Der Rausch

ALKOHOL IST AUCH (K)EINE LÖSUNG

6,5/10


derrausch© 2020 Weltkino Filmverleih


LAND / JAHR: DÄNEMARK, SCHWEDEN, NIEDERLANDE 2020

REGIE: THOMAS VINTERBERG

CAST: MADS MIKKELSEN, THOMAS BO LARSEN, MAGNUS MILLANG, LARS RANTHE, MARIA BONNEVIE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


A Kriagerl, A Glaserl, A Stamperl, A Tröpferl, då wer’n unsre Eigerln glei feicht. Då warmt si‘ des Herzerl, då draht si mei‘ Köpferl, die Fußerln wer’n luftig und leicht.

Tja, da wussten die beiden österreichischen Weltkünstler Andre Heller und Helmut Qualtinger in ihrem Trinklied bereits, wie gut es nicht sein kann, mit der richtigen Menge Alkohol das Leben zu optimieren. Fehlt die richtige Motivation, der eloquente Zungenschlag, das selbstbewusste Auftreten: 0,5 Promille hinter die Binde gegossen – schon ist man wer. Paracelsus aber sagt: Allein die Dosis macht’s, dass ein Gift kein Gift sei. Recht hat er, denn genau darauf kommt es an. Alkohol per se kann durchaus eine Lösung sein, und angesichts einer Studie des Psychiaters Finn Skårderud pumpen unsere Herzen mal generell viel zu wenig Blutalkohol durch unsere Venen. Genau genommen wären das eben 0,5 Promille zu wenig. Würde man das Level halten, hätte man erst dann die richtige Pole Position für geistige, kognitive und repräsentative Leistungen. Obs im Sport was bringt, wird nicht erwähnt.

Anhand dieser Annahme tun sich die vier Gymnasiallehrer Martin, Nikolaj, Peter und Tommy zusammen, um die Probe aufs Exempel zu machen, klarerweise motiviert durch aufkeimende Erschwernisse des Alltags, die vielleicht ohne hochprozentige Beikost nicht mehr zu schaffen wären. Sie wollen also testen, wie es ist, mit einem konstanten Spiegel von besagtem Promillewert dieselben Pflichten zu erledigen, die vorher schon angefallen waren. Was dabei herauskommt? Kommt drauf an, ob die vier Querdenker bereit sind, ihre Studie auszuweiten oder mit Skårderuds Annahmen abzuschließen. Im Grunde kann sich aber jeder denken, der  bislang auch nur irgendwie mit Alkohol in Berührung gekommen war, wie das Ergebnis ausfallen wird.

Thomas Vinterberg ist seit Dogma95 ein ganz großer seines Fachs. Filme wie Das Fest oder Die Jagd blieben mir bis heute nachhaltig in Erinnerung. Alles keine leichte Kost, dafür aber so energiegeladen inszeniert, dass seine Dramen wirken wie Thriller. Für Der Rausch schraubt der Däne einen Gang runter – und lässt es gemächlicher und humorvoller angehen. Auch sehr überlegt, konzentriert und frei von artifiziellem Beiwerk. Das Schauspielensemble steht im Mittelpunkt, die Regie bleibt gekonntes Handwerk. Was Allrounder Mads Mikkelsen hier wieder leistet, ist beeindruckend. Und natürlich nicht nur er. Alle vier, die da mit dem Alkohol recht selbstvergessen herumexperimentieren, tappen auf ihre ganz individuelle Art von einem Level der Trunkenheit ins andere, bis hin zur totalen Selbsterniedrigung. Paracelsus meldet sich wieder. Doch probieren geht über Studieren, meinen unsere Alltagshelden. So findet das Publikum die eingeschränkte Motorik lallender Supermarktkunden ganz lustig und schämt sich fremd, wenn Papa ins Bett uriniert. Symptome von Alkoholkonsum, wie wir sie alle kennen. Größere Probleme löst dieser trotzdem nicht.

Daher ist Der Rausch (im Original: Druk, was so viel heißt wie Komasaufen), diesjährig mit dem Oscar für den Besten Fremdsprachigen Film ausgezeichnet, in erster Linie kein Film, der neue Erkenntnisse über die Hassliebe zwischen Mensch und Alkohol bereithält. Allerdings deklariert Vinterberg den Alkohol nicht als etwas, das, wie es in mittelalterlichen Liedern so schön heißt, im Sinne des Teufels ist. Bier, Wein, Schnaps – alles nichts Böses. Die Symbiose zwischen Mensch und Gesöff: fast schon etwas Notwendiges. Ein Verbot: beinahe gegen unsere Natur. Ist da doch was dran an Skåkerunds Annahme? Ganz offensichtlich sympathisiert Vinterberg mit dieser Hypothese. Es gilt also die Unschuldsvermutung für Rebsaft und Co. Entlassen werden diese als neutrales Werkzeug wie jedes andere, das unter Missbrauch selbst und anderen klarerweise schadet, während der kluge Einsatz dessen tatsächlich weiterbringen mag. Medizin ohne Beipack? Von Brummschädel, gesteigerten Aggressionen und sträflich überwundenen Hemmschwellen verliert Der Rausch kein einziges Wort. Auch die Leber schweigt. Das fühlt sich fast schon wieder verharmlosend an.

Der Rausch

Kursk – Niemand hat eine Ewigkeit

BAUERNOPFER FÜR FALSCHEN STOLZ

7,5/10

 

A950C001_170406_R74N© 2019 The Wild Bunch Germany

 

LAND: BELGIEN, FRANKREICH, NORWEGEN 2018

REGIE: THOMAS VINTERBERG

CAST: MATTHIAS SCHOENAERTS, LÉA SEYDOUX, COLIN FIRTH, AUGUST DIEHL, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, PETER SIMONISCHEK, MAX VON SYDOW, MAGNUS MILLANG U. A. 

 

Anfangs erinnert so manches an Michael Ciminos Antikriegsdrama Die durch die Hölle gehen. Die bunt zusammengewürfelte Crew eines russischen U-Bootes plant eine Hochzeit, feiert auch diese recht ausgelassen – Thomas Vinterberg findet in den ersten Szenen seines Films einen ungeahnt intimen Zugang zu seinen Figuren, die hier das Leben und die Zukunft zelebrieren. Kinder legen quirlige Langeweile an den Tag, wie das bei Festen eben so ist. Reden werden gehalten, der eine oder andere flennt. Kurzum: da sind Freunde alle auf einen Haufen, und all diese guten Kameraden, die werden tags darauf auf Mission geschickt. Zwar nicht in den Krieg, dafür aber zu einer Testfahrt für eine Handvoll Marschflugkörper, deren Effektivität geprüft werden muss. Routine, mehr nicht. Und deshalb sind auch all die Angehörigen – Töchter und Söhne jede Menge – relativ entspannt beim Verabschieden der Väter und frisch Verheirateten, die natürlich wieder zurückkehren werden. So ist das, wenn man der Marine dient. Und bisweilen läuft ja die Erwartungshaltung Mütterchen Russlands mit denen der Matrosen recht konform. Bis das Unglück eintritt.

Am 12. August 2020 jährt sich die Tragödie aus der Barentssee zum 20ten Mal. Wer die Schlagzeilen von damals noch im Kopf hat, wird wissen, dass hier keiner überlebt hat. Warum also sollte man gemeinsam mit der Kursk stimmungstechnisch so tief sinken wollen, wenn klar ist, dass sich sowieso keiner der Verunglückten schadlos hält? Ich habe lange hin und her überlegt: Inwiefern lohnt sich ein Film, wenn man weiß, wie es endet? Weil Kursk von Thomas Vinterberg nicht nur Chronik einer Agonie zwischen den Wänden eines geschrotteten U-Boots sein will. Sondern auch – und das vor allem – das katastrophale Portrait einer Weltmacht, die ihren Nationalstolz über Menschenleben stellt. Unter diesem Aspekt ist Kursk ein beeindruckender Geschichtsfilm aus dem jungen neuen Jahrtausend geworden. Starbesetzt bis unter den Meeresspiegel, angefangen von Colin Firth als Kommandant der britischen Marine bis hin zu „Toni Erdmann“ Peter Simonischek und – welche Überraschung – Matthias Schweighöfer fernab jeglicher Bobo-Romantik. Er ist es auch, der relativ früh schon bemerkt, dass einer der Torpedos Mucken macht. Die Bitte, diesen etwas früher abzuwerfen als geplant, wird von der U-Boot-Führung abgelehnt. Sekunden später das Desaster: das Vehikels explodiert, gleich zweimal hintereinander und reißt sofort zwei Drittel der Besetzung mit sich ins Verderben. Die anderen retten sich ins andere, noch heile Ende, machen die Schotten dicht, harren dort aus, in Eiseskälte und mit wenig Sauerstoff. Rein theoretisch hätten die zwei Dutzend Mann problemlos gerettet werden können, hätte Russland nicht so dermaßen verschlissenes Bergungsgerät zur Verfügung gestellt, dass jeder Andockversuch des Rettungsbootes folglich scheitern hat müssen.

Was folgt, sind bange Stunden – sowohl unter Wasser als auch an Land. Die Familien tun sich zusammen, nötigen den Krisenstab, Informationen preiszugeben, die sich nicht preisgeben wollen. Max von Sydow darf in seiner letzten Filmrolle die verknöcherte Eitelkeit eines obsoleten weltpolitischen Denkens verkörpern, die gnadenlose Zensur von Schwäche. 110 Meter unter dem Meeresspiegel zittern Matthias Schoenaerts mit einer Handvoll Überlebender um die Wette. In fast jedem anderen Film könnte der Zufall noch Vater der Hoffnung sein – hier allerdings ist es umso bitterer, wenn man weiß, dass alle Zuversicht umsonst ist. Vinterberg, berühmt für seine messerscharfen Gesellschaftsdramen, fängt auf mitfühlende, aber niemals mitleidende Weise den Notstand an unterschiedlichen Fronten ein. Sei es an Deck eines Kriegsschiffes, am Ort des Unglücks oder in den vier Wänden einer Wohnung in irgendeinem Plattenbau am Meer. Und Vinterberg schenkt uns nichts – naja, fast nichts. Der Moment des Todes bleibt uns erspart, die nackte Angst allerdings nicht. Kursk, das filmische Zeugnis politischer Eitelkeit, ist Wolfgang Petersens Das Boot für das neue Jahrtausend. Ein zutiefst tragischer Film, dessen Fakten man kaum glauben kann. So leicht hätte es nämlich anders kommen können.

Kursk – Niemand hat eine Ewigkeit

Die Kommune

DER TERROR DES MITEINANDER

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kommune

Wenn wir alle zusammenziehen, und alle immer mehr zusammenrücken, haben wir alle – immer weniger Platz. Und immer weniger Raum zur individuellen Entfaltung. Doch das war den scheinbar liberalen Damen und Herren der 60er und 70er Jahre noch nicht wirklich bewusst, wenn überhaupt wichtig, ging es doch damals einzig und allein um das Brechen mit althergebrachten, verstaubten gesellschaftlichen Konventionen. Diese Barrikaden niederzubrechen und das spießige Bürgertum, das sich in seinen eigenen vier Wänden gewohnt ist sich zu verbarrikadieren, um seine Vorurteile und ungesunden Gewohnheiten zu pflegen, ad absurdum zu führen. My home ist längst nicht mehr my castle – das gehört jetzt allen. Wenn man es mal anders macht als alle anderen, kann es eigentlich nur richtig sein. Ob richtig oder falsch, war nicht die Frage. Eine revolutionäre Sicht auf anerzogene, soziale Paradigmen zu haben, das war das Credo all jener, die im nachblumenkindlichen Zeitalter des Aktionismus zu wissen glaubten, wie der Hase sonst noch laufen kann. Und da gab es dann ganz einfach die Idee der Kommune. Ein Zusammenleben unterschiedlichster Menschen, die sich gar nicht mal richtig gekannt hatten oder sich von vornherein fremd waren. Spannend, mit Sicherheit. Aber nach den theoretischen Regeln um Gleichberechtigung, Nächstenliebe und Altruismus nicht wirklich praktizierbar. Schon gar nicht, wenn Liebe im Spiel ist. Aufrichtige Liebe. Und Abhängigkeit.

Der dänische Regisseur und Ex-Mitglied von Dogma 95, Thomas Vinterberg, der mich mit erschütternden Meisterwerken wie Das Fest oder Die Jagd schwer beeindruckt hat, seziert auch diesmal wieder die psychologischen Mechanismen des Menschen in der Gruppe im Angesicht unlösbar scheinender Extremsituationen. Nach Kindesmissbrauch und Rufmord haben wir es jetzt mit dem Mikrokosmos des Zusammenlebens zu tun. Verrat, Verlust und Eifersucht sind da nur einige Emotionen, die sich infolge einer destruktiven Dreiecksbeziehung jeglicher Vernunft entziehen.

Trine Dyrholm, ein bekanntes Gesicht im dänischen Arthousekino, ist der Mittelpunkt des Geschehens. Ihr zur Seite steht – anfangs noch – der nicht minder omnipräsente Ulrich Thomsen, der auch schon in Das Fest die Vergangenheit seines Vaters öffentlich gemacht hat. Als cholerischer Universitätsdozent setzt er seiner sonst sehr aufgeschlossenen Gattin Hörner auf. Als diese vorschlägt, den blutjungen Seitensprung des selbstverliebten Tyrannen mit ins Kommunen-Boot zu holen, ist Schluss mit lustig. Denn auf Liebeskummer folgt die Selbsterniedrigung. Und letzten Endes die Verzweiflung. Dumm nur, dass keiner ihrer Mitbewohner imstande ist, darauf zu reagieren. So idealistisch unkonventionell wollen die jungen Wildern der Siebziger sein, ohne die Werte einer zwischenmenschlichen Beziehung zu verstehen, geschweige denn das Recht auf Intimität zu akzeptieren. Die Eigendynamik einer Kommune hat meist zu Folge, dass eine oder einer der Auserwählten deutliche Dominanz entwickelt. Aus der kommunistischen Theorie wird unweigerlich eine Diktatur, die allzu Persönliches mit Füßen tritt. In einer Kommune finden sich Menschen, die begleitet werden wollen und begleiten wollen. Meister und Diener. Unterdrücker, Ignoranten und Abhängige. Vinterberg zeigt zwar viel Verständnis für seine gequälte Protagonistin, ein Freund der Kommune, so macht er deutlich, ist er allerdings nicht. Man wird das Gefühl nicht los, dass das sich einschleichende Unglück hausgemacht ist. Denn wie autoagressiv muss man sein, die Ursache des Konflikts ins Haus zu holen? Klar, die Hand zu reichen ist besser als dem Gegenüber ins Gesicht zu spucken. Doch seine Seele zu verkaufen ist schmerzhaft demütigender. Und auch schmerzlich für den Zuseher, der die Naivität der Kommunengesellschaft, und vor allem jene von Trine Dyrholm, nur schwer ertragen kann.

Vinterberg war zwar schon mal besser, aber intensiver und sehenswerter als Am grünen Rand der Welt, sein Ausrutscher ins Romantische, ist dieses Drama allemal. Ein Film über menschliches Totalversagen auf engstem Raum. Emotional und bitter, aber nur schwer nachzuvollziehen.

 

Die Kommune