The History of Sound (2025)

HÖREN, WAS UNS VERBINDET

5,5/10


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LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: OLIVER HERMANUS

DREHBUCH: BEN SHATTUCK, NACH SEINER KURZGESCHICHTE

KAMERA: ALEXANDER DYNAN

CAST: PAUL MESCAL, JOSH O’CONNOR, MOLLY PRICE, RAPHAEL SBARGE, HADLEY ROBINSON, ALESSANDRO BEDETTI, EMMA CANNING, BRIANA MIDDLETON, GARY RAYMOND, CHRIS COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 7 MIN


Der neue Film von Oliver Hermanus erinnert unweigerlich an Brokeback Mountain, wie wahr ein Eckpfeiler des queeren Kinos, tragisch, sentimental und nicht davor zurückschreckend, den unantastbar scheinenden Mythos des maskulinen Westernhelden zu hinterfragen. Heath Ledger und Jake Gyllenhaal liebten sich, schmachteten sich an, vergossen Tränen und blickten so sehnsuchtsvoll wie wehmütig in die Landschaft. Und dennoch: So ganz genau wusste ich nicht, woran es lag, dass es den beiden nicht gelang, in ihren Figuren zu überzeugen. Lag es am Klischee des Westerns? Oder daran, dass Ledger und Gyllenhaal nur so tun mussten, als wären sie homosexuell? Vielleicht war Ang Lee als Regisseur auch nicht der richtige, vielleicht wäre Oliver Hermanus besser gewesen. Dieser hat schließlich das Thema auf eigene Weise variiert und die Tonalität eines Western außen vorgelassen, ohne aber auf die Historie eines Landes zu verzichten. Hermanus (sein letzter Film Living, nach einer Idee von Akira Kurosawa und mit einem sagenhaft guten Bill Nighy, lief ebenfalls auf der Viennale) taucht tatsächlich viel tiefer ein in das vergangene Amerika, glücklicherweise nicht nur im Sinne genrebedingter Parameter und Stereotypen, und findet seine unstillbare Sehnsucht zweier Männer im leisen Abenteuer des Suchens, Sammelns und Zuhörens.

Wie die Alten sungen

Dieses Zuhören zahlt sich aus, denn was Lionel und David miteinander verbindet, ist die Musik. Der eine, Lionel, besitzt schon von Klein auf die Fähigkeit, die akustische Welt anders zu empfinden als andere, er sieht und spürt sie in Farben, er kann sie fühlen und fast schon schmecken. Und er kann singen. Ein Talent, das ihn von der elterlichen Farm mit all seinen vom Vater zum Besten gegebenen Volksweisen nach Boston ans Musikkonservatorium bringt. Wo er natürlich David kennenlernt, einen Komponisten. Der eine singt, der andere spielt Klavier, so kommen sie, singend und spielend, zueinander und landen dann auch gemeinsam im Bett. Um später, nach dem ersten Weltkrieg, gemeinsam auf Wanderschaft zu gehen, amerikanische Volkslieder zu sammeln und auf Wachszylindern aufzuzeichnen.

Liebe und Distanz

In diesen Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts aber, während der Erste Weltkrieg tobt, ist Homosexualität ein Tabuthema, niemand redet darüber, doch die beiden akzeptieren sich und ihre Neigung – weit davon entfernt, sich zu outen. Der nach einer Kurzgeschichte von Ben Shattuck entstandene Liebes- und Lebensfilm macht aber gerade diese Art der sexuellen Orientierung nicht vorrangig zu einem Thema, sondern zieht, und das ist drängend genug, die Konsequenzen, die der Tatsache einer niemals realisierbaren Zukunft folgt. Paul Mescal und Josh O’Connor – beide gerade im Filmbiz sehr gefragt – spielen ihre Charaktere auf Distanz, sie bleiben verschlossen, agieren lakonisch, geben wenig von sich preis. Zwei introvertierte Außenseiter, auf der Suche nach dem Ort, wo sie hingehören könnten – The History of Sound nutzt das historische, in allen Brauntönen präsente Kolorit eines ruralen Amerikas und erweitert das Spektrum mit alten Liedern, die von der Schwere des Lebens und der Liebe erzählen. Natürlich der Liebe, das ist das, was auch die beiden jungen Männer bewegt, obwohl sie zumindest in Hermanus Narration zwar die Liebe zueinander darstellen sollen, jedoch stets so agieren, als würden sie auf Abstand bleiben wollen.

Wie klingen verpasste Chancen?

Mescal und O’Connor fehlt die Harmonie zueinander. Der ohnehin stets distanziert agierende O’Connor, der oft so wirkt, als hätte er ein sinniges Lächeln auf den Lippen und hinter dessen Fassade man schon in The Mastermind nicht blicken konnte, erhält durch seinen Filmpartner Paul Mescal, der sich ähnlich verschlossen zeigt, keinerlei Support, um Gefühle zu repräsentieren. Beide sind eine Insel für sich, beide streifen durchs herbstliche Amerika – die Lieder selbst, die man hört, füllen nur bedingt die emotionale Lücke, die der Film hinterlässt. Und man merkt auch: The History of Sound ist eine Kurzgeschichte. Ähnlich spartanisch fühlt sich diese Story an, die sich sichtlich bemüht ist, im Fluss zu bleiben, nicht aber daran interessiert ist, den Zuseher einzubinden.

Spärlich interessante Figuren also in einer prinzipiell interessanten, aber gehemmten Exkursion über die Verbundenheit durch Klang, Erbe und Gesang, die ihre eigene Romanze vernachlässigt, dafür aber in den letzten Minuten eine sentimentale, nostalgische Wehmut mit sich bringt. Schließlich artikuliert sich, was bisher die ganze Zeit gefehlt hat: Die Schmerzlichkeit einer Empfindung, die man hat, wenn man nicht weiß, wohin einen das Herz tragen soll. Manchmal weiß The History of Sound auch nicht, wohin mit sich. Diese Ratlosigkeit schafft eine kaum überbrückbare Distanz.

The History of Sound (2025)

Crossing: Auf der Suche nach Tekla (2024)

ALLES IM FLUSS AM BOSPORUS

7/10


crossing© 2024 Polyfilm


LAND / JAHR: SCHWEDEN, TÜRKEI 2024

REGIE / DREHBUCH: LEVAN AKIN

CAST: MZIA ARABULI, LUCAS KANKAVA, DENIZ DUMANLI, NINO KARCHAVA, LEVAN BOCHORISHVILI, NINO TEDORADZE, GIGA SHAVADZE U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Dass die türkische Regierung unter der Führung des Hardliners Erdoğan es queeren Menschen ermöglicht, ihrer Orientierung frei nachzugehen, ohne dafür zur Kassa gebeten, eingesperrt, gefoltert oder hingerichtet zu werden, hat mich nach der filmischen Exkursion ins etwas andere Istanbul dann doch überrascht. Ich wäre der Meinung gewesen, das kleinasiatische Land, aufgeteilt auf zwei Kontinente, würde wie Russland, Ägypten, Uganda oder Saudi Arabien Homosexualität unter (Todes)strafe stellen, doch in der Türkei lässt sich tatsächlich noch in individueller Freiheit leben. So ist auch die transsexuelle Szene in der Hauptstadt eine schillernde, die sich sogar juristisch vertreten fühlen kann. Die mitnichten eine Existenz im Verborgenen leben muss, die auf Akzeptanz und Toleranz stößt. Doch vielleicht lebt man das Anderssein auch nur in Metropolen wie dieser, denn Istanbul ist schließlich ein Knotenpunkt, ein Portal für Reisende, ein Schmelztiegel der Kulturen und kosmopolitisches Füllhorn an Ansichten und Einsichten. Ein Miteinander, mit anderen Worten, so, als wäre Istanbul ein eigener Staat im Staat. Jenseits der urbanen Gefilde mag es anders zugehen, insbesondere in der Provinz. Doch das ist eine andere Geschichte. In Crossing: Auf der Suche nach Tekla von Levan Akin (Als wir tanzten) wird die Stadt am Bosporus zum einnehmenden Ort der unverhofften Begegnungen.

Wie der Subtitel des Films schon vorwegnimmt, ist das Verschwinden einer gewissen Tekla wohl ein Umstand, der die unterschiedlichsten Persönlichkeiten zusammenbringt. Da ist die pensionierte Geschichtsprofessorin Lia (Mzia Arabuli), deren verstorbenen Schwester ihr das Versprechen abgenommen hat, Tochter Tekla wieder nachhause zu bringen. Erste Spuren lassen sich in Georgien verorten, doch dann führt der Weg weiter nach Istanbul – im Schlepptau der älteren Dame ein Junge namens Achi, der in der großen Stadt sein Glück versuchen will und bei Lias Nachforschungen zumindest versucht, hilfreich zur Hand zu gehen. Und da ist da noch Transfrau und Juristin Evrim (faszinierend: Deniz Dumanli), die sich für die rechtlichen Interessen ihrer Community einsetzt. Bis Evrim den beiden Besuchern aus dem benachbarten Georgien begegnet, vergeht eine gewisse Zeit. Warum Akin aber dieser Figur in seinem Film so auffallend viel Raum gibt, bleibt ob ihres nur temporären Einflusses auf die Handlung verwunderlich. Bis dahin beobachtet Crossing das Leben mancher Charaktere in parallelen Bahnen. Doch irgendwann kreuzen sich auch diese Wege, es entwickelt sich ein bereicherndes Miteinander, welches Synergien freisetzt, welche die pulsierende Metropole sofort wieder absorbiert, um sie in einladende Vibes zu verwandeln, denen sich kaum jemand – zumindest keiner der drei – wirklich wieder entziehen kann.

Dabei erzählt Akin keine große Geschichte, bleibt bescheiden in seinen Betrachtungen, will auch die queere Subkultur nicht wirklich zum Thema machen, sondern nur als Zeichen der Vielfalt erwähnen, hält sich zurück und gibt nur häppchenweise Biographisches aus den Leben von Lia, Achi und Evrim preis, will sie weder outen noch zu lebensverändernden Entscheidungen nötigen. Was Crossing im Sinn hat, ist das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Leben, bald ist die Suche nach Tekla nur noch ein abstrakter Motivator, um den eigenen Status Quo zu überdenken und dem individuellen Leben die eine oder andere überraschende Wendung abzuverlangen.

In authentischen und gerade durch ihre unverklärte Betrachtung auf ein fremdes und unerschlossenes Istanbul entstandenen poetischen Bildern widmet sich Crossing einem Lebensgefühl, das all die Suchenden zu umarmen gedenkt. Diese erfrischenden Momentaufnahmen erinnern an Tony Gatlifs kraftvoll-lebendigen Musikfilme (Vengo, Djam), welche ebenfalls dem Kolorit einer kulturellen Gemeinschaft nachspüren; die nicht viel erzählen wollen, sondern nur von gesellschaftlichen Entwürfen berichten, deren inhärente Energie dazu da ist, das Publikum aus seinen Stühlen zu heben, um es diesen Rhythmus, mal schnell, mal langsam, spüren zu lassen.

Crossing ist da natürlich gediegener, aber in Ansätzen versprüht Akins nachdenklich-schöne Erfahrung ebenfalls einige dieser Funken, nur bescheidener, zurückhaltender. Gerade durch diesen Schritt zurück ist daraus ein kontaktfreudiger, weltoffener Film geworden.

Crossing: Auf der Suche nach Tekla (2024)

Femme (2023)

VOM MANN, DER SEINER FRAU STEHT

7,5/10


femme© 2023 BBC / Agile Films


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: SAM H. FREEMAN & NG CHOON PING

CAST: NATHAN STEWART-JARRETT, GEORGE MACKAY, JOHN MCCREA, AARON HEFFERNAN, ANTONIA CLARKE, NIMA TELEGHANI, MOE BAR-EL U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Damit hatten schon Albert und Renato in Ein Käfig voller Narren kämpfen müssen: Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz durch alle Schichten, vor allem durch jene, die sich’s längst gerichtet haben und aufgestiegen sind zum Kulturattachée, wie der Vater der jungen Andrea, die ein Auge auf Renatos Sohn geworfen hat. Beide wollen heiraten, und um sich gegenseitig kennenzulernen, muss der schwule Besitzer eines Nachtclubs die versnobten Eltern zum Dinner laden. Liebling Alberto, Dragqueen bar excellence und längst eine Diva, ist gar nicht davon begeistert, ist er doch nicht mal willkommen und muss stattdessen zusehen, wie Renatos Exfrau seinen Platz einnimmt. Es wird klar: Als Dragqueen hatte man schon damals keine Chancen auf Akzeptanz. Und Schwulsein war etwas, das man hinter verschlossenen Türen praktiziert hat, ohne auch nur im Traum daran zu denken, sich irgendwo auf offener Straße zu committen.

Jean Poirets Theaterstück hat diese bedenkliche Inakzeptanz in einen zeitlosen Komödienklassiker verpackt, der zwar vordergründig ordentlich Lacher lukriert, in Wahrheit aber gesellschaftliche Defizite aufzeigt, die auf Kosten von Toleranz, Respekt und sexueller Freiheit ihr Unwesen trieben. Dabei hat der Job einer Dragqueen gar nichts mit sexuellen Präferenzen zu tun. Es können sich auch Hetero-Männer in den Fummel werfen, solange es Spaß macht und Frau die Bühne rockt – Why not? Meistens jedoch, und jedenfalls hier, im immersiven Beziehungsthriller Femme, ist der Star unterm Rampenlicht ein homosexueller Mann namens Jules, der die mit Verve und Stilsicherheit ausgestattete Aphrodite Banks zum Leben erweckt – mit Rasta-Mähne, eleganter Mode und perfekt sitzender Choreografie. Die Besucher toben, und wenn Aphrodite auftritt, gibt’s Glanz und Glamour. Nicht so außerhalb des Clubs. Denn da gibt’s Leute, die Dragqueens nicht mögen. Wie zum Beispiel der aggressive, Gift und Galle spritzende Preston, der anfangs die Gunst von Jules, immer noch gekleidet als Frau, auf sich zieht, was ihm gar nicht behagt. Wenig später, beim Zigarettenholen, passiert das Unausweichliche: Jules wird von Preston und seiner Gang angegangen, zusammengeschlagen und nackt und gebrochen auf der Straße liegengelassen. Ein Akt aus purem Hass. Jules aka Aphrodite wird diese Gesichter niemals vergessen, schon gar nicht das des Rädelsführers. Als Jules diesen in der Schwulensauna Monate später wiedererkennt, plant er, sich ihm anzunähern. Aus Rache, aus Neugier, wer weiß das schon so genau. Vor allem, um diesem Gewalttäter eine Lektion zu erteilen.

Als Revenge-Thriller würde ich Femme nicht unbedingt bezeichnen wollen. Diese Kategorisierung macht es sich zu einfach. Der auf der diesjährigen Berlinale erstmals präsentierte Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping lässt sich schwer in eine Genre-Schublade stecken. Natürlich trägt er die Anzeichen eines Thrillers, doch diese sind versteckt, subtil, finden sich stets in einer diffusen, von Spannungen aufgeladenen Atmosphäre wieder, aus der sich alles entwickeln kann. Eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung zum Beispiel, oder ein gelungenes Vabanquespiel, denn nichts anderes hat Jules im Sinn. Er will in Prestons Leben Platz gewinnen, so erniedrigend dies auch manchmal sein mag, insbesondere beim Sex. Da niemand weiß, dass Preston selbst schwul ist, scheint ein erzwungenes Outing die beste Methode, um ihn dranzukriegen. Wie sich diese Liaison aus Gehorchen und dem Sabotieren von Gefühlen letztlich entwickelt, bleibt fesselnd, nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Performance von Nathan Stewart-Jarrett (Dom Hemingway, Candyman). Ob dieser tatsächlich schwul ist oder nicht, braucht ja niemanden zu interessieren, denn im Gegensatz zu den Meinungen vieler „Wokisten“ ist Schauspielern nun mal die Kunst, in andere Rollen zu schlüpfen, eben auch in jene von Leuten, die sexuell anders orientiert sind. Wie auch immer Stewart-Jarretts Privatleben aussieht: als gekränkter, seelisch verletzter Mann, der wieder zurück zu seinem Selbstwert gelangen möchte und dabei die Ursache seiner Niederlage analysiert, um sie dann auszuquetschen wie eine Zitrone, spielt der charismatische Künstler auf der gesamten emotionalen Klaviatur, und das mit mimischer Akkuratesse, ohne nachzulassen und ohne vielleicht zu dick aufzutragen, mit Ausnahme des Makeups.

Diese Meisterleistung teil sich Stewart-Jarrett mit George McKay, den wir alle schließlich auch Sam Mendes 1917 kennen und der auch mal gerne ambivalente Rollen spielt, wie zum Beispiel diesen Ned Kelly im wüsten Australien-Western Outlaws. Als tätowierter Grenzgänger in steter Gewaltbereitschaft, mit unverhandelbaren Prinzipien und dann plötzlich wieder verletzlichem Charme ist das wohl eine der besten Darbietungen seiner Karriere. Beide ergänzen sich prächtig: beide entwickeln einen Sog aus psychologischer Manipulation, Freiheitskampf und Selbstbehauptung, dabei isolieren Freeman und Ping ihre beiden Akteure von allem anderen Beiwerk, rücken so nah wie möglich heran und bleiben stets so konzentriert, als würden sie durch ein Zielfernrohr blicken.

Doch wenn Femme schon kein klassischer Revenge-Thriller mit Bomben, Granaten und Shootouts ist, so ist er zumindest der Film Noir unter den queeren Filmen – grobkörnig bebildert, direkt und authentisch. Und düster genug, um nicht auf ein Happy End zu hoffen.

Femme (2023)