The Cleanse

GASSI MIT DEM NEUROSEN-MONSTER

6/10


thecleanse© 2018 Netflix


LAND / JAHR: USA 2016

BUCH / REGIE: BOBBY MILLER

CAST: JOHNNY GALECKI, ANNA FRIEL, ANJELICA HUSTON, OLIVER PLATT, KEVIN J. O’CONNOR, KYLE GALLNER, DIANA BANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Er ist immer und überall mit dabei. Egal, wohin wir gehen, wo wir stehen, und was wir gerade tun: der uns allen wohlbekannte innere Schweinehund. Der Hemmschuh unserer Persönlichkeitsentfaltung, der Knüppel auf dem schütter behaarten Schädel unseres Selbstwertgefühls. Das, was uns runterzieht und depressiv werden lässt. Der Grund, warum wir glauben, nicht so recht zu können wie man wollen würde. Jetzt stellt euch mal vor, es wäre im Rahmen einer Gruppentherapie möglich, dieses obskure, fast schon amorphe Geschöpf aus unserem psychosomatischen Universum so weit zu extrahieren, dass es uns gegenübersitzt. Raunend, wimmernd, einem Häufchen Hundekot gleich, das uns ungefähr so staunend anglotzt wie der am Mond stehende Neil Armstrong, wenn er das Rund der Erde in sich aufnimmt. Sowas passiert wohl niemals wirklich, aber tatsächlich im Independentstreifen The Cleanse, was so viel heißt wie: Die Reinigung.

In dieser von Bobby Miller verfassten und auch inszenierten Fantasykomödie mit einem Schuss Horror und etwas Tragik stößt der sitzengelassene Paul eigentlich durch Zufall – oder wollte es das Schicksal so? – aus der tiefsten Ebene seines seelischen Kellergewölbes auf das Angebot einer Selbsthilfegruppe, die nichts weniger verspricht als eine Art Wiedergeburt ohne nagenden Ballast aus Alltag und vergangenen persönlichen Schicksalen. Paul bewirbt sich und sieht sich bald als Teil einer trauten Runde schräger Vögel, die das Wochenende im Wald verbringen. Die erste Aufgabe im dortigen Camp scheint nicht allzu schwer, denn mit dem Trinken von sechs Gläsern einer ominösen und logischerweise abscheulich schmeckenden Flüssigkeit wäre die Wiese außerdem schon halb gemäht. Was Paul und auch all die anderen Teilnehmer nicht wissen: das jeweils Innere kehrt sich plötzlich nach außen, und schon sitzt es da, das Unding, als erbärmliche Kreatur, die man eigentlich nur liebhaben kann, weil sie ja schließlich so arm aussieht.

Wer würde da wohl besser in die Rolle des sympathischen, intellektuellen Losers hineinfinden als Big Bang Theory-Frontman Johnny Galecki, den die Kinder der Neunziger bereits aus Roseanne kennen und der die blonde Penny dann doch noch erobert hat. Die Frage, was der kauzige Nerd denn damals so nebenher fabriziert hat, lässt sich mit The Cleanse aber nur zum Teil beantworten – was er jetzt wohl am Start hat, steht auf einem anderen Blatt Papier. Zumindest hier, in diesem kleinen, metaphorischen Psycho-Seminar, ist er der ungelenke Mittdreißiger, wie wir ihn alle kennen, mit Hang zum Staunen und der Kunst, angesichts paranormaler Umstände charmant zu improvisieren. Die kleinen dicken Mönsterchens mit Haaransatz und Kummermiene sind wirklich zum Erbarmen, doch es wäre nicht das Schwarze der eigenen Seele, würde der erste Eindruck nicht täuschen. Und so verbindet Miller seine originelle Idee mit Lagerromantik und Sozialschmarrn, lässt selten gesehene Stars wie Anjelica Huston oder Oliver Platt aufmarschieren – bringt aber den Funken nicht wirklich zum Überspringen. Das Gefühl, hier hätte der Konflikt mit dem inneren Schweinehund mehr Gewicht haben können, wird man nicht los. So bleibt die nette Monster-Mystery auf seiner Metaebene zwar tadellos nachvollziehbar, dramaturgisch gesehen ist The Cleanse die Katze am Schoß zu Feierabend näher als die Motivation, sich für die Gängelung des eigenen Ungeheuers anzustrengen.

The Cleanse

Soul

AUF DEN FUNKEN KOMMT ES AN

8,5/10

 

soul© 2020 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2020

REGIE: PETE DOCTER, KEMP POWERS

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAMIE FOXX, TINA FEY, RACHEL HOUSE, ALICE BRAGA, PHYLICIA RASHAD, ANGELA BASSETT, WES STUDI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN

 

Auch wenn sich das Live Act-Kino immer mehr von philosophischen Träumereien entfernt, um nicht als kitschig, banal oder esoterisch belächelt zu werden – der Animationsfilm arbeitet dagegen. Denn Pete Docter, kreatives Mastermind bei Pixar, hat es schon wieder getan: er ist den Essenzen des Menschseins einmal mehr auf den Grund gegangen. In Oben war Altwerden und Einsamkeit das große Thema. Alles steht Kopf, einem Animationsfilm mit noch nie dagewesenem, teils abstraktem Plot, handelt von unseren grundlegenden Empfindungen. Und jetzt? Jetzt dürfen unsere Seelen mal zeigen, was sie können. In Soul gehen wir also mal davon aus, dass der Mensch diese sogenannten 21 Gramm tatsächlich besitzt. Unser Innerstes also. Das, was unsere Persönlichkeit ausmacht.

Im Zentrum des Geschehens steht ein Mittvierziger namens Joe Gardner. Seines Zeichens leidenschaftlicher Jazzpianist. Der fristet sein recht aussichtsloses Dasein als Musiklehrer an einer Mittelschule, die nicht wahnsinnig viele musikalische Talente birgt – bis auf ein paar Ausnahmen. Als er durch Zufall eine berühmte Jazzsaxophonistin von seinem Können überzeugen kann, wird er für einen Gig engagiert. Voller Freude tanzt Gardner über sie Straßen – bis er in einen Gully stürzt – und sein Leben verliert. Von einem Moment auf den anderen befindet sich die Seele von Gardner nun auf dem Fließband ins Jenseits. Aber eigentlich – ja eigentlich sollte er gar nicht hier sein, denn gerade jetzt wird doch das Leben erst richtig lebenswert?

Pete Docters Soul ist fast schon ein humanphilosophiosches Manifest. In keiner anderen Filmgattung wäre es sonst möglich, zugegeben stark simplifizierte, aber für uns unsichtbare und abstrakte Welten so ausgestaltet darzustellen. All die Seelen sind kleine, quallenartige Gespensterchens, manche tragen immer noch, nachdem sie gestorben sind, die Merkmale ihrer Person. Über allem steht die Quantenwelt in Form von zweidimensionalen Figuren, die an Strichzeichnungen von Picasso erinnern. Das Kreativteam von Pixar entdeckt wieder einmal die hohe Kunst der Gestaltung. Mit der liebevoll und bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Persönlichkeit des Jazzmusikers Gardner wäre es an der Zeit, für die Academy mal die Rubrik „Bester animierter Charakter“ ins Leben zu rufen. Wäre doch eine Idee? Nach dem alten Mann aus Oben oder zum Beispiel die Ratte aus Ratatouille wäre der von Jamie Foxx gesprochene Kerl ein garantierter Gewinner. Und auch abgesehen von diesen Raffinessen spielt Soul mit den Gedanken und Emotionen, lobt das Erdendasein und findet stille Momente der Einkehr. Doch es wäre nicht Pixar, würde sich die Ode an die Freude des Lebens in seifigen Sentimentalitäten verlieren. Soul bietet, Hand in Hand mit intellektueller Ernsthaftigkeit, jede Menge Humor, Situationskomik und eine drollige Bodyswitch-Komponente in feinster Ausarbeitung.

Dieses Streaming-Event ist tatsächlich ein Meisterwerk, dessen „Mood“ man gerne und auch unweigerlich mitnimmt. Zwischen Seelenfängern und verlorenen Seelen ist dieses phantastisch-hintergründige Stelldichein eine ausnehmend komplexe, pointenreiche Vision einer optimistischen Welt- und Weitsicht. Die man garantiert öfters sehen muss, um nichts zu verpassen. So wie die kleinen Dinge des Lebens.

Soul

Maudie

DIE WELT IM BILDERRAHMEN

7,5/10

 

maudie10© Photo by Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

 

LAND: Irland, Kanada 2017

Regie: Aisling Walsh

Mit Sally Hawkins, Ethan Hawke, u. a.

 

Zu meiner Schande muss ich gestehen – ich habe immer noch nicht den Film Happy Go Lucky gesehen. Diesen Gute Laune-Film mit der britischen Schauspielerin Sally Hawkins, die mir erstmals in der Waris Dirie-Verfilmung Wüstenblume positiv aufgefallen war. Mike Leigh´s Happy-Film soll von ansteckender positiver Ausstrahlung sein, vor allem dank dem expressiv-launigen Spiel seiner Hauptdarstellerin. Steht also ganz oben auf meiner Watchlist. Aber eigentlich erst, nachdem ich mir ihr neuestes Werk angesehen habe – Maudie. Das biografische irische Drama um eine an Arthritis erkrankten Lebens- und Bilderkünstlerin ist womöglich nicht weniger einnehmend als eingangs erwähnter Film. Denn Maudie ist, mit Verlaub, eine Sternstunde des Schauspielkinos. 

Es stimmt schon – Schauspielerinnen und Schauspieler, die Menschen mit besonderen Bedürfnissen darstellen müssen, haben es grundsätzlich leichter. Die Auffälligkeit ihrer Rollen ist dem Handicap geschuldet, mit welchem die Figur ihren Alltag bzw. ihr Leben bestreiten muss. Sind Haltung und Verhalten mal einstudiert, gelingt zuerst mal eine augenscheinlich meisterhafte Performance. Aber, wie gesagt, eigentlich mehr wegen dem, was die dargestellte Person trotz ihrer Defizite leistet, und weniger wegen dem Schauspieler dahinter. Doch Vorsicht – ich will Leistungen wie Eddie Redmayne´s Darstellung von Stephen Hawking oder Dustin Hoffman als Rain Man sicherlich nicht schmälern. Und genauso wenig will ich Sally Hawkins Interpretation der grazilen, kleinen Hausfrau und Malerin schmälern, die im Nirgendwo in Nova Scotia in einer zugigen Fischerhütte ihr Leben durch den Bilderrahmen betrachtet. Hawkins stellt das zerbrechliche Häuflein Mensch mit manischer Präzision dar. Jeder Schritt ist ein schmerzvolles, mühsames Vorwärtskommen. Jeder Pinselstrich eine körperliche Anstrengung. Doch die wahre Brillanz ihrer Rolle wohnt der wundersamen Fähigkeit inne, der Unwirtlichkeit ihres Daseins auf engelsgleiche Art die Stirn zu bieten. Was in dieser kleinen, starken Frau zu stecken mag, ist unbeugsame Stärke, grenzenloser Lebenswillen und den Mut, Nähe zu geben uns zuzulassen. Dieses Unterfangen ist kein Leichtes. Der Mann, mit dem sie zusammenlebt, ist ein wortkarger, ruppiger Misanthrop. Ein eigenbrötlerischer Fischer, der den Menschen aus dem Weg geht und seine Gefühle tief vergraben hat. Ethan Hawke meistert den knorrigen Außenseiter mit Bravour und dem richtigen Gespür für Gestik und Mimik. Eine Beziehung, die auf Liebe basiert? Undenkbar. Und dennoch kommt, wie es kommen muss, wenn man sieht, wozu die kleine große Dame mit dem wirren Haar und der Liebe zum Farbenfrohsinn fähig sein kann. 

Maudie ist längst nicht nur das Portrait einer unbeugsamen Künstlerin, sondern auch ein ungemein zarter, teils enorm tragischer Liebesfilm, der seine Empfindungen ernst nimmt, ganz so wie seinerzeit Clint Eastwoods virtuoses Gefühlskaleidoskop Die Brücken am Fluss. Hawke und Hawkins schaffen es, tatsächlich etwas zu entfachen, was im Kinosaal spürbar ist. Sehnsucht, Nähe, Zusammenhalt. Und die Gewissheit, dass es das Wichtigste im Leben ist, geliebt zu werden. Dafür, dass man so ist, wie man ist, ohne zwingend etwas leisten zu müssen. Zwar hat es Maud Lewis mit ihrer naiven, einfachen Malerei sogar bis in die Medien geschafft – bemalt hat sie die Fischerhütte und alles, was ihr unter den Pinsel kam, eigentlich nur für sich und für ihr Seelenheil. Und genau so sollte es sein.

Maudie