Eden (2024)

INSELKRIEG DER EGOMANEN

6,5/10


© 2025 Leonine Studios


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: RON HOWARD

DREHBUCH: NOAH PINK

CAST: JUDE LAW, VANESSA KIRBY, SYDNEY SWEENEY, DANIEL BRÜHL, ANA DE ARMAS, TOBY WALLACE, FELIX KAMMERER, JONATHAN TITTEL, RICHARD ROXBURGH U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts war bereits abzusehen, dass die Welt brennen und der Tod ohne Reue wüten wird. Nicht nur jene wollten weg, die als Minderheit Repressalien zu befürchten hatten, sondern auch so manche, die aus dem Wahnsinn aussteigen wollten, ungeachtet dessen, ob sie etwas zu befürchten hätten oder nicht. Heinrich Harrer zum Beispiel, der zu Kriegsbeginn seine als Expedition getarnte Flucht nach Tibet begann, blieb dort sieben Jahre an der Seite des Dalai Lama am Dach der Welt (Sieben Jahre in Tibet, verfilmt mit Brad Pitt). Thor Heyerdahl wiederum rückte Anfang der Dreißiger der Marquesas-Insel Fatu Hiva zu Leibe, dort blieb er fünfzehn Monate, bis der Traum vom Dschungelparadies im Chaos mündete – hervorragend nachzulesen in seinem nach dem Eiland benannten Reisebericht. Und dann gab es noch den Berliner Arzt Dr. Friedrich Ritter, einen nach neuen Lebensentwürfen suchenden Aussteiger, der gemeinsam mit seiner an multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährtin Dore Strauch die Galápagos-Inseln ins Visier nahm, im Speziellen die zerklüftete und unwirtliche Insel Floreana, von niemandem sonst bevölkert außer einer atemberaubenden endemischen Tierwelt, für welche die beiden aber keinerlei Neugier hegten.

Viel lieber lag dem exzentrischen Sonderling, dem im Laufe seines vierjährigen Aufenthalts krankheitsbedingt alle Zähne ausfielen, die selbstüberschätzende Aufgabe näher, einen neue gesellschaftliche Ordnung als Manifest zu verfassen, damit dieses später die ganze Welt verändern soll. Womöglich wäre das Vorhaben, den inseleigenen Senf in alle vier Winde zu verbreiten, auch geglückt, hätte Ritter nicht regelmäßig mit Europa korrespondiert, um sich selbst als messianischen Robinson hochzustilisieren. Diese schmackhaft formulierten Reiseberichte hatten zur Folge, dass die Insel bald neue Besucher empfing. Im Film Eden folgt die dreiköpfige Familie Wittmer als erste den paradiesischen Lobgesängen und zeigt sich als erstaunlich versiert, um auf einem Eiland wie diesen tatsächlich Fuß zu fassen – sehr zum Unmut des inkooperativen Insel-Gurus, den Jude Law mit einer derart säuerlichen Miene verkörpert, als wäre der Zivilisationsfrust noch längst nicht von ihm abgefallen. Der Unmut steigert sich, als die eigene Selbstüberschätzung noch überboten wird – durch die Ankunft einer falschen Baronesse (Ana de Armas), im Schlepptau drei junge Männer und mit der verrückten Idee im Kopf, in Meeresnähe ein Luxushotel zu errichten. Fitzcarraldo lässt grüßen, und das nicht nur wegen des mitgebrachten Grammophons, an welchem Burgschauspieler Felix Kammerer (Im Westen nichts Neues) immer wieder kurbeln muss, damit auch an diesem entlegenen Winkel die Kultur nicht zu kurz kommt. Alle drei Parteien werden alsbald feststellen, dass der frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es den egomanischen Nachbarn nicht gefällt. Inmitten einer Wildnis, in welcher Platz genug für alle wäre, schon gar für dieses Häufchen an Menschen, entfesseln Missgunst, Trägheit und Überheblichkeit, vermengt mit grenzenloser Naivität und bitteren Lügen einen Nervenkrieg am Äquator, den Regie-Handwerker Ron Howard mit routinierter Professionalität in grünlich-blasse, dunstige Bilder taucht. Ein ganzes Staraufgebot lässt sich für Eden zwar nicht nach Galápagos, doch in die Wildnis Australiens zitieren – den Unterschied merkt man kaum, die Anzahl der peniblen Inselkenner bleibt verschwindend gering. Deutschlands attraktivster US-Export Daniel Brühl, Sydney Sweeney und Vanessa Kirby schwitzen, darben und bluten, Sweeney selbst darf in der wohl radikalsten Szene des Films ihr eigenes Kind im Alleingang zur Welt bringen, während sie von streunenden Hunden umringt wird. Ihre Filmfigur ist die einzige Konstante inmitten selbst- oder fremdverschuldeter Nachbarschaftsquerelen, die sich naturgemäß zuspitzen, weil der Mensch nun mal so tickt, wie er tickt.

Zwischen Peter Weirs Anti-Abenteuerdrama Mosquito Coast aus den Achtziger Jahren und Werner Herzogs Dschungelerfahrungen ringt  Howard dem Wesen des Abenteuerdramas aber keinerlei inspirierende Neubetrachtungen ab – ganz im Gegenteil. Eden verlässt sich auf das konventionelle Handwerk eines altbackenen Melodramas mit giftigen Spitzen, orientiert am Erzählduktus von Filmemachern wie Huston oder Preminger. Innovativ ist das nicht, dafür aber klassisch und wohgefällig kitschig. Howard bringt dabei zwar eine etwas sperrige, nicht ganz rundlaufende Szenenregie ins Spiel, weil er vielleicht nicht reminiszieren, sondern erneuern will. Sein Ensemble interagiert bisweilen aber so gekonnt miteinander, dass die einen die schauspielerischen Hänger der anderen kompensieren. In Eden spielt niemand nur alleine auf, diese Schräglage weiß Howard zu vermeiden. Er weiß, dass er niemanden in den Vordergrund stellen kann, denn hier regiert die Gruppendynamik. Manchmal passiert es, da reißt Ana de Armas alles an sich, während Kirby nur mit Mühe ihre Rolle verteidigen kann. Hier die Balance zu halten, und das sogar an tropischem Set, mag eine Herausforderung selbst für Howard gewesen sein. Dass der Dreh nicht leicht war, sieht man allen Beteiligten vor und hinter der Kamera an.

Am Fesselndsten bleibt bei solchen Filmen immer noch die wahre Geschichte dahinter. True Stories wie diese, schon gar wenn sie ein exotisches Abenteuer umschreiben, können gar nicht mal so viel falsch machen, um nicht doch die Bereitschaft zu wecken, sich mit menschlichen Verhalten in der Extreme auseinandersetzen zu wollen.

Eden (2024)

Die Migrantigen

AUSLÄNDISCH FÜR ANFÄNGER

7,5/10

 

migrantigen© 2017 Luna Filmverleih 

 

LAND: ÖSTERRECH 2017

REGIE: Arman T. Riahi

Mit Faris Rahoma, Aleksandar Petrović, Doris Schretzmayer, Daniela Zacherl u.a.

 

Stellt euch einmal vor, ihr seid Schauspieler. (jene, die das lesen und es bereits sind, brauchen hier nicht aktiv zu werden) und geht zu einem Casting. Dort werdet ihr aufgefordert, einen Ausländer darzustellen. Wie soll der sein, der Ausländer? Gute Frage, vielleicht sogar eine Fangfrage. Vielleicht entsteht dann so eine Performance wie sie Lukas Resetarits in seinen kabarettistischen Anfängen mit dem oft in der Unterhaltungssendung Wurlitzer gezeigten Kult-Nummer Der Tschusch auf die Kleinkunstbühne gebracht hat. Für alle, die die treffsichere Conference nicht kennen: Es erkundigt sich ein – sagen wir mal – Mittdreißiger mit Migrationshintergrund nach dem Verbleib der berühmt-berüchtigten Thaliastraße. Zu seinem Leidwesen fragt er einen Wiener, der stellvertretend für den Otto Normalbürger besagter Stadt erwartungsgemäß xenophob reagiert und den arglosen „Tschusch“ in eine gesellschaftliche Nische voller Vorurteile drängt. Das Ganze endet mit „Ausländer, raus aus dem Ausland!“. Ein bizarres, im Kern aber leider allzu wahres Bild des Umgangs von autochthonen Österreichern mit immigrierten Bürgern anderer Länder. Das Ganze aktueller denn je. Der gebürtige Iraner und längst Österreicher Arman T. Riahi hat mit der fast schon nestroy´schen Gegenwartsfarce Die Migrantigen den Konflikt zwischen „Zuagrasten“ und Eingeborenen ähnlich auf die Spitze getrieben – mit Wortwitz, ironischem Augenzwinkern und ganz viel Hirn. 

Überhaupt – 2017 ist für den österreichischen Film ein ziemlich starkes Jahr mit beeindruckenden Produktionen und längst nicht mehr nur Betroffenheitskino. Ganz im Gegenteil – Die Migrantigen reihen sich selbstbewusst in die Reihe jener Filme aus heimischen Landen ein, die auf die Watchlist müssen. Vorausgesetzt, es ist eine Watchlist für weltoffene Filmfreunde, die gerne bereit sind, festgefahrene Vorurteile zu hinterfragen. Und hinterfragt wird in Riahi´s intelligent konstruierter Komödie einiges – vor allem eben das Bild, das wir uns von den serbischen, türkischen und sonstigen Minderheiten zurechtgezimmert haben – die aber die urbane Gesellschaft, das Kulturleben und die Vielfalt bislang mehr bereichern als behindern konnten. Dieses oftmals mit der Muttermilch aufgesogene Menschenbild vom anpassungsresistenten Fremden dienst als scheinbar leicht zu tragendes Mäntelchen für die beiden Alltagsloser im Film, die rein zufällig die Aufmerksamkeit eines Fernsehteams erregen, das wiederum auf der Suche ist nach echten, authentischen Schauplatzgeschichten, die das Leben geschrieben hat. Und am besten gleich mit quoten- und sendetauglicher Dramatik. Vielleicht auch mit Action, und ein bisschen Unterwelt. Das sogar sehr gerne. Als überaus ehrgeizige Reporterin darf hier Doris Schretzmayer den Köder schlucken, den die beiden arbeitslosen Bobos im fiktiven Wiener Grätzel Rudolfsgrund breitgefächert auslegen. Und ihre Rollen zumindest verbal bis zur Perfektion beherrschen, stammen doch auch sie aus Familien, die ebenso, vor ewigen Zeiten, eingewandert sind. Doch vom kulturellen Kolorit ihrer Vorfahren ist nicht mehr viel übrig. Macht auch nichts, so denken die zwei. Bedienen wir uns der gängigen Klischees, die den Migranten anhaften, und zeigen wir dem Fernsehpublikum die einzig wahre Parallel- und Subkultur, die wohl jedem in den Kram passt. Zu Rate gezogen werden mitunter auch Vertreter waschechter Ethnien, die wiederum – und jetzt kommt’s – den beiden Gelegenheitsbetrügern selbst einen Bären aufbinden. Einen Bären, der eine Eigendynamik entwickelt, die keinem der mittlerweile drei Parteien letztendlich alles andere als dienlich ist. 

Was folgt, ist eine höchst vergnügliche Verkettung alles verkomplizierender Ereignisse, die das bequeme Verständnis von Integration und festgefahrener Ausländer-Stereotypien konterkariert. Niemals mit erhobenem Zeigefinger, alles selbstentlarvend. Und mit der Erkenntnis, das Integration mitgebrachte Tradition nicht zwingend ausschließen muss. Und man sich vor ihr auch nicht fürchten sollte.

Die Migrantigen

Happy Family

FAMILIE ALS FREAKSHOW

5/10

 

happyfamily

REGIE: HOLGER TAPPE
MIT DEN STIMMEN VON MAXIMILIAN EHRENREICH, ULRIKE STÜRZBECHER, HAPE KERKELING

 

Dadadadam – Schnipp Schnipp! – Wir alle kennen mit Sicherheit die unverwechselbare Titelmelodie der Schwarzweiß-Sitcom Die Addams Family, die in den 90ern zwei Kinofilme mit dem Dream-Team Raul Julia und Anjelica Huston nach sich zog. Und die nicht minder skurrile OmU-Serie The Munsters, die später dann nachkoloriert und synchronisiert wurde. Ein Leckerbissen der frühen Vorabendserie – meist aber, zumindest im österreichischen Rundfunk, spätabends ausgestrahlt. Mit kindlicher Lust am Parodieren hatten beide Fernsehformate den sozialen Mikrokosmos Familie am Kieker. Familie – das ist medial gesehen in den meisten Fällen so etwas Ähnliches wie eine Freakshow. Nirgendwo sonst bringt das Zusammenleben unterschiedlicher Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Eigenheiten so viel Wahres über das Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft ans Tageslicht wie in einer Familie. Da geht’s nicht nur um Liebe, Vertrauen, Respekt, Ordnung und Aufgabenteilung. Da geht’s auch, überspitzt gesagt, um das ganz persönliche Über-Leben als Individuum. In heilloser Überzeichnung wird jede oder jeder Einzelne zum unverwechselbaren Freak mit ganz eigenen Vorzügen oder Schwachpunkten. Genauso – ob mit Handpuppen beim Psychotherapeuten oder als Gruselikone in Film und Fernsehen – lässt sich in der Familienaufstellung optisch klar abgegrenzt am Leichtesten Stellung beziehen.

Der deutsche Schriftsteller David Safier hat in seiner Fantasysatire Happy Family die Alltagsleiden und Defizite einer Durchschnittsfamilie namens Normalverbraucher mit Addams Family und The Munsters auf einen Nenner gebracht. Gelesen habe ich das Buch selbst nicht – der Film, so dachte ich mir, muss reichen. die Entscheidung war richtig. Die etwas an den Haaren herbeigezogene Mär von Dracula, der unter Zuhilfenahme einer rumänischen Hexe Hausfrau und Mutter Wünschmann zum Vampir mit Seele mutiert sehen will, um nicht allein zu sein, ist entweder als Film oder als Buch so ziemlich auserzählt. Urmel-Regisseur Holger Tappe hat die turbulente, aber enorm konfuse Komödie abgedroschenen Familienklischees unterworfen, die maximal Erkennungs – und Übertragungswert auf das eigene Vater-Mutter-Kind-Gefüge haben, jedoch nicht wirklich das Zwerchfell erschüttern.

Happy Family fehlt Bodenhaftung, eine gewisse ernsthafte Ruhe zwischendurch, die das Thema abverlangen würde, und eine Grenze fürs wilde Fabulieren nach oben hin. Tappes Verfilmung ufert aus bis zur Belanglosigkeit und schafft es nicht, einen eigenen Stil zu finden. Happy Family will so sein wie Ich – Einfach unverbesserlich. Will so sein wie Illumination. Das erkennt man an der Gestaltung der Figuren. Kantig und spitznasig. Glasig-große Augen und spindeldürre Körper. Merkmale von Gru und Co. Auch die hysterische Art des Erzählens, des Slapsticks und der Kalauer hart an der Schmerzgrenze lassen vermuten, dass die Welt der Minions und die Welt der Wünschmanns ein und dieselbe ist. Ob das beabsichtigt war, wage ich zu bezweifeln.

Happy Family