Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

SCHREIBEN UND LIEBEN

7/10


bachmanninderwueste© 2023 Alamode Film


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, LUXEMBURG 2023

REGIE / DREHBUCH: MARGARETHE VON TROTTA

CAST: VICKY KRIEPS, RONALD ZEHRFELD, TOBIAS RESCH, BASIL EIDENBENZ, LUNA WEDLER, MARC LIMPACH, ROBERTO CARPENTIERI, KATHARINA SCHMALENBERG U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Ich sage es gleich vorweg – und ja, ich weiß – Bildungslücke: Ingeborg Bachmann ist mir natürlich ein Begriff, doch letztlich kenne ich nichts von ihr, weder Hörspiel noch Lyrik noch Prosa. Den Zugang zu ihren Werken fand ich nie, auch war mir Sartre ‘scher Expressionismus und das Absurde Theater deutlich näher als das Euvre der in Klagenfurt am Wörthersee geborenen literarischen Größe, die Zeit ihres Lebens bereits, und das kann man so sagen, Starruhm genoss. Was noch nicht war und ist, kann sich ändern – Der gute Gott von Manhattan, Bachmanns letztes Hörspiel, werde ich mir vermutlich demnächst zu Gemüte führen.

Wie Ingeborg Bachmann selbst gewesen sein mag? Die öffentliche Person kennt man ja, und ihre Briefwechsel mit anderen künstlerischen Größen wie Paul Celan sind längst verlegt und sogar schon, von Ruth Beckermann, unter dem Titel Die Geträumten, als semidokumentarische, szenische Lesung verfilmt worden. Ihre Beziehung zu Max Frisch? Für Margarethe von Trotta, bereits erfahren mit Portraits bekannter Frauenfiguren, ist diese Zeitspanne ihres Lebens und Leidens zumindest einen Film wert. Was dabei aber deutlich ins Auge fällt, ist der bekennende Umstand, nur bruchstückhaft in einer schriftstellerischen Zweisamkeit aufgeräumt zu haben. Viel wichtiger scheint es bereits am Anfang des Films oder sogar schon kurz nachdem Ronald Zehrfeld als Wuchtbrumme von Schriftsteller die Szene betritt, Ingeborg Bachmann selbst von allem loszulösen, was sie bedrängen könnte. Nur, um ihr ein Portrait zu widmen, ein ebenfalls nur fragmentarisches, dafür aber greifbares und dank des unaufdringlichen und zurückhaltenden Spiels von Vicky Krieps auch raumschaffendes Psychogramm, das zur passiven Mitarbeit des Zusehers einlädt. Immer wieder brechen Zitate aus Bachmanns Feder, wie zum Beispiel Es seien nicht immer die Mörder, sondern manchmal die Ermordeten schuldig oder Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar wie Leitsätze als etwas, das gehört werden sollte, ins Bild. Titel wie Die gestundete Zeit oder Das dreißigste Jahr, aus welchem Krieps alias Bachmann dann auch vorliest, dienen dem Film dazu, nicht nur den Charakter der Künstlerin zu umreissen, sondern diesen auch inmitten ihres Schaffens lose, aber doch, zu verankern.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste beginnt auch damit, die Autorin in die Wüste zu schicken, mitsamt ihres damaligen Freundes und auch Partners Adolf Opel, der später seine Erinnerungen an diese besondere Reise unter dem Titel Landschaft, für die Augen gemacht sind 1996 veröffentlichen wird. Dort soll sie sich vor allem von einer destruktiven Beziehung mit dem Schweizer Max Frisch erholen, der ihr anfangs noch das Blaue vom Himmel versprochen und sie später sitzen gelassen hat, vielleicht für eine andere, vielleicht aber auch, weil zwei Größen wie diese mit kaum übersehbarem Ego unter einem Dach kaum Platz finden. Leben, wie diese eben gewesen waren, aufteilen – und das Dasein als Künstlerin oder Künstler beschneiden, zur Ermöglichung einer harmonischen Zweisamkeit? Geht natürlich nicht, doch wo die Liebe und das Begehren hinfällt, hat der Alltag mal vorerst Sendepause. Irgendwann kehrt auch dieser zurück, und allmorgendlich muss Bachmann das quälende Hämmern Max Frischs in die Schreibmaschine über sich ergehen lassen. Mit diesem qualvollen Geklopfe beginnt auch der Anfang vom Ende – relativ früh zwar, aber dafür langsam, dahinsiechend, voller Eifersucht von Seiten des Mannes, voller Sehnsucht Bachmanns nach Rom, ihrem Elysium – für Frisch unmöglich, dort zu leben.

Das besitzergreifende, manische Wesen des formatfüllenden Zürcher Dramatikers mag von Ronald Zehrfeld vielleicht etwas ausufernd und überspitzt dargeboten sein – zumindest aus Bachmanns Sicht könnte diese subjektive Wahrnehmung ihres Partners diesem verzerrten Bild entsprechen. Bachmann selbst bleibt wie bereits erwähnt in kettenrauchender, leiser Melancholie – gleichzeitig unnahbar und dadurch faszinierend verführerisch. Im Interieur der Sechziger verharrend, mag manches einem Verhaltensmanierismus geschuldet sein, doch sind diese Oberflächlichkeiten nicht immer ein Fehler. Durch dieses Illustrieren gelingt der Zugang zu einer (zumindest für mich) unbekannten Persönlichkeit deutlich leichter. Von Trottas Film mag auch Bachmann für Anfänger sein – Literaten mit viel mehr auf der Habenseite werden sich vielleicht über die schlichte Struktur dieses Films wundern, für mich findet sich in Krieps Spiel Sehnsucht, Kummer und Leidenschaft einer komplexen, nicht einfachen Person, die ihrer Zeit weit voraus war und das Hausfrauenverständnis eines Max Frisch untergraben konnte – einfach, weil sie als unkorrumpierbare, unverbiegbare Avantgardistin sich selbst treu blieb und das Selbstbewusstsein einer Frau lebte, die wusste, wo und was ihre Stärken waren.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

Inside (2023)

MIT SCHIELE IM BUNKER

6/10


inside© 2023 SquareOne Entertainment


LAND / JAHR: GRIECHENLAND, DEUTSCHLAND, BELGIEN 2023

REGIE: VASILIS KATSOUPIS

DREHBUCH: BEN HOPKINS

CAST: WILLEM DAFOE, GENE BERVOETS, ELIZA STUYCK U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Als Kunstdieb hat man’s heutzutage nicht leicht. Oft lassen sich so manche Werke gar nicht mehr richtig in die Tasche packen, denn sie sind zu groß, bestehen lediglich aus einer oder mehreren Video-Installationen oder gefallen sich selbst sehr als unförmige Gebilde, die in den Raum ragen. Da hat man es als Kunstdieb schon leichter, sich einfach nur ein oder mehrere Egon Schiele-Originale unter den Nagel zu reißen. Natürlich muss man wissen, wo man suchen muss. Am besten in irgendwelchen schicken Edelappartements, in denen alles, angefangen von der Sprinkleranlage fürs Pflanzenbiotop bis hin zur Temperaturregelung, automatisiert ist. Wenn das Smart Home aber mal spinnt, könnte es zugehen wie in Jean-Pierre Jeunets Satire Bigbug – oder in der Escape Room-Schnitzeljagd Inside vom griechischen Dokufilmer Vasilis Katsoupis. Hat man, wie dieser eben, eine One-Man-Show vor sich, braucht es jemanden, der jede noch so schräge Rolle mühelos stemmen kann: Willem Dafoe – Film-Chamäleon und Alleskönner. Ob leidenschaftlicher Van Gogh oder Ekelpaket unter David Lynch. Ob Teil des MCU oder Liebkind von Abel Ferrara: Dafoes Spektrum ist so breit gefächert, da sieht man die Enden nicht, da kann man tun, was man will. Natürlich ist ein Film wie Inside etwas, das kann er nicht ausschlagen. Schon gar nicht, wenn die Figur des Kunsträubers Nemo umgeben ist von sündteuren Exponaten, die allesamt in einer steril-kalten Museumswohnung hängen, die aussieht, als wäre sie das Mumok in Wien. Da sind die Schiele-Bilder nur kunsthistorische Draufgabe, wenn der ganze Rest, der die Wände, Böden und ganze Räume schmückt, den letzten Marktschrei rausbrüllen.

Zugegeben, ich kannte bis auf Schiele keinen der Künstlerinnen und Künstler, die in diesem Film vertreten sind. Ich bilde mir ein, schon mal was von Maxwell Alexandre gehört zu haben, dem Basquiat von Rio. Seine Bilder stechen mir als erstes ins Auge (nebst Schiele), es folgen die Farbklekse des John Armleder, die grotesken Tesafilm-Klebebilder eines Maurizio Catellan (von ihm würde ich gern mal eine ganze Ausstellung sehen) oder die Fotografien von Adrian Paci – um nur einige zu nennen (im Abspann sind sie alle angeführt), welche die zeitgenössische Kneipp-Kur durch das prall gefüllte Interieur einer steinreichen Familie von Welt, die gerade woanders weilt, nur nicht hier, als Bilder- und Kunstquiz bereichern. Es kann auch sein, dass Dafoes Figur gar nicht alles kennt, was er hier zu sehen bekommt, entsprechend fahrlässig geht er später mit diversen Designermöbeln um, die zweckentfremdet werden.

Dieser Nemo also schafft es im letzten Moment leider nicht, mit den Schieles im Schlepptau die heiligen Betonhallen zu verlassen, da spielt auch schon das Sicherheitssystem verrückt, da der Kollege am anderen Ende des Funks den falschen Code schickt. Panzerglas schiebt sich vors Fenster, der Alarm geht an, niemand kann weder rein noch raus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Klimaanlage denkt, sie müsse einheizen, und Nemo bei 30° Celsius steigend seine grauen Zellen anstrengen darf, um eine Lösung zu finden, die Kunstfalle zu entschärfen. Und so sehen wir Willem Dafoe zu, wie er, schwitzend, dürstend, nach Nahrung suchend und mit der Außenwelt kommunizieren wollend, langsam durchdreht. Der Kerl hat zwar den freien Blick nach draußen auf die Skyline einer Großstadt, kann den Eindruck der Freiheit aber nicht nutzen. Das Wechselbad der Isolation gebiert eine von Dafoe geschaffene, ganz neue Kunst, indem er all das, was sich irgendwohin transportieren lässt, neuen Bestimmungen zuführt. Vieles wird zu Kleinholz, selbst die Fische im Aquarium werden zu Sushi. Der Berg aus Möbelstücken und Regalen ist eine Rauminstallation für sich, die inmitten eines Museums Besucher anziehen könnte. Ein bisschen wie Spoerri, ein bisschen wie Erwin Wurm. Der Kunstdieb wird zum Schöpfer seines eigenen Œuvre, das er letztendlich hinterlassen wird.

Inside ist weniger die Chronik eines Ausbruchs, denn dafür lässt sich Katsoupis viel zu viel Zeit. Ginge es ihm nur darum, Willem Dafoe entfliehen zu lassen, wäre der Film in zehn Minuten auserzählt. So schwer ist das nicht, hier eine Lösung zu finden. Mitunter wundert man sich mit Nachdruck, warum manche Initiativen, die offen auf der Hand liegen, nicht ergriffen werden. Es scheint, als würde Dafoes Figur bewusst das Erlangen seiner Freiheit hinauszögern, vielleicht, weil er den Prozess des Schaffens als erstes rauslassen muss, bevor er selbst, als physisches Individuum, an die Reihe kommt. Das mag dem ganzen Szenario durchaus etwas die Spannung nehmen, denn auf Zug ist Inside eben nicht inszeniert. Vielmehr auf Zögern, Hadern und Zeittotschlagen, ohne das Ziel vor Augen wirklich erreichen zu wollen.

Inside (2023)

Asteroid City (2023)

UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER ANDERSON-ART

6,5/10


asteroidcity© 2022 Pop. 87 Productions LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: WES ANDERSON

DREHBUCH: WES ANDERSON, ROMAN COPPOLA

CAST: JASON SCHWARTZMAN, JAKE RYAN, SCARLETT JOHANSSON, TOM HANKS, JEFFREY WRIGHT, TILDA SWINTON, BRYAN CRANSTON, LIEV SCHREIBER, MATT DILLON, EDWARD NORTON, MAYA HAWKE, STEVE CARELL, RUPERT FRIEND, ADRIEN BRODY, WILLEM DAFOE U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Trost und Hoffnung liegen in den Sternen. Und auch die Erkenntnis, als Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums zu sein. Mit diesen sozialphilosophischen Überlegungen im Retro-Hartschalenkoffer hat sich Regie-Exzentriker Wes Anderson, der langsam schon zu seinem eigenen Manieristen wird, in die Wüste aufgemacht, genauer gesagt in den fiktiven Ort namens Asteroid City. Als Städtchen lässt sich diese Ansammlung an wenigen Häuschens kaum bezeichnen, als kleiner Touristenmagnet für Hobby-Astronomen allerdings schon. Zum Glück liegt das Kaff auch an einer Durchzugsstraße, an welcher immer mal wieder vor der Exekutive flüchtende Gauner verfolgt werden, mit lautem Tatü-Tata. Doch sonst hängt eine pastellfarbene Idylle über einem Mikrokosmos, der sich fast schon anfühlt wie Barbie-World, nur mit weniger Pink und einem weiteren Farbspektrum, dieses allerdings stark verdünnt.

Doch immerhin: So waren sie, und so sieht man sie auch, die 50er Jahre. Wer sich noch an die alten Werbetafeln erinnern kann, wird darin Andersons Stil wiedererkennen. Dazu zählen schmucke Automobile, die Diner-Restaurantkultur und kuriose Artefakte aus dem Club der jungen Erfinder und Geistesriesen, die zur alljährlichen Meteoriten-Gedenkfeier ihre bahnbrechenden Erfindungen präsentieren. So gut wie alles trifft sich an diesen Tagen an diesem Ort. Manche tun das freiwillig, manche weniger. Witwer Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) und seine Kinder zum Beispiel – die haben eine Autopanne und müssen bleiben, bis Opa (Tom Hanks) sie abholt. Dann ist da die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson), die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton) und der Country-Musiker Hank (Rupert Friend) – um nur einige zu nennen. Und dann passiert das: Die unheimliche Begegnung der dritten Art. Oder eben: wie Wes Anderson sie interpretieren würde. Als kurios-liebevolles Puppenspiel kombiniert mit Real-Acting. Mit einem Alien, dass seltsamerweise an Max Schreck erinnert. Und der nostalgischen Rückbesinnung an Zeiten, in denen die USA zufrieden waren mit ihrer Allmacht und noch nicht ganz zufrieden mit dem Wettrüsten zum Mond. In welchen die USA den Zwischenfall von Roswell schon acht Jahre lang erfolgreich unter den Teppich gekehrt haben und der technologische Fortschritt zumindest in Science-Fiction Filmen gerade Fahrt aufnahm. Eine Zeit, gleichzeitig so unschuldig und schuldbeladen. Festgefahren in diesem Hin und Her steckt dann auch die ganze skurrile Gesellschaft, verharrend in einem von der Regierung verordneten Lockdown, um den extraterrestrischen Besuch geheim zu halten. Natürlich funktioniert das nicht, das Alien kam wie gerufen und wird zur Leitfigur gedichteter Kinderlieder und zum Schnappschuss eines Kriegsfotografen.

Das ist wieder ganz schön viel auf einmal, wie bei Anderson üblich. Und dennoch geht ihm ein Stoff wie dieser leichter von der Hand als in seinen letzten Filmen, die aus meiner Sicht viel zu gekünstelt und überfrachtet waren und unter ihren Ambitionen, das Setzkastenprinzip voller Anekdoten einfach vor dem Publikum auszuleeren, fast schon erstickten. Asteroid City atmet die Wüstenluft ohne diesen Druck auf der Brust. Mit Schwartzman und Familie als Dreh- und Angelpunkt des Films bewegt sich Anderson nicht ganz so weit von seiner eigenen Geschichte weg, findet aber andererseits auch nicht wirklich zu einer sich weiterentwickelten Story, die auch eine gewisse Wandlung an ihren Protagonisten vornehmen würde. Beides geschieht nicht, für beides ist auch keine Zeit, denn aus welchen Gründen auch immer muss der geschmeidige Lauf einer Science-Fiction-Dramödie aufgrund einer Metaebene unterbrochen werden, die hinter die Kulissen blickt und all die Stars, die wiederum Schauspielerinnen und Schauspieler darstellen, in 4:3 und Schwarzweiß nochmal vorführen, inklusive des Schreiberlings hinter dem Stoff, welches eigentlich ein Theaterstück sein soll, wir aber als Film sehen.

Und das ist das Problem an Andersons Filmen: Er hält sich nicht nur mit Szenen auf, die für das große Ganze eigentlich keinerlei Nutzen haben und auch nicht interessant genug sind, um für sich selbst zu stehen. Er legt seinem Ensemble auch noch Textkaskaden in den Mund, die als reißender Wortschwall über die Szene hereinbrechen und eine eigene schräge Note lukrieren sollen, die aber lediglich als stilistisches Symptom ganz schön viel kreative Makulatur in alle Himmelsrichtungen schleudert. Das Zuviel und zu Irrelevant macht Andersons Filme manchmal anstrengend. Klammert man diese überhöhte Künstlichkeit aber aus, lässt sich unter all dem Klimpim eine augenzwinkernde, leise und liebevoll parodierende Zeitkolorit-Komödie entdecken, die Leute einander über den Weg laufen lässt, die sonst nichts, aber eines verbindet: die tröstende Erkenntnis, im Universum nicht allein sein zu müssen.

Asteroid City (2023)