Klaus

DER WEIHNACHTSMANN ALS MENSCH

7/10 


klaus© 2019 Netflix


LAND: SPANIEN, USA 2019

REGIE: SERGIO PABLOS

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JASON SCHWARTZMAN, J. K. SIMMONS, RASHIDA JONES, JOAN CUSACK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


In Tagen wie diesen wird wieder vermehrt Weihnachtliches am Bildschirm konsumiert. In Ermangelung eines gemütlichen Kinobesuchs in der Adventzeit habe ich nun die letztjährig für den Oscar als bester Animationsfilm nominierte Tragikomödie Klaus einer Sichtung unterzogen. Für alle, die allerdings schon die Nase voll haben von Ho Ho Ho und sonstigem Nordpol-Kitsch, der ja in Dosen genossen durchaus anheimelnd wirkt, schnell aber wie ein Unmaß an Süßkram zu Unwohlsein führen kann – für alle also, die da schon die Nase voll haben, bevor es überhaupt so richtig angefangen hat, die könnten mit dieser Interpretation des Santa Clause-Mythos wohl am ehesten warmwerden. Denn die Richtung, die Klaus einschlägt, ist für einen Weihnachtsfilm, wie er normalerweise sein soll, eher auf dem geheimen Schleichweg unterwegs. Klar führt beides ans selbe Ziel, nämlich zum Weihnachtsmann mit all seinen Marotten und Gepflogenheiten, dem fliegenden Schlitten und den Rentieren und dem Kamin und so weiter und so fort. Doch wie sich Regisseur Sergio Pablos dorthin durcharbeitet, ist erstaunlich frei von aufgerüschtem Pathos.

Noch dazu beginnt die Geschichte irgendwo, nur nicht am Nordpol. Jasper ist vom Scheitel bis zur Sohle ein Taugenichts unter der Sonne und einer, der dem stolzen Papa, seines Zeichens Befehlshaber aller auszubildenden Postboten weit und breit, schwer auf der Tasche liegt. Zwecks Läuterung wird dieser kurzerhand an den Allerwertesten der hier bekannten Cartoonwelt verbannt – in das schräge Kaff Zwietrachtingen. Kenner des Asterix-Comics Nr.25 – Der große Graben – werden sich an vergnügliche Lesestunden zurückerinnert fühlen. In diesem Dorf gibt es genau woe dort zwei Parteien, die sich schon Generationen lang bekriegen. Gute Stimmung herrscht hier trotz winterlichem Ambiente keine. Die 6000 Briefe, die Jasper verschicken soll, sind unerreichbare Zukunftsmusik. Wäre da nicht jenseits des Waldes ein alter, griesgrämiger Holzfäller und -Spielzeugschnitzer, der die ganze verfahrene Situation vielleicht doch noch geradebiegen könnte.

Animiert und gezeichnet ist Klaus schlichtweg grandios. Angelehnt an die 2D-Optik klassischer Zeichentrickfilme aus dem Hause Disney, schafft es Pablos durch das Hinzuziehen von Schattierungen eine eigenwillig schimmernde Tiefe zu erzeugen. Das ist keine akkurate 3D-Optik wie bei Pixar. Die Charakterdesigns heben sich angenehm anders vom üblichen Animationsbrei ab, eben auch diese Mixtur aus Tiefe und Skizze verleiht dem Film eine ganz eigene Note, an der man sich lange nicht sattsehen kann, die immer neu erstaunt, die erfrischend bleibt bis zum Abspann. Das Dorf Zwietrachtingen trägt sogar ein bisschen Tim Burton-Kolorit – so liebevoll karikiert sind dessen Bewohner, so überhöht und überspitzt dessen Proportionen. Auch die Story selbst verspricht, mit launigem, keinesfalls infantilem Humor und durchaus auch ernsten Momenten eine Origin-Story rund um den Weihnachtmann auf die Beine zu stellen, die das Menschliche und durchaus nicht immer Perfekte dieser verehrten Figur in seinen Fokus nimmt. Der Weihnachtsmann ist hier längst nicht nur eine dickliche, kekseliebende und vergnüglich brummende Gestalt – sondern ganz einfach ein Individuum mit plausibler Biographie. Da auch Postbote Jesper nicht perfekt ist – und schlichtweg überhaupt niemand in diesem kauzigen Märchen rund um die Eigendynamik guter Taten – fühlt man sich als Zuseher ganz gut aufgehoben in diesem verspielten, bewegten Mikrokosmos eines liebevoll bizarren Werteparcours. Auch wenn die Apotheose von Holzmeister Klaus allzu plötzlich kommt – und gar nicht notwendig gewesen wäre.

Klaus

Nanouk

EIN LIED VON EIS OHNE FEUER

5/10

 

nanouk© 2018 Neue Visionen

 

LAND: BULGARIEN, DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2018

REGIE: MILKO LAZAROV

CAST: MIKHAIL APROSIMOV, FEODOSIA IVANOVA, GALINA TIKHONOVA U. A. 

 

Das ganze beginnt mit einem Lied. Eigentlich mehr mit einem Singsang. Das Opening mag schon etwas eigenwillig sein, dauert dieser Singsang provozierend lange, wie auch andere Szenen in einem Film, der sich nicht entscheiden kann, ob er dokumentarisch oder narrativ sein will. Was aber genau genommen nicht sonderlich stört. Semidokumentarische Filme, so wie zum Beispiel der Bergfilm Sturz ins Leere, sind innovative Grenzgänger, sofern sie vorab als solche konzipiert wurden. Bei Nanouk scheint die Definition im Vorfeld nicht passiert zu sein. Dieses unentschlossene, fast schon gedankenverlorene Pendeln zwischen den Genres entspricht allerdings relativ gut der aus dem Schnee und Eis gehobenen, zeitlosen Enklave zwischen eingefrorener Vergangenheit und einem Fortschritt, der sich kaum bemerkbar macht, außer am Himmel, wenn Flugzeuge ihre Spuren hinterlassen, wie Kratzer im wolkenlosen Blau. Aber von Chemical Trails hat das alte Hirtenpaar mit Sicherheit noch nie etwas gehört. Was dort zählt, ist einzig die klirrend kalte Realität an jedem lieben langen Tag, vor allem im Sommer, wenn die Sonne nie untergeht. Man möchte meinen, all das Tagwerk unterliegt einem einzigen Zyklus, der den Moment, das Leben, die Beziehung der beiden festhält, konserviert. Wie in einem Museum, wo das Diorama in Saal X in akribisch genauer Detailverliebtheit zeigt, wie die Indigenen hoch oben im Norden Russlands denn so gelebt haben – und immer noch leben. Denn diese Menschen, die sind aus der Zeit gefallen. Wie der ganze bulgarisch-französische Ethnostreifen, der seltsam intuitiv wirkt. Woran das liegt?

Der Bulgare Milko Lazarov fällt insofern aus der Zeit, indem seine Kamera scheinbar ein Eigenleben entwickelt. Abgsehen von eingangs erwähntem Beitrag zur Klangkultur Jakutiens verliert sich Nanouk in überlangen, fast schon eingefrorenen Einstellungen, die auch beibehalten werden, nachdem die Schauspieler aus dem Bild verschwunden sind. Als hätte man vergessen, hier mitzuschwenken. Oder war das Absicht? Ich denke schon, allerdings wirken solche Szenen, von denen es hier einige gibt, dadurch seltsam missglückt. Als wäre nicht beabsichtigt gewesen, das Ehepaar aus den Augen zu verlieren, als hätte man schlicht darauf vergessen. Irgendwann, nach längerem Lauschen mit Blick auf ein leeres Szenenbild, bewegt sich die Kamera dann doch. Als wäre sie, wie gesagt, eingefroren gewesen. Und gefroren wird hier oben im Norden Sibiriens rund um die Uhr, wobei selbige auch nicht mal vorhanden ist, denn ausgerichtet werden die täglichen Riten nach dem Stand der Sonne. Und wann der einzige Hund des Hauses sein Fressen bekommt. Denn ohne Vierbeiner kommt man auch nicht weit, in dieser beeindruckenden, aber lebensfeindlichen, schneebedeckten Ödnis, in die sich bald eine Krankheit schleicht, die zuerst die Tiere befällt – und irgendwann auch die Dame des Hauses, oder besser gesagt: der Jurte. Gegen Wind und Wetter sind die beiden gewappnet, gegen so Unbegreifliches wie körperliches Leiden, das so aussieht wie Lepra, leider nicht. Die Hilfe von außen, die kommt alle paar Wochen mal mit dem Sohn per Motorschlitten, der diese Sphäre der Zeitlosigkeit irgendwann verlassen hat. Verständlich, vor allem für den Nachwuchs. Und die Tochter? Da gibt es irgendeine unausgesprochene Disharmonie, die irgendwann geklärt werden will. Aber Sedna und Nanouk, die haben Zeit. Wie das Diorama im Museum, dessen Glasfassade ab und an nur geputzt werden muss.

Der eigenwillige, extrem wortkarge und über weite Strecken recht beschwerliche Film gibt natürlich einen interessanten Einblick in den Alltag fern jeglicher Zivilisation, gibt Aufschluss über das Überleben in der Kälte und was man sich beim Zusammentreffen in der wohligen Wärme hinter Teppichen und Häuten eigentlich noch zu sagen hat, außer den praktischen Dingen, die erledigt werden müssen. Das ist ein Alltag, der wäre uns trendbewussten Städtern garantiert zu reizarm, was aber nicht heisst, dass uns langweilig wäre. Dafür sorgt das Unwirtliche wohin man blickt. Man wäre natürlich viel mehr eins mit der Natur, würde nachhaltiger leben. Allerdings ist die monotone Einsamkeit zwischen Schneeverwehung, nacktem Fels und gegerbtem Leder von einer endromantisierten Tristesse, die darüber trauert, nicht den Sprung ins nächste Jahrtausend gemacht zu haben. Von diesem Versäumnis erzählt der Film, schätzt gleichermaßen die Tradition als ein Erbe, aber andererseits als etwas, das sich gegen die Zeit stellt und Generationen entzweien kann, wie die Glasfront in Saal X zwischen Besucher und dem kuriosen Objekt, das betrachtet wird. In diesem Fall Menschen von früher, weit weg von hier, die von all der gesellschaftlichen Entwicklung nur wenig wissen.

Nanouk

The Christmas Chronicles

DURCHMACHEN MIT SANTA

6/10

 

The Christmas Chronicles© 2018 Netflix

 

LAND: USA 2018

REGIE: CLAY KAYTIS

CAST: KURT RUSSEL, JUDAH LEWIS, DARBY CAMP, KIMBERLEY WILLIAMS-PAISLEY, OLIVER HUDSON U. A.

 

Kennt ihr den? Der Weihnachtsmann kommt in eine irische Bar und sucht eine Mitfahrgelegenheit… Gut, das ist eigentlich gar kein Witz, sondern eine Szene aus dem kürzlich erschienenen Beitrag des Streaming-Riesen Netflix zur Weihnachtszeit. Da kommt dieser Santa Clause tatsächlich in dieses vollbesetzte Pub, im Schlepptau zwei Kinder, und stellt all die Gäste vor die Wahl, ihn entweder von A nach B  oder Weihnachten itself in Gefahr zu bringen. Nun, so wirklich Glauben schenkt man diesem relativ abgerissenen Wuschelbart naturgemäß nicht wirklich. Rot gekleidet ist er ja, naturfarbener Pelz säumt seine Jacke, sonst aber könnte Santa Clause gut und gerne aus einem anderen Film ins Familienkino hinuber gestolpert sein. Nämlich vom Set des letzten Western von Quentin Tarantino. Das liegt zwar auch schon rund zwei Jahre zurück, aber Hauptdarsteller Kurt Russel hat sich eigentlich nicht viel verändert. Gut, der Bart ist dichter, allerdings grau und nicht weiß. Überhaupt schafft es der von mir ansonsten sehr gern gesehene Darsteller nicht, in seine Rolle zu finden. Ist das Absicht? Will dieser Santa Clause endlich mal die Wahrheit ans Licht bringen, dass er erstens einmal überhaupt nicht übergewichtig und zweitens niemals auch nur einmal Ho Ho Ho zu sagen pflegt? Dieses Bürsten gegen den Strich ist tatsächlich eines der Skills in dieser so schmucken wie fahrigen Weihnachtskomödie, die das Fantasygenre mehr als einmal streift und szenenweise sogar etwas von einer Found Footage-Mystery an den Tag legt. Was ursprünglich auch spieldauerfüllend so geplant war, und womöglich zu einem völlig anderen Weihnachtsfilm geführt hätte. Neugierig hätte mich das schon gemacht – doch letzten Endes stürzt der Geschenkebringer mitsamt Kundschaft in recht solider Konventionalität kopfüber durch die Heilige Nacht. Und da passieren jede Menge eigenartiger Dinge – von fliegenden Schlitten, Wurmlöchern in der oszillierenden Gestalt von Nordlichtern bis hin zu Wichteln, die entfernt an die Gremlins erinnern, allerdings mit Fell, und mit Heißhunger auf alles Süße.

Die Sturzfahrt mit dem Rentierschlitten ist das Highlight dieses lässigen, recht ungezwungenen Familienfilms, seltsam hingegen das Abbleiben von Leuchtnase Rudolf und die musikalische Jailhouse-Rock-Performance vom Nikolaus. Nicht alles an The Christmas Chronicles trifft ins Ziel und auch darüber hinaus, die Zügel in der Hand hat – wie schon erwähnt – am Allerwenigsten Leading Man Kurt Russel. Hollywood liegt beim Casting sehr oft genau richtig – hier aber hat es sich vertan. Statt Russel hätten unzählige andere Stars den Job weitaus besser gemacht. Dieser Santa Clause hier ist irgendwie neben der Spur, was ja auch im wahrsten Sinne des Wortes zutrifft. Diese zerstreut-zerfahrene Art hat nichts mehr Gemütliches mehr – und ja, dieser charakterliche Gegenentwurf macht die Sache „cooler“ – aber irgendwie will der Funke dadurch nicht so überspringen, irgendwie überzeugen mich auch diese Wichtel nicht, die unterschwellig sekkant wirken. Im Großen und Ganzen aber unterhält die Irrfahrt über den Dächern Chicagos und anderer nordamerikanischer Städte dennoch. Vielleicht weil es schön anzuschauen ist, und weil eben Weihnachten vor der Tür steht. Den Schlüssel für mein Auto hätte ich diesem Kerl namens Santa Clause aber wahrscheinlich auch nicht gegeben. Auch wenn er noch so viel Retro-Spielzeug aus dem Ärmel schüttelt.

The Christmas Chronicles