Rumours (2024)

AM GIPFEL DER HOHLEN PHRASEN

6,5/10


rumours© 2024 Viennale


LAND / JAHR: KANADA, DEUTSCHLAND 2024

REGIE: GUY MADDIN, EVAN & GALEN JOHNSON

DREHBUCH: EVAN JOHNSON

CAST: CATE BLANCHETT, CHARLES DANCE, NIKKI AMUKA-BIRD, DENIS MÉNOCHET, ROY DUPUIS, ROLANDO RAVELLO, TAKEHIRO HIRA, ALICIA VIKANDER, ZLATKO BURIĆ U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Politik ist in erster Linie eines: Zugang zu Macht. Hat man sich diese mal für eine Legislaturperiode gesichert, gibt es die Wahl zwischen dem Agieren fürs Allgemeinwohl, um die Lebenssituation derer zu verbessern, für die man sich verantwortlich zeichnet. Und der Verfolgung ganz persönlicher Agenden zur Umsetzung idealistischer und völlig am Begehren des Volkes vorbeigehender Ziele. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Bereicherung an Wohlstand und Ansehen, sonst nichts. Welchen Weg wohl diese sieben Kapazunder gewählt haben, die anlässlich eines G7-Gipfels im deutschen Dankerode zusammengekommen sind? Vielleicht sind sie ja auch nur des Regierens müde geworden. Und haben sich frei nach dem Peter-Prinzip so sehr an die oberste Kante gelebter Menschheitsgeschichte gepusht, dass sie, angekommen am Ende der Nahrungskette, ihr Politprogramm längst ausgehöhlt haben.

Die lieben Sieben sind: Deutschlands Kanzlerin Hilda Ortmann, in welcher Cate Blanchett wohl weniger eine Reminiszenz an Angela Merkel sieht als vielmehr die ganz offensichtliche parodistische Verzerrung einer Ursula van der Leyen. Die britische, reicht eifrige Premierministerin Cardosa Dewinth (Nikki Amuka-Bird), der viel zu alte amerikanische Präsident Edison Wolcott (Charles Dance), dauermüde, neben der Spur und ganz klar Joe Biden imitierend, der sich beim letzten Schlagabtausch mit Donald Trump im Fernsehen ähnlich präsentiert hat. Wer sich hier noch eingefunden hat: Der italienische Premier, ein Schnorrer unter dem Herrn. Der französische Präsident (Denis Ménochet), der über Sonnenuhren philosophieren wird. Und Japans Polit-Oberhaupt als die farbloseste Gestalt in diesem tolldreisten Reigen der Phrasendrescher, die sich im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens einer globalen Krise stellen müssen. Welcher Natur diese sein mag, darüber lässt sich nur mutmaßen. Doch vielleicht hat sie mit den Moorleichen zu tun, die in der Nähe des Anwesens gefunden wurden. Vielleicht ist bereits jetzt schon das Ende der Menschheit nahe. So genau weiß man das nicht. So genau wissen es nicht mal die G7, denn was sie auszeichnet, ist ihre erschreckende Inkompetenz darin, konstruktive Strategien zu erarbeiten. Ehrlich: Wer will das schon an einem lauen, alkoholreichen Abend mit gutem Essen? Wer will das schon, wenn die amourösen Sorgen des labilen, kanadischen Premierministers viel interessanter scheinen? Der wird schließlich verkörpert von Roy Dupuis. Mit langer grauer Mähne und dem Auftreten als Frauenheld und Schwerenöter, stets an der Kippe zur romantisch motivierten Weinerlichkeit, lenkt er die liebevoll-sarkastische Weltuntergangs-Satire Rumours in eine Richtung, die schon Stanley Kubrick mit Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben eingeschlagen hat. In dieser Nacht der lebenden Toten oder der zum Tode verurteilten Lebenden ist die Symphonie der leeren Worte das Requiem auf einen kolportierten Fortschritt, der nur so tut, als ob er die Dauerprobleme der Menschheit in den Griff bekommt.

Das Regie-Trio Guy Maddin (bislang wohl eher bekannt für experimentelles Kino wie The Green Fog) sowie Evan und Galen Johnson haben eine diebische Freude daran, den Mächtigen dieser Welt Grips und Wort zu stehlen. Oder aber: die Politik dahinter als das zu entlarven, was sie stets zu sein scheint: Die Liebesmühe pflichtbewusst verfasster Schulaufgaben unwilliger Unterstufler.

Doch das Wortspiel, die privaten Befindlichkeiten, das Geplänkel allein – das alles reicht nicht. Rumours lässt die Oberen durch den deutschen Wald irren, lässt sie Hirn finden und Alicia Vikander, die nur schwedisch spricht. Das Ensemble der Sieben wird dabei zusehends entindividualisiert und zum Sinnbild ihrer Staaten, die sie vertreten. Immer abstrakter wird das Spiel, zur satirischen Karikatur eines Landes mit all seinen Klischees werden Blanchett, Charles Dance und Co. Diese Klischees aber haben einen erschreckend wahren Kern. Und wenn sich dieser ganz offenbart, ist es längst zu spät. Für sie und für uns alle.

Ein schneidend spaßiger Film ist Rumours geworden, das Endzeitabenteuer der Wichtigen, die ihre Prioritäten nicht mehr erkennen, mit Hang zum Genre des Phantastischen.

Rumours (2024)

Moloch

DAS FLÜSTERN IM MOOR

6,5/10


moloch© 2022 Splendid Film


LAND / JAHR: NIEDERLANDE 2022

REGIE: NICO VAN DEN BRINK

BUCH: NICO VAN DEN BRINK, DAAN BAKKER

CAST: SALLIE HARMSEN, ANNEKE BLOK, MARKOES HAMWER, AD VAN KEMPEN, EDON RIZVANOLLI, JACK WOUTERSE, ALEXANDRE WILLAUME-JANTZEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Sie sind schon faszinierend: Moorleichen, die Jahrhunderte – wenn nicht gar jahrtausendelang – luftdicht verpackt unter einer Torfschicht gelegen haben und dann, unter welchen Umständen auch immer, ans Tageslicht treten. Sobald dies passiert, sollte man vorsichtig damit umgehen – an der Luft beginnt die Zersetzung, und irgendwann sehen die friedlich schlafenden, braunhäutigen Zeitzeugen nicht mehr so moorfrisch aus wie im Moment ihrer Entdeckung. Am beeindruckendsten ist der in Dänemark gefundene Tollund-Mann, rund 2000 Jahre alt. „Fun Fact“ am Rande: Moorleichen sind nicht selten Menschenopfer. Die niederländische Horrormär Moloch macht sich diesen Umstand zu eigen und schenkt den gewaltsam aus dem Leben geschiedenen Zeitgenossen endlich die gebührende Screentime. Ist es zuerst nur eine Leiche, sind es später mehrere. Allesamt sind es Frauen aus unterschiedlichen Generationen, und allesamt tragen sie die erkennbaren Zeichen ihrer Tötung: Eine senkrecht aufgeschlitzte Kehle. Schaurig genug, das Ganze. Aber es kommt noch dicker.

Denn nahe dieses vor allem in der Dämmerungszeit nebelverhangenen mystischen Ortes wohnt die alleinerziehende Betriek mit ihrer Tochter bei ihren Eltern im Haus ihrer Kindheit. Diese dürfte, wie wir bereits in der ersten Szene des Filmes erfahren, nicht ganz so gewaltfrei abgelaufen sein. Im Keller des Hauses wird besagte Betriek nämlich Zeuge eines schaurigen Mordes, und Regisseur Nico van den Brink zögert auch nicht, hier gleich mit klassischen Elementen aus dem Horrorkino in die Vollen zu gehen. Blut rinnt von den Wänden, als wären wir bei Shining. Unmenschliche Geräusche durchdringen die Holzlatten, während sich das kleine Mädchen, vor Schreck erstarrt, die Ohren zuhält. Nach diesem Schrecken schaltet van den Brink wieder einen Gang zurück, um einen folkloristischen Spuk ins Rollen zu bringen, der tief verankert zu sein scheint in der niederländischen Sagenwelt, von der wir hier in Österreich wenig bis gar nichts wissen. Recherchiert man hier online, stößt man kaum auf irgendwelche Einträge, welche die Legende von Freike und Helen zum Thema haben – außer eben in Moloch, und so schließt sich der Kreis der Ahnungslosigkeit, hätten wir diesen Film nicht, der uns sogar anhand eines von Kindern aufgeführten Theaterstücks die ganze Phantastik aus dem Torfmoor näherbringt.

Mit dem Freilegen der in schmerzlicher Aufbäumung verharrten Leichen scheint auch ein Kreislauf in Gang getreten zu sein, der Betrieks Mutter fast das Leben kostet: Ein wildfremder Mann dringt ins Anwesen ein und setzt alles daran, die betagte Dame über den Jordan zu schicken. Warum tut er das? Wie es scheint, dürfte er von einer geheimnisvollen Macht dazu gezwungen worden sein. Das Opfer der Attacke zeigt sich allerdings nicht sonderlich verstört – irgendwie kommt die Begebenheit nicht nur Beitrik bekannt vor, die sich naturgemäß Sorgen macht und dem Grund für das Verhalten des Fremden auf die Spur kommen will. Dabei stößt sie auf eine ruhelose Macht, die in ihrem Pakt mit etwas noch Größerem gefangen zu sein scheint, während sich jenseits des Nebels eine ganz andere Entität ihren Weg in die traute Familienidylle bahnt.

Moloch – das ist weniger eine Großstadt, in dessen Chaos und Sünde man versinkt, sondern vielmehr eine mit Stierkopf dargestellte Versinnbildlichung von Opferriten aus der Antike des Nahen Ostens. Wie diese Symbolik Einzug in die Niederlande gefunden hat, ist zwar etwas weit hergeholt, aber soll so sein. Anscheinend gibt es diese Legende wirklich. Nico van den Brink zeigt sich begeistert von der Tatsache, die Faszination für Moorleichen mit zelebriertem Volksglauben zu verknüpfen, der als immerwährendes Tauziehen zwischen transzendenten Kräften inszeniert wird. In diesem Dilemma steckt eine Familie, die wahrlich so einige Tragödien durchmachen muss. Und dennoch, trotz der teilweise intensiven, manchmal auch etwas überhöhten Dramatik, bleibt Moloch zwischendurch so erstaunlich nüchtern wie ein durchschnittliches Familiendrama um Neuanfang und Verarbeitung von Traumata, das man womöglich anderswo mit mehr Gespür für zwischenmenschliche Interaktion hinbekommen hätte.

Manche Stimmen meinen, der niederländische Horror sieht seine entfernte Verwandtschaft in Ari Asters Hereditary – Das Vermächtnis, doch mit Sicherheit (und ohne, dass ich Hereditary kenne) bleibt Moloch viel eher den bewährteren Grusel-Versatzstücken treu – plakativ, versehen mit aufdringlichen Soundeffekten und etwas plumpen Jumpscares, die ein bisschen nerven, weil sie gar so mit der Tür ins Haus fallen. Dezente Schaurigkeit zu verbreiten ist nicht van den Brinks Stärke. Die liegt viel eher in der stimmig auserzählten Geschichte, die auf perfide Art zwar, aber in einer gewissen Makellosigkeit die letzten Konsequenzen akzeptiert. Wer also auf Moore, Nebel und darin herumgeisternde Gestalten steht, ist bei Moloch gut aufgehoben.

Moloch