Paddington in Peru (2024)

JÄGER DER VERLORENEN TANTE

5,5/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: DOUGAL WILSON

DREHBUCH: MARK BURTON, JON FOSTER, JAMES LAMOUT

CAST: BEN WISHAW, HUGH BONNEVILLE, EMILY MORTIMER, MADELEINE HARRIS, SAMUEL JOSLIN, JULIE WALTERS, OLIVIA COLMAN, ANTONIO BANDERAS, JIM BROADBENT, CARLA TOUS U. A.

SPRECHER (DEUTSCH): ELYAS M’BAREK

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Der nun mittlerweile zum jungen „Mann“ gereifte Bär aus peruanischen Landen mag in diesem Abenteuer zwar seinen Ursprung haben – seine Bestimmung aber dürfte in der schillernden Hauptstadt des British Empire zu finden sein, im Kreise der Familie Brown, die das heimatlose Fellknäuel zwei Filme zuvor bei sich aufgenommen hat, ganz so wie seinerzeit die Familie Tanner den verhaltensoriginellen Pelz-Alien namens Alf. Nur: Paddington oder Mr. Brown ist kein phantastisches, oft unartiges Wesen mit Sinn für weltliche Gelüste, sondern ein sprechender und denkender Bär, der vorzugsweise auf den Hinterbeinen wandelt und seltsamerweise nicht allzu viel Aufsehen erregt – so, als wäre es das Normalste auf der Welt, wenn eine lebendig gewordene Tierfabel so tut, als wäre sie ein Mensch. Diese märchenhaften Geschichten aus dem klassisch-bürgerlichen London von seiner schönsten Seite stammen aus der Feder von Michael Bond. Zweimal wurde der kauzige Sonderling, den man einfach ins Herz schließen muss, auch wenn er die Wohnung und so manche gesellschaftliche Gewohnheit auf den Kopf stellt, von Paul King auf erfrischende Weise verfilmt. Das Publikum war begeistert, also war alles nur eine Frage der Zeit, bis Teil Drei über die Leinwand flimmert.

Diesmal aber ist manches anders. Die Oberhoheit über den Familienbären hat King aus seinen Händen gegeben, womöglich war für den Filmemacher Zeit für Neues. Mit Paddington war er wohl durch, genauso wie Sally Hawkins (The Shape of Water), deren berührend-warmherziges Auftreten dem animierten Bären fast schon – oder tatsächlich auch – die Show gestohlen hat. Hawkins ist eine unvergleichlich reizende Person und war die ideale Bezugsperson für jemanden wie Paddington. Beide ergänzten sich prächtig, beide entwickelten Synergien, die dem guten alten, humorvoll-besinnlichen Erzählkino alle Ehre erwiesen. Anstelle von Hawkins übernahm Emily Mortimer. Und obwohl letztere durchaus ihr Metier beherrscht – der zarten, einnehmend emotionalen Britin kann sie nicht mal ansatzweise das Wasser reichen. Für Paddington in Peru ist das wohl der größte Verlust im Ensemble. Und schließlich merkt man auch: Regisseur Dougal Wilson ist schließlich auch nicht Paul King. Statt einem kauzig-schrägen Stadtabenteuer in London mit augenzwinkerndem Understatement liefert der zweite Aufguss eine kindgerechte Indiana-Jones-Schnitzeljagd quer durch den kindgerecht gezähmten peruanischen Dschungel, mitsamt pinkfarbener Vogelspinne und seltsamen Gewächsen, die ordentlich piksen.

Ach ja, der aalglatte Erlebnisfilm handelt von der Suche Paddingtons nach seiner Tante Lucy, die sich ihrerseits auf die Suche nach dem sagenumwobenen El Dorado gemacht hat. Die ganze Familie Brown ist mit von der Partie und muss mit einem zwielichtigen Reiseführer, den Antonio Banderas herzhaft überzeichnet verkörpert, genauso auskommen wie mit vermeintlich freundlichen Nonnen, die ebenfalls in eigenem Interesse tätig werden. So mancher Story-Twist wirkt dabei wie aufgelegt und absehbar, die Kinder aber mögen staunen, welche Haken der Trip durch den Dschungel hier schlägt. Doch letztlich ist das Abenteuer zu konstruiert, die Charaktere zu sehr angeleitet, der Humor berechnet. Die Seele von Michael Bonds Welt, sie mag im Dschungel etwas die Orientierung verloren haben.

Paddington in Peru (2024)

Queer (2024)

IM SCHWEISSE KOSMISCHEN ANGESICHTS

7,5/10


queer© 2024 MUBI


LAND / JAHR: ITALIEN, USA 2024

REGIE: LUCA GUADAGNINO

DREHBUCH: JUSTIN KURITZKES, NACH DEM ROMAN VON WILLIAM S. BURROUGHS

CAST: DANIEL CRAIG, DREW STARKEY, JASON SCHWARTZMAN, LESLEY MANVILLE, ANDRA URSUTA, MICHAËL BORREMANS, DAVID LOWERY, HENRY ZAGA, DREW DROEGE U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Sieht man sich das schauspielerische Oeuvre von Daniel Craig an, so fällt auf, dass gerade seine finanziell erfolgreichste Rolle des 007-Agenten James Bond im Grunde wohl am wenigsten das schauspielerische Können des smarten Briten illustriert. Seine Bond-Interpretation mag etwas stiernackig und verbissen wirken – ein Charakter, den Craig liebend gerne gegen andere tauscht, die dem Image des charmant-chauvinistischen Actionhelden zuwiderlaufen oder dieses geradezu konterkarieren. Die schmissige Hercule Poirot-Hommage des Benoit Blanc aus Knives Out war da schon ein erster Schritt in die für Craig ideale Richtung. Jetzt kommt das Sahnehäubchen obendrauf, jetzt darf der lange im Dienste der Broccolis gestandene, leidenschaftliche Akteur Dinge tun, die Tür und Tor aufstoßen in eine regenbogenfarbene Vielfalt an verlorenen, verkorksten, herumirrenden Gestalten, die sich in ihren Schwächen verlieren. Und dies mit ausgesuchter Leidenschaft.

Luca Guadagnino, seines Zeichens Meister im Abbilden verlorener Sehnsüchte – siehe Call Me By Your Name – weiß, was er gewinnt, wenn er Craig besetzt. Für ihn ist dieser ein in hellen Leinenanzügen gekleideter, ungehemmt dem Alkohol und allerlei Drogen zugetaner Privatier mit Fedora auf dem Kopf und genug Geld in den Taschen, um den lieben Gott tagelang einen guten Mann sein zu lassen. Aufgrund seiner Liebe zu rauschigen Stoffen aller Art hat William Lee den Staaten der Rücken gekehrt. Hier, in einem pittoresken, fast unwirklichen Mexiko City der Fünfzigerjahre, ist das Leben ein ewiger Zyklus aus Barbesuchen, Aufrissen und Trunkenheit. Was Lee allerdings begehrt, sind, wie der Titel schon sagt, Männer knackigen Alters, die des Nächtens für die nötige Süße sorgen sollen. Eine Affäre folgt der anderen, bis der Ex-Soldat Eugene Allerton (Drew Starkey aus Outer Banks) Lees Wege kreuzt. Ab diesem Moment ist es aus und vorbei mit der kunterbunten Auswahl an Bettgesellen. Eugene bedeutet mehr, obwohl dieser, eigentlich hetero, nur des Geldes wegen mit dem betuchten Lebemann ins Bett steigt. Alles sieht danach aus, als wäre diese Romanze zum Scheitern verurteilt, als eine gemeinsame Reise in den Dschungel Perus nebst schweißnassem Entzug auch die Entdeckung eines Rauschmittels mit sich bringt, die das Leben der beiden für immer verändern wird.

Die Vorlage zu Queer lieferte 1985 niemand geringerer als der Meister der literarischen Beat-Generation: William S. Burroughs. Der Konnex zum Kino: Dessen Kultbuch Naked Lunch, ein als unverfilmbar geltendes Sammelsurium an Grenzerfahrungen durch Drogeneinfluss, hatte sich Anfang der Neunziger David Cronenberg zu Herzen genommen. Guadagnino kann es besser. Sein psychologisches Drama einer Reise ins Unbekannte war dieses Jahr der Überraschungsfilm der Viennale und ist deutlich leichter verständlich als der zu Papier gebrachte bizarre Wahnsinn aus Tausendfüßern, Alienwesen und kriminellen Verschwörungen. Daniel Craig liefert in der ersten Hälfte des Films, die sich handlungsarmen Betrachtungen hingibt, dafür aber auf Stimmung setzt, das grenzlabile, psychologisch durchdachte Portrait eines Ruhelosen und Verlorenen, einer zutiefst einsamen Seele, die dem wahren Glück näherkommen will, indem sie sich überall sonst, nur nicht in sich selbst verliert. Der bittersüßen Liebesgeschichte schenkt Craig das schmachtende, fieberhafte Zittern eines Süchtigen. Guadagnino lässt dabei, wie schon in Call Me By Your Name, malerischen Sex unter Männern nicht zu kurz kommen. Hier ist er ein Ausdruck von Nähe und weniger die pure Befriedigung.

Es wäre aber nicht Burroughs, wenn dieses flirrende Delirium von Film nicht vollends in einen surrealen Albtraum kippen würde, der im tropischen Dschungel den irreversiblen Schritt in halluzinogene Welten wagt, um hinter den Vorhang des Realen zu blicken. Queer wird zum selbstvergessenen Horrortrip, verrückt bebildert, kosmisch aufgeladen und bewusstseinsverändernd. Wie Guadagnino diese Brücke schlägt, ist gewagt, gelingt aber dank Craigs beharrlichen Ego-Eskapaden so überzeugend, als hätte Captain Willard aus Apocalypse Now am Ende seiner Reise festgestellt, General Kurtz gäbe es nur in seiner vom Kriegswahn gezeichneten Vorstellung. In Queer ist es der Drogenwahn, dem man am liebsten zu zweit frönt. Und so eigentümlich dieses Psychodrama sich auch anfühlt – so, als könnte man sich kaum etwas Erbauliches mitnehmen aus diesem Dilemma – sickern Filme wie Fear and Loathing in Las Vegas ins Gedächtnis: Auch dieser nur ein Trip in die fantastischen Welten psychedelischer Substanzen.

Guadagninos Psycho-Abenteuer ist eine Überdosis Burroughs – der Wahnsinn kommt nicht überraschend. Sein existenzialistischer Schlussakkord wiederum erinnert an Lovecraft. Oder, um es anders auszudrücken: Der transzendente Abenteuerfilm ist zurück. Und Craig gibt ihm Seele.

Queer (2024)

Jungle

MUTTER NATUR IM NACKEN

6,5/10

 

Photo Editor© 2017 Splendid Film GmbH

 

LAND: USA 2017

REGIE: GREG MCLEAN

MIT DANIEL RADCLIFFE, THOMAS KRETSCHMANN, ALEX RUSSEL, YASMIN KASSIM U. A.

 

Welcome to the Jungle ist als Abenteuer-Euphemismus mal prinzipiell völlig falsch. Willkommenskultur kennt der Dschungel nämlich keine. Wer sich da hineinwagt, ist selber schuld. Als Dschungel wird mal über den Kamm geschoren alles bezeichnet, was einem tropischen Regenwald gleichkommt. Unwegsames Gelände, frei von Forstwirtschaft. Wo alles kreuz und quer wächst, was halt eben so wächst. Und wo sich Fuchs und Hase keine Gute Nacht wünschen, sondern auffressen. Klar gibt’s da auch diverse Levels im Ökosystem. Vom Convenience-Tropenwald für Öko-Ausflügler bis zu El Dorado als Stecknadel in einem Heuhaufen, der lebensfeindlicher nicht geht, der aber als Hot Spot der Arten im Grunde alle Stücke spielt – Der Amazonas. Der ist ja an sich „nur“ der Fluss, als Amazonas wird aber mittlerweile die gesamte grüne Lunge Südamerikas bezeichnet. Und die ist seit Menschengedenken ein metaphysisches Mysterium voller Legenden, Gefahren und One-Way-Tickets. Letztes Jahr war ich selbst am Rio Negro. Und ja – der kleine Teaser eines möglichen großen Abenteuers war berauschend genug.

Yossi Ghinsbergh war anfangs einer, der mit beiden Tickets in den Dschungel ging. Als Weltenbummler Anfang der Achtziger hat der Israeli schon so einiges von der Welt gesehen. Aber noch niemals so wirklich einen Dschungel. Welch ein Glück, dass ihm ein gewisser Karl begegnet – ein windiger Typ, ein Lonesome Cowboy, ein Aussteiger par excellence, so geheimnisvoll wie unberechenbar. Gemeinsam mit zwei anderen Reisegefährten macht sich Yossi auf ins neue Abenteuer – auf der Suche nach einem verborgenen indigenen Stamm mitten im Nirgendwo. Klar kommen die drei Reisenden in Anbetracht der fehlenden Erfahrung im Dschungel aller Dschungel wie die Jungfrau zum Kind. Wer die grüne Hölle nicht irgendwie einzuschätzen weiß, ist gefundenes Fressen. Also müssen die Burschen in jeder Hinsicht an ihre Grenzen gehen, bis sie sich trennen und der dubiose Karl mit einem der drei den Rückweg antritt – während Yossi und sein Compagnon auf einem Floß flussabwärts weiter ihr Glück probieren. Natürlich geht auch das schief. Der Worst Case tritt ein und die beiden verlieren und verirren sich. Wobei die True Story aus Sicht des Israelis erzählt wird. Und der ist fortan auf sich allein gestellt, irgendwo im Grünen, verloren und verdammt, im Kreis zu gehen, zu hungern und zu dürsten, sich von Ameisen beißen zu lassen oder als Wirt für Parasiten herzuhalten. Vom Jaguar verfolgt oder vom Regen durchnässt zu werden. Jungle ist ein Abenteuerdrama, das zeigt, wie sehr man die Natur nicht unterschätzen darf.

Für diesen Brutal-Exkurs nach Tatsachen, die auch in dem von National Geographic verlegten Bericht Dem Dschungel entkommen nachzulesen sind, hat sich niemand anderer als der erwachsen gewordene Harry Potter verpflichtet. Daniel Radcliffe, der immer noch verzweifelt versucht, das Brandmal des Zauberkünstlers von seiner Stirn zu wischen, glänzt in herausfordernden Rollen, die nicht jeder bereit wäre zu spielen. Wie Robert Pattinson dürfte Radcliffe seine kommende Schauspielkarriere im gehobeneren Independent-Sektor gut aufgehoben wissen. Schauspielern kann er ja, und ich persönlich folge Radcliffe – ob als furzenden Halbzombie oder ausgemergelten Überlebenskünstler – bei seinen filmischen Challenges wirklich gerne. Für Jungle hat sich Radcliffe Christian Bale´s Entbehrungsbereitschaft bei Werner Herzog´s Rescue Dawn abgeguckt – am Ende des Survivalthrillers ist der junge Brite kaum mehr zu erkennen, so lehmverkrustet und abgemagert stolpert er durch die prachtvolle Naturkulisse – die nur zum Schein das Paradies bereithält.

Der australische Filmemacher Greg McLean (Das Belko Experiment, Wolf Creek) bringt mit seiner zumindest teilweise als One Man Tor-Tour zu verstehende Blätterodyssee entwurzelten Alpha-Städtern, die die Welt, auf der wir leben, fahrlässig vergraulen, ordentlich Respekt bei. Wie klein Homo sapiens wird, wenn er auf einem Planeten ums Überleben kämpft, den er gewissermaßen als unterworfen sieht, lässt sich in Jungle treffsicher beobachten. Was ich für meinen Teil tun werde, ist, Yossi Ghinsbergh´s Bericht auf alle Fälle nachzulesen. Alle Details werden filmisch sicher nicht verarbeitet worden sein – und für all jene, die das Verhältnis Mensch-Natur genauso fasziniert wie mich, sei dieser spannende Bericht einer Entführung durch Mutter Natur entweder als Buch oder als Film gleichermaßen empfohlen.

Jungle