Elio (2025)

SCIENCE-FICTION DURCH KINDERAUGEN

5/10


© 2025 Disney/Pixar. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MADELINE SHARAFIAN, DOMEE SHI, ADRIAN MOLINA

DREHBUCH: JULIA CHO, MARK HAMMER, MIKE JONES

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): YONAS KIDREAB, ZOE SALDAÑA, REMY EDGERLY, BRANDON MOON, BRAD GARRETT, JAMEELA JAMIL, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Sind wir allein? Kommt ganz drauf an. Sind wir allein auf dieser Welt? Mitnichten. Sind wir allein im Universum? Womöglich auch nicht. Lässt sich dann angesichts dieser Prämisse denn behaupten, man könnte gar in den Weiten des Kosmos einen Freund fürs Leben finden? Im Kino ist alles möglich. Da dienen Wurmlöcher und Warp-Antriebe dazu, extreme, rein theoretisch niemals überbrückbare Distanzen zu überwinden, um sich in die Arme zu schließen. Dem kleinen Waisenjungen namens Elio Solis gelingt das. Er genießt das seltene Glück, zu erkennen, dass der Mensch nur eine von vielen Lebensformen ist, die das Universum bevölkern. Die Tatsache versetzt ihn zwar mitunter in Staunen, so, als würde man zum ersten Mal auf den Rummel gehen oder in den Zirkus, doch man sieht auch – mit etwas anderem hat Elio eigentlich gar nicht gerechnet. Liegt es daran, weil er fest daran geglaubt hat?

In weiterer Folge werden wir dem lateinamerikanischen Knirps dabei zusehen, wie er als Botschafter der Erde versucht, einen martialischen Aggressor im Krustentier-Kostüm in die Schranken zu weisen. Die Seele eines Diplomaten steckt in unserem Titelhelden, noch dazu hat er das Glück, sich mit Glordon anzufreunden, dem Sohn des finsteren Oberbosses, der auch so gerne in den Reigen des Communiverse aufgenommen werden will, doch aufgrund seiner kriegstreibenden Gesinnung wohl eher außen vorgelassen wird. Das erinnert doch irgendwie an Putin und die Lage in Europa, oder nicht? Versteckt Pixar hier ein geopolitisches Gleichnis? Mag sein oder auch nicht: Diese Kränkung will der zähnefletschende Wurm nicht hinnehmen, und Elio hat alle kleinen Hände voll zu tun, eine Lösung zu finden, da der friedfertige Rest diverser Planetenbewohner keinerlei Ideen hat, wie man mit so jemanden umgeht.

Identitätsfindung vs. Weltenfrieden

Liest man die Reviews auf diversen Plattformen, ist von Entfremdung, Isolation und Anderssein die Rede; von Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Freundschaft. Uff, ja, schön und gut, einiges davon steckt in jedem noch so gearteten Familienfilm, der jemals von Disney und Pixar produziert wurde. Das alles steckt auch gefühlt in jedem anderen Kinderfilm, in jeder anderen Kinderserie, in jedem anderen Kinderbuch. Elio bemüht sich nicht einmal, diese juvenilen Bedürfnisse erzählerisch zu variieren, sondern liefert eine überraschend simple, ich will nicht sagen banale, aber herkömmliche Geschichte ab, die zu den vielleicht höher gesteckten Erklärungszielen wie Entfremdung und Isolation viel zu wenig zu sagen hat. Die aufkeimenden Konflikte sind absehbar, deren Lösung nicht minder vorhersehbar – für die ganz Kleinen bleiben eine Handvoll erhellende, gar tröstende Erkenntnisse, alles in kindgerechter Aufmachung, runden Formen und weichen Linien, mit ganz vielen Farben, jeder Menge Leuchten und Glitzern. Erwachsene ermüdet das schnell, da es nichts gibt, dass sich – bis auf ein paar dezente Filmzitate und markigen Gesten, die auf Klassiker der SciFi verweisen – an ein anderes Publikum richtet, das nicht mehr als zwölf Lenze zählt. Warum dieser extreme Schwenk in eine Richtung, die den kreativen Köpfen hinter diesem aufwendig animierten Streifen kaum Raum für tollkühnen Spirit bietet? Von Meisterwerken wie Alles steht Kopf, Soul oder Wall-E ist man weit entfernt – Filme wie diese handeln von abstrakteren, universelleren, auch zukunftskritischen Dingen, selbst die Toy Story-Abenteuer rund um liebgewonnenes Spielzeug bemühen sich um augenzwinkernde Geschichten, mit Gespür für Ironie, Herzlichkeit und unerwarteten Wendungen. Elio hat zwar jede Menge Feel-Good-Vibes, doch die großen narrativen wie emotionalen Ideen fehlen. Elio probiert Bewährtes, denkt nicht um die Ecke, lässt mehrdeutigen Humor zu großen Teilen vermissen.

Wie Elio zu Beginn des Films am Strand liegt und sich abholen lassen will, weil die Welt, in der er lebt, keinen Platz für ihn hat – genau dort findet Pixar noch nachhause, hier variieren die Macher die Themen Entfremdung und Deplatziertheit auf liebevolle Art und Weise. Spätestens beim Erscheinen einer ganzen Riege irdischer Tiefseekreaturen nachempfundener Wesenheiten, die generische Persönlichkeiten besitzen, außer eben Freund Glordon, der auf die Butterseite der Charakterentwicklung fiel, erfährt das Abenteuer eine gewisse Beliebigkeit, zeichnet eine wenig autarke Story zwischen Der Flug des Navigators (ein Jugendfilm-Highlight der 80er) und Guardians of the Galaxy. Gerade bei letzterem denke ich an Peter Quill aka Star Lord, der nach dem Tod seiner Mutter von Außerirdischen ähnlich abgeholt wird wie Elio. Marvel-Einflüsse sind unübersehbar, was zur Folge hat, dass Pixar sich wieder tiefer in den Schoß der Disney-Mutter kuschelt, zumindest in diesem Fall.

Das will nicht heißen, dass ich nun auf Alles steht Kopf 3 warte – sondern auf das Finden einer neuen Inspirationsquelle, auf erfrischendes Gedankengut und vielleicht auch auf ambivalentere Charaktere. Selbst Kindern, und gerade Kindern, ist sowas längst zuzumuten.

Elio (2025)

Rot

EIN KNUDDEL IM ZWINGER

7,5/10


rot© 2021 Disney/Pixar. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: DOMEE SHI

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): ROSALIE CHIANG, SANDRA OH, AVA MORSE, HYEIN PARK, MAITREYI RAMAKRISHNAN, ORION LEE, WAI CHING HO U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Ein Kind soll Kind sein dürfen. In der elterlichen Obhut gibt’s anfangs sowieso wenig ernsthaften Spielraum, um aus der Rolle zu fallen. Der Anbruch des Teenageralters ändert dann aber so einiges. Die Obhut wird lästig, die Erziehungsnormen zum Gähnen – das Entdecken der eigenen Skills, der eigenen Gefühle und der eigenen Vorlieben lässt Erziehungsberechtigte lieber in der Ecke stehen – ein zugewiesenes Plätzchen, das selbige im Grunde wahrnehmen sollten, aus Liebe zum Nachwuchs. Rat und Beistand on demand gibt’s dafür rund um die Uhr. In so manchen Kinderstuben ist so ein Ansatz nicht mal Grund zur Diskussion, wenn Traditionen und Dogmen die Freiheit rauben, ob religiös motiviert oder einfach nur vererbtes Zeremoniell. Disney hat beim Thema Coming of Age – wie das Subgenre rund um heranreifende Teenies in Kultur und Medien genannt wird – momentan einen Narren gefressen. Erst zu Weihnachten sind der mit nonkonformistischen Verhaltensweisen gesegneten Mirabel aus Encanto die vererbten Wunderkräfte alles andere als in den Schoß gelegt worden. Ihre Rolle in der Welt hat sich die Gute erst erarbeiten müssen – singend und tanzend und die klappernde Villa Madrigal erforschend. Vor den Wurzeln aller Probleme – der Erziehung – macht Disney keinen großen Bogen mehr. Konflikte in der Familie gehören ausgetragen. Es ziemt sich nicht mehr, den Psychoschmarrn der Eltern mitzutragen. Neudefinition ist die Devise, ohne hilfesuchend zurückzublicken.

In einer ähnlichen Dysfunktionalität, die nach außen hin perfekten Frohsinn versprüht, bohrt auch der neue Pixar-Streifen Rot herum. Wie in Encanto fungiert auch hier, im Toronto des 21. Jahrhunderts, ein aus der Zeit gefallenes Matriarchat als Hemmschuh für einen befreiten, selbstbestimmten Lebensentwurf. Disney folgt dabei einem streng erdachten und trendeigenen Vokabular aus Minderheiten- und Frauen-Quote, das durch seine Dominanz alles Männliche zur kleinlauten Randfigur schrumpft. Mal sehen, wie lange noch diese Schräglage mit politischer Korrektheit begründet werden kann, doch momentan will der Mauskonzern mehr als nur alles richtig machen.

In diesem Fall ist Mei Lee ein Mädchen mit asiatischem Migrationshintergrund, gut in Mathe und offen für alles, was momentan im Trend liegt. Diese Leidenschaft für K-Pop (BTS lassen grüßen) und Social Media teilt die aufgeweckte Achtklässlerin mit ihren drei Freundinnen, die alles versuchen, um Karten für das anstehende Boyband-Konzert zu ergattern. Wenn der charakterlich liebevoll ausgearbeiteten Mädchenclique im Manga-Stil die kugelrunden Äugleins vor Begeisterung verschwimmen, wird bei Disney das Gefühl für Zeitgeist großgeschrieben. Währenddessen aber ist unser dreizehnjähriger Star des Films ein emotionales Hormonbündel schlechthin, reift langsam zur Frau und entfesselt ob ihres Gefühlschaos einen riesengroßen, knuddeligen roten Panda, der allerdings sie selbst ist. Ein Fluch? Ein Segen? Was soll dieses Wunder der Gestaltwandlung, für welches sich Mei Lee zunehmend schämt und wovon auch bald Helikoptermama Ming Lee Wind bekommt? Was gar nicht gut ist, denn dieser Bär, der überall für Aufsehen sorgt, ist ein jahrhundertealtes Geheimnis, das unterdrückt werden muss.

Das geht in aufgeklärten Zeiten wie diesen eigentlich überhaupt nicht. Für diese Freiheit, flügge zu werden, bricht Pixar gleich mehrere Lanzen und sucht den Konflikt der Generationen ohne Scheu davor, eingerostete Mutterrollen aus der Reserve zu locken. Das gelingt besser als in Encanto, ist dynamisch, launig und melodramatisch. Und überraschend kausal. Statt gemeinsam als Übermutter und Tochter bei der psychosozialen Familienberatung aufzuschlagen, tut’s die Sache mit dem Problembären, der als liebevoll ausgestaltete Symbolik (jeder mag Pandabären, die schwarzen so wie die roten) Dominanz und juvenile Auflehnung an einen Tisch bringt. Pixar gibt sich dabei trotz so einigem märchenhaften Disney-Zauber nicht mit plotbedingten Floskeln zufrieden, sondern führt den Konflikt recht spielerisch und unbelastend zu einem familiären Wendepunkt, der einen Neuanfang verspricht.

Rot