Amsterdam

DREI MUSKETIERE GEGEN DEN FASCHISMUS

7/10


AMSTERDAM© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: DAVID O. RUSSELL

CAST: CHRISTIAN BALE, JOHN DAVID WASHINGTON, MARGOT ROBBIE, ZOE SALDANA, RAMI MALEK, ANYA TAYLOR-JOY, MICHAEL SHANNON, MIKE MYERS, CHRIS ROCK, ROBERT DE NIRO, MATTHIAS SCHOENAERTS, ANDREA RISEBOROUGH, TAYLOR SWIFT, TIMOTHY OLYPHANT, ALESSANDRO NIVOLA U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Angekündigt war David O. Russells stargespickter Historienfilm bereits diesen Spätsommer in unseren Wiener Kinos. Angesichts der Fülle an bekannten Gesichtern wäre Amsterdam sowieso ein Must-See gewesen. Schon allein Christian Bale als ausgemergelter Veteran des ersten Weltkriegs mit Glasauge hätte ein Kinoticket wert sein sollen. Und dann versprach der knappe Einblick sogar noch Margot Robbie und den für mich einzig wahren James Bond-Nachfolger, nämlich John David Washington. Michael Shannon hätte sich die Ehre gegeben, Anya Taylor-Joy, Zoe Saldana und der wie immer hinter seinem Make Up verborgene Mike Myers. Nicht zu vergessen: Altstar Robert de Niro, diesmal nicht als Dirty Grandpa. Kurzum: Amerikas Stars in einer uramerikanischen Nachkriegssatire rund um eine politische Verschwörung, die in Ansätzen tatsächlich so stattgefunden haben soll. Man möchte sich kaum vorstellen, hätten diese Revoluzzer es geschafft, nach dem Vorbild Nazi-Deutschlands und des faschistoiden Italiens unter Mussolini eine ähnlich radikale Diktatur zu errichten. Doch die Geschichte hat uns gelehrt: So kam es nicht. Genauso wenig wie die Auswertung des epischen, prall ausgestatteten Schinkens für die Leinwand.

Grottenschlecht sollen die Kritiken für Amsterdam vorab gewesen sein. Niemand jenseits des Atlantiks hätte sich daraufhin für den Film interessiert. Da hatten sogar all die bekannten Gesichter den Karren keinen Zoll weit aus dem Schlamm hieven können. Amsterdam wurde zum teuren Murks – und verschwand auf Nimmerwiedersehen von den Programmagenden der europäischen Kinos. Einige Monate später dann das: Russels Streifen erscheint als Streaming-Perle auf Disney+. Für all jene, die sich gerne selbst ein Bild von einem Film machen wollen, der keine Chance aufs Überleben hat und womöglich bei den diesjährigen goldenen Himbeeren abstauben wird müssen, allein schon aufgrund des von der Publicity gesteuerten, wenig schmeichelnden Richtungsdrangs. Die eigene Meinung, die hätte ich mir so oder so bilden wollen. Natürlich auch im Kino. Jetzt eben in den eigenen vier Wänden, mit Ausblick auf ein braun getünchtes Babylon New York der Dreißigerjahre, voller Untergrund, Intrigen und Bündnisse, deren Reichweiten aufgrund bedachter Vernetzung bis in alle Kreise langt. Dabei passiert es, dass der eine oder die andere, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder nachkriegerischer Verschwörungen gerät, wiederum andere, die in ihrer Moral und sozialer Verantwortung dank ihres Korsetts noch aufrecht stehen können, hellhörig werden lässt. Einer dieser Veteranen ist Burt Berendsen, ein knorriger Arzt mit Glasauge und besagter Leibesstütze, der gemeinsam mit seinem Buddy aus dem Krieg, Advokat Harold Woodman, Versehrten sowohl rechtlich als auch medizinisch unter die Arme greift. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Einer dieser Fälle, die Obduktion eines plötzlich verstorbenen Armeegenerals Bill Meekins, wird zutage bringen, dass es sich hierbei um Giftmord gehandelt hat. Als die Tochter des Verblichenen kurz davorsteht, die Sache öffentlich zu machen, stirbt auch sie. Berendsen und Woodman sind von da an auf der Flucht, wird doch ihnen die Straftat in die Schuhe geschoben. Und während sie so durch die dunklen Gassen einer vergangenen Großstadt koffern, versuchen sie gleichermaßen, sich zu rehabilitieren. Dabei kommt ihnen das Auftauchen jener Vertrauten und Freundin gelegen, die sich damals, mit den beiden, in Amsterdam Marke Drei Musketiere auf eine lebenslange Zweckgemeinschaft eingeschworen hat.

Amsterdam ist ein Film, der diesen feisten Abwärtsdaumen nicht verdient hat und maßlos unterschätzt wird. Vielleicht deshalb, weil er seine Story relativ langsam erzählt und seinen Schwerpunkt weniger auf das Aufdecken der faschistoiden Machenschaften legt, sondern vielmehr auf die besondere Freundschaft dreier grundverschiedener Lebenskünstler, die mit Rückblenden aus dem Ersten Weltkrieg auf die Entstehung selbiger eingeht. Die kleinen, feinen Szenen, geschmackvoll ausgestattet und getextet, ufern nie in pathetische Dramatik aus. Es werden selten Leute auf offener Straße erschossen, wie in Sergio Leones Es war einmal in Amerika. Es geht nicht um Rache und Eifersucht und Missgunst, die sich in emotionalen Showdowns entlädt. Amsterdam hat das alles gar nicht. Das originell konzipierte Werk bleibt augenzwinkernd, jovial und ironisch. Und genießt dabei die Performance von Christian Bale in jeder Einstellung, der den hilfsbereiten, selbstlosen und gutmütigen Kriegsheimkehrer mit einnehmender Sympathie verkörpert. Diese Figur hat Tiefe, Licht und Schatten gleichermaßen. Ist so greifbar wie das Absonderliche eines eigenen, verschrobenen Onkels, der aber trotz seines Auftretens scharfsinnig wie kaum ein anderer bleibt. Fast schon wie die Gestalt eines gewitzten Inspektor Columbo, der für Bales Figur ein Bruder im Geiste des Glasauges bleibt. Dabei bieten Washington und Margot eine nicht weniger formidable Rückendeckung.

Amsterdam atmet die Aufbruchsstimmung und die Umbruchsstimmung des frühen 20. Jahrhunderts, wie die Sky-Hitserie Babylon Berlin. Ein neuer Krieg war da kaum noch denkbar, fast unmöglich. In dieser Erschöpfung findet Amsterdam auch seine entspannte, allerdings dialoglastige Kraft, und es mag fast sein, dass dieses an ein posthum entdecktes Werk Billy Wilders erinnernde Schaulaufen den Film über seine Erzählstränge stolpern lässt. Trotz der Wortgewalt und der scheinbar vielen, gedehnten Szenen gelingt O. Russell, die Übersicht zu bewahren. Ist man mal mittendrin, in dieser Amsterdam-Verschwörung, bleibt man gerne dran – bis zum mit Spannung erwarteten Finale, das einen Staatenbund vor dem Sturz in den Abgrund bewahren wird. Andernorts hat man, wie wir längst wissen, weniger Glück gehabt.

Amsterdam

Hexen hexen (2020)

ZEIGT HER EURE FÜSSE!

6/10


hexenhexen© 2020 Warner Bros. Pictures Germany


LAND: USA 2020

REGIE: ROBERT ZEMECKIS

CAST: ANNE HATHAWAY, OCTAVIA SPENCER, STANLEY TUCCI, JAHZIR BRUNO, CODIE LEI-EASTICK, CHRIS ROCK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Wie ekelhaft! Um eine Hexe zu erkennen, braucht es nicht viel. Sie müssen lediglich ihr Schuhwerk ausziehen. Denn Hexen, die haben gar keine Zehen. Wenn überhaupt, dann nur eine, und die ragt wie ein ausgestreckter Mittelfinger aus einem zehenlosen Fußballen hervor. Dieses noble Körperteil bleibt allerdings nur der Oberhexe vorbehalten. Und wer könnte diese sinistere, ekelhafte Matriarchin wohl am Besten spielen? Ann…jelica Huston. Kaum jemand, der Nicholas Roegs Klassiker nicht gesehen hat. Anjelica Huston, die sonst auch Morticia Addams treffend zu farbenfrohem Leben erweckt hat, ist als kinderhassende Antithese auf die nette Dame von nebenan schwer bis gar nicht zu toppen. Langes, schwarzes Haar, ein Charisma, das alle Anwesenden einen oder gar mehrere Schritte zurücktreten lässt. Mit sensenartiger Nase und massivem Kinn, dabei barhäuptig und von Krätze gezeichnet, schwört die Oberhexe all ihr Gefolge im Rahmen einer Konferenz zum Schutz gegen Kindesmisshandlung (wer’s glaubt) zur vollständigen Vernichtung aller Kinder dieser Welt ein. Blöd nur, dass dieses Treffen genau dort stattfindet, wo der namenlose junge Titelheld dieser Geschichte nach Roald Dahl mit seiner Oma Urlaub macht. Gier und Neugier machen allerdings diesem bösartigen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung, auch wenn dann so manch einer auf die Maus gekommen sein könnte.

Der Rest von Hexen hexen ist längst Kult. Und Robert Zemeckis, Regielegende, für dessen Zurück in die Zukunft-Trilogie ich dem Mann ewig dankbar bin, weiß das auch. Dementsprechend bemüht sich der Filmemacher auch gar nicht sonderlich, sich von Nicholas Roegs Klassiker weit zu entfernen. Kleine verändernde Kniffe, die gibt´s schon. Zum Beispiel was Schauplatz, Diversität und das Ende der Geschichte betrifft. Diese neuen Extras rollen den Teppich aus für die größte Veränderung in dieser vergnüglichen, wenn auch selbstverständlich vorhersehbaren Fantasykomödie: Anne Hathaway. Ich denke nicht, dass die Gute auch nur eine Sekunde dabei gezögert hat, diese Rolle zu unterschreiben. In den Fußstapfen von Anjelica Huston treten, überhaupt endlich mal etwas ganz anders spielen. Etwas, das nicht gut, nicht schön, nicht politisch korrekt sein muss. Eine Hexe heben. Herrlich, dieser Spaß. Dementsprechend spiellaunig betritt sie als aufgedonnertes Make-Up-Schreckgespenst das Foyer des Hotel Imperial, Stanley Tucci mit John Waters-Gedächtnisschnauzer zeigt, was es heißt, gleichzeitig devot zu sein und die Gastgesellschaft hinter den Mond zu wünschen. Spätestens dann, wenn Hathaway ihre Hüllen, Handschuhe und sonstiges fallen lässt, kommt sogar ein bisschen grotesker Grusel auf, wenn das Grinsen der fiesen Tanten zwischen Joker und rabenschwarzer Nacht bis über beide Ohren geht. Kleine Kinder sollten sich das skurril-hämische Treiben lieber entgehen lassen. Alle anderen werden erschaudern. Wir Älteren klatschen diesem Mut zur Hässlichkeit, den Anne Hathaway an den Tag legt, gerne Beifall. Und staunen, was dieses dargestellte Wesen mit seinen Gelenken alles anstellen kann.

Mit der Oberhexe hat der Film seinen einzigen Trumpf aber längst ausgespielt. Alles andere huldigt mit mittelmäßigem Mäuse-CGI dem Abenteuer aus 1990. Sogar die dahinflitzende Kamera auf Augenhöhe, um sich an den Fersen der hetzenden Nager zu heften, hatte Roeg bereits ausprobiert. Aber immerhin schön, das Ganze nochmal auf großer Kinoleinwand zu sehen. Schön auch, dass Octavia Spencer als liebenswerte Oma das Herz aber sowas von am rechten Fleck hat. Sonst allerdings hat Zemeckis mit dem von Guillermo del Toro (der ursprünglich daraus ein Stop-Motion-Abenteuer machen wollte) und Alfonso Cuáron mitproduziertem Hexeneinmaleins tatsächlich nur solide Routinearbeit abgeliefert, die es nicht unbedingt gebraucht hätte, die als vollständige Animation womöglich besser dran und vielleicht auch etwas origineller gewesen wäre. Aber immerhin: wer zuletzt grinst, grinst am Besten.

Hexen hexen (2020)

Dolemite Is My Name

DRESSED FOR SUCCESS

7,5/10

 

dolemite© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: CRAIG BREWER

CAST: EDDIE MURPHY, WESLEY SNIPES, MIKE EPPS, CRAIG ROBINSON, KEEGAN-MICHAEL KEY, SNOOP DOG, CHRIS ROCK, KODI SMIT-MCPHEE U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN

 

Schweigen ist Gold – das war für Quasselstrippe Eddie Murphy niemals die Devise. Untermalt von Harold Faltermeyers kultigen 80er-Klängen konnte der Beverly Hills Cop so richtig zum Filmstar avancieren, bevor Klamotten wie The Nutty Professor ihn irgendwie auf das zweifelhafte Niveau eines Adam Sandler brachten. Der hat sich wiederum endlich aufgerafft und im auf Netflix erschienenen Krimidrama Der schwarze Diamant gezeigt, was eigentlich in ihm steckt. Murphy hat es nach langer Auszeit und vernachlässigbaren Releases endlich auch geschafft, und ebenfalls dank Netflix. Der Streamingriese, der autark denkenden Filmemachern und risikobereiten Leinwandkünstlern immer mehr eine Plattform bietet, die große Studios aus Angst vor Geldeinbußen nicht mehr zur Verfügung stellen, hat Craig Brewers Künstlerbiographie ohne viel Federlesens ins Programm aufgenommen – zum Glück all seiner Abonnenten. Dolemite Is My Name ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, und abgesehen davon, dass sie Eddie Murphy eine Golden Globe-Nominierung eingebracht hat, funktioniert dieses wunderschön ausgestattete Underdog-Epos als detailliert erzählte Zeitgeschichte, Charakterstudie und Feel Good-Movie, was man angesichts der Lebensgeschichte eines Künstlers ja fast gar nicht vermuten würde. Wo bitte bleibt der Absturz, die verbitterte Erkenntnis, den Zenit des Erfolges überholt zu haben? Bei Rudy Ray Moore gab´s das anscheinend alles nicht. Und wenn, dann ist das nicht Thema des Films. Denn dieser offenbart das Geheimnis eines Erfolges einer für die Bühne geborenen Rampensau, die alles, nur nicht im stillen Kämmerlein vor sich hinleben will.

Anfänglich allerdings bescheren ihm seine stümperhaften Zoten kaum Aufmerksamkeit. Niemand will Rudy Ray Moore hören, der als Conférencier in einem Club die Konkurrenz ankündigt. Doch dann schnappt er bei einem Obdachlosen einige ziemlich schlüpfrige Altherrenwitze auf, die er allesamt aufschreibt und so in diesem Stil weitermacht. Aus Zoten werden obszöne Reime mit allerlei schmutzigen Wörtern. Auf einmal findet er Anklang, füllt die Hallen, bringt Schallplatten heraus. Erfindet seine Kunstfigur: Dolemite. Ein Dandy in knallbunter, überstilisierter Gewandung und ohne jegliche Furcht vor Farb- und Musterkombinationen. Alles war das aber dennoch nicht. Dolemite will einen Film drehen. Und setzt dafür alles ihm Menschenmögliche in Bewegung. Was dabei entsteht, sind zeitgeistige Blaxploitation-Eskapaden und die bis heutig gültige Bedeutung Moores als Urvater aller Reimrapper.

Dolemite Is My Name feiert sich selbst als exaltierte Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Eddie Murphy, stets in feuchte Träume schreiender Textilkunst gekleidet, findet für die Interpretation des umtriebigen Checkers und Machers einen angenehm ausgewogenen Zugang, ohne jemals zu dick aufzutragen oder seinen gewohnten Redeschwall loszulassen. Eddie Murphy ist nicht Eddie Murphy, sondern Dolemite. Ähnlich großartig gibt sich Wesley Snipes in der Rolle eines völlig von sich selbst überbewerteten Allürenkaisers und Regisseurs, der dem obskuren Filmprojekt zur Hand geht. Brewers opulentes Making-of-Success lässt sich mit Filmen wie Ed Wood oder The Disaster Artist vergleichen, deren Story hinter den ambivalenten Werken ungleich interessanter sind. Rudy Ray Moore allerdings ist der am meisten geerdete unter den genannten Größen, seine Motivation, wofür sie auch stehen mag, ist auf sympathische Art ansteckend.

Klar, Dolemite Is My Name ist ein spezieller Film, eine Sitten- und Verhaltensstudie, aber darüber hinaus immer noch ein großes Vergnügen, wenn es darum geht, neue Wege zum Ruhm zu gehen, die nur mit Beharrlichkeit und Idealismus begehbar sind. Kurzum: der Weg ins Kino als großes Kino.

Dolemite Is My Name