Andrea lässt sich scheiden (2024)

ÜBERS DORFDENKEN HINAUS

6,5/10


andrealaesstsichscheiden© 2024 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2024

REGIE: JOSEF HADER

DREHBUCH: JOSEF HADER, FLORIAN KLOIBHOFER

CAST: BIRGIT MINICHMAYR, JOSEF HADER, THOMAS SCHUBERT, ROBERT STADLOBER, THOMAS STIPSITS, BRANKO SAMAROVSKI, WOLFGANG HÜBSCH, MARGARETHE TIESEL, MARLENE HAUSER, MARIA HOFSTÄTTER, NORBERT FRIEDRICH PRAMMER, MICHAEL PINK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Die erste Szene von Josef Haders neuem Film ist Programm. Eine Polizistin und ihr Kollege stehen an der Landstraße, an einer der markanten, wenigen abschüssigen Stellen irgendwo in der Pampa, umgeben von Feldern und sonst nichts. Sie stehen dort und warten, der eine, Thomas Schubert, hat eine Radarpistole. Die beiden unterhalten sich, dabei wird klar: Der Kollege hat bald Geburtstag, und das geht ihm gegen den Strich. Denn was feiert man da? Im Grunde nur, dass man das letzte Jahr nicht gestorben ist.

Josef Hader ist spätestens seit dem Kultfilm Indien, der eine ähnliche, wenn auch kabarettistischere Tonart anschlägt, eine Institution, die viel mehr in sich vereint als nur Kleinkunstbühnenshow und Kellersarkasmus. Hader ist längst Schauspieler auch fürs ernste Fach, in Maria Schraders Vor der Morgenröte hat er bewiesen, auch ohne ostösterreichischem Dialekt eines kleinen, übervorteilten Mannes ganz gut klarzukommen. Das Gütesiegel, das er allerdings immer mit sich tragen wird, ist das eines unverwechselbaren Originals. Die Art und Wiese, wie Hader die Welt sieht, und wie sie auch seine Figuren sehen, die er verkörpert, entspricht dem autoaggressiven, deutlich spießigen und selbstbemitleideten Urösterreicher, der den Zeitgeist des illusionslosen Alltags beschwört. In Andrea lässt sich scheiden findet er zu gewohnten und auch bewährten Mustern zurück, verfeinert diese jedoch zur labilen Schicksalsfigur eines verlachten und nicht für voll genommenen Religionslehrers im erzkonservativen Kleiderbauer-Braun, nur ohne Ellbogenschützer am Sakko. Das wäre wieder eine Spur zu dick aufgetragen, denn Hader weiß: Zuviel ist meist ungesund, der subversive Galgenhumor das Beste, was sich in eine zerfahrene Momentaufnahme wie diese aus der Provinz des Abendlandes einstreuen lässt.

Dieser Religionslehrer namens Franz ist felsenfest davon überzeugt, ins Gefängnis zu wandern, weil er Buße tun muss. Und weil er einen Mann überfahren, den aber eigentlich Birgit Minichmayr als titelgebende Andrea auf dem Gewissen hat. Das Besondere daran: Das Unfallopfer ist Andreas Noch-Ehemann, der kurz davor noch von seiner Noch-Ehefrau zur Einvernehmlichen gebeten wurde, der sich aber, sturzbetrunken und völlig aufgelöst, in tiefem Kummer über sich und die Welt des Nächtens auf eingangs erwähnter Landstraße in Gefahr begibt. Warum Andrea letztlich keine Anstalten macht, die Rettung zu alarmieren, sondern statt erfolglosen Wiederbelebungsmaßnahmen gar noch Fahrerflucht begeht, um den vom Schicksal gebeutelten Franz als Sündenbock herhalten zu lassen, wird sich niemals so richtig erschließen. War es Panik, Feigheit, die Unmöglichkeit, Komplikationen wie diesen entgegentreten zu können?

Im Laufe des Films wird man sehen, dass Andrea damit nur schwer klarkommen wird. Entsprechend stoisch, lakonisch und introvertiert hängt sie der Möglichkeit nach, aus der Provinz nach St. Pölten zu emigrieren. Johanna Mikl-Leitner, ihres Zeichens Landeshauptfrau des Bundeslandes, wird das Werbebudget für St. Pölten, längst verschrien als langweiligster urbaner Zustand in Österreichs Osten, um einiges erleichtert haben. Hader, der in seiner Figur nichts gegen das Dasein in der Einschicht ins Feld führen kann, sucht währenddessen Trost im Hochprozentigen. So taumeln beide Figuren an Wendepunkten ihres Lebens zwischen Entschlossenheit und Ratlosigkeit hin und her, es sind zwei existenzialistische Gestalten auf besagter Landstraße im Nirgendwo, der Vergangenheit man nur erahnen kann, deren Umbruch man mitverfolgt und deren Zukunft hinter dem nächsten sanften Hügel verschwindet. Was Hader dabei am besten gelingt, ist weniger, seinem gar nicht mal so tristen, aber tragikomischen Provinzschicksal die nötige dramaturgische Dichte zu verleihen, sondern vielmehr, das hadernde Klischee des kleinen Mannes und der kleinen Frau im Kontext zu ihrer kleinen Umwelt zu portraitieren. Das hätte noch eine Stunde so weitergehen können, denn die geschmackvollen Feinheiten liegen im Detail, in der Gummidichtung einer überalten Kaffeemaschine, in der Fassade der zeitvergessenen Dorfkonditorei, in der latent opportunistischen Qualtinger-Schönrederei von Wolfgang Hübsch. Wie auch in Indien ist der Kitt zwischen der Handlung das Beste, was Hader destillieren kann. Die Metaebene in der aus lethargischer Sinnsuche und der Kettenreaktion unpässlicher Gelegenheiten fusionierten, sehr auf österreichisches Publikum zugeschnittenen Dramödie zu finden, ist gar nicht mal notwendig. Viel mehr zu entdecken als das, was man sieht, gibt es nicht. Dafür bleibt in der Peripherie der Wahrnehmung sehr viel, worin man wiedererkennt, was einem selbst vertraut ist. Ob der Zulassungsschein nun hinter dem Rückspiegel klemmt oder nicht – das Wesentliche gekonnt mit praktischen Alltagsfloskeln zu umrunden und dabei auch die Hürde des Lebens zu nehmen, ist, im Gegensatz zu Haders letztem Dauerlamento Wilde Maus, die ungeahnte Feinheit in dieser leisen Selbstfindungsschnurre, die ihre Figuren los- und weiterziehen lässt, sie nicht in ein abendfüllendes Spielfilmkorsett pfercht und auch keine Lösung wissen muss. Denn die kommt sicher von selbst, sagt der Österreicher.

Andrea lässt sich scheiden (2024)

The Dive (2023)

LUFT NACH OBEN

6,5/10


thedive© 2023 Protagonist Pictures


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, MALTA 2023

REGIE: MAXIMILIAN ERLENWEIN

DREHBUCH: MAXIMILIAN ERLENWEIN, NACH DEM FILM BREAKING SURFACE VON JOACHIM HEDÉN

CAST: LOUISA KRAUSE, SOPHIE LOWE, DVID SCICLUNA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Oberstes Gebot beim Tauchen: Immer mit Buddy. Der gegenseitige Check von Ausrüstung und Atemluft ist aber, je weiter man als Tauchprofi voranschreitet, nur noch vernachlässigbare Nebensache. Leicht kann es passieren, und der Übermut, der selten guttut, führt zu Situationen, die sich gerne als irreversibel herausstellen. Diesen Leichtsinn aber sucht man bei The Dive – Arbeitstitel machen Mode – auf den ersten Blick vergeblich. Musste man bei Adrenalinkick-Horrorfilmen wie 47 Meters Down bzw., Uncaged oder dem höhenluftschnuppernden Fall noch dabei zusehen, wie eine der beiden jungen Frauen die andere zur knackigen Mutprobe überreden muss, zum Leidwesen zuversichtlicher Lebensaussichten, bleibt der Hochmut bei diesem Thriller außen vor. Diese zwei Mittzwanzigerinnen  – mental recht unterschiedlich gelagerte Schwestern – machen sich nach längerer Zeit wieder mal gemeinsam zu einem Tauchgang auf, irgendwo an der Küste Maltas. Klar beginnen solche Filme stets mit einem psychosozialen Epilog, meistens auf der Fahrt im Auto zum Ort des Geschehens oder überhaupt nur via Smartphone (siehe The Shallows). Wir erfahren nicht viel von den beiden: Anscheinend hat die eine – May – ein viel angespannteres Verhältnis zur gemeinsamen Familie als die andere – Drew. Irgendetwas hat das Ganze auch mit einem womöglich verunglückten Vater zu tun, der die beiden Töchter wohl schon Zeit ihres Lebens mit dem nassen Element vertraut gemacht hat. Das Tauchen scheint also Routine zu sein, beide sind Vollprofis und dürfen auch legitimerweise irgendwo an einem geeigneten, aber wilden Tauchspot ins Wasser gehen.

Gesagt getan, Drew und May springen ins tiefe Blau, finden eine spektakuläre Höhle inmitten aufgetürmter Felsen und können Unterwasser gar kommunizieren, dank der technikaffigen May, die gleich mit zwei Interkom-Tauchmasken Eindruck schindet. Somit haben wir auch jede Menge Dialog, je tiefer beide sinken, und dann passiert das: Ein Felssturz an der Küste zieht die submarine Landschaft in Mitleidenschaft. Und nicht nur die: May wird in rund 28 Metern Tiefe zwischen zwei Gesteinsbrocken eingeklemmt. Ein Szenario, dass an Danny Boyles Verzweiflungsdrama 127 Hours erinnert. Doch keine Sorge, hier säbelt niemand irgendwem etwas ab. Es kommt ganz anders. Und dieses Andere dreht sich um ein wichtiges Element, dass beide einem Physiktest unterzieht, der sich gewaschen hat: Luft. Sei es komprimierte Atemluft aus der Flasche, sei es Stickstoff im Blut oder die frische Brise oberhalb der Wellen. Sauerstoff wird zum Feind auf Zeit, zum perfiden Stoppuhr-Drillmeister. Denn um überhaupt irgendwelche Überlegungen anzustellen, wie man Schwesterherz retten kann, muss Frau mal durchatmen können.

Stets entweicht die Luft in Maximilian Erlenweins spannendem Tauchsportthriller nach oben. Entweder, um das atembare Gemisch innerhalb natürlicher Taucherglocken auszugleichen oder wenn das Tarier-Jacket undicht wird. Irgendwo steigen immer irgendwelche Bläschen auf, und das ist in den meisten Fällen gar nicht gut. Erlenwein, der mit den Filmen Schwerkraft und Stereo vor allem das Genre des Buddyfilms gerne als Psychothriller inszeniert, findet hier, in der Neuverfilmung des schwedischen Streifens Breaking Surface aus dem Jahr 2020, nicht immer die richtige Balance zwischen Spannung und Drama. Die Backgroundstory der beiden Schwestern ist vernachlässigbar – so wirklich gerne will sich Erlenwein damit nicht auseinandersetzen. Einige romantisch-verklärte Rückblenden im Gegenlicht der Nachmittagssonne sollten reichen, um die Vergangenheit mit ins Spiel zu bringen – was den Film aber kaum bereichert. Erlenwein weiß aber, worauf er sich konzentrieren muss: Erstens auf das Ringen um Atemluft, und zweitens auf Sophia Lowe als die draufgängerische Schwester Drew, die formidabel widerspiegelt, wie man unter Zeitdruck, emotionalem Stress und Panik eine Lösung für ein schwieriges Problem finden muss. Dabei ist verblüffend, festzustellen, dass es kaum eine Aktion gegeben hätte innerhalb einer ganzen Reihe von Versuchen, die man nicht selbst probiert hätte. Das Gefühl, gehetzt zu sein; die extreme Verantwortung, um ein Leben zu retten – das ist das, was The Dive zelebriert. Zwar ist das schauspielerisch nicht das Gelbe vom Ei, denn da gibt es, um mit den Worten zu spielen, ordentlich Luft nach oben – die verzwickte, dicht gepackte Handlung und das psychische Dilemma wird aber zum spannenden, völlig plausiblen Survivaltrip.

The Dive (2023)

Kursk – Niemand hat eine Ewigkeit

BAUERNOPFER FÜR FALSCHEN STOLZ

7,5/10

 

A950C001_170406_R74N© 2019 The Wild Bunch Germany

 

LAND: BELGIEN, FRANKREICH, NORWEGEN 2018

REGIE: THOMAS VINTERBERG

CAST: MATTHIAS SCHOENAERTS, LÉA SEYDOUX, COLIN FIRTH, AUGUST DIEHL, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, PETER SIMONISCHEK, MAX VON SYDOW, MAGNUS MILLANG U. A. 

 

Anfangs erinnert so manches an Michael Ciminos Antikriegsdrama Die durch die Hölle gehen. Die bunt zusammengewürfelte Crew eines russischen U-Bootes plant eine Hochzeit, feiert auch diese recht ausgelassen – Thomas Vinterberg findet in den ersten Szenen seines Films einen ungeahnt intimen Zugang zu seinen Figuren, die hier das Leben und die Zukunft zelebrieren. Kinder legen quirlige Langeweile an den Tag, wie das bei Festen eben so ist. Reden werden gehalten, der eine oder andere flennt. Kurzum: da sind Freunde alle auf einen Haufen, und all diese guten Kameraden, die werden tags darauf auf Mission geschickt. Zwar nicht in den Krieg, dafür aber zu einer Testfahrt für eine Handvoll Marschflugkörper, deren Effektivität geprüft werden muss. Routine, mehr nicht. Und deshalb sind auch all die Angehörigen – Töchter und Söhne jede Menge – relativ entspannt beim Verabschieden der Väter und frisch Verheirateten, die natürlich wieder zurückkehren werden. So ist das, wenn man der Marine dient. Und bisweilen läuft ja die Erwartungshaltung Mütterchen Russlands mit denen der Matrosen recht konform. Bis das Unglück eintritt.

Am 12. August 2020 jährt sich die Tragödie aus der Barentssee zum 20ten Mal. Wer die Schlagzeilen von damals noch im Kopf hat, wird wissen, dass hier keiner überlebt hat. Warum also sollte man gemeinsam mit der Kursk stimmungstechnisch so tief sinken wollen, wenn klar ist, dass sich sowieso keiner der Verunglückten schadlos hält? Ich habe lange hin und her überlegt: Inwiefern lohnt sich ein Film, wenn man weiß, wie es endet? Weil Kursk von Thomas Vinterberg nicht nur Chronik einer Agonie zwischen den Wänden eines geschrotteten U-Boots sein will. Sondern auch – und das vor allem – das katastrophale Portrait einer Weltmacht, die ihren Nationalstolz über Menschenleben stellt. Unter diesem Aspekt ist Kursk ein beeindruckender Geschichtsfilm aus dem jungen neuen Jahrtausend geworden. Starbesetzt bis unter den Meeresspiegel, angefangen von Colin Firth als Kommandant der britischen Marine bis hin zu „Toni Erdmann“ Peter Simonischek und – welche Überraschung – Matthias Schweighöfer fernab jeglicher Bobo-Romantik. Er ist es auch, der relativ früh schon bemerkt, dass einer der Torpedos Mucken macht. Die Bitte, diesen etwas früher abzuwerfen als geplant, wird von der U-Boot-Führung abgelehnt. Sekunden später das Desaster: das Vehikels explodiert, gleich zweimal hintereinander und reißt sofort zwei Drittel der Besetzung mit sich ins Verderben. Die anderen retten sich ins andere, noch heile Ende, machen die Schotten dicht, harren dort aus, in Eiseskälte und mit wenig Sauerstoff. Rein theoretisch hätten die zwei Dutzend Mann problemlos gerettet werden können, hätte Russland nicht so dermaßen verschlissenes Bergungsgerät zur Verfügung gestellt, dass jeder Andockversuch des Rettungsbootes folglich scheitern hat müssen.

Was folgt, sind bange Stunden – sowohl unter Wasser als auch an Land. Die Familien tun sich zusammen, nötigen den Krisenstab, Informationen preiszugeben, die sich nicht preisgeben wollen. Max von Sydow darf in seiner letzten Filmrolle die verknöcherte Eitelkeit eines obsoleten weltpolitischen Denkens verkörpern, die gnadenlose Zensur von Schwäche. 110 Meter unter dem Meeresspiegel zittern Matthias Schoenaerts mit einer Handvoll Überlebender um die Wette. In fast jedem anderen Film könnte der Zufall noch Vater der Hoffnung sein – hier allerdings ist es umso bitterer, wenn man weiß, dass alle Zuversicht umsonst ist. Vinterberg, berühmt für seine messerscharfen Gesellschaftsdramen, fängt auf mitfühlende, aber niemals mitleidende Weise den Notstand an unterschiedlichen Fronten ein. Sei es an Deck eines Kriegsschiffes, am Ort des Unglücks oder in den vier Wänden einer Wohnung in irgendeinem Plattenbau am Meer. Und Vinterberg schenkt uns nichts – naja, fast nichts. Der Moment des Todes bleibt uns erspart, die nackte Angst allerdings nicht. Kursk, das filmische Zeugnis politischer Eitelkeit, ist Wolfgang Petersens Das Boot für das neue Jahrtausend. Ein zutiefst tragischer Film, dessen Fakten man kaum glauben kann. So leicht hätte es nämlich anders kommen können.

Kursk – Niemand hat eine Ewigkeit

Don´t worry, weglaufen geht nicht

CARTOONS GEGEN DEN SUFF

5/10

 

DON'T WORRY HE WON'T GET FAR ON FOOT© 2018 Polyfilm

 

LAND: USA 2018

REGIE: GUS VAN SANT

CAST: JOAQUIN PHOENIX, JONAH HILL, ROONEY MARA, UDO KIER U. A.

 

Drei Cowboys in der Prärie, zwei davon Sheriffs. Sie blicken auf einen leeren Rollstuhl, darauf gibt einer dieser grob skizzierten Figuren den titelgebenden Kommentar zum Besten, das man sich eben keine Sorgen zu machen braucht, denn der Flüchtige wird zu Fuß ohnehin nicht weit kommen. Schwarzer Humor, so ziemlich autobiographisch, pointiert und erfasst mit wenigen Strichen, die sehr an den Stil der österreichischen Cartoonisten Tex Rubinowitz oder an Gustav Peichl aka Ironimus erinnern. Und natürlich mit ganz viel Understatement, den andere verstehen oder auch nicht, da liest man zwischen den Strichen bei so einer Kunstsprache, das ist vielen nicht klar, und genau jene fühlen sich dann meist kompromittiert. Aber das macht, kann und soll doch Satire, und so hat auch John Callahan seinen Weg gefunden, seinen Frust, seinen Unmut oder seine ironische Sicht auf die Welt zu Papier zu bringen. Denn nur mit Ironie, mit Sarkasmus und Galgenhumor lässt sich die Lage ertragen, in der Callahan nach einem Autounfall steckt. Trunkenheit am Steuer nach mehreren durchzechten Nächten ist natürlich ein Fall von selber schuld, doch im Nachhinein ist man immer klüger, und dumm nur, dass die Konsequenzen ein Leben lang nicht mehr abrücken möchten. Also sitzt der Alkoholiker im Rollstuhl, querschnittgelähmt bis unter die Brust, verfolgt vom vagen Bild seiner Mutter, die ihn nicht mochte und von den Dämonen der Sucht. Verfolgt von der Unmöglichkeit, sich selbst und anderen verzeihen zu können.

Das ist natürlich ein Stoff, aus dem emotionale Selbstfindungsdramen entstehen können. Von der Sucht über körperliche Handicaps bis hin zur Einsamkeit, Elternlosigkeit und kontroverser Zeitungskunst. Gus van Sant, seines Zeichens schon Experte, was heikle Themen wie Strichertum, Drogensucht und Amoklauf an Schulen angeht, lässt auch in seinem Zeichnerportrait nichts anbrennen, was nicht irgendwie tragisch ist. Dieser Don Quixote des verkorksten Lebens, dargestellt von einem phlegmatischen Joaquin Phoenix, hat wirklich nichts mehr zu verlieren, außer den Rest seiner assistenzabhängigen Existenz. Nach diesem Tabula Rasa des Schicksals klingt ein Vorwärtskommen in die andere Richtung dem Licht entgegen zumindest im Kopf nach lukrativen Babyschritten. Ob John Callahan also zu Fuß nicht weit kommt, ist nur die eine Seite des Trostpreises. Die andere ist weiterzukommen, ohne sich zwingend bewegen zu müssen. Und da kommt die Sache mit den Cartoons ins Spiel.

Erstaunlich, wie Callahan das Ruder herumgerissen hat. Weniger erstaunlich, was Gus van Sant aus dem Stoff gemacht hat. Natürlich, schauspielerisch hat Don´t Worry, weglaufen geht nicht einiges zu bieten. Phoenix ist stets ein Garant für Glaubwürdigkeit, auch Rooney Mara als Callahans Partnerin und Jonah Hill als Selbsthilfe-Gruppenleiter sowieso. Der zieht wieder einmal alle Register seines Könnens, ist kaum wiederzukennen und legt ungewohnte, manchmal aber zu selbstgefällige Ernsthaftigkeit an den Tag. Darüber hinaus aber gibt es in dieser Chronik des Durch- und Auftauchens Probleme mit der Sympathie. Es ist, als hätte van Sant Mühe, eine solche für seine Figuren aufzubringen. Bis auf Rooney Mara als engelsgleiches Wesen haben diese Probleme nicht nur van Sant, sondern auch alle anderen, die hier auftreten. Vieles hat eine resignierende Beiläufigkeit, ich will nicht sagen arrogant, aber etwas egozentrisch, als wäre das Problem der Akzeptanz anderen gegenüber davon abhängig, ob man sich selbst akzeptiert hat. Dass dies in diesem Film das Endziel der Challenge ist, verwundert mich die Geisteshaltung natürlich nicht wirklich – andererseits hält das den Zuschauer, in dem Fall mich, seltsam auf Distanz.

Don´t worry, weglaufen geht nicht

Zwischen zwei Leben

LIEBE VERSETZT BERGE

4/10

 

zwischenzweileben© 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

REGIE: HANY ABU-ASSAD

MIT KATE WINSLET, IDRIS ELBA, BEAU BRIDGES, DERMOT MULRONEY U. A.

 

Bist du in Eile, mache einen Umweg! – Dieser japanischen Weisheit kann man in Zeiten wie diesen nur bedingt bis gar nicht nachkommen. Aber besser wäre es – in manchen Fällen. So zum Beispiel im Falle von Kate Winslet und Idris Elba, die als Journalistin und Arzt ihrem Terminplan so ziemlich hinterherhinken und noch dazu in all dem Alltagsstress vor geschlossenen Flugzeugtüren stehen. Was tun in der Not? Am besten, gemeinsame Sache machen und eine Propellermaschine chartern. Für solche Extrawürste sind die beiden weltgewandten Professionisten immer noch flüssig genug, also nichts wie rein in die fliegende Zigarrenbox und ab zum nächsten Termin. Doch manchmal hat man ein Pech, und das Schicksal kommt von ganz oben, sprich es zahlt nicht mal die Versicherung, wenn das Ableben des Piloten während des Fluges ins Spiel kommt. Jeff Bridges´ Bruder Beau hat im cineastischen Zwangswandertag Zwischen zwei Leben einen fast schon auffällig kurzen Auftritt, dafür darf sein Filmhund länger mitspielen. Die zweimotorige Maschine pachtet also das Glück im Unglück und kommt auf relativ ebener Erde zu stehen – allerdings irgendwo im Nirgendwo, weit oben im Juchhe. Und von da an sind unsere ehemalige Titanic-Queen und der Revolvermann auf sich alleine gestellt.

Doch wie bringt man die beiden grundverschiedenen Typen überhaupt zusammen? Die Not schafft Freundschaft – bei Idris Elba und Kate Winslet hat die dargestellte Freundschaft ihre liebe Not, denn den sprichwörtlichen Draht zueinander lassen die beiden vermissen. Ob das so beabsichtigt war, kann ich nicht sagen. Jedenfalls raufen Sie sich nach der niederschmetternden Erkenntnis, nicht abgeholt zu werden, mehr schlecht als recht zusammen und zeigen Initiative, was ihr Überleben angeht. Mitsamt dem Köter, der trotz Nahrungsmangel nicht als Abendessen herhalten muss. Einen Hund zu killen kommt in Mainstreamfilmen ja nur schwer infrage – da hat der Film Überleben von Frank Marshall, der Tatsachenbericht eines Flugzeugabsturzes in den Anden, ganz andere Saiten aufgezogen. Statt Hund gab’s dort Mensch – was man zum Überleben alles tut, hat dieser Survival-Klassiker aus den frühen 90ern in einprägsamen Bildern und unter größtmöglichem Bemühen um Authentizität gezeigt. Letzteres lässt Zwischen zwei Leben schon von vornherein vermissen. Macht aber nichts, das paarweise ins Kino strömende Publikum konzentriert sich ohnehin lieber auf das Zwischenmenschliche.

Und da das Survivaldrama abgesehen von den genreüblichen Begebenheiten nicht sonderlich fesselt, könnte das ja das Knistern zwischen Winslet und Elba. Und spätestens dann, wenn das Feuer im Ofen brennt, rutscht das seifige Berg- und Bergungsdrama lawinengleich in die Trivialität ab. Wer die Liebesgeschichte zwischen den beiden nachzufühlen vermag, kann sich glücklich schätzen. Ich konnte das nicht. Da hätte ich mir viel lieber wieder Leo DiCaprio herbei gewünscht, der hätte Kate Winslet von früher gekannt. Aber DiCaprio hat seit The Revenant sicherlich genug von Schnee, Eis und Sturm. Wobei Revenant wieder einer jener Film gewesen ist, der das Überleben in einer Intensität geschidlert hat, als wäre man selbst dabei gewesen. Bei Zwischen zwei Leben kann man nur froh sein, wenn die Zivilisation die Turteltauben wiederhat, einfach nur, weil der ganze Climbing-Down-Zinnober endlich vorbei ist. Richtig versemmelt hat Regisseur Hany Abu-Assad sein Werk erst mit der unsagbar bemühten Allerweltsschnulze als vermeintliches Bonuszuckerl für Frisch- oder Wiederverliebte. Womit selbst so zwei Klasseschauspieler wie Winslet und Elba nichts mehr anzufangen wussten. Oder wissen wollten. Und dementsprechend halbherzig ist auch ihre Sehnsucht füreinander.

Zwischen zwei Leben ist für beide Darsteller die bislang wohl unglücklichste Rollenwahl geworden. Könnte sein, das die goldene Himbeere winkt. Aber wir wissen ja, dass die beiden das besser können. Vor allem Kate Winslet. Um ihr mache ich mir keine Sorgen. Hat man einmal den Untergang der Titanic überlebt, kann einen kein Absturz mehr wirklich niederschmettern.

Zwischen zwei Leben

Liebe möglicherweise

DIE (UN)MÖGLICHKEIT DER NÄHE

5/10

 

liebemoeglicherweise10© WEGA-Film

 

LAND: Österreich 2016

Regie: Michael Kreihsl

Mit Devid Striesow, Silke Bodenbender, Edita Malovčić, Gerti Drassl, Otto Schenk u. a.

 

Ich kann mich noch ganz genau an meine Volksschulzeit erinnern – da bin ich in der hintersten Reihe neben Edita Malovčić gesessen. Tatsächlich haben wir sogar gemeinsam im Rahmen einer Weihnachtsveranstaltung ein Theaterstück gespielt. Sie und ich, wir waren Indianer. Und ja, es gibt Fotos. Und jetzt – jetzt sehe ich meine ehemalige Klassenkollegin auf großer Leinwand oder auf dem Bildschirm. Auf Du und Du mit namhaften Stars. Schauspielerisch in Topform und wahrlich nicht mit Reizen geizend. Edita Malovčić hat im neuen Film von Michael Kreihsl allerdings nur eine verschwindende Nebenrolle. Eine auffällige zwar, aber eine von vielen kleinen Rollen, die mit Gerti Drassl, Devid Striesow und – haltet euch fest – Otto Schenk besetzt sind. Entstehen hätte dann so etwas wie ein episodenhafter Beziehungsreigen mit dem für Episodenfilme üblichen Handlungs-Crossover entstehen sollen. Der Episodenfilm an sich – und zwar der Beziehungs-Episodenfilm – hat in der österreichischen Filmwelt doch irgendwie eine lange Tradition. Das beginnt ja eigentlich schon bei Arthur Schnitzler´s Reigen, dem frivolen Bühnenstück aus dem frühen 20ten Jahrhundert, der nur zu gut und zu gerne in skandalheischender Inszenierung dem entrüsteten Publikum vor den Latz geknallt wird. Wobei – Reigen war schon länger nicht mehr auf der Bühne zu sehen. Dafür aber im Kino – der Film hieß 360°, wurde teilweise in Wien gedreht und hatte neben internationalen Schauspielern wie Jude Law auch solche wie Alexander Krisch im Repertoire. Viel früher noch hat Petra Morze für das stimmig-düstere Liebeskarussell Antares die Hüllen fallen lassen. 

In Liebe möglicherweise fallen zwar nicht wirklich die Hüllen – zu wahren Erkenntnissen kommt man aber in dem ausschließlich in der Wienerstadt gedrehten Ensemblefilm aber auch nicht. Schon klar – Beziehungen sind nicht immer leicht, sei es nun die Beziehung zum Nachwuchs, zu den eigenen Eltern oder zum Lebenspartner. Ja, vielleicht auch die Beziehung zum platonischen Freund oder Freundin. Oftmals ist Nähe da ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist ein immerwährendes Scheitern, Entfremden und Versöhnen, was uns Regisseur Kreihsl da auftischt. Konstellationen, die uns allen nur allzu bekannt vorkommen – und daher für vorhersehbare Langeweile sorgen. Um wirklich mitzufühlen – dafür werden die einzelnen Protagonisten nur allzu sehr von außen betrachtet. Gefühlswelten bleiben auf augenscheinliche Symptome reduziert. Einzig die Problembehandlung Striesow-Bodenbender hat mehr Gewicht, obwohl sich auch hier neue Erkenntnisse rarmachen. Ich frage mich, wieso sich Liebe möglicherweise nicht nur auf die eine Geschichte konzentriert hat. Alle anderen Nebenschauplätze sind so grob skizziert und daher so entbehrlich, dass keiner sie vermisst hätte. Na gut, Otto Schenk vielleicht schon, den sieht man immer wieder gerne. Aber das legendäre Bühnen-Urgestein wäre drehbuchtechnisch auch anders unterzubringen gewesen. 

Ein Episodenfilm also – möglicherweise. Doch um diese dramaturgische Mechanik zu rechtfertigen, dazu mangelt es einfach an psychologischen Details.

Liebe möglicherweise