Femme (2023)

VOM MANN, DER SEINER FRAU STEHT

7,5/10


femme© 2023 BBC / Agile Films


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: SAM H. FREEMAN & NG CHOON PING

CAST: NATHAN STEWART-JARRETT, GEORGE MACKAY, JOHN MCCREA, AARON HEFFERNAN, ANTONIA CLARKE, NIMA TELEGHANI, MOE BAR-EL U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Damit hatten schon Albert und Renato in Ein Käfig voller Narren kämpfen müssen: Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz durch alle Schichten, vor allem durch jene, die sich’s längst gerichtet haben und aufgestiegen sind zum Kulturattachée, wie der Vater der jungen Andrea, die ein Auge auf Renatos Sohn geworfen hat. Beide wollen heiraten, und um sich gegenseitig kennenzulernen, muss der schwule Besitzer eines Nachtclubs die versnobten Eltern zum Dinner laden. Liebling Alberto, Dragqueen bar excellence und längst eine Diva, ist gar nicht davon begeistert, ist er doch nicht mal willkommen und muss stattdessen zusehen, wie Renatos Exfrau seinen Platz einnimmt. Es wird klar: Als Dragqueen hatte man schon damals keine Chancen auf Akzeptanz. Und Schwulsein war etwas, das man hinter verschlossenen Türen praktiziert hat, ohne auch nur im Traum daran zu denken, sich irgendwo auf offener Straße zu committen.

Jean Poirets Theaterstück hat diese bedenkliche Inakzeptanz in einen zeitlosen Komödienklassiker verpackt, der zwar vordergründig ordentlich Lacher lukriert, in Wahrheit aber gesellschaftliche Defizite aufzeigt, die auf Kosten von Toleranz, Respekt und sexueller Freiheit ihr Unwesen trieben. Dabei hat der Job einer Dragqueen gar nichts mit sexuellen Präferenzen zu tun. Es können sich auch Hetero-Männer in den Fummel werfen, solange es Spaß macht und Frau die Bühne rockt – Why not? Meistens jedoch, und jedenfalls hier, im immersiven Beziehungsthriller Femme, ist der Star unterm Rampenlicht ein homosexueller Mann namens Jules, der die mit Verve und Stilsicherheit ausgestattete Aphrodite Banks zum Leben erweckt – mit Rasta-Mähne, eleganter Mode und perfekt sitzender Choreografie. Die Besucher toben, und wenn Aphrodite auftritt, gibt’s Glanz und Glamour. Nicht so außerhalb des Clubs. Denn da gibt’s Leute, die Dragqueens nicht mögen. Wie zum Beispiel der aggressive, Gift und Galle spritzende Preston, der anfangs die Gunst von Jules, immer noch gekleidet als Frau, auf sich zieht, was ihm gar nicht behagt. Wenig später, beim Zigarettenholen, passiert das Unausweichliche: Jules wird von Preston und seiner Gang angegangen, zusammengeschlagen und nackt und gebrochen auf der Straße liegengelassen. Ein Akt aus purem Hass. Jules aka Aphrodite wird diese Gesichter niemals vergessen, schon gar nicht das des Rädelsführers. Als Jules diesen in der Schwulensauna Monate später wiedererkennt, plant er, sich ihm anzunähern. Aus Rache, aus Neugier, wer weiß das schon so genau. Vor allem, um diesem Gewalttäter eine Lektion zu erteilen.

Als Revenge-Thriller würde ich Femme nicht unbedingt bezeichnen wollen. Diese Kategorisierung macht es sich zu einfach. Der auf der diesjährigen Berlinale erstmals präsentierte Film von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping lässt sich schwer in eine Genre-Schublade stecken. Natürlich trägt er die Anzeichen eines Thrillers, doch diese sind versteckt, subtil, finden sich stets in einer diffusen, von Spannungen aufgeladenen Atmosphäre wieder, aus der sich alles entwickeln kann. Eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung zum Beispiel, oder ein gelungenes Vabanquespiel, denn nichts anderes hat Jules im Sinn. Er will in Prestons Leben Platz gewinnen, so erniedrigend dies auch manchmal sein mag, insbesondere beim Sex. Da niemand weiß, dass Preston selbst schwul ist, scheint ein erzwungenes Outing die beste Methode, um ihn dranzukriegen. Wie sich diese Liaison aus Gehorchen und dem Sabotieren von Gefühlen letztlich entwickelt, bleibt fesselnd, nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Performance von Nathan Stewart-Jarrett (Dom Hemingway, Candyman). Ob dieser tatsächlich schwul ist oder nicht, braucht ja niemanden zu interessieren, denn im Gegensatz zu den Meinungen vieler „Wokisten“ ist Schauspielern nun mal die Kunst, in andere Rollen zu schlüpfen, eben auch in jene von Leuten, die sexuell anders orientiert sind. Wie auch immer Stewart-Jarretts Privatleben aussieht: als gekränkter, seelisch verletzter Mann, der wieder zurück zu seinem Selbstwert gelangen möchte und dabei die Ursache seiner Niederlage analysiert, um sie dann auszuquetschen wie eine Zitrone, spielt der charismatische Künstler auf der gesamten emotionalen Klaviatur, und das mit mimischer Akkuratesse, ohne nachzulassen und ohne vielleicht zu dick aufzutragen, mit Ausnahme des Makeups.

Diese Meisterleistung teil sich Stewart-Jarrett mit George McKay, den wir alle schließlich auch Sam Mendes 1917 kennen und der auch mal gerne ambivalente Rollen spielt, wie zum Beispiel diesen Ned Kelly im wüsten Australien-Western Outlaws. Als tätowierter Grenzgänger in steter Gewaltbereitschaft, mit unverhandelbaren Prinzipien und dann plötzlich wieder verletzlichem Charme ist das wohl eine der besten Darbietungen seiner Karriere. Beide ergänzen sich prächtig: beide entwickeln einen Sog aus psychologischer Manipulation, Freiheitskampf und Selbstbehauptung, dabei isolieren Freeman und Ping ihre beiden Akteure von allem anderen Beiwerk, rücken so nah wie möglich heran und bleiben stets so konzentriert, als würden sie durch ein Zielfernrohr blicken.

Doch wenn Femme schon kein klassischer Revenge-Thriller mit Bomben, Granaten und Shootouts ist, so ist er zumindest der Film Noir unter den queeren Filmen – grobkörnig bebildert, direkt und authentisch. Und düster genug, um nicht auf ein Happy End zu hoffen.

Femme (2023)

Vom Ende einer Geschichte

BLICK ZURÜCK IN REUE

5/10


endeeinergeschichte© 2018 Wild Bunch


LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: RITESH BATRA

CAST: JIM BROADBENT, HARRIET WALTER, CHARLOTTE RAMPLING, MATTHEW GOODE, EMILY MORTIMER, MICHELLE DOCKERY, BILLIE HOWLE U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Den britischen Schauspieler Jim Broadbent kennt die breite Front der Kinogeher wohl am ehesten aufgrund seiner Rolle als Horace Slughorn, verschrobener Professor für Zaubertränke aus der Harry-Potter-Episode um den Halbblutprinzen. Dank ihm, also dieser Figur, wissen wir Bescheid über Horkruxe. In der Verfilmung eines Romans des Engländers Julian Barnes hat er alles Magische abgelegt und lebt als Pensionist ein Leben der Gelassenheit und der Freude an alten Fotoapparaten. Um seine Rente aufzubessern, führt er auch noch einen winzig kleinen Laden für Analoges aller Art. Irgendwann aber bekommt der Senior einen Brief vom Notar. Anscheinend hat er was geerbt – genauer gesagt ist es ein Tagebuch von einem ehemaligen Kommilitonen aus der Studentenzeit, das aber wiederum in die Hände der eben verstorbenen Mutter seiner ehemaligen Freundin geraten war. Was hat es damit wohl auf sich? Broadbent wassert nach. Mit ihm der Film, der natürlich, wie es für BBC-Produktionen oft typisch ist, auf zwei weit auseinanderliegenden Zeitebenen fährt. In einer davon lernen wir Broadbents Ich in jugendlichen Jahren kennenlernen. Und kommen der ganzen Sache mit dem Tagebuch langsam, aber sicher, auf die Spur.

Vom Ende einer Geschichte, inszeniert vom indischen Filmemacher Ritesh Batra (Lunchbox, Photograph) ist wirklich kein Film, der lange in Erinnerung bleibt. Kein Wunder, dass die Figur des Rentners Tony sich nur vage an all die Dinge von damals erinnert, so verdröselt und detailverliebt kommen sie daher. Im Grunde ist die Literaturverfilmung kein schlechter Film, aber auch nichts wirklich Bewegendes. Klassische Prosa, über Liebe, Freundschaft und tragischen Zufällen, die das Leben so einiger beeinflusst haben. Doch mich wundert nicht, das Vom Ende einer Geschichte allzu gemächlich vor sich hinsinniert und eigentlich lieber als Vorlage gelesen werden will: Ritesh Batra ist nicht wirklich dafür bekannt, fesselnde Geschichten zu erzählen. Zumindest mir nicht. Photograph war eine arg hölzerne Romanze. Dieser Film hier hat zumindest den professionell aufspielenden Jim Broadbent als Star in petto. Die Story selbst aber ist für einen Film recht bemüht konstruiert, über mehrere Ecken gehend, das Kolorit früherer Jahre so gerne einfangend. Dabei aber immer so in den Erinnerungen kramend, wie man es tut, wenn alte Fotoalben gesichtet werden und verschiedenste Bilder im Kopf wieder aufpoppen. Das ist für den, der dabei war, sicher emotional erregend. Für den fremden Betrachter einer solchen Geschichte ist das eine biedere Schicksalsnummer über Verantwortung und Widergutmachung, gesprächig und gut besetzt, allerdings recht distanziert und umständlich.

Vom Ende einer Geschichte

Geheimnis eines Lebens

PATT FÜR DEN WELTFRIEDEN

4/10

 

geheimniseineslebens© 2019 eOne Germany

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: TREVOR NUNN

CAST: JUDI DENCH, SOPHIE COOKSON, TOM HUGHES, STEPHEN CAMPBELL MOORE U. A.

 

Da jätet man im Vorgarten sein Unkraut, und macht es sich sonst so im betagten Alter bequem, da holt einen plötzlich die Vergangenheit ein – und das mehrere Jahrzehnte später. So passiert bei Judy Dench im Film Geheimnis eines Lebens, oder wie im Original noch treffender: Red Joan. Warum dieses? Warum ist diese Joan eine rote? Rot, das sind die Sozialisten, und Rot ist auch der Kommunismus, und der war ein Dorn im Auge aller anderen Großmächte, nur nicht Russlands. Das, woran sich Joan Stanley erinnert, das ist die finstere Zeit des Wettrüstens, des Entwickelns und Ausbaus der verheerendsten Waffe der Menschheitsgeschichte: Der Atombombe.

Diese Joan Stanley aber, die hat es nie gegeben. Eine Person mit dem Namen Melita Norwood aber schon – und die hat genau das gemacht, was für Judy Dench Jahrzehnte später während eines gemütlichen Tages in der Pension wie ein Damoklesschwert plötzlich niederfährt. Um wegen Spionage ins Zuchthaus zu wandern, dafür ist man nie zu alt. Spione, das sind die Personas Non Grata schlechthin, auch wenn ihr Beweggrund dafür ein redlicher gewesen sein mag – oder einer, der den Weltfrieden gewährleistet hat, zumindest für einige Zeit. Aber Verräter ist Verräter, da geht’s laut Staat irgendwie ums Prinzip. Und die alte Joan Stanley aka Dench, die in einem auffallend devastierten Zustand und mit grabentiefem Faltenwurf da vor dem Verhörkommando sitzt, erzählt ihre Geschichte. Dumm nur, dass Regisseur Trevor Nunn für die junge Spionin Joan die Schauspielerin Sophie Cookson gecastet hat – die nämlich mit der Intensität ihrer Rolle nur sporadisch zurechtkommt. In den Anfangsszenen vielleicht, aber längst nicht mehr dann, wenn das Netzwerk von Spionage, Verrat und Übergabe so richtig ins Rollen kommt. Gut, nicht jeder Spion kann mit Mark Rylance besetzt werden, der in Spielbergs Bridge of Spies der absolut Richtige für diesen Job war. Oder mit Ulrich Mühe aus Das Leben der anderen. Weibliche Spione lassen sich mit Rylance aber leider nicht besetzen, und junge Spioninnen schon gar nicht. Cookson erreicht hier einfach nicht die Tiefe, die für diese Figur wünschenswert gewesen wäre. Und auch die Kompanie der männlichen Nebendarsteller, die sich um Cookson scharen, entwickeln kein Charisma, haben kaum eine Biografie. Das ganze Ensemble bedient sich grundsoliden Stereotypen, die schon hundertmal ihren Auftritt hatten, die aber im Grunde nicht so viel Schaden anrichten, um einen Film so richtig zu vermasseln.

Ganz vermasselt ist Geheimnis eines Lebens demnach eben nicht. Die Story mag schon interessant sein, die Prämisse dahinter, mit einer Pattsituation unter den Großmächten den Frieden zu sichern, indem die Pläne der Atombombe wie ein Wanderpokal an Russland weitergereicht werden, ist so radikal wie mutig und von einer frappanten Logik. Aber dennoch – Trevor Nunns Spielfilm (normalerweise ist der Mann Indendant der Shakespeare Company und im Theater zuhause) ist nicht mehr als ein zögerliches Fernsehfilmereignis als BBC-Bildungsauftrag, der wie ein Postit an jedem Kader des Films hängt. Warum darin Melita Norwood plötzlich anders heisst, kann mir auch keiner erklären, vielleicht hat das etwas mit Namensrechten zu tun, wer weiß. Nachkommen der britischen „Mata Hari“ gibt es ja. Doch das ist das geringste Problem. Ein Fall wie dieser hat filmtechnisch mehr Sorgsamkeit verdient. Und weniger das Prädikat eines uninspirierten Schulfernsehens, schauspielerisch wie inszenatorisch.

Geheimnis eines Lebens