Der Schein trügt

GESEGNET SIND DIE SÜNDER

7/10


DerScheintruegt© 2021 Neue Visionen


LAND / JAHR: SERBIEN, MAZEDONIEN, KROATIEN, SLOWENIEN, BOSNIEN-HERZEGOWINA, MONTENEGRO, DEUTSCHLAND 2021

BUCH / REGIE: SRDJAN DRAGOJEVIC 

CAST: GORAN NAVOJEC, KSENIJA MARINKOVIC, NATASA MARKOVIC, BOJAN NAVOJEC, MILOS SAMOLOV U. A.

LÄNGE: 2 STD


Zumindest wir hier in Österreich kennen den kultigen Dialektsong Rostige Flügel vielleicht sogar auswendig. Darin singt der Ex-Cordoba-Maestro Hans Krankl leicht heiser von einem egozentrischen Krösus, der auf Erden keine Versuchung ausgelassen hat, im Himmel aber maximal die Holzklasse bekommt. Rostige Flügel, aus zweiter Hand. Und auch keinen Heiligenschein. Der serbische Flüchtling Stojan hätte wohl eher Verwendung dafür, denn der ist ein herzensguter Familienvater irgendwo in einem vergammelten Viertel am Rande der Stadt, der eines Tages, beim Einschrauben einer Glühbirne, mit dem Strom auf Tuchfühlung geht. Normalerweise erholt man sich davon. Auch Stojan. Nur der trägt jetzt eine Art Halogen-Heiligenschein über dem Kopf, was in der Nachbarschaft für Befremdung sorgt – und ganz besonders bei Göttergattin Nada, die ihren Ruf gefährdet sieht und den unbescholtenen Ehemann dazu anstiftet, doch alle sieben Sünden zu begehen, denn dann wäre ihm die Gunst Gottes wohl nicht mehr sicher.

Klingt lustig. Klingt nach Situationskomik, als wäre Louis De Funes unterwegs, wie seinerzeit in Der Querkopf. Ist es aber nicht. Und auch der Trailer führt in die Irre. Will heißen: Der Schein trügt in jeder Hinsicht. Und wer sich gerne vergnügen möchte ob so skurriler Begebenheiten zwischen Himmel und Erde, der wird letztlich schwer schlucken müssen. Was man vielleicht auch nicht weiß: Regisseur Srdjan Dragojevic (u. a. Parada) hat einen Episodenfilm inszeniert, dessen Kapitel sehr eng miteinander verknüpft sind und stets die Perspektive wechselt, aber summa summarum eine einzige epische Geschichte über mehrere Jahrzehnte erzählt, die genauso gut Emir Kusturica hätte inszenieren können. Angesichts der surrealen Begebenheiten passt das dann auch ziemlich gut in dessen Konzept, nur die leichte Verschrobenheit von Kusturicas zumindest letzten Filmen fehlt bei Dragojevic allerdings gänzlich. Hier ist der Fingerzeig Gottes das unangenehme Kitzeln unter der Achsel, der Kieselstein im Schuh, das Trietzen des Menschen mit augenscheinlichen Wundern, die so plötzlich vom Himmel fallen, dass kein Erdenbürger damit klarkommen kann. Am wenigsten die Kirche.

Egal, ob das Geschenk der Heiligkeit, eine zweite Chance oder das Lösen des größten Problems auf Erden auf dem Plan stehen: Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Kennen wir doch – also zumindest kennen es jene, die ab und zu mal in den Gottesdienst gegangen sind. Sprich nur ein Wort, und so wird meine Seele gesund. Alles schön und gut, doch der Heiland stammelt hier in Rätseln. Orientierungslos pflügt der Mensch in dieser bitterbösen Groteske sodann durch den Sündenpfuhl, um seine Erleuchtung loszuwerden. Lieber im Dunkeln, statt im Licht. Entsprechend düster sind diese Episoden auch geworden, entsprechend heftig fallen da auch einige Szenen aus, die bigotter Bequemlichkeit ans Bein pinkeln wollen. Manchmal rutscht Dragojevic zu sehr ins Grobe, auf zu hemdsärmelige Weise bemüht er die eine oder andere Metapher, als würde er den Motor eines Autos reparieren. Da fehlt dann der Feinschliff, der zumindest später noch – und vor allem in der meisterlichen letzten Episode – die Chance hat, mit etwas mehr Geistesblitz auf pointierte Satire zu machen. Wer Also Filme wie The Square oder Bad Luck Banking or Loony Porn – die neue Art der gesellschaftskritischen Avantgarde – zu schätzen weiß, wird sich auch hier, in seiner polemischen Kritik über die Welt, verstanden wissen.

Der Schein trügt

Klammer – Chasing the Line

HELDEN IN TIROL

6,5/10


klammer© 2021 Constantin Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2021

BUCH / REGIE: ANDREAS SCHMIED

CAST: JULIAN WALDNER, VALERIE HUBER, WOLFGANG OLIVER, FABIAN SCHIFFKORN, ROBERT REINAGL, HARRY LAMPL, RAPHAËL TSCHUDI U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Stell dir vor, es sind die Olympischen Winterspiele und keiner schaut hin. Vor 46 Jahren nicht auszudenken. Doch aktuell ist es so – wer nimmt sich schon für Olympia in Peking den Nachmittag frei? Noch dazu ist China in Sachen Menschenrechte und Wirtschaftsdumping ohnehin schwer auszuhalten. Und überhaupt: dort liegt nicht mal Schnee. Ein Umstand, der 1976, zu den Winterspielen in Innsbruck, aber zumindest zeitweise genauso gegolten hat. 

War das damals wirklich so? Ganz Österreich gebannt vor dem Fernseher, als gäbe es sonst nichts anderes? Keine Krankheiten, keine Inflation, gar nichts – nur unsere großen Österreicher am Patscherkofel, allen voran der Klammer Franzi, wie er schon im Trailer zum Film von Andreas Schmied genannt wird. Die wirklichen Helden Österreichs lassen sich mittlerweile nur noch im Sport verorten, und natürlich beanspruchen wir als Rotweißrot-Bekenner sowieso jede noch so akzeptable Leistung, wenn die Bretter, die die Welt bedeuten, ausnahmsweise mal nicht im Theater sind. Damals, in den Siebzigern, war Begeisterung noch verbindend und ein gewisses Nationalbewusstsein einer noch nicht ganz so alten neuen Republik geschuldet, die Figl damals am Balkon des Belvederes hinausposaunt hat. Nach Toni Sailer und Karl Schranz war eben Franz Klammer das Aushängeschild Österreichs, ob er nun wollte oder nicht. Denn – laut Drehbuch – wollte dieser doch nur schifahren. Der Ruhm war somit nur eine lästige Begleiterscheinung, genauso wie der Druck, der 1976 auf den jungen, etwas wortkargen Kerl gelastet haben muss. Etwas anderes als die Goldene hätte es nämlich nicht geben dürfen.

Also kämpft das Wunderkind gegen Fischers neue Ski und der Tücke einer Piste, die viele Kurven verträgt und mit Buckeln nur so prahlt. Mit der Sehnsucht nach seiner Freundin Eva, die leider anderweitig verpflichtet ist und dem Kärntner nicht zujubeln kann. Mit der Konkurrenz, dem Schweizer Bernhard Russi, der allerdings keine Feindseligkeit Klammer gegenüber empfindet, wie das vielleicht zwischen Niki Lauda und James Hunt in Rush der Fall gewesen war. Andreas Schmied findet für diesen Sportfilm – ein Genre, das ich eigentlich und vielleicht unfairerweise eher mit Vorsicht genieße, weil mich Promisport nur bedingt interessiert – einen Bildstil, der an die alten Fotoalben aus der Kindheit erinnert. Ausgewaschen, ein knappes Farbspektrum, alles ein bisschen grobkörnig. Da lässt sich verklärte Nostalgie erspüren, ganz besonders bei den Titelblättern der guten alten Kronenzeitung, die immer wieder ins Bild rutschen. Das Schifoan, wie Wolfgang Ambros es besingt, ist hier aber eine harte, unlustige Nuss, wo die Leidenschaft, die man sonst dazu hat, für alles andere instrumentalisiert wird – nur nicht für den, der fährt. Aber Helden braucht eben das Land, und die sind gerade in Tirol.

Ich bin überrascht, und muss zugeben, dass Julian Waldner eine tatsächlich gute Figur macht. Klammers straighten Charakter, mitunter aufbrausend und versonnen, gewährt dem Shootingstar durchaus eine Palette an Emotionen, an denen er herumprobieren kann. Durch den konsequent vorgetragenen Dialekt des Kärntner Bundeslands erfährt seine Rolle zusätzliche Authentizität. Und auch sonst ist Schmied lokales Sprachkolorit sehr wichtig. Da sieht man wieder, was das ausmacht. Neben Waldner überzeugen auch Valerie Huber (derzeit auf Netflix in Kitz zu sehen) und sonstige Randfiguren, da kann ich gar nicht meckern. Es ist nur eben ein Sportfilm, der das dramaturgische Rad nicht neu erfindet, der gar nichts ausloten möchte und wo zwischen Herzschmerz und Leistungsdruck die Unterhaltungsskala hochschnellt, während Fachbegriffe und Abfahrtstaktik nur Bahnhof bleiben. Es ist ein Film nach bewährtem Schema, ohne Rollenbilder zu hinterfragen – aber alles in allem gut durchkomponiert und am Ende, wenn Klammers große Stunde läutet, weiß man wieder, dass irgendwo doch noch so ein Krümel vorgestriger Nationalstolz vergraben liegt. Denn hier gar nicht mitzufiebern stellt sich als wirklich schwierig heraus.

Klammer – Chasing the Line

The Cleanse

GASSI MIT DEM NEUROSEN-MONSTER

6/10


thecleanse© 2018 Netflix


LAND / JAHR: USA 2016

BUCH / REGIE: BOBBY MILLER

CAST: JOHNNY GALECKI, ANNA FRIEL, ANJELICA HUSTON, OLIVER PLATT, KEVIN J. O’CONNOR, KYLE GALLNER, DIANA BANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Er ist immer und überall mit dabei. Egal, wohin wir gehen, wo wir stehen, und was wir gerade tun: der uns allen wohlbekannte innere Schweinehund. Der Hemmschuh unserer Persönlichkeitsentfaltung, der Knüppel auf dem schütter behaarten Schädel unseres Selbstwertgefühls. Das, was uns runterzieht und depressiv werden lässt. Der Grund, warum wir glauben, nicht so recht zu können wie man wollen würde. Jetzt stellt euch mal vor, es wäre im Rahmen einer Gruppentherapie möglich, dieses obskure, fast schon amorphe Geschöpf aus unserem psychosomatischen Universum so weit zu extrahieren, dass es uns gegenübersitzt. Raunend, wimmernd, einem Häufchen Hundekot gleich, das uns ungefähr so staunend anglotzt wie der am Mond stehende Neil Armstrong, wenn er das Rund der Erde in sich aufnimmt. Sowas passiert wohl niemals wirklich, aber tatsächlich im Independentstreifen The Cleanse, was so viel heißt wie: Die Reinigung.

In dieser von Bobby Miller verfassten und auch inszenierten Fantasykomödie mit einem Schuss Horror und etwas Tragik stößt der sitzengelassene Paul eigentlich durch Zufall – oder wollte es das Schicksal so? – aus der tiefsten Ebene seines seelischen Kellergewölbes auf das Angebot einer Selbsthilfegruppe, die nichts weniger verspricht als eine Art Wiedergeburt ohne nagenden Ballast aus Alltag und vergangenen persönlichen Schicksalen. Paul bewirbt sich und sieht sich bald als Teil einer trauten Runde schräger Vögel, die das Wochenende im Wald verbringen. Die erste Aufgabe im dortigen Camp scheint nicht allzu schwer, denn mit dem Trinken von sechs Gläsern einer ominösen und logischerweise abscheulich schmeckenden Flüssigkeit wäre die Wiese außerdem schon halb gemäht. Was Paul und auch all die anderen Teilnehmer nicht wissen: das jeweils Innere kehrt sich plötzlich nach außen, und schon sitzt es da, das Unding, als erbärmliche Kreatur, die man eigentlich nur liebhaben kann, weil sie ja schließlich so arm aussieht.

Wer würde da wohl besser in die Rolle des sympathischen, intellektuellen Losers hineinfinden als Big Bang Theory-Frontman Johnny Galecki, den die Kinder der Neunziger bereits aus Roseanne kennen und der die blonde Penny dann doch noch erobert hat. Die Frage, was der kauzige Nerd denn damals so nebenher fabriziert hat, lässt sich mit The Cleanse aber nur zum Teil beantworten – was er jetzt wohl am Start hat, steht auf einem anderen Blatt Papier. Zumindest hier, in diesem kleinen, metaphorischen Psycho-Seminar, ist er der ungelenke Mittdreißiger, wie wir ihn alle kennen, mit Hang zum Staunen und der Kunst, angesichts paranormaler Umstände charmant zu improvisieren. Die kleinen dicken Mönsterchens mit Haaransatz und Kummermiene sind wirklich zum Erbarmen, doch es wäre nicht das Schwarze der eigenen Seele, würde der erste Eindruck nicht täuschen. Und so verbindet Miller seine originelle Idee mit Lagerromantik und Sozialschmarrn, lässt selten gesehene Stars wie Anjelica Huston oder Oliver Platt aufmarschieren – bringt aber den Funken nicht wirklich zum Überspringen. Das Gefühl, hier hätte der Konflikt mit dem inneren Schweinehund mehr Gewicht haben können, wird man nicht los. So bleibt die nette Monster-Mystery auf seiner Metaebene zwar tadellos nachvollziehbar, dramaturgisch gesehen ist The Cleanse die Katze am Schoß zu Feierabend näher als die Motivation, sich für die Gängelung des eigenen Ungeheuers anzustrengen.

The Cleanse