Verstrickung, die sich daraufhin Bahn bricht, verselbstständigt sich auch relativ bald und erhält eine Dynamik, die ihre Protagonisten nur hilflos mit den Armen rudern lässt. Dabei entsteht das virtuose Erlebnis eines nihilistischen Thrillerdramas, das nicht weniger fesselt als die episodenhaften urbanen Kunststücke eines Paul Haggis und so dicht und konsequent die Fatalität kausaler Zusammenhänge zelebriert wie eben Breaking Bad oder Ben Affleck´s Kriminaldrama The Town. Dem deutsch-türkischen Tatort-Regisseur Yildirim ist ein Film gelungen, der mich richtig überrascht hat und den ich voller Überzeugung nicht nur als ein Meisterwerk des Neo-Noir-Genres bezeichne, sondern auch als einen der besten Thriller, die vor allem in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind. Beachtlich, wie Yildirim, der eben auch das Drehbuch schrieb, seine Tragödie verdichtet und die so verirrten wie irrenden Seelen aneinandergeraten lässt. Eine dramaturgische Komposition von immensem Spürsinn, was die Fliehkraft eines sich immer schneller rotierenden Malstroms betrifft, der einer Physik aus Rache, Gerechtigkeit und höheren Mächten folgt. Mit dabei ein Soundtrack aus wütenden Rap-Songs.

Bei Nur Gott kann mich richten scheint Gott tatsächlich eine Auszeit zu nehmen, denn die, die richten, sind jene, bei denen Blut dicker als Wasser ist, und sich opfern für das, was die Bande der Familie an Tribut fordert. Der nachtschwarze Thriller ist so tollwütig, rabiat und impulsiv wie ein emotionales Blackout oder wie ein Mord im Affekt. Zwischen all dem Toben ist es das Streben nach der Geborgenheit einer vertrauensvollen Zuflucht, einer ruhenden Konstanten, die jeder hier erlangen will und ohne die sonst alles im Chaos versinkt.

Nur Gott kann mich richten

Das Gesetz der Familie

TUN, WAS PAPA SAGT

4/10

 

gesetzderfamilie© 2017 Koch Media

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2016

REGIE: ADAM SMITH

MIT MICHAEL FASSBENDER, BRENDAN GLEESON, RORY KINNEAR, KILLIAN SCOTT U. A.

 

Die Redewendung „Im Kreise der Familie“ bekommt im vorliegenden britischen Bandenthriller eine gänzlich unbequeme Bedeutung. Wenn Michael Fassbinder als Stammhalter morgens erwacht und ins Freie tritt, blickt er auf eine Ansammlung kreisförmig geparkter Wohnwägen, deren Insassen irgendwo in der Grafschaft Gloucestershire mehr illegal als legal und ziemlich versteckt kampieren, um den Steuern zu entgehen und Pläne für den nächsten Coup zu schmieden. Denn Michael Fassbender ist Verbrecher. Von Berufs wegen Einbrecher und Dieb, Fluchtwagenfahrer und gleichzeitig aber auch Vater von zwei Kindern. Dass er ihnen das antut, ist keine Frage des Wollens. Sondern eine Frage der Hörigkeit – dem alles überragenden Patriarchen gegenüber. Eine Pflichtschuldigkeit, die niemand in Frage stellt. Wie denn auch? Bei Infragestellen familiärer Pflichten ist Gewalt nicht selten die Antwort.

Das klingt ja nach einem wuchtigen Thrillerdrama – so dachte ich mir, nach Sichtung der Synopsis und der Gewissheit, dass ein Cast wie Fassbender und der großartige Brendan Gleeson eine Sternstunde des Retail-Kinos gewähren. Zugegeben, da habe ich so ziemlich aufs falsche Pferd gesetzt. Das Gesetz der Familie hat zwar Potenzial für etwas ganz Großes im Stile von Sydney Lumet´s Tödliche Entscheidung, nutzt es aber so gut wie gar nicht. Gleeson als glattrasierter Soziopath und Apostel einer radikalen, wissenschaftsfeindlichen Weltanschauung donnert durch sein heruntergekommenes Refugium, wohlwissend, welchen Einfluss er auf alles hat und wem er wann die Hölle heiß machen kann. Wie ein verblendeter Narr, der König sein will. Und zu wissen glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Rolle des Iren wäre ja schon polternd genug, ausreichend Angriffsfläche für den unbeugsamen Sohn, der nicht mehr will und nicht mehr kann. Aber der schweigt, aus Angst vor einem eigentlich lächerlichen Über-Ich.

Der Befreiungsschlag in ein besseres Leben atmet nur mit halber Luft. Konfrontationen verlaufen im Sand des mobilen Dorfes der Unbeugsamen, es fehlt der Wille zur Zuspitzung, das Volumen für dramaturgische Dichte. Der Film wirkt vor allem mit Gleeson zwar gut besetzt, sonst aber drehbuchtechnisch hingehudelt, ohne in reifer Überlegung den Konflikt zu einem konsequenten Ende zu bringen. Das Ende, das kommt dann willkürlich, ist noch nicht fertig, wie der ganze Thriller. Wirkt schaumgebremst und schüchtern angesichts der Möglichkeiten, die da genutzt hätten werden können. Als A-Sozialportrait über einen ausgerufenen Mikro-Verbrecherstaat ist Das Gesetz der Familie zu wenig ausführlich, als Familiendrama zu kompromissbereit, um wirklich anzuecken oder zu faszinieren.

Das Gesetz der Familie