Heretic (2024)

WER GLAUBT, STIRBT SELIG

5,5/10


heretic© 2024 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: SCOTT BECK & BRYAN WOODS

CAST: HUGH GRANT, SOPHIE THATCHER, CHLOE EAST, TOPHER GRACE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Über Gott und Religion lässt sich lang und breit und scheinbar endlos diskutieren. Noch dazu ist es ein Thema, zu welchem ich mich nicht lange bitten lasse, um meinen Senf dazuzugeben. Ich hoffte schon, dass Anthony Hopkins als Sigmund Freud und Matthew Goode als Narnia-Schöpfer C. S. Lewis das diskussionsentfachende Thema mitsamt seiner Essenz aufs Tapet bringen würden. Der Film Freud – Jenseits des Glaubens war allerdings eine Enttäuschung. Denn gerade dann, wenn es verbal spannend wurde, quälten den Psychoanalytiker seine gesundheitlichen Gebrechen. In die Tiefe ging dieses Wortduell nie. Dafür aber lässt sich in Heretic genau das finden, wofür in Freud eben kein Platz mehr war: Den Diskurs um Gott, Glaube und Religion, ausgetragen von einem desillusionierten und geläuterten Theologen namens Mr. Reed, der im enthusiastischen Präsentationswahn naiven Gläubigen Gott behüte nicht die Leviten liest, diesen aber anhand gewiefter Anschauungsbeispiele so manche Glaubenssätze auszutreiben gedenkt. Während in Morton Rues Die Welle ein ehrgeiziger Lehrer versucht, anhand eines Selbsttests die Entstehung eines faschistoiden Systems zu veranschaulichen, macht ein besserwisserischer Zyniker ganz ähnlich die Probe aufs Exempel, um herauszufinden, wie leicht oder wie schwer es sein mag, aus dem Stand eine Instant-Glaubensgemeinschaft mit Wundern, Prophezeiungen und Leidenswegen zu errichten. Diesen Mr. Reed gibt ein völlig gegen das Image besetzter Hugh Grant, der im Endeffekt alles andere besser kann als den Charmeur in irgendwelchen RomComs zu spielen.

In Guy Ritchies The Gentlemen war er als linker Hund schon großartig, in Heretic legt er in Sachen Süffisanz und Subversion noch eins drauf. Mit Sicherheit aber ist dieser Mr. Reed kein Antagonist im herkömmlichen Sinn. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten: Er ist gar keiner. Obwohl Hugh Grant im Interview mit cinema behauptet hat, in seiner Rolle das höfliche Gehabe gegenüber den beiden jungen Mormoninnen, die da in sein Haus schneien, um ihre Gemeinschaft zu bewerben, nur vorzutäuschen: Die Figur des Mr. Reed ist im Grunde eine, die ihre Überzeugung genauso lebt wie ihr Gegenüber. Höflichkeit und gelebte Diskussionskultur sind daher auch kein Grund, um nicht auch unorthodoxe Pläne zu schmieden. Dieser Anstand ist also ernst gemeint – und klar, Mr. Reed verbiegt die Wahrheit gerne zu seinen Gunsten, wenn es zum Beispiel darum geht, die Haustür nicht mehr öffnen zu können, da sie einem zeitgesteuerten Mechanismus unterliegt. Doch im Grunde verfolgt er eine Agenda, die all jene remissionieren soll, die missionieren wollen.

Das sind also die beiden Schwestern Barnes und Paxton, die während eines herannahenden Schneesturms das traute Heim eines Gelehrten aufsuchen, um diesen zu belehren. Der aber macht das, was alle religiösen Türklopfer dieser Welt womöglich fürchten: Er sucht die Diskussion. Es braucht dann auch nicht viel, um Religion als das zu enttarnen, was sie eigentlich ist. Dass man dafür das Gesellschaftsspiel Monopoly unterstützend heranziehen kann, beweist Heretic in einer seiner besten Szenen. Die erste Hälfte des Films ist es auch, die das Zeug hat, das Genre des intellektuellen Horrorfilms innovativ zu erweitern. Denn manchmal reicht nur die Wucht einer Performance, wie sie Hugh Grant hinlegt, und ein ausformuliertes Skript, dass es wirklich wissen will. Als Kammerspiel wäre Heretic schließlich spannend genug – als reines Wortduell, welches den Horror der Widerlegung eines Gottes bereits in sich trägt. Doch leider wollen Scott Beck und Bryan Woods (u. a. 65 bzw. mitverantwortlich für das Skript zu A Quiet Place) mehr – obwohl das alles schon genug wäre. Sie wollen einen Horror bemühen, der in drastischeren Bildern lediglich nachkaut, was sowieso schon durchexerziert wurde.

Vergessen wir all die schleichende Suspense der ersten Hälfte. Als wäre man in einem Escape Room für die Frommen, konstruieren die beiden Filmemacher ein Psychospiel ohne Überzeugungskraft. Beklemmende Kellerparty und gespenstische Gestalten, dazu die Stimme Grants aus dem Lautsprecher, um die beiden gemarterten jungen Frauen durch ein Exempel zu führen, dass sich so umständlich anfühlt wie eine Liturgie auf Latein. Der Rest passt dann auch nicht mehr zu Mr. Reeds Charakterbild, obwohl Grant versucht, seine Rolle konsequent durchzuspielen. Es gelingt ihm auch, selbst Sophie Thatcher und Chloe East sind motiviert genug, durch die Hölle zu gehen. Die Conclusio am Ende der blutigen Bibelrunde birgt dann aber eine Erkenntnis, die, um sie zu erlangen, den ganzen um die Ecke gedachten Zinnober nicht gebraucht hätte. Das Wort hätte Wirkung genug gehabt.

Heretic (2024)

Dahomey (2024)

WENN ARTEFAKTE REDEN KÖNNTEN

5/10


Dahomey© 2024 Stadtkino FIlmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, SENEGAL, BENIN 2024

REGIE / DREHBUCH: MATI DIOP

CAST: GILDAS ADANNOU, HABIB AHANDESSI, JOSÉA GUEDJE U. A.

MIT DER STIMME VON: MAKENZY ORCEL

LÄNGE: 1 STD 8 MIN


In den Kinos und exklusiv auf dem Arthouse-Streamer MUBI läuft derzeit der Goldene Bär 2024: Dahomey. Eine transzendente, metaphysische Dokumentation oder etwas ähnliches, ein filmischer Hybrid, der sich keinesfalls traditionellen Erzählformen unterwirft, obwohl es ganz viel um Tradition geht. Und um Gegenstände, die diese Tradition, möge sie auch noch so althergebracht sein, verkörpern. Wohl wenigen wird Mati Diop womöglich etwas sagen. Jenen, welche die französisch-senegalesische Filmemacherin noch nicht kennen, sei ihr allegorischer Zombiefilm Atlantique schwer ans Herz gelegt. Ein immersives, ungewöhnliches Drama rund um Hoffnung, Flucht und Scheitern, berührender und fesselnder als das themenverwandte Ich Capitano, weil ihm vorallem eines gelingt: zu überraschen. Überraschungen sind im Kino wichtiger denn je. Viele Geschichten sind schon viele Male auf ähnliche Art erzählt worden. Betroffenheit da, Betroffenheit dort. Realismus ist bei Dingen, die die Welt bewegen, gar nicht mehr gefragt, denn den bekommt man ohnehin über das tägliche Fernsehen präsentiert. Das Kino kann gerne viel öfter in Metaebenen herumstreunen, herumschürfen, und das Drama der Menschheit als phantastische Märchen präsentieren, die aber immer noch aus weltlicher Materie gemacht sind.

Mati Diop hat mit ihrem neuen Film Dahomey – der Titel geht zurück auf die Bezeichnung eines Königreichs im heutigen Benin – schon so einiges gewonnen. Diesjährig auf der Viennale war das Werk krönender Abschluss eines innovativen Festivals. Inhaltlich geht’s dabei um Restitution und Wiedergutmachung. Und auch, ob sich das Verständnis von Geschichte im eigenen Land dadurch ändert, wenn verlorene Artefakte ihren Weg zurück in die Heimat finden. Betrachtet man diese Restitution an wertvollen Schnitzereien im richtigen Verhältnis, so sind 26 Exemplare von insgesamt 7000 gestohlenen Arbeiten geradezu lächerlich. Andererseits: 26 Stücke sind nicht nichts. Da sind mannsgroßge Statuen vergangener Könige dabei, wie jene der Monarchen Ghézo, Glélé oder Behanzin. Einen davon, König Ghézo, den John Boyega im Film The Woman King verkörpert, lässt Mati Diop zu Wort kommen. Ein tiefes, gurgelndes Grollen ist zu hören, erst nach ein einigen Sekunden lässt sich dieses abyssale Grummeln als eine uralte Stimme wahrnehmen, gesprochen vom haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel. Ghézo berichtet von einer fast hundert Jahre währenden Nacht, umschreibt sein Empfinden, umschreibt mit blumigen, hochtrabend poetischen Worten die Ankunft daheim. Meist ertönt diese Stimme als Hörspiel, da sonst nichts zu sehen ist außer vielleicht das dunkle Innere einer dieser Holzkisten, mit denen die Artefakte nach Cotonou transportiert werden, direkt in den Präsidentenpalast, um später ins Volkskundemuseum in Abomey umgesiedelt zu werden.

Klar ist so eine Rückführung ein Bekräftigen des Nationalbewusstseins eines Landes, das wie fast jedes in Afrika unter europäischen Kolonialherren gelitten hat. Benin selbst wurde von den Franzosen unterworfen. Diese nahmen sich, was Ihnen gefiel. Eine Schande und eine Schuld natürlich, die, warum auch immer, nicht schon längst getilgt wurde. Doch auf Schätzen sitzt nicht nur ein Drache, sondern auch ein stolzes Volk wie das der Franzosen. Als Verbrechen sieht Mati Diop das Ganze eher weniger, vielmehr als das Nachwehen einer unglücklichen Vergangenheit. Zu einem ganz anderen, recht einfallslosen Stil gelangt ihr Film vorallem dann, wenn sie diesmal keine Statue, sondern die Studenten einer Uni zu Wort kommen lässt. Dort wird über das Damals und Heute diskutiert. Über Geschichte, kulturelle Identität und der Arroganz Europas. All das mag ja ganz interessant sein. Durch Ghézos Stimme auch ein bisschen metaphysisch. Doch diese etwas mehr als eine Stunde Film bleibt schal.

Dokumentieren kann natürlich bedeuten, Orte, Handlungen und Gespräche einfach nur abzufilmen. Im zeitgeistigen Dokfilm behält man sein Publikum informationstechnisch gerne im Ungewissen. Ein hoher Prozentsatz an Fakten darf sich der Zuseher proaktiv selbst organisieren, denn tut er das nicht, bleibt künstlerisches Halbwissen als Pseudodokumentation, die keine Wissensbasis schafft, nicht mal unter Verwendung von Archivmaterial, das zu verwenden gerade in Dahomey naheliegend gewesen wäre. Doch Mati Diop wählt, ähnlich wie Sarah Jessica Rinland in Monólogo Colectivo, die Form des subjektiven Essays, ohne einen Bildungsauftrag erfüllen zu wollen. Dies zu erreichen obliegt wohl eher dem konservativen Fernsehformat und nicht dem Kino. Im Kino fühlt sich der Dokumentarfilm keinen Aufgaben mehr verpflichtet, das Genre zerfasert und zerfranst Richtung assoziativer Collage mitsamt informativer Einsprengseln. Nahe kommt man der Thematik dabei kaum, die Diskussionsrunde der Studenten in der zweiten halben Stunde ist so prickelnd wie ein Vorlesung, deren Inhalt repetitiv wird. So bleibt Dahomey zwar ambitioniert, aber bruchstückhaft.

Dahomey (2024)

Freud – Jenseits des Glaubens (2023)

ÜBER GOTT UND DIE WELT

4/10


Freud© 2024 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: FREUD’S LAST SESSION

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2023

REGIE: MATTHEW BROWN

DREHBUCH: MATTHEW BROWN, MARK ST. GERMAIN, NACH SEINEM THEATERSTÜCK

CAST: ANTHONY HOPKINS, MATTHEW GOODE, LIV LISA FRIES, JODI BALFOUR, JEREMY NORTHAM, ORLA BRADY, STEPHEN CAMPBELL MOORE, PÁDRAIC DELANEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Es ist Besuchszeit beim wohl berühmtesten Psychoanalytiker der Welt. Auch jetzt noch kennt ihn ein jeder, der Freud’sche Versprecher ist in den praktizierten Wortschatz eingegangen, Vater-, Mutter-, Ödipuskomplex und Penisneid nur wenige Dinge, die das menschliche Verhalten auf eine den Trieben unterworfenes zurechtstutzen. Der Sex ist bei Sigmund Freud allgegenwärtig, nichts passiert ohne ihn, alles mag Phallus oder Vulva sein, und so weiter und so fort. Dieser Freud wurde schon von vielen Schauspielern interpretiert, vor nicht allzu langer Zeit hat Regisseur Marvin Kren aus dem Doktor der Psychiatrie in der Serie Freud einen Kriminologen gemacht, der Altwiener Verschwörungen auf der Spur war. Viggo Mortensen hat Freud in Cronenbergs Eine dunkle Begierde gegeben, dort diskutierte er mit dem Psychiater Carl Gustav Jung. Nun ist Anthony Hopkins dran. Nach seinem Oscar für The Father ist die Lust des Jahrzehnte im Dienste der Filmwelt stehenden Charakterdarstellers am Verkörpern diverser historischer Figuren stärker denn je. Sogar in Roland Emmerichs Gladiatorenserie Those About to Die mischt er als Vespasian mit. Im Netflix-Biopic Maria als Herodes der Ältere, der später wohl den Kindsmord von Betlehem anordnen wird.

Hopkins ist in jedem Fall eine sichere Bank. Keine Rolle, an der er scheitert. Schon gar nicht an einem wie Sigmund Freud. Im Film steht dieser kurz davor, sein Leben zu beenden. Er wird dies einige Tage später auch tun, denn die körperliche Gesundheit spielt schon längst nicht mehr mit. Aufgrund von schmerzhaften Krebsgeschwüren in der Mundhöhle verbringt Freud die Tage vorallem mit Morphium, eingerührt in einen Drink. Tochter Anna gibt Halt, schmeißt für ihren alten Herren gar ihre Lesungen als Jugendpsychiaterin an der Uni. Anna scheint dem Übermenschen Freud unterworfen. Sie ist es, die der Vater duldet. Doch tanzen soll sie nach seiner Pfeife. Erschwerend kommt hinzu, dass Freud ein unabhängiges Leben seiner Tochter mit Freundin Dorothy (Jodi Balfour, For All Mankind) nur schwerlich akzeptiert. Doch Anna muss sich behaupten lernen.

Die Vater-Tochter-Problematik ist der eine Aspekt, die eine Seite dieses Films von Matthew Brown, der auf dem Theaterstück Freud’s Last Session von Mark St. Germain beruht. Die andere Seite ist der Besuch des Schriftstellers C. S. Lewis, der später berühmt und bekannt werden wird durch sein mehrteiliges Fantasyepos Die Chroniken von Narnia. Weswegen der Mann eigentlich bei Freud aufschlägt, wird nie ganz klar. Sucht man dabei nach den Fakten, wird Lewis als Gast in den biografischen Notizen Freuds nie namentlich erwähnt. Doch seis drum, schließlich ist es ein Film, der gerne mutmaßen und zugunsten der Dramaturgie verändern darf. So steht also der hochgewachsene Matthew Goode im mit allerlei Skulpturen diverser Gottheiten aus der Weltgeschichte angeräumten Arbeitszimmer des famos aufspielenden Anthony Hopkins und schickt sich an, mit dem Alten über die Existenz des einen wahren Gottes zu diskutieren. Das Problem: Das Gespräch kommt nie in die Gänge. Würde ich über Gott philosophieren, und ja, das tue ich leidenschaftlich gerne, so ist es damit wirklich nicht getan, lediglich die Frage aufzuwerfen, warum der Allmächtige alles zulässt, und mit dieser scheinbaren Fahrlässigkeit desjenigen seine Abwesenheit zu begründen. Das alles ist lediglich Smalltalk. In die Materie dringen beide niemals ein, dabei hätte ich gehofft, sie würden die Essenz dieses Disputs berühren und darin herumwühlen. Ich hätte gehofft, sie würden, stets an der Kippe zum ausgewachsenen Streit, ihr jeweils eigenes Weltbild wanken sehen. Dann hätte Freud – Jenseits des Glaubens zum Thriller werden können. Zum existenzialistischen Kammerspiel. Wird er aber nicht. Das Gequatsche bleibt oberflächlich, und die meiste Zeit ist Freud ohnehin damit beschäftigt, seine Schmerzen zu lindern. Zwischendurch schielt der Film in die Vergangenheit von ihm und Lewis, doch auch das sind nur Momente, die nur dazu da sind, die Trockenheit eines Dialogfilms zu erfrischen.

Überraschend ist in diesem Film Liv Lisa Fries Auftritt als Tochter Anna. Doch anders als in Babylon Berlin oder In Liebe, Eure Hilde bleibt die deutsche Schauspielerin unerwartet blass, so, als wüsste sie, neben einem Schauspielgiganten wie Hopkins sowieso nicht zu bestehen. Der mächtige Schatten des Stars verschluckt sie förmlich, die Nebenhandlung rund um ihre lesbische Liaison wäre Stoff genug für einen eigenen Film. Doch Freud – Jenseits des Glaubens will weder das eine Dilemma noch das andere vertiefen. Der Diskurs über Gott und Anna Freuds Vatertrauma werden beide zur Randnotiz. Ein Film also, der an den Themen vorbeieilt, keine Essenz findet und lediglich Anthony Hopkins in Erinnerung belässt. Als einen, der immer noch alles spielen kann.

Freud – Jenseits des Glaubens (2023)