The Running Man (2025)

WENN WUTBÜRGER HAKEN SCHLAGEN

6,5/10


© 2025 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: EDGAR WRIGHT

DREHBUCH: EDGAR WRIGHT, MICHAEL BACALL, NACH DEM ROMAN VON STEPHEN KING

KAMERA: CHUNG CHUNG-HOON

CAST: GLEN POWELL, JOSH BROLIN, COLMAN DOMINGO, LEE PACE, KATY O’BRIAN, DANIEL EZRA, KARL GLUSMAN, MICHAEL CERA, JAYME LAWSON, EMILIA JONES, WILLIAM H. MACY, DAVID ZAYAS U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Gewichtige 38 Jahre nach Arnold Schwarzenegger im Ganzkörper-Radleroutfit hechtet nun ein sichtlich weniger aufgepumpter, aber immer noch äußerst sportiver Publikumsliebling durch ein dystopisches Amerika, das sich den Leitsatz an die Fahnen geheftet hat: The Show must Go on. Wenn also alles andere schon den Bach runtergeht, und womöglich die dritte und wohl verheerendste Amtszeit eines Donald Trump mich Ach und Weh überstanden wurde, haben die Staaten so gut wie nichts, womit sie sich Zuversicht leisten können. Was bleibt, ist das liebe Fernsehen, das überraschend analog daherkommt und Live-Shows bietet, als wäre man immer noch in der Ära von Wetten dass…?.

Zerstreuung wie im alten Rom

Tatsächlich dürfte im neuen Aufguss von The Running Man in diesem wohlgestalteten gesellschaftspolitischen Nirgendwo das Programmfernsehen zurück sein, um wie schon seinerzeit als Straßenfeger das zerstreuungsgierige Volk vor die Flimmerkiste zu locken. Diesmal flimmern die Shows sogar auf ganzen Hauswänden, man bräuchte eigentlich nur den Blick heben und ist  mittendrin in diesem Show-Wahnsinn, der seine schönste Eskapade nicht in den Spielen von Panem findet, auch nicht im Inselkampf Battle Royale (der ja vorher da war, wie wir nicht erst seit Tarantino wissen) und auch nicht während eines Todesmarschs (The Long Walk), bis der letzte wegknickt. Hier gibt es Freiwild, und dieses wird gejagt. Von einer Killer-Elite, oder vielleicht auch von tötungshungrigen Zivilisten, die zu viel The Purge gesehen haben. Dieses Freiwild ist unter anderen Ben Richards – der in Sachen Show wohl lieber sanftere Töne anschlagen wollte und nun mittendrin in der Show aller Shows steckt, wo die mangelnde Aussicht auf Erfolg Richards Frau mit dem Gedanken spielen lässt, als alleinerziehende Mutter weiterzustrudeln. Doch Geldnot verlangt den Pakt mit dem Teufel, und so muss Richards hauptsächlich eines: Untertauchen, ab und an ein Lebenszeichen von sich geben. Davonlaufen, wenn‘s knapp wird. Oder aber den Gegner um die Ecke bringen.

Do the Wright Thing

Jahrzehnte ist es her, da hat Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachmann neben The Long Walk eine weitere TV-Show-Dystopie verfasst. Wer hätte gedacht, dass für den Reboot mit dem smarten Schönling Glen Powell nun einer wie Edgar Wright auf dem Regiestuhl Platz nimmt – womöglich handelt es sich hier weniger um ein Projekt auf dessen Wunschliste, sondern eine gut bezahlte Auftragsarbeit weit jenseits der Originalität, die man von der Cornetto-Trilogie gewohnt ist. The Running Man ist ja schließlich auch kein Autoren- oder Independentfilm, sondern eine stattliche Studioproduktion, wo viele VIPs mitzureden haben und dann auch ihren Senf dazugeben, weil künstlerische Freiheit ja nichts ist, was sich zwingend gut verkaufen lässt. Genau das ist mehr als nur bemerkbar. Wäre es nicht Edgar Wright, wäre es jemand anders gewesen, und den Unterschied hätte, bis auf einige Szenen britisch-sarkastischen Teatime-Humor, niemand bemerkt. Was aber alles nicht heisst, dass The Running Man ein schlechter Film ist. Immerhin gelingt ihm eines: Gut zu unterhalten.

Der nahbare Sozialheld

Weder hat das Remake repetitive Szenen noch zum Augenrollen verleitende Szenen, die nicht mehr sind als Lückenfüller. Wright hält die Zügel straff, Action und Thrill in gesunder Balance und den Rest erledigt Powell. Mit dem Zynismus eines Wutbürgers, der statt nichts eben viel zu verlieren hat und der wie ein Berserker manchesmal in völliger Todesverachtung wie einst Bruce Willis im Nakatomi Plaza vor den Schießeisen der Killerbrigade herumtanzt, um doch noch zu entwischen, lässt Powell den trockenen Achtziger-Helden im Feinripp fast schon wiederauferstehen. So gesehen wäre damals vielleicht sogar wirklich einer wie Willis die bessere Wahl gewesen, weil hemdärmeliger, nahbarer und geerdeter als Arnie. Mit solchen Typen solidarisieren sich Action-Afficionados durchaus gerne, der Typ hat Sympathie, das Herz am rechten Fleck, und hat auch die Dreistigkeit eines Revoluzzers, den Mächtigen voller Inbrunst die eine oder andere – wie sagt man so schön – Gosche anzuhängen. Mit „Ich bin noch hier, ihr Kackfressen“ schlägt diese Jetzt-erst-recht-Manier wie „Yippie-Ya-Yay, Schweinebacke!“ auch aufs Publikum um, und schließlich will man wissen, zu welchen geradezu übermenschlichen Fähigkeiten der Knabe noch fähig sein wird.

Dass es am Ende stets zum obligaten Showdown kommen muss, nimmt dem ganzen etwas die Spontaneität, weil es dann doch so aussieht, als wäre vieles allzu konstruiert. The Running Man inhaltlich so aufzublasen, damit die Kritik an der Unterhaltungsindustrie nicht versandet, ist löblich, aber wäre im Endeffekt gar nicht notwendig gewesen. So haben wir wieder – im Gegensatz zum weitaus mutigeren The Long Walk – einen aufgestempelten Paradigmenwechsel, der aber mit gerechter Wut die mittlerweile auch im realen Leben existierende Konzern-Ohnmacht abwatscht.

The Running Man (2025)

Tallulah

FAMILIE ZUM AUSSUCHEN

7/10


Tallulah© 2016 Netflix


LAND / JAHR: USA 2016

BUCH / REGIE: SIAN HEDER

CAST: ELLIOT PAGE, ALLISON JANNEY, EVAN JONIGKEIT, TAMMY BLANCHARD, DAVID ZAYAS, ZACHARY QUINTO, JOHN BENJAMIN HICKEY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Im diesjährigen Oscar-Gewinner Nomadland klappert Frances McDormand mit ihrem Wohnbus durch die Weite der Vereinigten Staaten. Mehr Zuhause gibt‘s nicht. Ähnlich handhabt das Elliot Page im Netflix-Original Tallulah, auch hier ist der charismatische, transgendere Schauspieler (vormals Ellen) so ziemlich entwurzelt, und nur die eigenen vier Blechwände bieten Geborgenheit. Mit so einem Existenzmuster kommt man nicht weit, wenn man erstens sein eigenes Leben noch nicht mal begonnen hat und zweitens auch nirgendwo zu Geld kommt. McDormand, die hat zumindest vorab ein klassisch-geordnetes Leben geführt. Auch sind Gelegenheitsjobs das Um und Auf, um durchzubeißen, während die Verwandten für den Notfall in greifbarer Nähe weilen. Bei Elliot Page ist das nicht so – als Mädchen Tallulah hat sie zumindest einen Freund – der aber bald nichts mehr von dieser Art Leben wissen will und verschwindet. Aus einer gewissen Planlosigkeit heraus wendet sich die Vagabundin an dessen Mutter, zuerst erfolglos, dann aber mit Baby unterm Arm, welches klarerweise nicht ihres ist, was aber keiner weiß. Wie die Jungfrau kommt Tallulah zum Kind – und zu dem Schluss, dass manche Mütter zur Erziehung nicht geeignet sind.

Inszeniert und auch geschrieben hat diese Großstadtballade Sian Heder, die aktuell erst mit CODA, der Neuadaption des französischen Familienfilms Verstehen Sie die Béliers bei den Kritikern recht gut ankommt. Fürs Zwischenmenschliche scheint die us-amerikanische Filmemacherin ein Gespür zu haben, denn Allison Janney (Oscar für I, Tonya) und Page spielen zwar nicht Mutter und Tochter, entwickeln aber ähnliche Gefühle zueinander, die sich auch völlig schnörkellos aufs Publikum übertragen. Das fremde Baby ist der Kit, der Familien manchmal zusammenhält – oder neue entstehen lässt. Von wegen, Familie kann man sich nicht aussuchen – in Tallulah macht die sehr souverän dargestellte Improvisateurin die Probe aufs Exempel, auch wenn hier Gesetze gebrochen werden. Familie ist hier eine Institution, die sich nicht nur an den gemeinsamen Genen misst. Wie wichtig so eine Stütze sein kann, und wieviel eigentlich fehlt, ist davon keine Spur zu finden, erklärt Heder in ihrer aus eigenen Erfahrungen inspirierten Arbeit, die wiederum auf einem eigenen Kurzfilm beruht, ohne dabei selbst Partei zu ergreifen. Das geschieht beobachtend, durchaus mit Sympathie für ihre Figuren, jedoch ohne sie zu beurteilen. 

Tallulah ist interessantes Schauspielkino ohne Leerlauf, gehaltvoll und relativ meinungsfrei. Um so mehr lässt sich bei Betrachtung der Begebenheiten eine eigene – oder gar keine Meinung bilden, da der Kontext der Umstände viel zu viel Einfluss nimmt auf Richtig oder Falsch.

Tallulah