The End (2024)

BLEIBT DEN MENSCHEN NOCH DAS SINGEN

4,5/10


© 2025 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: DÄNEMARK, DEUTSCHLAND, IRLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: JOSHUA OPPENHEIMER

DREHBUCH: JOSHUA OPPENHEIMER, RASMUS HEISTERBERG

CAST: TILD SWINTON, MICHAEL SHANNON, GEORGE MACKAY, MOSES INGRAM, BRONAGH GALLAGHER, TIM MCINNERNY, LENNIE JAMES, DANIELLE RYAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Die Zeit nach dem Untergang muss nicht immer zum Spannendsten gehören, was die Welt je erlebt hat. Muss diese denn sterben, um was zu erleben? Mitnichten. In Film und Fernsehen hat die Apokalypse stets einen Nachhänger: die Postapokalypse, das elende Nichts danach, in welchem das letzte Häufchen an Menschen im übertragenen Sinn das Feuer neu entdeckt. Hinzu kommen meist Horden von Zombies oder andersgeartete Monster. Oder es passiert gar nichts, es ist einfach nur öde, und die Überlebenden haben sich längst unter die Erdoberfläche zurückgezogen, denn von dort ist nichts mehr zu holen. In Fallout oder Silo zum Beispiel, beides angesagte Science-Fiction-Serien, ist das kolportierte Ende der Welt nur politisches Druckmittel eines diffusen Machtapparats. Selbst im nun schon in die Jahre gekommenen Klassiker Flucht ins 23. Jahrhundert hat sich jenseits des kuppelförmigen Jungbrunnens längst eine neue, fruchtbare Wildnis etabliert. In Joshua Oppenheimers Alltag nach dem verheerenden Tag X denkt keiner daran, wiedermal einen Blick an die Oberfläche zu wagen. Kann ja sein, dass es sich im Licht einer immer noch strahlenden Sonne besser leben lässt als in einem Kalksteinbunker, in welchem der Feinstaub garantiert irgendwann eine kaputte Lunge garantiert, und zwar bei allen Beteiligten.

Diese Beteiligten sind die Gruppe aus einer dreiköpfigen Familie und liebgewonnenen Freunden, wie auch immer haben sich diese ein schmuckes Zuhause gestaltet, alles schön klassizistisch vertäfelt, überall hängen museumsreife Gemälde von Renoir oder Degas, es ist schließlich nicht so, als hätten die Damen und Herren hier unten von null auf eine neue Existenz errichtet. Sie müssten also schon weit vorher gewusst haben, dass alles zu Ende gehen wird. Und nun ist es da, und es gibt keine Zombies und keine toxische Atmosphäre, keine marodierenden Anarchisten, Sekten, invasive Alienrassen oder die Herrschaft künstlicher Intelligenzen. Oppenheimer lässt uns im Unklaren darüber, was wirklich geschehen sein mag. Wichtig ist nur, die Nachwelt als die Illusion einer trauten Gemeinschaft zu erhalten. Und die gestaltet sich ziemlich ereignislos. Ja, das Ende kann zum quälenden Müßiggang werden, in dem man seinen Hobbies frönt oder vor lauter Langeweile plötzlich anfängt, zu singen. Im Prinzip mal keine schlechte Alternative, Musik vertreibt dunkle Gedanken, macht glücklich, schüttet genug Endorphine aus, um zuversichtlich ins Morgen zu blicken. The End wird damit zum zaghaften Musical inmitten einer Art lieben Familie, die gemeinsam zu Tisch sitzt oder am Diorama eines intakten Amerikas herumschraubt.

Und plötzlich ist sie da, die junge Frau, die es geschafft hat, von außen in die heile Welt von Tilda Swinton, Michael Shannon und George McKay einzudringen. Viel Nachricht von jenseits des Bunkers scheint sie nicht zu bringen, doch klar wird, dass die Welt da oben nicht vergiftet ist. Moses Ingram (die Inquisitorin Reva aus der Star Wars Serie Obi-Wan Kenobi) mischt dann folglich auch noch mit, wenn es heisst, wiedermal einen Song zum Besten zu geben, der nur bedingt melodisch scheint. Ingram hat aber die weitaus beste Stimmlage, und wenn sie mal das Rampenlicht okkupiert, klingt das wohl in den Ohren – nicht so bei Tilda Swinton. Doch Swinton hat andere Stärken. Sie alle eint, dass sie verdrängt haben, was vor dem Ende alles passiert war – welche Tragik, welche Fehler, welche Widersprüche. Um mit sich selbst ins Reine zu kommen, dafür braucht es aber keinen Film, der weit mehr als zwei Stunden dauert. Oppenheimer wagt hier keinerlei Ausbrüche, er weigert sich, die Lage zu einer prekären werden zu lassen. Es wird geredet, erkannt, reflektiert, dann wieder gesungen, alles in der kulissenhaften Monotonie eines Endzeit-Downton Abbey, jenseits der Tore ins Eigenheim ausgehöhlte Tunnel, allerhand Staub. Und keine Lust darauf, die Dinge zu ändern. Nicht mal George McKay, längst flügge, wagt seine eigene Zukunft, obwohl die Chance dafür zum Greifen nahe liegt. Handlung, wo gehst du hin, könnte man fragen. Leider nirgendwo.

Da sich alle im Kreise drehen und Oppenheimer sein schleppendes Kammerspiel weitgehend sich selbst überlässt, ohne den Schicksalsgott zu spielen oder den verordneten Selbstbetrug in einem Aufschrei aufzudröseln, mag The End manche aus dem Publikum in den Schlaf singen. Selten war die Postapokalypse so fade.

The End (2024)

Roman J. Israel, Esq.

VERRAT IN EIGENER SACHE

7,5/10

 

Roman J. Israel Esq.© 2017 Columbia Pictures

 

LAND: USA 2017

REGIE: DAN GILROY

CAST: DENZEL WASHINGTON, COLIN FARRELL, CARMEN EJOGO, TONY PLANA U. A.

 

Erst vor Kurzem noch hat er als unkaputtbarer Einzelkämpfer Robert McCall, genannt der Equalizer, sämtlichen Schurken gezeigt, was es heißt, Selbstjustiz zu üben. Einen gefühlten Augenaufschlag später wird der Profikiller zu einem nerdigen Paragraphenritter mit eidetischem Gedächtnis. Die Rede ist von Denzel Washington, einer meiner persönlichen Top Ten unter den gern gesehenen Schauspielern. Vielleicht ist es das enorm selbstbewusste, einnehmende Charisma hinter jeder seiner Rollen. Dieses expressive Versenken in seinen Figuren. Vollblut, nenne ich sowas. In Dan Gilroy´s filmgewordenen Justiz- und Moraldilemma Roman J. Israel, Esq. (ein nicht gerade verkaufsfördernder, weil kaum prickelnder Titel) agiert Washington in deutlichem Kontrast zu seinen Actioneskapaden und schlendert im Watschelgang, schlechtsitzenden Anzügen und Afro durch die Straßen von Los Angeles, der Stadt der gefallenen Engel. Diese Rolle, die wäre Schauspielkollege Forrest Whitaker geradezu auf den Leib geschnitten gewesen. Für den formatfüllenden König von Schottland mit Hängelied und dem irritierend naiven Gehabe eines großen Kindes wäre die Figur des hochbetagten Außenseiters vielleicht sogar zu aufgelegt gewesen. Für Washington ist diese Rolle ein weiterer Beweis seines profunden Talents und ein wichtiger Eckpfeiler seines darstellerischen Schaffens. Für jene, denen die Oscar-Verleihung 2018 schon zu weit zurückliegt: eine Nominierung als bester Hauptdarsteller war hierfür eigentlich selbstredend.

Umso mehr verwundert es mich erneut, dass sehenswerte Filme wie dieser vom Kinoverleih schmählichst ignoriert werden. Zumindest haben Filmliebhaber das leicht geschmälerte Vergnügen, Roman J. Israel, Esq. im Heimkino zu bewundern. Denn sehen sollte man diesen intensiven Streifen auf alle Fälle, nicht nur als Fan Washingtons. Vielleicht auch, wenn man ein Bewunderer der literarischen Werke Friedrich Dürrenmatts ist. Der geniale Schweizer Dramatiker und Romancier hat sich Zeit seines Schaffens mit Themen wie Moral, Verantwortung und den Achillesfersen der Gesellschaft angenommen, die er dann auf die Spitze trieb. Auf den Worst Case ließ er es ankommen, stets mit einem niemals allzu moralinsauren Sarkasmus, eher mit der alles verschluckenden Schwärze einer Konsequenz, die kommen muss.

Dan Gilroy, der schon mit Nightcrawler die Frage der Moral in den Grundfesten erschüttern ließ, hat nun, ebenfalls aus eigener Feder, einen wuchtigen Eigenbrötler und Einzelkämpfer aufs Tablett gebracht, der nach rund 40 Jahren als Partner eines Anwalts vor verschlossenen Türen steht und sich neu orientieren muss. Ein wandelndes Lexikon aller Paragraphen des amerikanischen Gesetzes, aber desillusioniert, was das System angeht. Der schmierige Lackaffe und Staranwalt George Pierce, raffiniert undurchsichtig verkörpert von Colin Farrell, will ihn mehr aus Mitleid als aus Überzeugung mit ins Boot holen, um ihn bald ob seiner unorthodoxen, weltfremden Arbeitsmethoden zu rügen. Schlimmer noch, er macht ihn zur Schnecke. Und irgendwann zerbricht das Weltbild des seltsamen, prinzipientreuen Vogels, der überall aneckt und unangenehm auffällt. Spätestens dann ist der Pakt mit dem Teufel nicht der mit dem Lackaffen als Advokat, sondern mit einem verräterischen Selbst, dass aus kindlichem Trotz rundumschlägt, resigniert und ein Lebensglück erzwingt, dass allen guten Vorsätzen widerspricht.

Wie Roman J. Israel das macht, ist faszinierend, spannend und umwerfend dargeboten. Die paraverbale Sprache Washingtons, der Entwurf dieses dem Mainstream entwurzelten Charakters, ist meisterlich bis ins Detail. Wenn er blickt, denkt, in Rage gerät, dann ist das schlüssig, greifbar und mitreißend. Dabei muss er gar keine großen Reden schwingen, doch selbst wenn er seine Quergedanken artikuliert, kommt man nicht umhin, sich ein Stück davon mitzunehmen. Denn prinzipiell hat er ja recht. Und um so schmerzlicher ist es, mitanzusehen, wie die eigenen Ideale dem einfordernden Wunsch nach Wohlstand zum Opfer fallen. Washington´s famoser Kraftakt ist ein erkenntnisreiches Gleichnis und ein hörbarer Imperativ, zu sich selbst zu stehen. Roman J. Israel, Esq. ist ein Antiheld, ein Verlierer, der aber schon längst gewonnen hätte, wäre da nicht der Druck von außen, der mehr und ganz etwas anderes verlangt.

Roman J. Israel, Esq.