The Ballad of Lefty Brown

NUR EIN MANN UND KEIN BEFEHL

6/10

 

x-default© 2018 EuroVideo

 

LAND: USA 2018

REGIE: JARED MOSHÉ

CAST: BILL PULLMAN, KATHY BAKER, JIM CAVIEZEL, PETER FONDA, TOMMY FLANAGAN, DIEGO JOSEF U. A.

 

Er zieht bei Weitem nicht schneller als sein Schatten, seine Stiefel sind bar jeglicher Blutspuren und wenn man so will, so hat der Teufel mit diesem Mann zwei linke Hände: der ewige Zweite, der Sancho Pansa des Wilden Westens, der devote Diener seines Herrn, das ist Lefty Brown. Allein auf weiter Flur ein Taugenichts, der immerhin nicht vom Pferd fällt uns ganz gut schießen kann. Lefty Brown ist eine treue Seele, die zwar daran scheitert, Verantwortung zu übernehmen, die aber zu Stelle ist, wenn Not am Mann ist, wenn Lynchjustiz mal wieder spruchreif wird oder ruchlose Mörder gefasst werden müssen. Der Gang zum Gericht ist dann eher etwas für Zimperliche – an der Seite von Altstar Peter Fonda (wann habe ich ihn zuletzt wohl in einem Film gesehen?) wird das Strafmaß an Ort und Stelle verhängt und exekutiert. Dieser Peter Fonda, ein Querkopf mit latent aggressiver Moral, darf dann auch nur nicht mehr als einen Gastauftritt absolvieren, denn so jemand, der Tacheles redet, irgendwo im Outback, der bleibt nicht lange gesund. Lefty Brown sitzt plötzlich alleine im Sattel und weiß vor lauter Eigenverantwortung nicht mehr, wo beim Pferd vorne und hinten ist.

Es darf geahnt werden, dass die Erfolgstangente von Zero to Hero relativ planmäßig gezogen wird, nicht umsonst nennt sich vorliegender Western The Ballad of Lefty Brown, denn eine Ballade, die rezitieren kommende Generationen auch nur dann, wenn Ruhm und Ehre auf den Schultern des Besungenen liegen. Der stets verschlafen wirkende Gammler mit dem ungepflegten Franz-Josef-Gedächtnisbart hat also freie Bühne, um zu beweisen, dass auch er trotz fälligen Ruhestands noch dazulernen und so manches, was bislang in so einem patscherten Leben alles schiefgelaufen war, wieder geradebiegen kann. Diese Rolle des gutherzigen, verschrobenen und anfangs relativ unselbständigen Verlierers, die hat der ewig als Nebendarsteller gebrandmarkte Bill Pullman übernommen. Gut, es gibt manches Filmwerk, da hat Pullman durchaus mehr zu sagen, zum Beispiel Lost Highway. Sogar als Präsident im alieninvasorischen Independence Day konnte er lautstark das Volk gegen den Aggressor mobilisieren. Als Lefty Brown zieht der Charaktermime aber alle Register seines Könnens und darf zumindest im Heimkino wohl die beste Performance seiner Karriere vorlegen.

Es ist vor allem Pullman´s Mimik, die unruhigen Blicke, das fahrige Gebärden. Sein Lefty Brown ist ein konfuser Chaot, der angesichts des Schicksals mit rudernden Armen versucht, die innere Mitte zu finden. Klarheit über das eigene, verpfuschte Leben, das plötzlich Sinn macht. Darstellerisch ist das großes, psychologisches Kino, und das in einem eher biederen Rachewestern, der naturgemäß und auf konventionelle Parameter bedacht Schwarz und Weiß malt, und nur scheinbar zufällig Grautöne mit hineinmischt. Klar, dass der gestelzte Manschettenträger Jim Caviezel, den man auch erst auf dem zweiten Blick erkennt, gehörig Dreck am Stecken hat. Auch wenn so manch Gutmensch der Prärie mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hat – unter ihrem plakativen Pathos lassen sie sich alle relativ leicht zuordnen. Independentfilmer Jared Moshé findet für seinen selbst geschriebenen Selbstjustizwestern Bildnisse ockerfarbener Wildnis bis hin zu ausgewaschenem Gelb. Dazwischen eine Farm im Nirgendwo, und das obligate Kaff, in dem sich Recht und Unrecht die Flinte zuwirft. Lefty Brown, obwohl er mit sich selbst genug zu hadern hat, scheint es plötzlich mit der ganzen Welt aufzunehmen, wie ein plötzlich erleuchteter Don Quixote im Unterkleid und mit nichts als der idealen Vorstellung von Gerechtigkeit im zauseligen Hinterkopf.

The Ballad of Lefty Brown bequemt sich als Western alter Tradition, ist ein Abgesang auf den Sturm und Drang draufgängerischer Junghelden und ein Loblied auf das alte Eisen, das dem Pferd immer noch die Sporen gibt, wenn es denn sein muss. Über allem die einnehmende Solo-Performance Bill Pullman´s, die den Film überhaupt erst richtig sehenswert macht.

The Ballad of Lefty Brown

Colossal

MONSTERMÄSSIG DANEBEN BENOMMEN

7/10

 

colossal© 2017 Universum Film

 

LAND: SPANIEN, KANADA, USA, SÜDKOREA 2017

REGIE: NACHO VIGALONDO

MIT ANNE HATHAWAY, JASON SUDEIKIS, DAN STEVENS, TIM BLAKE NELSON U. A.

 

Wirklich mal so richtig die Sau rauslassen. Sich einfach gehen lassen. Wer würde das nicht gern? Vor allem dann, wenn vieles einfach nur stinkt. Und sich das Leben gerade von seiner abstoßendsten Seite zeigt. Da würde man gerne mal so wie Michael Douglas als D-Fens in Falling Down den Alltag einer Großstadt unsicher machen. Aber bei den meisten von uns sind das lediglich zollfreie Gedanken, die sich davor hüten, Wirklichkeit zu werden. Ausnahmen gibt es leider. Amok an Schulen, Amok auf Brücken, Weihnachtsmärkten, bevorzugt zu touristischen Stoßzeiten. Diese Individuen, sie kotzen sich aus, auf Kosten der anderen. In vollem irrationalen Bewusstsein entfesseln sie ein Monster, das alles zerstört, was ihm in den Weg kommt. Wie ein Golem, ein Frankenstein, der ausbricht und eine Spur der Verwüstung durch die urbane Landschaft zieht. Und dann gibt es aber Leute, deren Leben sich zwar auch auf Talfahrt befindet, die aber nicht merken, dass ihr entfesseltes Monster nicht weniger gebärdungsfreudig durch die Straßen strolcht und das Leben anderer beeinflusst. Man kann sich also nicht so einfach gehen lassen. Nicht, wenn es die Freiheit des anderen einschränkt. Und genau das wäre meine Prämisse für eines der kuriosesten Filmerlebnisse der letzten Zeit.

Der spanische Regisseur Nacho Vigalondo muss womöglich Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, die in ihrer egomanischen Ignoranz nicht nur sich selbst, sondern auch andere ruiniert haben. Die in ihrem andauernden Kreisen um ihre eigene Person vergessen, dass das Menschsein vor allem eines ist – Leben in der Gemeinschaft. Das beginnt bei der Partnerschaft und reicht bis zum Miteinander aus Sicht der Weltbevölkerung. Es wäre wirklich wünschenswert, die Selbstreflexion bei all diesen Mitmenschen, die uns umgeben, als selbstverständlich zu erachten. Doch was nicht ist, wird zumindest nicht in absehbarer Zeit besser. Besser wird’s auch nicht im Leben von Anne Hathaway, die sich als arbeitslose Mittdreißigerin so ziemlich hängen und das Chaos walten lässt. Geregeltes Leben – Können vor Lachen. Und weil sie die Geduld ihres Lebenspartners über die Maßen strapaziert, fliegt sie auch in hohem Bogen aus der Wohnung – und kehrt ins verlassene Familienheim ihrer Kindheit zurück. Der Rezession nicht genug, trifft sie auch noch ihren alten Schulfreund, mit dem sie fortan abhängt und maximal als Teilzeitkraft in dessen Bar zu kellnern beginnt. Von da an wird’s skurril. Und es wäre zu vermuten, Drehbuch-Extremist Charlie Kaufman hätte wiedermal ordentlich in die Tastatur gehauen. Denn ein gigantisches Monster, ein Kaiju quasi, erscheint wie aus dem Nichts in der südkoreanischen Stadt Seoul. Das Phänomen ist weltweites Tagesthema Nr. 1 und dominiert die Schlagzeilen rauf und runter. Unglaublich, das sowas passiert, denkt sich Hathaway. Denken sich alle. Bis die verantwortungslose Dame erkennt, dass zwischen ihr und dem gigantischen Wesen eine Verbindung besteht.

Das klingt schrecklich bizarr, fast so abstrus wie Being John Malkovich. Jedenfalls gelingt es diesem Werk, zwei Filmgattungen zu kombinieren, die im Grunde überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Ein gewagter Mix, muss man schon sagen. Als würde die Monsterschau Pacific Rim die Verträglichkeitsprüfung für ein Young Adult-Psychodrama bestehen. Zugegeben, Action-Nerds werden sich ziemlich wundern – und enttäuscht von dannen ziehen. Der Pacific-Rim-Part hat schon seine Wucht, dient aber nur dazu, die Irrationalität menschlichen Verhaltens und der Bezwingung kenternder Lebensumstände Gestalt zu verleihen. Jason Sudeikis als unberechenbarer Sonderling fernab jeglichen Brachialhumors bietet einer entzückend konfusen Hathaway ordentlich Paroli – und auf welchem Wege und wie unerwartet sich die Sache weiterspinnt, ist faszinierend, wenn auch teilweise genauso konfus wie die Welt der beiden Freunde aus Kindertagen.

Colossal ist dennoch so versponnen wie erlebenswert. Nichts, was man schon gesehen hat. So einzigartig wie die Filme von Spike Jonze und so irritierend wie ein lebhafter Traum, dessen Stimmung man in den nächsten Tag mit hineinnimmt. Mag sein, dass meine Prämisse gar nicht das ist, was Vilagondo bezwecken wollte. Doch wie bei surrealen Gemälden oder dem Kino von David Lynch und ähnlich gelagerten Konsorten kann keine Interpretation wirklich falsch sein, vorausgesetzt man findet eine.

Colossal