Lightyear

DIE PHRASE MIT DER UNENDLICHKEIT

5/10


lightyear© 2022 Disney / Pixar Animation Studios


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANGUS MCLANE

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CHRIS EVANS, KEKE PALMER, PETER SOHN, JAMES BROLIN, TAIKA WAITITI, DALE SOULES, UZO ADUBA, ISIAH WHITLOCK JR. U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): TOM WLASCHIHA, GIOVANNA WINTERFELDT, JEREMIAS KOSCHORZ, JÜRGEN KLUCKERT, MARIUS CLARÉN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Irgendwann wird auch Buzz Lightyear älter. Nur merkt das keiner mehr, denn alle anderen sind da längst schon Sternenstaub. Was der hartgesottene Space Ranger wohl davon hat, bis zur Unendlichkeit zu reisen, ist wohl eine Frage, die er selbst nicht wirklich beantworten kann. Vielleicht sucht er die Einsamkeit, vielleicht ist das einfach nur ein Ego-Ding, um sich selbst zu beweisen, nicht versagt zu haben. Denn anders lassen sich dessen starrsinnige Bemühungen, durch den Hyperraum zu springen, um die Kolonie Gestrandeter von einem fremden(feindlichen) Planeten fortzubringen, nicht erklären.

Es scheint, als hätte Pixar beim Ersinnen der Origin-Story für einen der Stars aus Toy Story ebenfalls den Anschluss verpasst. Oder zumindest nicht genug hinterfragt, ob es denn wirklich Sinn machen würde, ein charmantes Spielzeug wie den besten Freund von Cowboy Woody dem Kinderzimmerkosmos zu entreißen und ihn als Helden aus Fleisch und Blut auf eine fragwürdige Mission zu schicken, die sich irgendwo zwischen den Sternen und Planeten verpeilt, ohne voranzukommen. Dabei ist die nicht ganz schlüssige Mechanik hinter der Zeitreise noch gar nicht von mir aufs Tapet gebracht worden. Es reicht, sich bereits bei den vielen, vielen verlorenen Jahrzehnten, die Buzz Lightyear mit seinen Testflügen verschleudert, zu fragen, ob so jemand überhaupt noch auf Wunsch der Allgemeinheit handelt oder einfach verbissen einer Sache folgt, die keinerlei Wichtigkeit mehr hat.

Diesen Space Ranger tangiert nicht wirklich, ob all jene, die ihm vielleicht etwas bedeutet hätten, im Laufe einer subjektiv wahrgenommenen Zeiteinheit von gerade mal einer Woche dahinscheiden. Die Kolonie auf dem fremden Planeten hat sich im Laufe von drei Generationen längst mit den Gegebenheiten arrangiert, und Lightyear tritt alle Schaltjahre mal auf, wie eine seltsame Anomalie. Als er es dann tatsächlich schafft, in den Hyperraum zu springen und wieder zu landen, trifft er auf fremde Invasoren, die ihre Roboter ausschicken, um den Nachkommen der Kolonie den Garaus zu machen. Lightyear hat plötzlich ganz andere Probleme als nur Zeit und Raum und schließt sich mit einer kleinen Gruppe an Rebellen zusammen, deren Ideale größer sind als ihre Fähigkeiten. Doch wo ein Wille, da ein Weg. Und noch dazu ist eine der Krieger die Enkelin einer Lightyear bestens bekannten Space Ranger-Kommilitonin.

Wenn schon die Rechnung für die zugrundeliegende Ausgangssituation nicht aufgeht, scheint auch das darauffolgende, actionreiche Szenario zwar etwas nachvollziehbarer, aber deutlich an andere Vorbilder aus der Science-Fiction orientiert zu sein. Und zwar an dem interstellaren Abenteuer der Familie Robinson: Lost in Space. In den von Netflix neu aufgelegten Erlebnissen einiger Kolonisten, die auf fremden Planeten Bruchlandung erleiden und versuchen, den Anschluss Richtung Wahlheimat zu finden, spielen mechanische Aggressoren ebenfalls eine gewichtige Rolle. Lightyear kopiert diese Geschichte, allerdings recht geschickt und letzten Endes auch so, dass sie in eine andere Richtung geht. Dort aber wartet das nächste Problem: Die Sache mit der Zeitreise, oft Garant für Logiklöcher. So auch hier.

Lightyear ist trotz aller Detailverliebtheit und zweifellos ergiebigen Schauwerten das eintönige Spin Off eines großen Franchise-Erfolges, das sich bei seinen Figuren aus bewährten und oft genutzten Charakteristika bedient. Der gute Buzz mit seiner Unendlichkeitsphrase bleibt dabei am beliebigsten.

Lightyear

The Adam Project

DIE FEHLER AUS DER VERGANGENHEIT

5/10


theadamproject© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SHAWN LEVY

CAST: RYAN REYNOLDS, WALKER SCOBELL, ZOE SALDANA, JENNIFER GARNER, MARK RUFFALO, CATHERINE KEENER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Marty McFly kann davon ein Liedchen singen, wie es ist, in der Zeit zurückreisen zu müssen, um die Zukunft wieder dorthin zu biegen, wo sie hingehört. Die Avengers werden wohl mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn nicht mitreden können, da ihr Zeit-Kontinuum nicht stringent verläuft, sondern parallel zueinander und somit unendlich viele Multiversen erzeugt. Ein Umstand, den Dr. Strange bald näher erläutern wird. Nun ist aber Ryan Reynolds an der Reihe, nochmal alles von vorn zu beginnen, und hebt schon in den ersten Sekunden des neuen Streifens The Adam Project mit einer ähnlichen Lässigkeit den Flieger aus dem Orbit, wie es vielleicht Chris Pratt alias Star Lord machen würde, begleitet vom Sound aus den späten Sechzigern, nämlich Gimme Some Lovin. Alles erinnert an die Guardians of the Galaxy, die zur Freude des Publikums bald nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Reynolds hat da mehr den Überblick, obwohl er sich auch hier um einige Jahre verkalkuliert: Sein Flieger landet im Jahr 2022, unweit seines Elternhauses, in dem er selbst als zwölfjähriger Lümmel seinen verstorbenen Vater vermisst und mit Mama (Jennifer Garner) den Alltag schmeißen muss, dabei aber nicht sehr viel Kooperationswillen zeigt. Das ändert sich, als dieser junge Adam seinem älteren Ich begegnet. Shawn Levy nimmt sich hier klugerweise viel mehr Zeit als anderswo in seinem Film, um das langsame Sickern der Erkenntnis, sich selbst gegenüberzustehen, mit kleinen, kuriosen Alltäglichkeiten, die längst keine Zufälle mehr sein können, auszuschmücken. Bis dahin lässt das ganze Szenario immer noch so etwas wie Zurück in die Zukunft vermuten. Die Vermutung wird ausgeräumt, als der doppelte Adam versucht, ins Jahr 2018 weiterzureisen, um zu verhindern, dass Zeitreisen überhaupt möglich werden, da das Böse in Gestalt von Katherine Keener (kann überhaupt nichts mit ihrer Rolle anfangen) zukünftig die globale Macht an sich reißen wird. Natürlich bleibt die Antagonistin nicht tatenlos und hetzt durch die Zeit hinterher.  

Shawn Levy hat hier alles, um Science-Fiction-Fans und Zeitparadoxon-Nostalgiker vor dem Bildschirm glücklich zu vereinen. Er hat auch Ryan Reynolds, der für ihn schon letztes Jahr als Free Guy die Komödie unter seine Fittiche genommen hat – das ganze Programm, von verschmitzter Selbstironie bis zur Popkultur-Parodie. Was Levy aber nun fehlt, ist das Bindemittel dazwischen, um Zutaten und schauspielerisches Potenzial entsprechend zu verbinden. The Adam Project lässt den sympathischen Schönling nur zögerlich von der Leine. Der tut das, was er ohnehin schon immer tut, nur sentimentaler. Dieser Methode bemächtigt sich der ganze Film – er tut, was er angesichts seiner Versatzstücke tun muss: Ein routiniertes, womöglich teures Abenteuer mit Publikumslieblingen zu sein, die alle schon mal Erfahrungen im Superhelden-Genre gesammelt haben und somit wissen, was ihre Aufgaben sind. Was Neues fügt Levy dem Thema aber nicht hinzu. Natürlich, es ist ganz nett, Reynolds und seinem jungen Co-Star dabei zuzusehen, wie sie den Fieslingen von der Schippe springen und dabei ihren alten Vater finden wollen, der 2018 noch gelebt hat. Da gesellt sich auch noch Mark Ruffalo hinzu – und auch er schöpft aus dem Charakter, den er als Bruce Banner gut gelernt hat. Weiteres Engagement gilt als vermisst – somit bleiben fast alle Rollen schemenhaft und blass. Bob Gale und Robert Zemeckis hätten wohl den Rat geben können, bei Zeitreisen stets Wert auf das Besondere eines Charakters zu legen.

Doch lieber scheint es Levy, der mit so einem knackigen Drehbuch wie in Free Guy wohl sowieso nicht mehr rechnet, sich und die Crew nicht überanstrengen zu wollen. Der Unterhaltungswert ist da, der Rest ist 08/15. Will heißen: Gesehen und – wie so manches aus der Vergangenheit – bald vergessen.

The Adam Project

Nightbooks

JUMPSCARES FÜR KIDS

7/10


nightbooks© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DAVID YAROVESKY

CAST: KRYSTEN RITTER, WINSLOW FEGLEY, LIDYA JEWETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Es ist nicht leicht, Grusel zu erzeugen, der so wohldosiert ist, dass er für Zuseher jüngeren Semesters reizvoll genug erscheint, um sich wohlig zu fürchten, jedoch keinen nennenswerten nachhaltigen Schaden hinterlässt. Mit der Verfilmung des Buches Das schaurige Haus hat letztes Jahr eine österreichisch-deutsche Koproduktion versucht, den Geisterhorror auf ein familientaugliches Level herunterzuschrauben. Schwarze Augen, seltsames Gekritzel an den Wänden, Taschenlampen, in deren Lichtkegeln Merkwürdiges zum Vorschein kommt. Das Ganze war gut gemeint, doch abgesehn von den überforderten Jungdarstellern etwas ungelenk. Mit der Netflix-Produktion Nightbooks hat man ein bisschen etwas anderes ausprobiert und den Horror so gut es eben geht der obligaten Basis eines jugendlichen Alltags enthoben. Es braucht nicht lange, da schlägt Nightbooks seine hexenden Seiten auf, und lässt den Kids vor dem Screen kaum Zeit, darüber nachzudenken, ob sowas überhaupt einem selbst passieren kann.

Natürlich nicht. Und deswegen ist dieser fein säuberlich ausjustierte Horror um ganze Hexennasenlängen jener voraus, die im Kontext eines klassischen Jugendabenteuers den Grusel bereit für das Kinderzimmer machen wollen. In Nightbooks nimmt der junge Alex, leidenschaftlicher Horrorfan und Autor seiner eigenen Schauergeschichten, vor lauter Frust, da niemand zu seiner Geburtstagsparty erschienen ist, von zuhause Reißaus und landet, ehe er sich versieht, in den vier Wänden einer schrecklich schönen Hexe, die Alex nur deswegen am Leben lässt, weil er ihr etwas bieten kann: nämlich Geschichten. Doch so auf Befehl geht das nicht. Muss es aber. Zu seiner Überraschung ist er nicht allein in dieser obskuren Isolation gefangen – ein Mädchen namens Yazmin ist hier ebenfalls eingesperrt und fristet ihr Dasein als Bedienstete. Es wäre kein Abenteuer für ältere Kids, würden beide nicht versuchen, der Hexe das Handwerk zu legen und ihren magischen Fesseln zu entfliehen.

Roald Dahls Hexen hexen trifft auf Hänsel und Gretel, und die wiederum auf Escape Room. Nightbooks ist ein Potpourri, ein wild zusammengepanschter Zaubertrank aus bekannten Zitaten und Grimm’schen Motiven. Verantwortlich für diesen Hokuspokus zeichnet Regisseur David Yaroveski, der mit Brightburn seinen juvenilen Anti-Superman auf die Erwachsenenwelt losließ. Man erkennt auch hier die Ambition eines Horror-Regisseurs, sich nicht nur mit knallbuntem Budenzauber abzugeben, sondern auch subversive Elemente zu setzen. Bei Eli Roth und seinem Haus der geheimnisvollen Uhren hat das nicht funktioniert – hier allerdings schon. Fiese Kreaturen, die aussehen wie ein neu zusammengezüchteter Alien-Hybrid, düstere Flure, gruselige Retro-Inserts und unschöne Hexenvisagen pushen durchaus Albträume. Mit der Freigabe von 7+ ist Netflix diesmal überraschend großzügig, für dieses Alter könnten die paar wenigen Jumpscares nachhaltiges Unwohlsein bescheren. Für Teenies allerdings und deren Elternschaft offenbart sich doch tatsächlich eine gelungene Halloween-Einstimmung, in der Krysten Ritter (Marvel’s Jessica Jones) mit Plateauschuhen und einer offensichtlichen Leidenschaft für ihre Rolle den fiesen Charme einer Anjelica Huston versprüht. Wie Nightbooks dann augenzwinkernd das uns altbekannte Volksmärchen auch noch in die Geschichte einbettet, hat ein bisschen was von der Art, wie Hellboy seine Mythen verbrät. Eine Hommage ans Märchenerzählen ist Nightbooks geworden, ein Zugeständnis an die Freude am Gruseln, die, mit dem gewissen Quäntchen an Adrenalin, jugendlicher Kreativität den Horizont erweitert.

Nightbooks

Jungle Cruise

ALLES IM FLUSS

6/10


junglecruise© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JAUME COLLET-SERRA

CAST: EMILY BLUNT, DWAYNE JOHNSON, JESSE PLEMONS, JACK WHITEHALL, ÉDGAR RAMIREZ, PAUL GIAMATTI U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Damals, am Amazonas – das war was. Ausgehend von Manaus, ging es vor einigen Jahren im Rahmen einer Fototour zu den rosa Flussdelphinen, die auch im Abenteuer Jungle Cruise aus dem Wasser hechten. Ein unvergessliches Erlebnis. Was man auch nicht vergisst, ist die sagenhafte Hitze, kombiniert mit extremer Luftfeuchtigkeit. Der Schweiß tritt aus allen Poren, schon bei der kleinsten Bewegung. Und ja, auch Emily Blunt und Konsorten müssen ab und an darunter leiden. Dwayne Johnson nicht so, der ist das gewöhnt, betreibt er doch schon seit geraumer Zeit Sightseeing mit Touristen. Doch diesmal soll alles ganz anders kommen, denn die Figur von Emily Blunt – ein gewisser weiblicher Indiana Jones in khakifarbenen „Buxen“ – ist auf der Suche nach einer extrem seltenen Blüte, die jede nur erdenkliche Krankheit, so sagt man, heilen kann (womöglich auch Covid-19). Sie ist aber nicht die einzige, der diese Entdeckung gelingen will. Auch ein Deutscher namens Prinz Joachim ist mit seinem U-Boot alsbald in Brasilien eingetroffen, um dem knorrigen Schifflein von Captain Frank hinterherzujagen.

Klingt tatsächlich nach Steven Spielbergs abenteuerliche Eskapaden mit Harrison Ford. War‘s dort die Bundeslade, der heilige Gral oder die Kristallschädel der Aliens, ist es diesmal der Benefit einer bescheidenen Natur, die glatt den Medicine Man auf den Plan gerufen hätte. Jungle Cruise schippert im gleichen Fahrwasser wie Indiana Jones, erreicht aber keineswegs die kultgewordene Klasse des schlapphuttragenden Archäologen. Da braucht es schon ganz andere Autoren, die sich nicht unbedingt auf eine legendäre Attraktion aus Disneyland beziehen müssen. Gut, dieses narrative Schicksal hatte Pirates of the Carribean ebenso zu verarbeiten, doch das Script war da deutlich besser – zumindest, was den ersten Teil anbelangt. Wir wissen, wohin das in den Sequels geführt hat. Jungle Cruise hinkt plotmäßig schon mit seinem Einstand hinterher. Da kann Dwayne Johnson noch so der knuffige Hüne sein und Emily Blunt noch so der Rolle von Catherine Hepburn aus African Queen nacheifern – beiden sieht man an, dass ihnen nicht viel freies Spiel bleibt. Sie sind Teil einer durchgetakteten Großproduktion, die artig ihre marketingrelevanten Hausaufgaben gemacht hat und nichts dem Zufall überlassen will.

Ich höre die Verantwortlichen für dieses Projekt bei Disney förmlich reden. Wie sie Bezug nehmen auf das Fluch der Karibik-Franchise, welches, von vorne bis hinten nachanalysiert, gerne als Schablone dienen darf für einen ganz anderen Publikums- und Besucherliebling – nämlich für die Kreuzfahrt durch den Dschungel. Und dabei passiert, was Filme wie diese so austauschbar macht: sie sind nach gewissen, immer gleichen Erfolgsformeln inszeniert, sind punktgenau auf Statistiken abgeschmeckt und fühlen sich in ihrer Kalkulation enorm sicher. Was dabei rauskommt, ist vorhersehbar. Was dabei entsteht, sind szenische Attraktionen, die eher holprig miteinander verknüpft sind. Es lässt sich sowohl Jack Sparrow als auch Humphrey Bogart in Dwayne Johnsons Figur wiedererkennen, es lassen sich gar einige wiederkehrende Motive aus der Karibik-Reihe entdecken, die etwas deplatziert wirken, aber was sich nicht entdecken lässt, ist ein Gefühl für Spontanität. Der Fluch des Amazonas sieht ja recht pittoresk aus, doch gleichermaßen wenig inspirierend. Manchmal ist es auch zu viel CGI, insbesondere das penetrante Geblühe am Rande des Dschungels. Das mag zwar für verwöhnte Park-Abenteurer eine gefällige Wildnis sein, doch kommt ihr der Ehrgeiz abhanden, rau, gefährlich und unberechenbar zu sein.

Der Durchbruch gelingt Jungle Cruise als atemberaubendes Sommer-Event nicht so wirklich. Für eine Schifferlfahrt durchs Disney-Bilderbuch mit grundlegend sympathischen Schauspielern kann man aber getrost mit an Bord gehen. Allerdings mit dem Gefühl, dass alles nur Programm ist.

Jungle Cruise

Die Croods – Alles auf Anfang

STEINZEIT AUF LSD

8/10


thecroods2© 2020 Universal Pictures International Germany


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: JOEL CRAWFORD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): NICHOLAS CAGE, RYAN REYNOLDS, EMMA STONE, CATHERINE KEENER, CLORIS LEACHMAN, CLARK DUKE, LESLIE MANN, PETER DINKLAGE U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Kennt man ihn nicht schon aus der eigenen Kindheit, so kennt man ihn aus der Vorlesestunde mit dem Nachwuchs. Kaum eine solche gestaltet sich dabei schöner als mit den bebilderten Werken des Österreichers Erwin Moser, seines Zeichens Autor und Zeichner mit Hang zu einem ganz eigenen, phantastischen Realismus, der sich gerade für Kinder enorm zugänglich gibt, und das nicht nur aufgrund seiner entschleunigten, entspannten Erzählweise, sondern auch und vor allem aufgrund seiner obskuren Tierwelt, die auf den ersten Blick als Teil einer uns bekannten Fauna scheint, auf den zweiten Blick aber einer surrealen Physis frönt. Es ist, als hätten sich die Macher von Die Croods an genau diesem Herrn orientiert. Für wahrscheinlich halte ich das zwar nicht, aber egal – die Assoziation ist da. Und umso mehr kann ich mit dem irren Bestiarium in der Welt der Croods was anfangen. Das war schon beim Erstling der Fall, wo Landwale, bunte Säbelzahntiger und kreischende Vogelbäume eine Steinzeit bevölkern, die fast so scheint, als sähe sie jemand, der reichlich komisches Zeug intus hat.

Selten passiert es, dass ein Sequel die selben Qualitäten entwickelt, sich dabei aber auch nicht selbst kopiert. Ab und an kommt das vor. Wie eben in Die Croods – Alles auf Anfang. Und es ist vielleicht ganz gut, hierbei auch den Vorgänger zu kennen, da Teil 2 unmittelbar nach den Geschehnissen aus 2013 anschließt. Papa Grug ist also mit seiner fünfköpfigen Sippschaft und dem nonkonformen Neuzugang, Jungspund Guy, durchs Land unterwegs, um ein neues und vor allem sicheres Zuhause zu finden. Töchterchen Eep schmiedet allerdings mit Herzblatt Guy ganz andere Pläne, nämlich, die Sippe zu verlassen, um irgendwo neu anzufangen. Bevor es aber so weit kommt, stoßen unsere prähistorischen Helden auf eine paradiesische, mit Palisaden geschützte Enklave, in der eine ganz andere Familie wohnt – nämlich jene der Bessermanns. Ich möchte fast sagen: neureiche, trendige Bobos mit reichlich Essbarem im Vorgarten und einem Baumhaus, dass inklusive Lift und Fernseh-Fenster alle Stückchen spielt. Da bleibt den Croods der Mund offen stehen. Umso mehr, da Guy plötzlich als einer der ihren erkannt wird. Doch sei’s drum, die Croods machen sich in ihrer neuen Welt mehr ungefragt als gefragt breit, was den Bessermanns gar nicht gefällt. Es lässt sich erahnen, dass es da bald zum Nachbarschaftsstreit kommt, und das ganz ohne Volksanwalt.

Was sich die Drehbuchautoren Dan und Kevin Hageman (u.a. Trolljäger, Scary Stories to Tell in the Dark) für diese knallbunte Fortsetzung an Details alles haben einfallen lassen, geht auf keine gegerbte Mammuthaut. Sich sowas auszudenken, muss Riesenspaß gemacht haben. Und Riesenspaß, auch all das zu entwerfen und am Computer umzusetzen. Jedes noch so verrückte Tierchen scheint mit Lust und Laune geformt worden zu sein, von den geflochtenen Flipflops bis zum Angora-Mammut ist The Croods – Alles auf Anfang ein einziges Kuriosum. Hätte ja sein können, dass Regisseur Joel Crawford von all seinem Farbzirkus zu sehr abgelenkt worden wäre, doch die Familienkomödie, die ja fast schon den Kult um die Flintstones an Ideenreichtum in den Schatten stellt, hat sehr wohl was zu erzählen, hat sehr wohl auch seine Figuren in ihrer charakterlichen Weiterentwicklung zu betreuen und natürlich auch sehr viele Pointen unterzubringen. Alles zusammen passt wie der Funke zum Feuerstein. Darüber hinaus ist der Film ein einziger Schenkelklopfer, der mit einer komischen Situation nach der anderen zum lauten Lachen reizt. Absolutes Highlight: die versteckten Qualitäten von Oma Crood.

Betrachtet man die Konkurrenz mit Pixar, gibt es sehr wohl etwas, das DreamWorks neben seinem deutlich schrillerem Grundtonus dann doch noch besser gelingt: der oftmals treffsichere, nicht unbedingt geistreiche, aber reuelos plakative Witz, über den man sich gut und gerne amüsiert und der es auch nach dem Abenteuer wie auch immer gearteten Spaßbremsern schwer macht, die Laune zu verderben.

Die Croods – Alles auf Anfang

Jim Knopf und die Wilde 13

ENDE(S) LEGENDE

5/10


jimknopf_wilde13© 2020 Warner Bros. Entertainment

LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: DENNIS GANSEL

CAST: SOLOMON GORDON, HENNING BAUM, LEIGHANNE ESPERANZATE, RICK KAVANIAN, ANNETTE FRIER, CHRISTOPH MARIA HERBST, UWE OCHSENKNECHT, MILAN PESCHEL, SONJA GERHARDT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Nach Filmen wie Beasts of No Nation braucht es dringend ein Kontrastprogramm. Ein zuversichtlicheres Weltbild, oder gar einen entrückten Ausflug in irreale Gefilde, wie zum Beispiel in die merkwürdigen Traumwelten eines Michael Ende. Da kommt die erst kürzlich im Kino veröffentlichte und jetzt, nach Corona, wieder auf die Leinwand gebrachte Fortsetzung von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer gerade recht: Jim Knopf und die Wilde 13 nennt sich diese Episode – und das war’s dann auch schon mit dem Findelkind und seinen obskuren Erlebnissen zu Wasser, zu Land und in der Luft. Zwei Romane hat Michael Ende geschrieben. Regisseur Dennis Gansel bringt dieses kostenintensive Herzensprojekt schließlich als visuell starkes Kindererlebnis zu einem wohlgefälligen Ende. Ob Ende selbst wohl damit zufrieden gewesen wäre? Das würde ich gerne wissen. Ich weiß nämlich nur, dass der kultisch verehrte Schreiberling mit Wolfgang Petersens Unendlichen Geschichte so gut wie gar nichts anfangen konnte – obwohl der 80er-Hit für mich nach wie vor zu einem der besten Filme des phantastischen Genres zählt.

Jim Knopf also rätselt immer noch über seine Herkunft, und es dauert nicht lang, da beruft Alfons der Viertelvorzwölfte eine Krisensitzung ein. Zu oft würde Lummerland von Seefahrern übersehen werden – es brauche dringend einen Leuchtturm. Knopf und sein Freund Lukas haben die Idee: wie wär’s mit Tur Tur, dem Scheinriesen (je weiter man weg ist, desto größer wird er)? Niemand hat eine bessere Idee, also werden Dampflock Emma wieder mal die Luftkissen umgebunden – und los geht’s übers Meer. Klar, dass den beiden auf dieser Expedition die berüchtigten Piraten der Wilden 13 in die Quere kommen (die in Wahrheit nur zwölf sind, weil der Kapitän zählt doppelt). Und die wissen anscheinend mehr über Jim Knopfs Herkunft.

Michael Endes Bücher galten ja (und gelten) allesamt als unverfilmbar. Und offensichtlich ist das so: dessen Welten sind so dermaßen entrückt, abstrakt und verspielt, sodass jegliches Bemühen, diese Phantasmagorien zu entwirren und zu visualisieren, auf irgendeine Weise scheitern müssen. Die unendliche Geschichte selbst besteht aus zwei Teilen – lediglich der stringentere erste Teil wurde verfilmt und kommt seiner Vorlage auffallend nahe. Dessen Fortsetzungen sind verkitscht und jegliche Fantasie durch eine Ausstattungswut eingeschüchtert, dass die Filme kaum anzusehen sind. Ganz klar eine falsche Herangehensweise an die Materie aus Endes Werkschau. Dennis Gansel hat sich mit Jim Knopf zugänglicheres Material gesichert – aber selbst das liebäugelt mit märchenhaftem Surrealismus, der sich einer routinierten Umsetzung sperrt. Man nehme allein schon Lummerland mit den wenigen, wie Traumgestalten agierenden Bewohnern, von denen keiner weiß, was sie eigentlich den ganzen Tag tun. Endes Ideenreichtum ist sagenhaft, Gansels Ideen zur Umsetzung müssen allerdings zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen.

Und das passiert relativ bald. Schwer zu sagen, woran es liegen mag. Henning Baum als bärbeißiger Gutmensch im Blaumann ist zweifelsohne ideal besetzt, zumindest optisch. Auch Jim Knopf hat in Solomon Gordon sein Live-Act-Pendant gefunden. Christoph Maria Herbst, Uwe Ochsenknecht und gar Rick Kavanian, im Dutzend billiger, werden ihren Vorlagen ebenfalls gerecht. Aber nur, soweit das Charakterdesign reicht. Sobald sie alle miteinander interagieren, verfällt das Abenteuer maximal in einen zögerlichen Schleichgang. Die einzelnen, optisch genussvoll aufbereiteten Szenen und Welten scheinen in einer gewissen Berührungsangst zueinander zu stehen. Die Dialoge wirken zu sehr auswendig gelernt, der fehlende Schwung in der Geschichte macht aus einem versprochenen Fantasyspektakel eine betuliche Puppenspiel-Dramatik. Was gar nicht so weit hergeholt wäre, gibt es doch Jim Knopf längst schon als Augsburger Puppenkisten-Event. Die Realverfilmung wirkt ähnlich, will aber, und das merkt man an jeder Szene, etwas ganz anderes sein.

Jim Knopf und die Wilde 13

Die Mitchells gegen die Maschinen

ALEXA LÄUFT AMOK

6/10


mitchells© 2021 Netflix / Sony


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MICHAEL RIANDA, JEFF ROWE

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): DANNY MCBRIDE, MAYA RUDOLPH, ABBI JACOBSON, OLIVIA COLMAN, ERIC ANDRÉ, JOHN LEGEND U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Seit geraumer Zeit macht sich ein gewisser Trend bemerkbar. Romantische Cinderella-Geschichten sind mehr und mehr out, komödiantische Hetero-Herzblattshows zumindest im familientauglichen Mainstream-Kino angesichts einer immer liberaleren Beziehungswelt längst nicht mehr der universelle Plot. Da war Die Eiskönigin noch eine Art Relikt, bevor die mutigen Coming-Of-Age Heroen (vorwiegend weiblich) aus Mulan, Raya und der letzte Drache oder Die bunte Seite des Monds nicht um ihre Liebe, sondern um die Familie und überhaupt um den ganzen Erhalt einer harmonisch funktionierenden Gesellschaft kämpfen. Wobei Familie in Hollywood sowieso immer schon wichtig war. Und vor allem auch bei Disney: mal in penetranten Soll-Lettern, und dann wieder auf einer gepflegten Meta-Ebene. Sony findet da auch seinen Weg.

In Die Mitchells gegen die Maschinen ist zumindest keiner der Familienmitglieder – vorzugsweise der Eltern – eines außertürlichen Todes gestorben. Meist ist auch diese Schablone bei Jugendfilmen gern gesehen, um die oder den Protagonisten vom übrigen Co-Cast klarer abzugrenzen. Hier, in der von Sony produzierten und animierten Komödie, die mangels möglicher Kinoauswertung an Netflix verkauft wurde, haben wir es anfangs mit einer Allwerweltsfamilie zu tun, die sich selbst sehr schräg vorkommt – insbesondere Tochter Katie, die ihre Leidenschaft für Filme in selbstgemachten Videos zelebriert und kurz davorsteht, in einer Filmschule neu durchzustarten. Zwischen Vater und Tochter hängt da leider der Haussegen schief, und um die Beziehung wieder in richtige Bahnen zu lenken, entscheidet sich Papa Rick, seine Tochter höchstpersönlich an den neuen Schulort zu geleiten – per Automobil und der ganzen Familie, versteht sich. Das kann ja heiter werden. Und wird es auch, da ziemlich zeitgleich eine künstliche Smartphone-Intelligenz a la Alexa die Weltherrschaft an sich reißen will und dafür ganze Roboterarmeen aussendet, um Homo sapiens einzufangen. Dieser böse Plan geht auch auf – nur hat die K.I. nicht mit der Schlagfertigkeit der letzten freien Familie gerechnet, die ihre Diskrepanzen überwindet, um den Planeten zu retten.

Da ein Szenario wie in H.G. Wells Krieg der Welten wohl fürs Familienpublikum undenkbar wäre, werden wir, die Menschen, kurzerhand einfach nur eingesammelt. Das funktioniert und schafft damit dennoch eine wohlig beklemmende Endzeitstimmung, die auch den jüngst geeigneten Nachwuchs nicht dazu nötigt, bei den Eltern einzuschauen. Abgesehen davon ist diese schrille, vierköpfige Familie samt Hund viel zu situationskomisch, um hier die positiven Vibes nicht abzukriegen. Die Mitchells gegen die Maschinen fühlt sich an wie Pixars Die Unglaublichen – nur ohne Superhelden-Attitüde und statt Baby gibt’s den Mops, der für die meisten Lacher sorgt, nebst des grobschlächtigen Vaters, dessen Charakter am schönsten beschrieben wird. Klar, es gibt jede Mange hyperaktives Chaos, Geplärre und Hektik – das hätte Pixar womöglich um einige Dezibel runtergeschraubt. Allerdings nimmt sich das von Chris Lord und Christopher Miller (Oscar für Spider-Man: A New Universe) produzierte Abenteuer gerade anfangs erstaunlich viel Zeit, um die liebe Familie mit all ihren Eigenheiten und eingebettet in ihren Alltagsrhythmus vorzustellen. So macht man das, bei Endzeit- oder Katastrophenfilmen, auch wenn sie animiert und kindertauglich sind.

Den völlig aus dem Ruder laufenden Overkill hätte es am Ende zwar nicht gebraucht, aber dennoch: dieser Genremix unterhält. Dank der kleinen, originellen Details, die geschickt in die Handlung eingeflochten sind – und diese auch vorantreiben. Denn wer hätte gedacht, dass es mal gut sein kann, einen Vierkant-Schraubenzieher mit rutschfestem Griff dabeizuhaben. Ja, gut, MacGyver vielleicht…

Die Mitchells gegen die Maschinen

Die bunte Seite des Monds

MYTHENJAGD AM ERDTRABANTEN

6,5/10


bunteseitedesmondes© 2020 Netflix, Inc.


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: GLEN KEANE, JOHN KARS

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CATHY ANG, ROBERT G. CHIU, KEN JEONG, SANDRA OH, KIMIKO GLENN, PHILLIPA SOO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


In China filmtechnisch Fuß zu fassen scheint schon längst das oberste Anliegen sämtlicher Medienkonzerne zu sein, allen voran Disney, das nach Mulan Monate später noch sein wunderschön getrickstes Märchen Raya und der letzte Drache nachgeschossen hat. Beide Filme finden ihre Entfaltung auf den Ebenen zwischen tibetischem Hochland und der Wüste Gobi – der eine ganz konkret, der andere tut zwar so, als wäre die Welt eine phantastische, blättert aber ganz offensichtlich im folkloristischen Ausstattungskatalog des Reichs der Mitte herum. Und es ist nicht leicht, den dortigen Filmmarkt und überdies noch das Publikum für sich zu gewinnen. Es sei denn, man holt sich lokale Partner ins Boot, die den Ehevertrag aus Do´s und Don´ts gleich mitbringen. Am liebsten sind natürlich harmlose Familiengeschichten fern jeglichen scheelen Blickes auf Vater Staat. Historienfilme kommen da auch immer gut an, da geht’s schließlich ums jahrtausendealte Fundament eines nationalen Selbstbewusstseins.

Nicht nur Disney biedert da etwas überdeutlich herum – auch Netflix klopft an die fernöstliche Pforte. Mit seinem selbstredend harmlosen, familientauglichen und überdies knallbunten Singspiel Die bunte Seite des Monds und winkt dabei mit wohlbekannten chinesischen Mythen – nämlich jenen rund um Mondgöttin Chang’e und ihren Jadehasen. Ein Film, der das chinesische Publikum ganz sicher abholen wird. Im Filmbiz wie diesem wird nämlich nichts produziert, nur weil es künstlerischen oder ideellen Wert hätte. Es wird produziert, weil es Profit bringen kann. Die bunte Seite des Mondes ist genauso ein Film. Ein durchgeplanter, nach Formeln funktionierender, marketingtechnisch nichts dem Zufall überlassender Unterhaltungsfilm, der auf global gültige Werte setzt. Wie so meist geht´s um elterlichen Verlust und um die Trauerarbeit eines Kindes, das nicht weiß, wohin mit seiner übriggebliebenen Liebe für seine verstorbene Mutter.

Dieses Mädchen, Fei Fei, findet in den Legenden um Göttin Chang’e eine Schwester im Geiste. Chang’e, durch einen Trank unsterblich, wartet den Erzählungen nach schon eine Ewigkeit auf ihren Mann Houyi, von dem sie, auf den Mond verbannt, getrennt wurde. Eine Liebe also, die sich nirgendwo hin kanalisieren lässt. Frustrierend auch für Fei Fei, dass niemand sonst an die reale Existenz dieses Mythos glauben mag. Also bastelt das gewiefte Mädchen eine Rakete, setzt ihr Kaninchen auf den Beifahrersitz und wie durch ein Wunder schafft sie es tatsächlich auf unseren Trabanten. Hinterm Mond gleich links dann die Stadt Lunaria. Wo Chang’e tatsächlich existiert. Und die Fei Feis Hilfe benötigt, um ihren Gatten endlich wieder in die Arme schließen zu können.

Aufgetischt wird ein üppiges Familienabenteuer mit allen dazugehörigen Versatzstücken, die so ein Film natürlich braucht. Witzige Kerlchen, knuffige Tierchen, elegante Göttinnen und neben leicht verdaulichen Sentimentalitäten auch jede Menge Slapstick. Wirklich berauschend ist dabei die optische Umsetzung und die beeindruckend plastische Physis der Figuren, Welten und astralen Interieurs, die manchmal so viel Mut zur Abstraktion haben wie Pixar. In nichts steht Die bunte Seite des Monds der optischen Raffinesse von Raya und der letzte Drache nach. Überdies ist der Charakter der Fei Fei nicht so sehr von ihrer Mission eingenommen wie manch eine andere junge Heldin. Fei Fei zuzusehen macht Spaß. Die Musik teilweise weniger. Dass Filme wie diese als Musical astrein funktionieren, ist mit Ausnahme eines führenden Ohrwurms, den es auch hier gibt, selten der Fall. Wäre also meiner Meinung nach nicht notwendig gewesen, hier andauernd das Glas zum Klirren zu bringen. Aber wenn das Disney andauernd tut, kann es, wenn es nichts nutzt, auch nicht groß schaden.

Das farbintensive Stelldichein vor der Finsternis des Alls wird  – und das ist der eigentliche Grund, sich diesen Film anzusehen – zum visuellen, gestalterisch durchaus innovativen Genuss, der sich von Miró und Pink Floyd inspirieren ließ und der eigentlich noch mehr überzeugt als Disneys taufrisches Fernost-Abenteuer.

Die bunte Seite des Monds

Raya und der letzte Drache

DRACHENSTEIGEN LEICHT GEMACHT

5,5/10


rayaletztedrache© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DON HALL, CARLOS LOPEZ ESTRADA, PAUL BRIGGS, JOHN RIPA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): KELLY MARIE TRAN, AWKWAFINA, GEMMA CHAN, DANIEL DAE KIM, SANDRA OH, BENEDICT WONG U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Prinzessinnen, wie wir und die ganze Familie sie kennen, sind out. Disney bringt den Paradigmenwechsel, nachdem sich der Gigamegakonzern dazu entschlossen hat, politisch unkorrekte Inhalte wie Peter Pan oder Dumbo endgültig zu streichen. Dumbo lässt sich jetzt vermutlich nur noch in der Tim Burton-Live-Act-Version genießen, es sei denn, man hat eine DVD des alten Klassikers daheim. Disney will hier – und muss schlussendlich – neue Statements setzen. Am besten gleich auf seinem Streamingkanal Disney+. Das eisfarbene Outfit der Eiskönigin darf Elsa nämlich ganz allein in ihrem geschnitzten Schränkchen hängen lassen. Denn jetzt, jetzt kommt Raya, ein wehrhaftes Mädel im Grunge-Look, mit wildem Haar und drauf und dran, in die Fußstapfen ihres Vater-Vorbildes zu treten, der etwas ganz Bestimmtes beschützt: den Drachenstein. Wie es dazu kommt?

Nun, vor 500 Jahren war in diesem Land namens Kamandra, das ein Fluss durchzieht, der aussieht wie ein chinesischer Folkloredrache, eine dunkle Macht namens die Druum über alles und jeden hergefallen. Amorphe Sphären, die nur so vor sich hin wabern, um dem Bösen nicht die Chance zu geben, auch nur in irgendeiner Form personalisiert zu werden, und um der Gefahr zu entgehen, bei den jüngeren Zusehern nicht irgendwelche Sympathien zu wecken. Punkt eins der taktischen Correctness. Jedenfalls hinterlassen diese Sphären sogar bei den Drachen, die bis dato für das Gleichgewicht in dieser Welt unabdingbar waren, nichts als steinerne Statuen. Ihre Restenergie ruht in besagtem Drachenstein, den nun, da Kamandra in einzelne Königreiche aufgesplittert ist, jeder für sich beanspruchen will. Beim Handgemenge kommt es zum Unvermeidlichen: der Stein zerbricht, jedes Land hat seinen Splitter, und Raya? Die muss, nach der Rückkehr der Druum, den letzten noch lebenden Drachen suchen – und finden – und mit ihm überhaupt die Welt retten.

Disney überlässt nichts mehr dem Zufall und sieht sich auch ob seiner Bedeutung am Filmmarkt in der Verantwortung, zeitgemäße Wertbilder zu vermitteln. Diese Bemühung lässt sich bei Raya und der letzte Drache nur schwer bis gar nicht verbergen. Das Fantasyabenteuer, welches in einem fiktiven Südostasien spielt, bedient sich, so wie schon zuvor in Vaiana, der bereits erprobten Vater-Tochter-Konstellation. Die Vaterfigur ist der Erziehende, die Mutter ist irgendwo oder war für Raya nie relevant. Das Mädchen selbst entspricht nicht mehr den Stereotypen weiblicher Teenies oder Idealbildern einer jungen Frau. Raya ist kämpferisch und hat ganz einfach die Hosen an. Ihre Antagonistin schlägt sich ebenfalls auf die gesellschaftspolitisch korrekte neue Seite: burschikos und mit Undercut, die weibliche Physiognomie wird fast zur Gänze verborgen. Selbst der Drache ist weiblich – und in seiner Menschengestalt ganz deutlich der Schauspielerin Awkwafina nachempfunden, die diesen auch im Original synchronisiert. Männliche Figuren treten lediglich in einer Form auf, die in keinerlei Konkurrenz stehen. Als Kind, als simpel gestrickter Haudrauf mit weichem Kern. Kraft ist noch männlich, Geschick eindeutig weiblich. Doch in der Art, wie das Weibliche interpretiert wird, wird Raya und der letzte Drache längst nicht nur mehr Resonanz bei den Mädchen finden.

Dieses bis ins Kleinste berechnete und durchgestaltete Konzept – taktische Correctness die Zweite – verleiht dem Film eine ermüdende Berechenbarkeit. Disney bleibt, anders als Pixar (ist ja auch schon Disney, bleibt aber weitgehend autonom) seinen Versatzstücken treu, was das Ausarbeiten griffiger Plots anbelangt. Im Abspann wird klar, wie viele Köche hier versucht haben, den Brei trotz allem nicht zu verderben. Diese Geschichte ist gefühlt hunderte Male um- und aufgebessert worden, bis alles seine akkurate Unproblematik hat. Das ist leider sehr spürbar, auch die finale logische Konsequenz des Filmes entbehrt einer gewissen Nachvollziehbarkeit. Das joviale Gerede des Drachen mit seinem Kumpel-Slang ist ebenfalls wieder ein sogenanntes Musst-Have zum Amusement innerhalb einer Story über Einheit, Brüderlichkeit und Vertrauen.

Animationstechnisch allerdings ist Raya und der letzte Drache erste Sahne. Eine erstaunliche, wunderschöne Bildsprache in satten Farben und frappantem Fotorealismus. Da kann man sich wirklich nur sehr schwer sattsehen, obwohl die Gesichter manchmal ein bisschen wächsern wirken. Dennoch State of the Art, würde ich sagen. Zur Art, wie Disney seine Messages verklickert, wären ein bisschen mehr künstlerische Freiheiten und weniger Verbissenheit in Sachen Message Control durchaus empfehlenswert. Aber auch das sollte nicht wieder zur heiligen Pflicht werden.

Raya und der letzte Drache

Enola Holmes

ES BLEIBT IN DER FAMILIE

6/10


enola-holmes© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: HARRY BRADBEER

CAST: MILLIE BOBBY BROWN, HENRY CAVILL, SAM CLAFLIN, HELENA BONHAM-CARTER, LOUIS PARTRIDGE, FIONA SHAW, BURN GORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Der wohl beliebteste analoge Detektiv der Welt, wohnhaft in Londons Baker Street, bekommt nun Zuwachs. Familienzuwachs wohlgemerkt. Was nicht heißt, dass der mit fotografischem Gedächtnis gesegnete Blitzgneisser vor hat, auch kommende Generationen in detektivische Hände zu legen. Sherlock Holmes, der darf sich einer jüngeren Schwester erfreuen, die da heißt Enola. Bezug zu ihr haben Sherlock und sein dauerarroganter Bruder Mycroft wohl keinen. Genau so wenig zu ihrer merkwürdigen Mutter, die plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden ist, sehr zum Leidwesen ihrer Tochter, der zumindest noch die Haushaltshilfe bleibt und die sich plötzlich unter der Fuchtel ihres älteren Bruders Mycroft wiederfindet, hätte sie doch viel lieber mit Sherlock die Causa Mama gelöst. Doch wie es sich für einen eigensinnigen und geistig nicht auf den Mund gefallenen Teenager gehört, nimmt dieser sein Leben selbst in die Hand und findet sich alsbald in einen mysteriösen Fall verwickelt, der irgendwas mit politischen Reformen und reichen Erben zu tun hat. Und mit Mutter Holmes, die, wie es scheint, auf radikalem Wege die Welt verändern will.

Sherlock Holmes-Pastiches gehen immer, ganz so wie bei James Bond. Ob als Fäuste schwingender Wiffzack oder pfeilschneller Kombinierer, ob als pfeifenrauchender Tweed-Träger oder eben als gelockter Dandy wie hier in dieser exklusiv auf Netflix veröffentlichten Produktion, die eigentlich ins Kino hätte kommen sollen: der distinguierte Nerd darf ob seiner Beliebtheit durchaus mal einen Blick nach links und rechts werfen, oder gar die Bühne frei geben für ähnlich veranlagte, gar weibliche Pendants. Elona Holmes hat´s nämlich genauso faustdick hinter den Ohren wie Arthur Conan Doyles Kultschnüffler. Und findet in Stranger Things-Star Millie Bobby Brown eine so dankbare wie versierte Interpretin, die mit ihrer verschmitzten Lebensart den ganzen Laden schmeißt.

Die aufgeweckte Figur aus Nancy Springers Jugendbuchreihe vollendet Brown mit einem ganzen Repertoire an kuriosen Mimiken und schmollmündiger, sympathischer Unruhe und holt sich ihr vergnügtes Publikum durch das Durchbrechen der Vierten Wand in die Karikatur eines viktorianischen Großbritannien knapp vor der automobilen Revolution. Die junge Heldin des Films schert sich wenig um weibliche Stereotypen, kleidet sich immer wieder mal als Bursch, dann wieder als trauernde Witwe. Mieder wäre ihr zu bieder, gäbe es dafür nicht taktische Verwendung. Dieser wache Geist der jungen Dame ist das Herzstück des Films – und verleiht ihm auch diese Herzlichkeit, die ein Murder Mystery-Abenteuer wie dieses benötigt. Denn ohne Millie Bobby Brown und ihrem energischen, fast schon wachrüttelnden Auftreten wäre Enola Holmes mit seinem recht routinierten Krimi-Plot reif für Scotland Yards Rundablage. Durch diese Coming of Age-Komponente (derzeit in Film und TV sehr beliebt) ist das Netflix-Release fast schon mehr eine kauzige Charakterstudie als ein spannendes Krimivergnügen.

Enola Holmes