DIE PRACHT DES SPÄTEN FRÜHLINGS
7,5/10
© 2023 Stadtkino Filmverleih
ORIGINALTITEL: BLACKBIRD BLACKBIRD BLACKBERRY
LAND / JAHR: GEORGIEN, SCHWEIZ 2023
REGIE: ELENE NAVERIANI
DREHBUCH: ELENE NAVERIANI, NIKOLOZ MDIVANI
CAST: EKA CHAVLEISHVILI, TEMIKO CHINCHINADZE, PIKRIA NIKABADZE, ANKA KHURTSIDZE, TAMAT MDINARADZE U. A.
LÄNGE: 1 STD 55 MIN
In diesen titelgebenden Brombeerstrauch hat sich die 48jährige Ethero längst heillos verheddert – und gleichzeitig damit abgefunden. Dieses patriarchale Georgien mit seinen tief verwurzelten Glaubenssätzen, was Frauen- und Männerrollen betrifft, wäre schon genug an Erschwernis für eine umgangssprachlich als „Alte Jungfer“ zu bezeichnende Person, die, so meinen die anderen, sowieso nie mehr einen Mann abbekommen wird. Nein, bei Ethero hat das Schicksal noch einen draufgesetzt und ihr die Mutter genommen. Was blieb, waren Vater und Bruder, beide keine Feministen, beide herrisch und unterdrückend, beide das Patriarchat auf respektlose Weise ausübend – bis auch der Rest der Familie unter der Erde liegt und Ethero allein dasteht. Doch sie weiß sich zu behaupten, stemmt sich grimmig gegen entbehrliche Umstände. Zumindest hat sie es vollbracht, ihren eigenen Drogeriemarkt aus dem Boden zu stampfen. Wenn es die Zeit erübrigt, geht sie an den Fluss, um Brombeeren zu pflücken. Die Amsel inmitten des Geästs, die es schafft, dem dornigen Gestrüpp zu entfliehen, wird zur waghalsigen Idee einer längst in der Mitte des Lebens Angekommenen, wird zur gefährlichen Metapher, die ihr gleich zu Beginn fast das Leben kosten soll. Und dennoch ist dieser Moment der Imperativ zu einer Wende. Den sie nutzt, indem sie sich an ihren Lieferanten ranmacht, den verheirateten Murman, der ihr auch, versteckt im Lager des Ladens, die Jungfräulichkeit nimmt. Wie es aussieht, könnte dies der Beginn einer späten ersten Liebe sein, die Ethero tunlichst geheim halten will. Denn das Dorf ist klein, ein jeder kennt hier jeden und ein jeder und eine jede zerreißt sich das Maul über andere, die sowieso schon einer gewissen Nonkonformität entsprechen. Ethero ist dabei der Freak, der Sonderling, die Einzelgängerin. Was all die anderen nicht wissen: Ethero ist zwar stark und zäh und wirkt nach außen hin vielleicht sperrig – doch wie jeder Mensch, der Zeit seines Lebens vom Glück außen vorgelassen wurde, trägt auch sie eine Sehnsucht mit sich herum, die, käme der rechte Augenblick, dieser ohne zu zögern gestillt werden würde.
In einem Land, in welchem Gesetze gegen Andersdenkende und Andersfühlende erst kürzlich erlassen wurden, wundern Filme wie diese gleich doppelt. Dabei fällt mir das erst kürzlich in den Kinos gezeigte queere Drama Crossing ein, in welchem Transsexualität auf völlige Akzeptanz stößt. Amsel im Brombeerstrauch hat keine queeren Themen in petto, dafür aber einen stolzen, bekennenden und authentisch zelebrierten Feminismus, der auf zutiefst lakonische wie warmherzige Weise über eine wundersame Chance berichtet, die, egal wann sie im Leben auch gewittert wird, ergriffen werden kann. Dieser späte Frühling, den Ethero hier erlebt, hat etwas zauberhaft Verschrobenes, erdiges und Authentisches – was nicht nur an Elene Naverianis offenherzige und von allen Stereotypen befreiten Herangehensweise an ihre zentrale Figur liegt, sondern eben auch an die unverwechselbare Eka Chavleishvili, die eine nuancierte Charakterstudie zulässt und dabei auch keinerlei falsche Scham an den Tag legt. Naveriani setzt ihren Körper, der auf erfrischende Weise eben erst recht nicht einem in den Medien kommunizierten Schönheitsideal entspricht, respektvoll in Szene. Chavleishvili ist stolz auf ihren Körper und auf sich selbst. Der Unzufriedenheit im Leben, wenn Frau das Gefühl hat, dass alle Züge bereits abgefahren sind, lässt sich so vehement und träumerisch entgegentreten, dass Amsel im Brombeerstrauch als kleine, unangepasste, märchenhafte Ode an die Weiblichkeit bestens funktioniert, ohne diese Ideale nur zu kolportieren. Das gelingt aufgrund einer leicht unbeholfenen Zärtlichkeit, die diesem Film innewohnt. Als wäre Aki Kaurismäki wieder mal einer seiner kauzigen Gesellschaftsportraits gelungen, hat auch Naveriani einen eigenen Minimalismus in ihren Bildern, eine eigene Farbgebung und eine pointierte Dramaturgie. Ein prachtvoller, zutiefst romantischer Film, der von einer Selbstfindung berichtet, die auf eigenen, unangepassten Wegen völlig richtig liegt. Und Ethero, die hat dabei das Zeug zur Ikone des eigenen emanzipierten Willens.

