Don’t Worry Darling

DESPERATE HOUSEWIVES 2.0

5/10


dontworrydarling© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: OLIVIA WILDE

BUCH: CAREY & SHANE VAN DYKE, KATIE SILBERMAN

CAST: FLORENCE PUGH, HARRY STYLES, OLIVIA WILDE, CHRIS PINE, GEMMA CHAN, KIKI LAYNE, NICK KROLL, DOUGLAS SMITH, DITA VON TEESE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Die Black List ist eine jährliche Zusammenfassung aller Drehbücher, die zu gut sind, um sie in der Rundablage verkommen zu lassen – um die sich aber bis zu gegebenem Zeitpunkt auch noch keiner geschert hat. Potenzial, das also darauf wartet, auf die große Leinwand zu kommen. Geniale Konzepte, komplex und schlüssig, die Kehrseite des Giftschranks. Eines dieser jahrelang in der Warteschleife befindlichen Skripten hieß Don‘ t Worry Darling. Wie sich herausstellt: Das Warten hatte zwar ein Ende, doch die große Erlösung kam um einiges zu spät. Nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem ganz andere Drehbücher von ganz anderen Leuten Ähnliches zu erzählen wussten und Don’t Worry Darling in seiner kolportierten Exklusivität im Vergleich dazu etwas alt aussieht. Was der Thriller, inszeniert von Olivia Wilde (Booksmart), aus dem Sack lassen will, ist zwar formvollendete Mystery mit Anleihen, die in der Feminismus-Debatte zu finden sind, in seinen Innovationen aber hinterher hinkt. Ist Don’t Worry Darling also ein verzichtbares Stück Hochglanzkino?

Nun, so richtig schlecht gerät das Vexierspiel nicht, allein schon aufgrund des überzeugend agierenden Ensembles um Florence Pugh, die allesamt auf einen hinausgezögerten Story-Twist hinarbeiten, der den Kinosaal letzten Endes wohl kaum mit staunendem Geraune füllen wird. Hier fällt einem maximal die Kinnlade herunter aufgrund des Schlendrians, unter welchem das geheim gehaltene Konstrukt dahinter aller Welt präsentiert wird.

Dabei habe ich mir schon im Vorfeld, beim Lesen anderer Rezensionen und der Synopsis des Films so meine Gedanken gemacht, wie das Ganze wohl würde enden können. Die Frauen von Stepford, Die Truman Show oder Get Out wurden hier bereits vergleichend zu Rate gezogen. Daraus lässt sich schon ein Bild machen. Vor allem für letzteren – oder besser gesagt – dem kreativen Universum des Jordan Peele zeigt Don’t Worry Darling eine unverblümt nacheifernde Affinität. Denn so seltsam, wie Peele seine Filme arrangiert, lässt auch Olivia Wilde die rätselhaften Ereignisse beginnen. Mitten in der Wüste, irgendwo in den USA (nehme ich an), inmitten einer 50er-Jahre Zeitblase in Ausgestaltung einer Kleinstadt, die an Desperate Housewives und ihre Wisteria Lane erinnert, mit Shoppingcenter, Schwimmbad und netten Lokalen. Konzentrisch angeordnet und von Paaren bewohnt, die den männlichen Chauvinismus aus verstaubten Jahrzehnten hochhalten. In diesem Lebensentwurf gehen die Herren der Schöpfung arbeiten, während die Frau eben als Hausfrau putzt, kocht und wenn noch Freizeit bleibt, mit den anderen Hausfrauen abhängt, um über Gehaltloses zu plaudern. Small Talk auf ewig, unter glühender Sonne. Wer will das nur? Aber bitte, für jede Philosophie gibt es Mikrostaaten, warum nicht auch für diese, die von einem mysteriösen Lackaffen namens Frank (herrlich undurchschaubar: Chris Pine) als Beinahe-Sektenführer mit überzeugenden, aber leeren Phrasen am Laufen gehalten wird. Bis Florence Pugh als bisher drolliges Herzblatt die Grenzen überschreiten wird, langsam merkt, dass hier nichts so ist, wie es scheint und offen das System attackiert. Ex-One Direction-Sänger Harry Styles, der scheinbar mehr weiß als seine bessere Hälfte, rauft sich derweil sein gestyltes Haar. Und Olivia Wilde herself nippt am Drink.

Und ja, das ganze Szenario sieht gut aus. Florence Pugh folgt man gerne – aber viel zu lange – durch den Nebel der Tatsachen, wünscht ihr viel Erfolg dabei und stellt sich trotzig an ihre Seite, wenn sie Chris Pine die Leviten liest. Das wiederum bedeutet: Olivia Wilde hat ein Gespür für Regie, ganz ungeachtet irgendwelcher Techtelmechtel hinter den Kulissen, die mich erstens nichts angehen, und zweitens auch nicht tangieren. Wo Wilde Einspruch hätte erheben können, wäre beim Drehbuch der Gebrüder Carey und Shane van Dyke gewesen (Fun Fact: beides Söhne des Schauspielers Dick van Dyke). Die Prämisse, die der Story nach dem notgedrungenen Twist zugrunde liegt, der wiederum die einfachste und bequemste Form einer Wahrheit offenbart, die man nur offenbaren kann, fällt haltlos aus allen Wolken. Durchdacht ist hier wenig, und all diese vielen Fragen, die sich auftürmen, nachdem wir alle wissen, was los ist, lassen sich dann auch nicht mehr in Kauf nehmen, nur um auf einer weiteren Metaebene über Selbstbestimmung und Frauenbilder zu diskutieren. Dafür verlässt sich Don’t Worry Darling zu sehr auf seine rätselhaften Versatzstücke, Männer in roten Overalls (siehe Jordan Peeles Wir) und Puzzleteilen, die zu einem anderen Spiel gehören.

Dennoch bleibt Don’t Worry Darling schauspielerisch spannend und dicht erzählt, die tanzenden Damen aus den 20ern (so sehr 50er ist der Film gar nicht – mit Ausnahme der farbenfrohen, fahrbaren Untersätze) stehen für den gepredigten Ordnungswahn, der sagt, wo Frau hingehören soll. Das alles entbehrt nicht einer gewissen Sogwirkung und eines Unterhaltungswerts, doch um wirklich einen Knüller zu fabrizieren, der die mittlerweile abgedroschenen Mystery-Formeln außen vorlässt, um neue zu entdecken: dafür hätte man gleich ein ganz anderes Skript schreiben können.

Don’t Worry Darling

Kaffee mit Milch und Stress

WIE DIE ALTEN SUNGEN

6/10

 

kaffeemilchstress© 2017 Filmladen Filmverleih

 

LAND: FINNLAND 2017

REGIE: DOME KARUKOSKI

MIT ANTTI LITJA, PETRA FREY, MARI PERANKOSKI, LIKKA FORSS U. A.

 

Entweder die Alten flüchten aus dem Altersheim, und zwar nicht durch die Hintertür, sondern durch das Fenster. Oder sie grummeln herum und werden nur langsam zu Verbündeten. Oder sie isolieren sich tief in den Wäldern und hacken noch das Kleinholz wie anno dazumal. Blöd nur, wenn der alte Aussteiger dann über die Kellertreppe stürzt – dann gibt es nämlich kein Entkommen mehr aus der Gegenwart, da lässt sich die Zeit auch nicht mehr zurückdrehen. Da muss der alte Mann der Realität ins Auge sehen: die Konservierung vor dem Verfall funktioniert so nicht ganz, und wenn dann der Nachwuchs noch alles besser weiß, gibt’s ordentlich Zündstoff. Was ich damit sagen will – Das Kino Nordeuropas gibt seinen Senioren zumindest filmtechnisch genügend Sendezeit. Mit diebischer Freude dürfen sie gesellschaftliche Dogmen über Bord werfen, radikales Entkommen wählen oder einfach nur sagen, was Sache ist. Das nämlich früher alles besser war. Das meint der alte Hinterwäldler, und hört nicht auf, es wieder und wieder zu betonen, vor allem wenn ihm die Schwiegertochter Mate Tee statt Kaffee vorsetzt. Da könnte ich aber mit meinen jungen Jahren auch schon die Nerven schmeißen. Nichts geht über Kaffee. Wie erschreckend, wenn der Haushalt seines Filius nicht mal mehr den Frischgemahlenen verarbeiten kann. Und Sojakost zum Nachtmahl – Nein, Danke. In vielen Dingen hat der alte Besserwisser so ziemlich recht. Und er lässt keinen Moment verstreichen, seine Ansichten kundzutun. Aber, was wir natürlich schon im Vorfeld wissen – er hat nicht in allem Recht.

Kaffee mit Milch und Stress ist eine zerknautschte Tragikomödie über die Verklärung der guten alten Zeit und über die mangelnde Reflexion der Neuzeit. Mittendrin ein alter Mann, der nicht so griesgrämig ist wie ein Mann namens Ove, der aber als Verfechter von Bewährtem in einer Zeitkapsel existiert und so lebt, als dürften die kommenden Tage nur Variationen der besten Momente von damals sein. Viel zu schmerzhaft ist die Vergänglichkeit, das Gewesene, das niemals Wiederkehrende. Filme über das Alter sind selten nur frohgemute Komödien mit allerlei skurrilen Anteilen – Filme dieser Art sind oft traurig, wehmütig, und bieten genug Anknüpfungspunkte an die eigene Familiengeschichte – was sie nur noch er- und begreifbarer macht. Regisseur Dome Karukoski (Helden des Polarkreises) lässt seinen stets mit einer ausladenden Bärenfellmütze geschmückten Eigenbrötler im Grunde längst nicht resignierend daherkommen – viel zu viel von all dem Alten wurde lange Zeit erfolgreich gehütet, so wie der kleine rote Ford Escort – für die nötige Wehmut sorgt die musikalische Untermalung der ganzen Familiendramödie, die vielleicht um einiges zu dick aufträgt und eigentlich situationskomische Szenen in verheißungsvoller Melancholie missinterpretiert. Das mag bei den wie alten Postkarten eingefärbten Rückblenden passend sein, nicht aber den ganzen Film hindurch. Ein Beispiel, wie sehr der Soundtrack Filmszenen umfärben kann, die im Grunde gar nicht so gemeint sind. Oder doch? Schön und stimmungsvoll ist sie ja.

Wobei die besten Szenen eben jene sind, in der die erfolgreiche Businessfrau und Schwiegertochter Liisa den alten Hinterwäldler während eines Geschäftsabschlusses mit russischen Interessenten an der Backe hat. Die skurrile Konstellation erinnert nicht nur ungefähr an die österreichisch-deutsche Tragikomödie Toni Erdmann, wo Papa Simonischek nicht von der Tochter Seite rückt, nur, um ihr zu zeigen, dass das Leben durchaus eine Portion ungezwungenen Spaß vertragen kann. Bärenfell-Opa will ähnliches, allerdings längst nicht so von langer Hand geplant. In diese Schiene hinein hätte noch mehr passieren können. Stattdessen schlägt der Film eine für finnische Verhältnisse fast schon konventionelle Richtung ein, die sicherlich aufrichtig gemeint und in sich stimmig ist, im Endeffekt aber in der Art und Weise, wie er den unausweichlichen Generationen-Clash interpretiert, auf bewährte Messages zurückgreift. Kaffee mit Milch und Stress lässt Älterwerden nur dann zu, wenn auch sonst alles beim Alten bleibt. Das hat natürlich Witz und gewährt Einsicht, für die geistige Frischzellenkur von Vater und Sohn, die beide mit Gewohntem brechen müssen, fehlt fast ein bisschen das gewisse Radikale, auch wenn der Ford Escort auf dem Autofriedhof landet.

Kaffee mit Milch und Stress

Roman J. Israel, Esq.

VERRAT IN EIGENER SACHE

7,5/10

 

Roman J. Israel Esq.© 2017 Columbia Pictures

 

LAND: USA 2017

REGIE: DAN GILROY

CAST: DENZEL WASHINGTON, COLIN FARRELL, CARMEN EJOGO, TONY PLANA U. A.

 

Erst vor Kurzem noch hat er als unkaputtbarer Einzelkämpfer Robert McCall, genannt der Equalizer, sämtlichen Schurken gezeigt, was es heißt, Selbstjustiz zu üben. Einen gefühlten Augenaufschlag später wird der Profikiller zu einem nerdigen Paragraphenritter mit eidetischem Gedächtnis. Die Rede ist von Denzel Washington, einer meiner persönlichen Top Ten unter den gern gesehenen Schauspielern. Vielleicht ist es das enorm selbstbewusste, einnehmende Charisma hinter jeder seiner Rollen. Dieses expressive Versenken in seinen Figuren. Vollblut, nenne ich sowas. In Dan Gilroy´s filmgewordenen Justiz- und Moraldilemma Roman J. Israel, Esq. (ein nicht gerade verkaufsfördernder, weil kaum prickelnder Titel) agiert Washington in deutlichem Kontrast zu seinen Actioneskapaden und schlendert im Watschelgang, schlechtsitzenden Anzügen und Afro durch die Straßen von Los Angeles, der Stadt der gefallenen Engel. Diese Rolle, die wäre Schauspielkollege Forrest Whitaker geradezu auf den Leib geschnitten gewesen. Für den formatfüllenden König von Schottland mit Hängelied und dem irritierend naiven Gehabe eines großen Kindes wäre die Figur des hochbetagten Außenseiters vielleicht sogar zu aufgelegt gewesen. Für Washington ist diese Rolle ein weiterer Beweis seines profunden Talents und ein wichtiger Eckpfeiler seines darstellerischen Schaffens. Für jene, denen die Oscar-Verleihung 2018 schon zu weit zurückliegt: eine Nominierung als bester Hauptdarsteller war hierfür eigentlich selbstredend.

Umso mehr verwundert es mich erneut, dass sehenswerte Filme wie dieser vom Kinoverleih schmählichst ignoriert werden. Zumindest haben Filmliebhaber das leicht geschmälerte Vergnügen, Roman J. Israel, Esq. im Heimkino zu bewundern. Denn sehen sollte man diesen intensiven Streifen auf alle Fälle, nicht nur als Fan Washingtons. Vielleicht auch, wenn man ein Bewunderer der literarischen Werke Friedrich Dürrenmatts ist. Der geniale Schweizer Dramatiker und Romancier hat sich Zeit seines Schaffens mit Themen wie Moral, Verantwortung und den Achillesfersen der Gesellschaft angenommen, die er dann auf die Spitze trieb. Auf den Worst Case ließ er es ankommen, stets mit einem niemals allzu moralinsauren Sarkasmus, eher mit der alles verschluckenden Schwärze einer Konsequenz, die kommen muss.

Dan Gilroy, der schon mit Nightcrawler die Frage der Moral in den Grundfesten erschüttern ließ, hat nun, ebenfalls aus eigener Feder, einen wuchtigen Eigenbrötler und Einzelkämpfer aufs Tablett gebracht, der nach rund 40 Jahren als Partner eines Anwalts vor verschlossenen Türen steht und sich neu orientieren muss. Ein wandelndes Lexikon aller Paragraphen des amerikanischen Gesetzes, aber desillusioniert, was das System angeht. Der schmierige Lackaffe und Staranwalt George Pierce, raffiniert undurchsichtig verkörpert von Colin Farrell, will ihn mehr aus Mitleid als aus Überzeugung mit ins Boot holen, um ihn bald ob seiner unorthodoxen, weltfremden Arbeitsmethoden zu rügen. Schlimmer noch, er macht ihn zur Schnecke. Und irgendwann zerbricht das Weltbild des seltsamen, prinzipientreuen Vogels, der überall aneckt und unangenehm auffällt. Spätestens dann ist der Pakt mit dem Teufel nicht der mit dem Lackaffen als Advokat, sondern mit einem verräterischen Selbst, dass aus kindlichem Trotz rundumschlägt, resigniert und ein Lebensglück erzwingt, dass allen guten Vorsätzen widerspricht.

Wie Roman J. Israel das macht, ist faszinierend, spannend und umwerfend dargeboten. Die paraverbale Sprache Washingtons, der Entwurf dieses dem Mainstream entwurzelten Charakters, ist meisterlich bis ins Detail. Wenn er blickt, denkt, in Rage gerät, dann ist das schlüssig, greifbar und mitreißend. Dabei muss er gar keine großen Reden schwingen, doch selbst wenn er seine Quergedanken artikuliert, kommt man nicht umhin, sich ein Stück davon mitzunehmen. Denn prinzipiell hat er ja recht. Und um so schmerzlicher ist es, mitanzusehen, wie die eigenen Ideale dem einfordernden Wunsch nach Wohlstand zum Opfer fallen. Washington´s famoser Kraftakt ist ein erkenntnisreiches Gleichnis und ein hörbarer Imperativ, zu sich selbst zu stehen. Roman J. Israel, Esq. ist ein Antiheld, ein Verlierer, der aber schon längst gewonnen hätte, wäre da nicht der Druck von außen, der mehr und ganz etwas anderes verlangt.

Roman J. Israel, Esq.