Die Farbe aus dem All (2019)

ALLES SO SCHÖN BUNT HIER

7/10


diefarbeausdemall© 2019 Plaion Pictures


ORIGINAL: COLOR OUT OF SPACE

LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: RICHARD STANLEY

DREHBUCH: SCARLETT AMARIS, RICHARD STANLEY, NACH DER KURZGESCHICHTE VON H. P. LOVECRAFT

CAST: NICOLAS CAGE, JOELY RICHARDSON, TOMMY CHONG, MADELEINE ARTHUR, BRENDAN MEYER, JULIAN HILLIARD, ELLIOT KNIGHT, Q’ORIANKA KILCHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


In Wahrheit ist die Welt unbunt. Das merkt man vor allem nachts, wenn das, was wir gerade noch wahrnehmen können, in diffusem Grau versinkt. Das Licht gibt den Dingen dann ihre farbige Besonderheit, je nachdem, wie dieses von der Materie reflektiert wird. Doch selbst dann ist es längt nicht selbstverständlich, das satte Spektrum von Grün und Rot und Blau auch wahrzunehmen. Schließlich gibt es auch Farben, die wir gar nicht sehen können, andere Lebewesen aber schon. Und dann gibt es Farben, zumindest in der Literatur und in den Köpfen dem Phantastischen zugeneigter Kunstschaffender, die, wie der Tscheche Leo Perutz, im Krimi Der Meister des jüngsten Tages exzentrisches Coleur wie das sogenannte Drometenrot erschaffen, das alle in den Wahnsinn treibt, sobald man es erblickt. Der Schriftsteller H. P. Lovecraft gibt sich in seiner Kurzgeschichte Die Farbe aus dem All ebenfalls einem Farbenrausch hin, der weitaus mehr bewirkt, als nur Menschen um den Verstand zu bringen. Näher benannt wird dieses rosarote Leuchten nicht, dafür fehlt den Betroffenen schier die Zeit und die Lust, angesichts des eskalierenden Dilemmas auch noch das Kind des Grauens beim Namen zu nennen.

Lovecraft ist längst Kult, und nicht weniger als Edgar Allan Poe. Der gerade mal 47 Jahre alt gewordene Amerikaner – es starb an Krebs – gilt als der Begründer des Kosmischen oder gar Lovecraft’schen Horrors, dessen Bedrohung sich aus höheren, unerklärlichen und unergründbaren Mächten speist. Der Cthulhu-Mythos, einhergehend mit dem fiktiven Buch namens Necronomicon, wird zum Beispiel eines frühen Franchise, zum erschaffenen Themen-Universum, dem sich zahlreiche Werke unterordnen. Und wenn einem der Name des Buches bekannt vorkommt: Jawohl, dee Schmöker aus Tanz der Teufel heisst ganz genauso – und zweckentfremdet wurde dieser ja auch nicht ganz, denn was das Buch entfesselt, wissen wir.

In Die Farbe aus dem All gibt es kein Buch und kein näher bestimmtes Artefakt. Doch es gibt einen Meteoriten, der mit Karacho in den Garten der fernab urbanen Trubels lebenden Familie Gardner kracht und dabei einen kaum übersehbaren Krater hinterlässt, dem diese eigentümliche, geschmackvolle, rosarote bis lila Farbe entströmt, die alles durchdringt, bedeckt und zu höherem und andersgeartetem Wachstum antreibt. Es mutiert die Botanik, es mutieren die Alpakas in der Scheune. Man darf erwarten, dass das seltsam strahlende Licht so einiges im Bauplan mehrzelligen Lebens durcheinanderbringt. Wie das geht, ist nicht von Belang. Die Frage nach dem Wie und Warum stellt sich nicht. Stattdessen ist Schadenbegrenzung die oberste Agenda von Nicolas Cage, der zusehen muss, wie seine Liebsten bizarren Metamorphosen unterworfen werden – nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Klar ist Papa nicht immun gegen diesen ganzen Zauber. Das Overacting greift um sich, der vielbeschäftigte Neffe Francis Ford Coppolas darf seine Figur endlich einmal ohne Scham überzeichnen, was zwischendurch aber leider ins Lachhafte kippt. Abgesehen davon, dass Cage locker als Schuspielprofi durchgeht, sofern er entsprechend gefordert wird: zu seinen Nieten zählt ein Auftritt wie dieser hier – was der unheilvollen und bizarren Wirkung der wüsten Science-Fiction aber keinen Abbruch tut.

Die Farbe aus dem All wäre das Ergebnis, wenn man John Carpenters The Thing mit Jeff VanderMeers Annihilation (kongenial verfilmt von Alex Garland) kreuzt. Fans von beidem kämen auf ihre Rechnung, der Bodyhorror trägt dabei pink, der Verstand nichts zur Lösung eines verheerenden Problems bei, welches eine Familie in den Abgrund stürzt und wir dabei zusehen sollen. Lovecraft ist schließlich nie einer, der will, dass das mystische wie mythische Verderben dank der Praktizierung menschlicher Werte gebannt wird. Der Mensch bleibt das Opfer und völlig machtlos. Und reicht nicht die Resignation, regiert der Wahnsinn. Der einzige Zustand, um sich mit dem Unerklärlichen zu arrangieren.

So gesehen ist Die Farbe aus dem All von Richard Stanley geradezu erquickend, ich will nicht sagen erfrischend, aber in seiner ausufernden psychedelischen und metaphysischen Bildgewalt ein launiger Horror mit staunenswerten Seltsamkeiten, stets immer nahe zur Groteske, die den Schrecken fast schon verballhornt – wäre da nicht der Erzähler aus dem Off, der wiederum an Poe erinnert und wie ein Gruselgeschichtenerzähler am Lagerfeuer dann doch noch die richtige Stimmung macht.

Die Farbe aus dem All (2019)

Aladdin (2019)

EIN BLAUES WUNDER ERLEBEN

7/10

 

aladdin2019© 2019 Disney Germany GmbH

 

LAND: USA 2019

REGIE: GUY RITCHIE

CAST: MENA MASSOUD, NAOMI SCOTT, WILL SMITH, MARWAN KENZARI, NASIM PEDRAD U. A.

 

Was bin ich froh, dass unser Auge elektromagnetische Strahlung von einer Wellenlänge zwischen 380 und 760 Nanometer wahrnehmen kann. Es ist das reflektierte Licht, das es sieht. Und zwar in von uns unterscheidbaren rund 20 Millionen Nuancen. Ein Wunder, um es salopp auszudrücken. Gut, dass das Kino schon in den frühen 30ern begonnen hat, Farbe zu bekennen. Und sich anfangs dieser üppigen Strahlkraft in reinstem Technicolor bedient hat. Mit Aladdin hat Disney tatsächlich gefühlt alle 20 Millionen Schattierungen aus dem Malkasten gekippt, direkt in die fiktive, an historisch ähnlichen Begebenheiten angelehnte, frei erfundene Welt von Scheherezade hinein. Und das Volk, es strahlt. Ein Pomp ist das, ein Fest verliebter Details, die da auf das altersdurchmischte Publikum einprasselt. Da wünscht man sich, im Kino auf die Pausetaste drücken zu können, um wirklich jeden Winkel im Breitbild entdecken zu können. So aber bleibt der Blick nur an einigen wenigen Szenen hängen, aber die sind schon perfekt genug platziert, um den Eindruck einer Märchenwelt zu erlangen, die das wahre Bagdad eines Harun Al Raschid, unter dessen tatsächlicher Regentschaft die Sammlung der Märchen aus tausendundeiner Nacht erst entstanden sind, in den spärlichen Schatten einzelner Dattelpalmen stellt. Der Palast, er funkelt und schillert, ihm zu Füßen ein turbulenter Alltag zwischen Tuchverkäufern, Fladenbrotbäckern und Tagedieben, wie unser Held Aladdin einer ist. Der gerät wie durch Zufall an die traumhaft schöne Tochter des Sultans, Prinzessin Jasmin, die in Allerweltskleidung (immer noch von großem Stil) einen auf gewöhnlich macht und hungernden Kindern Brote klaut. Aladdin rettet sie natürlich von der Stadtwache und fällt dabei dem Großwesir Dschafar ins Auge, der in ihm den richtigen Kandidaten zur Beschaffung einer ominösen Lampe sieht. Der Rest ist natürlich eine bekannte Geschichte, sofern entweder das originäre Märchen oder der Zeichentrickfilm von Disney aus dem Jahr 1995 geläufig ist. Der war damals eine Sensation: Mit Witz, sympathischen Figuren, von aufgeweckt abenteuerlichem Reiz und mit dem Herz am rechten Fleck. Die Stimme des blauen Dschinni: Robin Williams.

In Guy Ritchies Neuverfilmung dirigiert Will Smith das Wunschkonzert, mit blassblauem Teint (eigentlich ist er Navyblau), gewinnendem Schmunzeln und einnehmendem Talent zum Showmaster. Die Wahl des ehemaligen Prinz von Bel Air war eine gute – Smith ist nach einigen schwächeren Ausflügen ins ernstere Fach wieder dort gelandet, wo er sein Charisma aus der Lampe lassen kann: in einer komödiantischen, aber niemals albernen Rolle voller gutherziger Untertöne und der bescheidenen Sehnsucht nach Freiheit. Das nimmt man dem Flaschengeist, ohne lange zu überlegen, locker ab. So wie Aladdins Schwärmerei für die schöne Unbekannte. Das alles liegt natürlich an einem Ensemble, welches vor lauter Spielfreude gar nicht mehr weiß wohin damit. Einziges Ventil: lasset uns singen! Und auch das gelingt, obwohl ich Musicals nicht sonderlich mag. Warum mich die melodiösen Monologe dennoch überzeugt haben? Nun, weil der lässige Guy Ritchie die Nummernrevue so lückenlos in die Handlung verwebt wie die Knoten bei einem Perserteppich. Mit dem Ergebnis, dass besungene Actionsequenzen a la Indiana Jones neuerdings die Schule machen und ohne die in die Suqs der Altstadt geschmetterten Zwei- und Mehrzeiler das ganze Brimborium nur mehr der halbe Spaß sein könnte. Also lauschen wir den arabischen Rhythmen, verlieben uns in hüftschwingende Exotik und bemerken bald, dass das passive Lümmeln im Kinositz einem zaghaften Schultershake gewichen ist. Das geht ins Ohr, was Aladdin und Co hier zum Besten geben, und nimmt auch nicht überhand, sodass man es leid wäre, in ein reines Musical gegangen zu sein. Ganz Musiktheater ist es nämlich auch nicht, und das ist richtig so. Viel wichtiger scheint die Opulenz des Zauberspiels zu sein, an dem Ferdinand Raimund seine ganze Freude gehabt hätte und sowieso schon üppigst ausgestattete Filme wie Hook plötzlich entsättigter wirken. Farbe ist in Aladdin das neue Schwarz, Prunk das neue Feng Shui und die alte Tradition des Geschichtenerzählens gerade wieder innovativ. Guy Ritchie, der natürlich gerne Legenden konterkariert, weiß, dass Aladdin so was nicht verlangt. Natürlich auch, weil Disney das nicht will. Und Familienfilme wie dieser mit bewährtem Storytelling am besten funktionieren.

Der charmante Witz, der kommt allerdings trotzdem nicht zu kurz, ganz im Gegenteil. Zu lachen, schmunzeln und träumen gibt es viel. Und selbst Ritchies Vorliebe für Slow-Motion inmitten rasanter Parcours finden ihren Platz. Natürlich ist es Kinokitsch, natürlich auch vorhersehbar. Aber wie Kinder, die Märchen immer und immer wieder hören wollen, und sich in der unverrückbaren Ordnung von Gut, Böse, Gerechtigkeit und Liebe immer und immer wieder festigen wollen, sind auch wir Erwachsenen davon nicht ausgenommen. Das ist schon eine eigene realitätsvergessene Magie, die tröstend erscheint und glücklich macht. Eine Art Fluchtkino, das gut tut.

Aladdin (2019)