Men – Was dich sucht, wird dich finden (2022)

DES MANNES SCHREI NACH LIEBE

6,5/10


Men© 2022 Plaion Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2022

REGIE / DREHBUCH: ALEX GARLAND

CAST: JESSIE BUCKLEY, RORY KINNEAR, PAAPA ESSIEDU, GAYLE RANKIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN 


Vorsicht! Die ersten Szenen dieses Films in ihrer frühlingshaft motivierten Lust könnten darüber hinwegtäuschen, womit man es später zu tun haben wird. Men – Was dich sucht, wird dich finden (Danke an dieser Stelle an den deutschen Verleih für diesen entbehrlichen Titel-Appendix) ist kein Film, der als Zerstreuung für Zwischendurch einen entspannten Abend ausklingen lassen soll, schon gar nicht mit der Partnerin oder dem Partner. Men ist eine mehrfach verschlossene Schatulle, eine Büchse der Pandora, die vielleicht etwas beherbergt, womit niemand konfrontiert werden will. Weil das, was Alex Garland wagt, äußerlich betrachtet an welche Grenze auch immer gehen wird. Jedenfalls wird es das sein – eine Grenze. Vielleicht auch ausgesprochen von Jessie Buckley, die, mit dem blutigen Messer fuchtelnd, ohrenbetäubend laut in die Männerwelt hineinschreit: Stop! Bis hierhin und nicht weiter!

Buckley, diese wunderbare irische Schauspielerin, die gerade im Kino ebenso hinreißend in Kleine schmutzige Briefe an der Seite von Olivia Colman schimpft wie ein Rohrspatz, gibt hier eine junge Frau namens Harper, die nach dem Tod ihres Ehemannes eine Auszeit in der englischen Provinz sucht, irgendwo abgelegen in einem uralten Herrenhaus, das von dem kauzigen Jeffrey (Rory Kinnear) vermietet wird, der ihr mit nicht ganz koscherer Bauernfreundlichkeit das schmucke Anwesen präsentiert. Nichts scheint darauf hinzudeuten, dass die nächsten beiden Wochen nicht problemlos dafür dienen könnten, über das traumatische Erlebnis zumindest etwas hinwegzukommen. Beim ersten Spaziergang durch den nahen Forst, der selbst schon als ein einziger, bedrohlicher Organismus wirkt, ändert sich aber die Sachlage. Harper wird verfolgt. Von einem nackten Mann, lehmbeschmiert und mit blutigen Narben im Gesicht. Was will er? Und was will der Dorfpfarrer, der seltsamerweise so aussieht wie jeder Mann hier im Dorf, auch wie der ungehaltene Knabe mit der Maske einer Fifties-Blondine. Was ist das für ein Baum im Vorgarten, der die verbotenen Früchte trägt und Jessie Buckleys gepeinigte Figur gleich von Anbeginn an mit der Urmutter aller Weiblichkeit verknüpft – mit Eva, die vom Baum der Erkenntnis nascht. Alex Garland sucht nach dem Grund für die epochal andauernde Diskriminierung der Frau bei Stunde Null, bei der Vertreibung aus dem Paradies. Und paart seinen essayistischen Horror mit den zugänglicheren Narrativ des Nachhalls einer wie auch immer überstandenen Ehekrise.

Mit Auslöschung hat Alex Garland die Verfilmung von Jeff VanderMeers eher sprödem Mysterydrama rund um eine ebenso mysteriöse Area X in vielerlei Hinsicht atemberaubend in Szene gesetzt. In Men sind Referenzen an die Bildsprache dieses Films nicht auszuschließen. Mit Ex Machina über die Emanzipation einer Androidin gelingt dem Künstler ein faszinierendes Kammerspiel rund um Selbstbestimmung und den Begriff Individuum. Demnächst startet sein neuestes Szenario in den Kinos: Civil War. Dort schildert er den womöglich größten Albtraum der US-Amerikaner seit Erstürmung des Kapitols – den hauseigenen und hausgemachten Bürgerkrieg. Doch Garland traut sich noch mehr, als die Mechanismen und die Ethik hinter Evolution, Technologie und Politik zu hinterfragen. Mit Men rührt Garland bis zum Ellbogen in der Ursuppe weiblicher Sündenfälle herum und ergründet auf so ungewöhnliche Weise die im schaurigen Unterbewusstsein kauernde Furcht des Mannes, der Gunst der begehrten Weiblichkeit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.

Statt des kolportierten Penisneid bei Frauen ist es der Gebärneid der Männer und ihre biologische Entbehrlichkeit nach der Zeugung. Garland tut dies nicht anhand einer profanen Beziehungskiste, anhand eines Liebesdramas oder einer Gesellschaftssatire. Er tut dies in der Ausdrucksform einer surrealen Versuchsanordnung und in einer grotesken Wildheit, aus der eine allegorische Bildsprache wuchert. Wer bereit ist, sich in kryptischen Symboliken von Geburt, Sündenfall und bedrohlicher Männlichkeit fallen zu lassen; wer bereit ist, noch weiter zu gehen als schon Joaquin Phoenix als panisches Muttersöhnchen mit Penis-Komplex in Beau is Afraid und sich auch nicht davor ekelt, den menschlichen Körper in dismorphen Daseinszuständen anzutreffen, die an die krassesten Bilder eines Francis Bacon erinnern, wird Men als einen egozentrischen Kunstfilm zu verstehen wissen, dessen Kern der Erkenntnis unter tonnenweise Symptomen begraben liegt, die wie paranormale Erscheinungen von dem eigentlichen Grund der Anwesenheit solcher ablenken, indem sie Angst erzeugen.

Rory Kinnear als inkarnierte Entität alles Männlichen hat die Ärmel hochgekrempelt, den Talar übergeworfen und die Wampe umgeschnallt. Hat sich seiner Kleider entledigt, den Polizisten markiert und den bärtigen Barmann. Er ist, was alle Männer sind: Ein um die Weiblichkeit buhlender Mob, der die Schwächen des Mannes den Frauen in die Schuhe schiebt. Garland stellt den Motor, der hinter häuslicher, meist vom Manne verursachten Gewalt liegt, als schrägen Kostümreigen dar, der sich von der gesellschaftsfähigen Fassade immer weiter hinabarbeitet bis zu den Wurzelspitzen eines Lovecraft’schen Wahnsinns, wo Finsternis, Blut und nackte Körper sich selbst gebären, immer wieder, bis ein Häufchen Elend freigelegt wird, das mit einer dünnen Stimme nach Liebe schreit.

Men ist ein verstörendes Stück Metapherkino und Kopfgeburt, der es aber immer wieder gelingt, durch akustische Spielereien und dem aufgeweckten Spiel von Jessie Buckley die dicke Luft in diesem Pandämonium durch frische Brisen aufzulockern. Am Ende lässt sich, wie in Ari Asters Beau is Afraid, trotzdem nur mehr schwer Luft holen – da muss man durchtauchen, und zwar robbend, wie durch Morast, um auf der anderen Seite wieder festen Boden zu gewinnen. Ob es sich lohnt? Das ist Ansichtssache.

Men – Was dich sucht, wird dich finden (2022)

Land of Dreams

FÜHL‘ DICH WIE ZUHAUSE

6/10


landofdreams© 2021 Viennale – Vienna International Film Festival

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: SHIRIN NESHAT, SHOJA AZARI

CAST: SHEILA VAND, MATT DILLON, WILLIAM MOSELEY, ANNA GUNN, CHRISTOPHER MCDONALD, ROBERT BARTLET, ISABELLA ROSSELLINI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Erstmals ist es mir gelungen, einem Filmfestival beizuwohnen. Und zwar der diesjährigen Viennale, die Ende Oktober über die Leinwand ging. Höchste Zeit war das, denn Filme regulär oder im Rahmen einer speziellen Veranstaltung zu sehen, sind zweierlei Dinge, und letzteres eine bereichernde Erfahrung. Anders als mein lieber Kollege Filmkürbis, der zumeist mehr als ein Dutzend der gezeigten Filme wahrnehmen kann, bin ich schon froh, einen Nachmittag lang das Kino in einem anderen Kontext zu genießen. Noch dazu im Beisein zweier Gaststars wie der gebürtigen Iranerin Shirin Neshat und niemand Geringerem als Matt Dillon, die beide ihr jüngstes Werk Land of Dreams erklärten und auch für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung standen.

Dabei hätte die Fragestunde wohl bis in den Abend hineingehen müssen, um Land of Dreams wirklich verstehen zu wollen. Shirin Neshat, die für ihren für mich leider etwas zähen Women without Men 2009 den Silbernen Löwen gewann, lässt in ihrem Roadmovie auf der Suche nach den Träumen der amerikanischen Bevölkerung Ex-Vampirin Sheila Vand (A Girl Walks Home Alone at Night) bizarre Szenarien beobachten, bei denen der Verdacht aufkommt, es permanent mit einer vom Sandmännchen geleiteten Reise zu tun zu haben, in die natürlich sämtliche Eindrücke aus der realen Welt einwirken. Wie das eben so ist bei Träumen, die in ihrer Essenz nichts anderes als das Erlebte aus der Realität widerspiegeln und neu interpretieren. Und wenn wir schon beim Irrealen, aber nicht zwingend Surrealen sind, ist auch der Plot ganz klar einer, der sich dem Science-Fiction-Genre zuordnen lässt.

Denn hier, in diesem Amerika der nahen Zukunft, gibt es das sogenannte Census-Büro, dessen Aufgabe es ist, die Träume der Leute aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufzuzeichnen und zu dokumentieren – zu deren eigenen Sicherheit. Warum das so ist, wird man nie erfahren. Muss man auch nicht. Die Iranerin Simin, Census-Mitarbeiterin im Außendienst, macht ihre Arbeit gut, gibt sich allerdings auch einem höchst eigenwilligen Hobby hin, nämlich nach Feierabend in die Rollen all ihrer Interviewpartner zu schlüpfen. Davon weiß natürlich niemand was. Von ihrer Vorgesetzten (Breaking Bad-Star Anna Gunn) ob ihres Outputs gelobt, bekommt sie einen kniffligen Auftrag zugeteilt – und einen Bodyguard (eben Matt Dillon). Auf geht’s in die Wüste New Mexikos, wo angeblich eine iranische Kolonie versteckt sein soll.

Shirin Neshat und ihr Kameramann finden teils karge, teils üppige Bilder, die in ihrer Anordnung an die späteren Fotografien des deutsch-australischen Künstlers Helmut Newton oder an die Malereien Edward Hoppers erinnern. Insbesondere die Anfangsszene, in der Simin ein neureiches Ehepaar beim virtuellen Zeitvertreib stört, wirkt wie ein von Newton arrangiertes Setting. Das geht auch so weiter, und die bleiche Wüste, die einsame kleine Tankstelle oder die zerklüftete Architektur eines Künstlerateliers sind gleichsam futuristisch und die Metapher eines einsamen Amerikas, wo jeder mit seinen Träumen allein bleibt. Womöglich empfindet auch Shirin Neshat so. Womöglich sucht sie dieses Verlorene bei all jenen, die den Weg ihres autobiographischen Alter Egos Simin kreuzen, ebenfalls, um zumindest auf dieser Ebene einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das gestaltet sich sehr subjektiv, sehr assoziativ und höchst persönlich. Schwer, ohne Neshats persönlichen Kontext eine Antwort auf diesen Film zu finden. Aber das ist ungefähr so, wie die Träume eines anderen erklären zu wollen.

Land of Dreams