The Life of Chuck (2024)

VOM WERT DER BLOSSEN EXISTENZ

9/10


© 2025 Tobis Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: MIKE FLANAGAN

DREHBUCH: MIKE FLANAGAN, NACH EINER KURZGESCHICHTE VON STEPHEN KING

KAMERA: EBEN BOLTER

CAST: TOM HIDDLESTON, CHIWETEL EJIOFOR, KAREN GILLAN, ANNALISE BASSO, MARK HAMILL, MIA SARA, BENJAMIN PAJAK, JACOB TREMBLAY, CARL LUMBLY, Q’ORIANKA KILCHER, CODY FLANAGAN, DAVID DASTMALCHIAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Dieser Film erzählt von einem Leben. Einem wichtigen Leben. Er erzählt jedoch nicht von einem Diktator, einem Präsidenten. Nicht von einem Feldherren, einem Heiligen, einem Popstar. Es ist jemand, den wir alle nicht kennen. Den selbst jene im Film nicht kennen, während sie sich fragen: Wer um alles in der Welt ist Chuck Krantz? Richtig. Um Alles in der Welt. Darum geht es. Denn dieser schlichte, ganz normale, unauffällige Mensch, der noch dazu den wohl wenig spektakulären Beruf eines Buchhalters ausübt: für ihn ist sein Leben tatsächlich alles in der Welt. Und die Welt, die sich ihm offenbart, genau das: Eine, die nur existiert, weil Chuck Krantz eben alles ist.

Die Welt, die ich wahrnehme, ist meine ganz eigene. Manchmal fühlt sie sich an wie ein Film mit spektakulären Schicksalsschlägen, dann wieder wie eine Serie, bestehend aus mehreren Staffeln, in denen der Cast ständig wechselt und nur manche als dauerhafte Charaktere in den Hauptrollen verweilen. Andere treten ab, neue kommen hinzu, und einige, die mir flüchtig begegnen, verschwinden wieder. Eine ganze Welt ist das, ein einziges, individuelles, persönliches Universum. Das Universum meiner Existenz ist nur eines von mehreren Milliarden, und jedes ist mit jedem anderen nicht zu vergleichen. So ist auch das von Chuck Krantz einzigartig, und der Mensch selbst, der dieses beherrscht, etwas ganz Besonderes.

Ein Leben, auf jede Weise gut

Wie sich Stephen King anhand einer mysteriösen Kurzgeschichte darauf einlässt, zu vermitteln, was ein Mensch für sich selbst (und andere) bedeutet, bietet abermals genug Stoff für einen Film, der allerdings sehr leicht in sentimentale Schieflage geraten hätte können, wäre nicht einer wie Mike Flanagan (u. a. Spuk in Hill House, Doctor Sleeps Erwachen) so versiert genug, dieses Leben eines völlig Unbekannten nicht als tränendrüsiges Kalenderspruch-Melodrama in fettreicher Zubereitung seinem Publikum zuzumuten. Stattdessen ist der Wert der Bescheidenheit neben dem der Akzeptanz und der Menschenwürde ein nobles Gut vor allem im Film. Und gerade in einem wie diesen.

Denn das Leben des Chuck Krantz ist kurz, leidgeprüft, karg, in der Dämmerung seines Daseins von Krankheit gezeichnet. Schließlich wird er gerade mal 39 Jahre alt. Doch das wissen wir anfangs noch alles gar nicht. Der Anfang ist in The Life of Chuck das Ende – gekonnt und souverän montiert Flanagan Kings Geschichte chronologisch verkehrt, was rückwirkend viel mehr Sinn macht – und dank dieser Anordnung geht die Rechnung mitsamt ihrer Botschaft letztlich auch auf. Am Anfang, da schickt sich die ganze Welt an, unterzugehen. Schrittweise versagt die Infrastruktur, das System bricht zusammen. Jene, die sich lieben, kommen zueinander. In diesem Fall Chiwetel Ejiofor und Karen Gillan. Und wie bei King dennoch zu erwarten, ist die Welt hier ähnlich die eines rätselhaften Traumes. Surreal, gespenstisch, voll der letzten Worte und Gedanken. Später sehen wir Tom Hiddleston, der im Erwachsenenalter als ganz normaler Buchhalter den musikalischen Moment genießt, die Essenz des Lebens inhaliert, diesem einen Sinn verleiht. Am Ende ist Chuck ein Waisenjunge, der bei seinen Großeltern lebt, in einem viktorianischen Gemäuer, dessen Turmzimmer nicht betreten werden darf. In diesem schlummert ein Geheimnis, das Opa Mark Hamill vehement bewacht.

Im Kopf ein Universum

All diese Mysterien, all diese Leidenschaften und Entbehrungen, all das Glück und die Traurigkeit formieren sich zu einem unprätentiösen Kanon einer Existenzbetrachtung, die in hingebungsvoller Bedachtsamkeit und mit viel Respekt das Hier und Jetzt als einzige Dimension versteht, in der wir uns allem bewusst sind. Womöglich ist Stephen King einer, der über den Tod hinaus an nichts mehr glaubt. Umso mehr erinnert The Life of Chuck an den unverhandelbaren Wert des Selbst; an die Erkenntnis, dass das ganze Universum, solange wie leben, eigentlich nur in uns selbst schlummert, weil wir selbst nichts anderes sein können als der Mittelpunkt dessen.

In Zeiten wie diesen müssen wir genügen, leisten und mithalten, wir sind voller Selbstzweifel und Ängste. Und dann kommt ein sich selbst reflektierender Film daher, der mit diesem Chuck Krantz auf geradezu fürsorgliche Weise all die Agenden seines Charakters und im Zuge dessen vielleicht auch ein bisschen unsere eigenen ins Reine bringt. Zwischen Nachruf und beschwingtem Jubiläum feiert Flanagan das Menschsein als humanistisches Triptychon. Nach Die Verurteilten, ebenfalls auf einer Kurzgeschichte Kings beruhend und das Prinzip Hoffnung sezierend, setzt The Life of Chuck nun auf den Lebenssinn alleine durch die Existenz – das ist kathartisch, sich selbst genügend und erfrischend. Besser lässt sich King kaum ins Kino bringen.

The Life of Chuck (2024)

High-Rise

MIT DER MIETE IM RÜCKSTAND

3/10

 

highrise© 2016 Thimfilm

 

LAND: Grossbritannien 2016

Regie: ben Wheatley

Mit Tom Hiddleston, Jeremy Irons, Sienna Miller, Luke Evans u. a.

 

Habe ich irgendetwas verpasst, oder erfreut sich der legendäre Oberlippenbart, kurz genannt Oliba, tatsächlich wieder modischer Beliebtheit? Mann trägt tatsächlich wieder vermehrt die Rotzbremse, die seit Tom Selleck´s vollendeter Formschönheit gestutzter Körperbehaarung niemand wirklich versuchen sollte. Na gut, mit Ausnahme von Finanzminister Schelling. Der Oberlippenbart ist eine haarspalterische Wissenschaft, man kann Kunstwerke daraus erstellen oder einfach nur den Status einer Pornobürste a la John Holmes belassen. Am Liebsten noch mit Koteletten, die immer den Trend zur Ungepflegtheit anstreben und die eine Aura des Perversen umgibt. Ben Wheatley ist zwar Vollbartträger mit hervorgehobenem Schnauzer, seine eigentümliche Affinität für die Gesichtsbehaarung im Stile der späten Siebziger ist unübersehbar. Diesen Modestil hat der englische Filmemacher später in seiner Ballerorgie Free Fire beibehalten, samt Glockenhosen und Sonnenbrillen Marke Flaschenböden. Es ist ja nicht so, dass wir darauf gewartet haben. Der Modetrend aus den Siebzigern kann uns im Grunde gestohlen bleiben, maximal reicht diese anschauliche Eskapade gerade mal für einen Film, zwecks peinlich berührter Belustigung des Publikums. Doch der verzichtbare Trend schraubt sich in der Gesellschaftsparabel High-Rise bis ins oberste Stockwerk. Dort begegnen wir Jeremy Irons als Architekt eines Wohnbauprojekts, das im Vergleich zu Alt Erlaa eben diese direkt behaglich erscheinen lässt. Das fingerähnliche Knick-Gebilde aus High-Rise lädt wahrlich nicht zum Wohnen ein, und dabei reden wir nicht mal noch von den Bewohnern dieses ungemütlichen Anti-Sozialbaus. Irons verzichtet auf Schnauzer und Altkleidersammlung. Darauf verzichtet auch „Loki“ Tom Hiddleston. Muss er ja auch. Seine Umzugskartons packt er den ganzen Film hindurch nicht aus. Warum nur? Eine von vielen Fragen, die ich mir bei Sichtung von Wheatley´s entbehrlicher Filmkunst stellen musste. 

Neben den archaischen Filzgoscherln frönt das Ensemble des Films exzessiven Nikotinkonsums. Die Raucherlobby dankt – endlich wiedermal ein Film, wo wirklich jeder seine Lunge ruiniert. Doch Tschick und fragwürdige Mode alleine machen noch keine Gesellschaftskritik. Da schrammt Ben Wheatley in weit ausholendem Bogen am Anspruch vorbei, anhand eines hierarchischen Gleichnisses soziale Unterdrückung, Machtgehabe und Kapitalismus in auffordernder Kritik zu plakatieren. Außer Chaos zwischen den Etagen bringt der Film nichts zustande. Diesem Chaos fehlt die vorangegangene Eskalation der Ereignisse. Plötzlich herrscht Anarchie, auch hier weiß keiner, warum eigentlich genau. Tom Hiddleston rudert ratlos im schwammigen Gewand seiner Rolle mit den Armen, ohne sichtlich zu wissen, was das Ganze überhaupt soll. Hätte er doch statt Chris Evans die Rolle in Snowpiercer angenommen – einer ähnlich gelagerten Allegorie auf die zivilisierte Menschheit und ihrem Weg in den Abgrund, allerdings von notwendiger Stringenz und weit weniger affektiert. 

Was den Mietern in einer Trostlosigkeit von Wohnviertel bleibt, ist abgesehen von einer mangelnden Hausverwaltung die Lust an der Anarchie und einer nicht enden wollenden Neuzeit-Orgie, bei welchen der römisch-antike Adel vor Neid erblassen würde. Wenn schon die Reichen Partys feiern, können das die Ärmeren im Untergeschoss wohl auch. Allerdings – können vor Lachen. Außer hysterischen Eskapaden und arroganten Unsympathlern gerät die Wohnungsbesichtigung zu einem flüchtigen Lokalaugenschein ohne Substanz, stattdessen mit gelacktem Avantgarde-Gehabe. High Rise ist eine langatmige Enttäuschung, die den steten Blick auf die Uhr geradezu herausfordert und meist nur so tut als ob. Für so etwas würde ich nicht mal die halbe Miete bezahlen.

High-Rise

Thor: Tag der Entscheidung

WO DER HAMMER HÄNGT

8,5/10

 

thor3@ 2017 Marvel Studios

 

LAND: USA 2017

REGIE: TAIKA WAITITI

MIT CHRIS HEMSWORTH, TOM HIDDLESTON, CATE BLANCHETT, JEFF GOLDBLUM U. A.

 

„Also das… das hat mich schon sehr gestört. Hela ist doch nicht Odins Tochter, sondern Lokis!“, beschwert sich nach Betrachten des Filmes eine Mittelschülerin, die sich in der nordischen Mythologie ganz gut zurechtzufinden scheint und mit mir gemeinsam Thor: Tag der Entscheidung genießen durfte. Was folgt, ist eine stark gekürzte Abhandlung der Ereignisse rund um Odin´s Familiengeschichte, dem Fenriswolf, der im Film viel zu klein daherkommt, die Vernichtung Asgards und dem Ende Thors, der von der Midgardschlange vergiftet wird, übrigens auch eine Schwester Hela´s, aber das nur so am Rande. Das alles passiert dann beim Ragnarök, dem Weltenbrand, quasi der Apokalypse des Nordens, ziemlich Schlag auf Schlag. Nun, wo das Mädchen Recht hat, hat es Recht – Mythologen werden es bei Marvel´s Götterdämmerung garantiert mit der Angst zu tun bekommen. Sollen sie auch. Denn dafür geht man nicht in die Filme von Marvel, sondern besucht entweder eine Vorlesung oder schaltet daheim den History-Channel auf Durchzug. Irgendeine Doku über Mid-, Ut- und sonstige -gards gibt es dort bestimmt.  Für Thor: Tag der Entscheidung braucht man, wenn man I-Tüpferl-Reiter mit Anspruch ist, ein gehörig dickes Fell. So wie der Fenriswolf. Oder man legt sich eine Litho-Panzerung zu, wie sie der nach Revolution sinnende Steinmensch Bruce trägt, der davon träumt, dem Müllplaneten Sakaar eine neue Ordnung aufzuerlegen. Hat man Fell oder Panzerung, oder geht mit der nötigen Scheiß-drauf-Attitüde ins Kino, um zu sehen, ob neben den Guardians of the Galaxy noch andere Filme das Zeug haben, in rotzfrecher Manier einfach alle möglichen Versatzstücke des phantastischen Kinos durcheinander zu mixen, ganz so wie ein ausgebuffter DJ, dann wohnt man wahrscheinlich einem der griffigsten und launigsten Kunststücke aus dem Marvel Cinematic Universe bei, die je produziert worden. Denn Thor: Tag der Entscheidung ist mindestens genauso gut wie die Guardians of the Galaxy. Wenn nicht fast besser. Und das ändert nichts an der Tatsache, dass der eingedeutschte Untertitel Tag der Entscheidung im Vergleich zum Original Ragnarok ziemlich nichtssagend daherkommt. Aber das nur, weil mit Ragnarok die wenigsten etwas anfangen können. Da muss ich nur das Mädchen fragen, das mit mir im Kino war.

Nach Kenneth Branagh´s durchwachsenem Thor-Einstand und Alan Taylor´s düsterer Dunkelelben-Episode Thor: The Dark Kingdom ist der vorerst finale dritte Teil der Solo-Helden-Abenteuer rund um den Donnergott mit Abstand der beste Wurf. Natürlich haben sich Marvel und Disney ihre Blockbuster-Referenzen hergenommen und den Erfolg analysiert – ohne Analyse geht bei so teuren Produktionen überhaupt nichts mehr. Bei einem Genre, das sich so sehr von der Realität verabschiedet wie die weit weit entfernte Galaxis von Star Wars von der Erde, zählt die Anforderung eines spannenden, ernstzunehmenden Abenteuers längst nicht mehr. Da zählt der Spaß, der Irrsinn, die Kaleidoskophaftigkeit einer furiosen Zirkusaufführung weit jenseits der Vorstellungen eines Andre Heller oder Luis Knie. Da zählen Trapez- und Zauberkünstler, Clowns in aberwitzigen Kostümen und atemberaubende Showeffekte. Und ganz obendrauf, und eigentlich zuallererst, bevor der visuelle Firlefanz die Leidenschaft der Zuschauer am Sehnerv packt: die Skizzierung der Leading Characters. Sind die Figuren schal und flach, hilft nicht mal perfektes 3D. Über einen gewissen Zeitraum hinweg ja – aber nicht den ganzen Film hindurch. Luc Besson hat sich bei seinem visuell pipifeinen Comicverschnitt Valerian – Die Stadt der tausend Planeten in der Wahl seiner Hauptdarsteller ordentlich vergriffen. Ebenso Suicide Squad. Biestig, dreckig, gut gemeint. Aber darstellerisch eher halbgar. Guardians of the Galaxy funktioniert, weil der wilde, zusammengewürfelte Haufen an zwangskaritativen, in ihrem Wesen aber völlig unterschiedlichen Weltraumpiraten enorm viel ungefällige Persönlichkeit besitzt. Dieses Phänomen der ausmodellierten Charakterzeichnung findet sich – Odin sei Dank – auch in der furioser Weltraumeskapade von Regisseur Taika Waititi, seines Zeichens verantwortlich für die Indie-Gruselsatire 5 Zimmer Küche Sarg. Der Cast liest sich wie die Gästeliste eines internationalen Filmfestivals. Größen wie Cate Blanchett, Idris Elba und Jeff Goldblum, um nur einige zu nennen, verleihen auch der kleinsten Nebenrolle sichtlich spielfreudiges Charisma. Ganz zu schweigen von Chris Hemsworth und Mark Ruffalo, die, wie es scheint, noch nie so viel Spaß an der Sache hatten.

Ist der Cast einmal unter Dach und Fach, und ausreichend beschäftigt, kann man den Film auch noch so abgehoben inszenieren – das Ensemble ist wie ein Fels in der Brandung, dass für die Entfesselung einer wirklich famos bebilderten, spektakulären Weltraumkomödie ganz im Sinne von Star Lord, Gamora und Co grünes Licht erteilt. Von Drachen, Skelettkriegern, Magiern, Robotern und Aliens aller Art, die aus George Lucas´ Cantina zu kommen scheinen, werden diverseste Versatzstücke aus der High Fantasy und der märchenhaften Science Fiction durch den filmischen Cocktailmixer gejagt, um letzten Endes ein enorm augenzwinkerndes, auf Zug inszeniertes, astreines Vergnügen Marke Terry Pratchett zu servieren, das bis zur letzten Sekunde – und bis über die zweite Post Credit Szene hinaus – vorzüglich schmeckt. Lange begleitet mich noch Led Zeppelin´s Immigrant Song, der in der Hitze des Gefechts der Götter so dermaßen punktgenau zum Einsatz kommt, dass man überlegt, schon allein deswegen den Film noch einmal zu sehen. Weil das Eintauchen in lebendig gewordene Comic-Panels einfach fetzt. Ganz ohne Reue und verlorene Lebenszeit. Und nicht zuletzt, weil Hulk einfach zu meinen Lieblingen zählt. Schon allein aufgrund seines Wesens 😉

Thor: Tag der Entscheidung

Kong: Skull Island

MONSTER MAG MAN EBEN

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kong

2014 beschlossen die Warner Brothers, angesichts lukrativer Kinouniversen aus der Comic- und Spielzeug-Franchise seitens der Konkurrenz, das japanische Monsterfilm-Genre für sich zu entdecken. Unter der Regie von Gareth Edwards (Monsters, Rogue One – A Star Wars Story) haben die Macher im Frühsommer genannten Jahres das Parade-Untier vom Stapel gelassen – Godzilla. Edwards interpretierte das Subgenre des Fantasyfilms komplett neu und näherte sich dem plakativen Thema mit unorthodoxer Ernsthaftigkeit und einer zurückhaltenden, ungewohnten Bildsprache, was den Fans klassischer Kaiju-Filme mitunter sauer aufstieß. Kaiju – aus dem Japanischen entnommen, bedeutet so viel wie „seltsame, rätselhafte Bestie“ und bezeichnet ein spezielles Subgenre unter den Fantasy- und Science-Fiction-Filmen. Der neue Godzilla entsprach dem Aussehen nach viel mehr dem japanischen Man-Suit-Original als bei Roland Emmerich, der es gewagt hatte, sein Monster als Dinosaurier umzuinterpretieren. Bei mir kam der Film damals gut an, da ich Edwards´ Regie sehr schätze. Da Warner vorhat, ein Cinematic Universe im Stile von Marvel zu erschaffen, allerdings mit haushohen Kreaturen, hat es nach 3 Jahren nun das zweite gigantomanische Parademonster sein müssen, das die Leinwand neu erobern soll – und zwar niemand geringerer als der Riesengorilla King Kong.

Zugegeben, meine Skepsis war groß, vor allem nach Peter Jacksons missglückter Reanimation aus dem Jahr 2005. Dem Meister der Herr der Ringe-Filme gelang es nicht, das Kaiju-Thema neu zu interpretieren, stattdessen verließ er sich auf die CGI aus Jurassic Park und einer völlig fehlbesetzten Naomi Watts, die hanebüchen um sich schrie. Jackson´s King Kong war weder Affe noch Godzilla, sondern eine stillose Abenteuergurke, die nicht begriff, wann es genug war. Regiekollege Jordan Vogt-Roberts hingegen ließ sich weder von Gareth Edwards noch von Peter Jackson irritieren und besann sich auf die ureigenen Charakteristika pazifischen Monsterhorrors. Sein Kong: Skull Island ist respektloser, sauteurer Trash auf handwerklich höchstem Niveau. Um ehrlich zu sein – ein unglaublicher Schmarrn, der Logiklöcher wie seismische Bomben in die Oberfläche der Schädelinsel sprengt und für Unwahrscheinlichkeitsrechnungen absichtlich falsche Lösungen findet. Aber, um nochmal ehrlich zu sein – wie kann es denn bei so einem Schmarrn, der Primaten auf einen halben Kilometer Höhe anwachsen lässt, mit rechten Dinge zugehen? Wenn schon das Unmögliche möglich sein darf, dann können auch alle möglichen physikalischen Gesetze aus Natur und Technik außer Acht gelassen werden. Denn es würde ja schon fast an selbstbetrügerische Feigheit grenzen, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Wenn, dann predigt Vogt-Roberts auch den Wein, den er trinkt – und trägt die Konsequenzen seines Szenarios bis zum Ende. Und dieses Szenario bedient locker aus dem kleinen Finger heraus jenes Publikum, das Monster ganz einfach gern hat. Wer mit Riesenechsen, Megaspinnen, Kraken und brüllenden Affen nichts anzufangen weiß, sollte den Film meiden. Denn um nichts Anderes geht es hier – Monster, die sich und andere zum Fressen gerne haben, auch Menschen nicht verschmähen und zum heumärktlichen Fressepolieren antreten, dass die Palmen wackeln.

Den furchteinflößenden Kreaturen werden namhafte Schauspieler zur Seite gestellt, die sich, klar unterfordert, dem tobsüchtigen Spaß entweder anschließen, unterwerfen oder damit gar nichts anzufangen wissen. Brie Larson zum Beispiel, Oscarpreisträgerin 2016 für Raum, kommt erst gar nicht auf die Idee, großartig aufzuspielen, sondern wirkt die ganze Zeit über so, als wäre sie im falschen Film. Monsterfilme dürften nicht ihres sein, davon sollte sie zukünftig die Finger lassen. Ähnlich ergeht es Tom „Loki“ Hiddleston – sein Fährtenleser ist alles andere als ein Indiana Jones. In diesem endlos scheinenden Urwald wirkt er ziemlich verloren. John C. Reilly als Robinson Crusoe-Verschnitt und dem omnipräsenten Samuel L. Jackson als manischem Racheengel geht’s da schon etwas besser. Reilly hat sichtlich Freude. Und Jackson weiß, was er zu tun hat. Wahrscheinlich aber ist, dass in Kaiju-Filmen die menschliche Komponente hauptsächlich zur Staffage gereicht, und ihr Schauspiel nicht viel mehr abverlangt als plakative Showbühnenpräsenz. Genauso passiert es, und es scheint, als wäre das durchaus gewollt. Und genauso ächzen, ballern und schwitzen die Helden unter den fetzigen Klängen von Jefferson Airplane oder Black Sabbath durch einen tropischen Fiebertraum der Superlative, der sich zwischen Tropic Thunder, Platoon, Predator und Abenteuerromanen von Jules Verne selbst persifliert und gefundene Stilmittel wie pathetisch-reißerische Slow-Motions hemmungslos überzeichnet. Zu den absurdesten – und besten Szenen zählt Hiddleston´s Angriff mit dem Samurai-Schwert auf hässliche Flugsaurier inmitten giftgrüner Nebelschaden. Würde Tarantino einen Monsterfilm entwickeln, wären solche Szenen wohl mit von der Partie.

Spätestens da weiß der Zuseher, worauf er sich eingelassen hat. Auf eine dramaturgisch grottenschlechte Geisterbahnfahrt, bei der sich die Monster AG nochmal warm anziehen muss. Eine Geisterbahnfahrt, die ihrem speziellen Genre allerdings mehr als gerecht wird und die Erwartungen nerdiger Monsterfans mehr als erfüllt. Denn so wie sich die wahren Herrscher dieses Planeten prügeln – genauso hat man es gern. Die filmische sowie kameratechnische Brillanz von Kong: Skull Island und der dazugehörige rosarote 3D Effekt durch die Brille sorgt für reueloses Vergnügen beim Wrestling der Bestien in der ersten Reihe fußfrei. Menschen, die zufällig im Bild stehen, möchte man nur noch wegwinken. Kong: Skull Island ist phantastischer Fleischbeschau ohne Hirn und Verstand, aber unwiderstehlich gut bebildert und herrlich banal. 

 

 

Kong: Skull Island