Wolf Man (2025)

FAMILIE SCHAFFT MONSTER

6/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: LEIGH WHANNELL

DREHBUCH: LEIGH WHANNELL, CORBETT TUCK

CAST: CHRISTOPHER ABBOTT, JULIA GARNER, MATILDA FIRTH, SAM JAEGER, BENEDICT HARDIE, BEN PRENDERGAST, ZAC CHANDLER U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN 


Wie man die Essenz eines phantastischen Universal-Horrors aus dem verstaubten Kämmerlein holt, ohne es lächerlich und unzeitgemäß werden zu lassen, erfährt man, wenn man Der Unsichtbare sichtet. Leigh Whannell hat es vor fünf Jahren geschafft, wissenschaftliches Heureka mit Metoo und Fortschrittsverrohung in Verbindung zu bringen. Zwei Aspekte, die gesellschaftspolitisch relevant sind und relevant bleiben werden. Jetzt gibt es die Horror-Ikone Nummer Zwei frisch aufgeputzt und produziert von Blumhouse, denn dort gehören Stoffe wie dieser hin – und abermals von Whannell nicht nur aufs Papier, sondern auch auf die Leinwand gebracht. Wolf Man ist das neueste Kaliber rund um geheimnisvolle Metamorphosen vom Mensch zu irgendetwas anderem, in diesem Falle zum Tier. Und dieser Mythos, der ist so alt, da lässt sich Adäquates bereits im alten Ägypten finden, nur statt eines Wolfskopfes trug Anubis den eines Schakals. Mischwesen müssen aber per se nicht bösartig sein, vielleicht nur instinktgetrieben, weil sie andauernd zwischen kognitiver Erinnerung und tierischen Bedürfnissen mal in diese, mal in jene Richtung gezerrt werden. Mensch-Tier-Hybride sind bemitleidenswerte, arme Kreaturen, von denen man meinen würde, dass das Beste für sie nur noch der Gnadenschuss wäre. So bemitleidenswert sind nicht mal Zombies, denn die ringen selten um das letzte bisschen Zivilisiertheit, das sie vielleicht noch verspüren. Da weiß man: Vernichtet man sie, ist das immer noch die beste Methode, jenem Menschen, der dieser Zombie einmal war, durch den Tod das letzte bisschen an Würde zu wahren.

Das Werwolf-Dasein ist wie das Zombie-Dasein eine Krankheit. Folgt man den kulturgeschichtlich tief verankerten Symptomen, so quält den Infizierten lediglich zu Vollmondnächten das Animalische. Joss Whedon hat diesen gutmütigen Werwolf in sein Buffy-Franchise eingeflochten, auch das Potterverse besitzt mit Remus Lupin – Nomen est Omen – den Wolfsmensch. Zum Animagus ist es dann nicht mehr weit: Das sind Menschen, die sich, wann immer sie wollen, schmerzfrei in Tiere verwandeln können. Aber genug der Ausflüge in die artfremden Gefilde der massentauglichen Fantasy. Whannell hat nicht im Sinn, den Fluch des Werwolfs auch nur irgendwie erträglich zu machen oder gar salonfähig. Sein fürsorglicher Familienvater, gespielt von Christopher Abbott (It Comes at Night, Possessor und zuletzt in Kraven the Hunter als The Foreigner), weiß anfangs gar nicht, was er sich und seiner Familie antut, als er jenen Bescheid in Händen hält, der seinen vor Jahren in den Wäldern Oregons verschollenen Vater für tot erklärt. Die einsame Immobilie mitten im Nirgendwo ist dann auch das Erbe mit all seiner Verdammnis, das Blake nun anzutreten gedenkt. Um die Bude zu entrümpeln, lädt er Frau und Kind dazu ein, in der gottgegebenen Wildnis Nordamerikas ein bisschen Auszeit zu erlangen. Gerade Ehefrau Julia Garner würde eine Pause von ihrem Business-Trubel richtig gut tun. Doch aus dem trauten Miteinander wird nichts: Einem Autounfall folgt die Attacke einer obskuren, röchelnden Kreatur, halb Mensch, halb Tier – Blake wird verletzt und merkt schon bald so manche Veränderung an seinem Körper und in seiner Wahrnehmung. Der Geruchssinn wird stärker, Zähne fallen aus. Es ist, als hätte David Cronenberg seiner Fliege ein dickes Fell verpasst, wenngleich Abbotts Figur auch noch das Haupthaar ausfällt.

Wolf Man ist wohl weniger eine erfrischend grimmige Rotkäppchen-Neuinterpretation mit Verve, sondern vielmehr eine in deterministischer Finsternis herumrudernde Familientragödie mit sattem Drama und dem Horror des Ausgeliefertseins. Whannell hält seine Geschichte überschaubar – nicht nur schauplatzmäßig, sondern auch inhaltlich. Bescheiden folgt er der Metaphysik vererbbarer Obsessionen und unausgesprochener familiärer Konflikte, die er in die metaphorische Wildheit eines Monsters legt. Dafür braucht es jede Menge Make Up, analoges Creature Design wie schon bei John Landis‘ American Werewolf und jede Menge Prosthetics. Weg von CGI und animierter Effizienz hin zum Handwerklichen als Qualitätsmerkmal.

Wolf Man ist also, was es ist: Die niemals hakenschlagende Origin-Story eines klassischen Grusel-Archetyps mit Fokus auf Verwandlung und dem Aushebeln familiären Zusammenhalts. Wenn das wichtigste soziale Gefüge auseinanderbricht, mag das Horror genug sein für all jene, die sich auf Stabilität und Liebe verlassen. Die animalisch röchelnde Kreatur mag da nur ein Symptom sein – um es besser begreifen zu können, im wahrsten Sinne des Wortes.

Wolf Man (2025)

First Cow

WALKING ON THE MILKY WAY

7/10


firstcow© 2021 Polyfilm


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: KELLY REICHARDT

BUCH: KELLY REICHARDT & JONATHAN RAYMOND, NACH SEINEM ROMAN

CAST: JOHN MAGARO, ORION LEE, RENE AUBERJONOS, TOBY JONES, EWAN BREMNER, SCOTT SHEPHERD, GARY FARMER U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht. Bertold Brecht hat in seiner Dreigroschenoper mit Sicherheit etwas ganz anderes damit gemeint als ich es hier in Verbindung bringen will. Das Licht am Tage und in der Nacht macht sich Kelly Reichardt in ihrem besonders eigentümlichen Western nämlich auf diese Art zunutze. Denn Reichardt arbeitet mit den Mitteln, die ihr der Tag und die Nacht zur Verfügung stellen. Künstliches Licht gibt’s keines. Wenn es Nacht ist, ist es Nacht. Und wenn selbst der Mond nicht scheint, lässt uns die Regisseurin im Dunkeln. Doch im Dunkeln lässt sich so einiges anstellen. Wie zum Beispiel Kühe melken. Die Besinnung auf das, was von vornherein zur Verfügung steht, lehnt sich fast schon an die dänische Künstlerinitiative Dogma95 an, in denen Lars von Trier und Thomas Vinterberg ohne technischen Schnickschnack denkwürdige Filme machten. Reichardt geht den Weg weiter, Richtung Oregon. Dort, wo es nach Herbstlaub und feuchtem Waldboden riecht, wo einem der Duft von Pfifferlingen förmlich in die Nase steigt. Wir, die den europäischen Wald quasi vor der Tür haben, können da leicht auf eine Geruchsdatenbank zurückgreifen. Schon wird First Cow zu einem hautnahen Pirschen durchs Unterholz. Dann, auf einer nahen Lichtung, notdürftig zusammengeschusterte Holzhütten, Tendenz Bretterverschlag, glimmende Kochstellen, rückkehrende Jäger mit geschulterter Beute.

Wir schreiben das Jahr 1820, westlichste Provinz, tief in den Wäldern. Der Vagabund Cookie Figowitz (John Magaro, u.a. The Umbrella Academy, The Big Short) zieht mit einer Gruppe Pelzjäger durch den Forst. Es sind die denkbar schlechtesten Zeiten für Biber. Aus aller Welt kommen die Menschen hierher, um ihr Glück zu versuchen. Sind es keine Biber, dann lockt das Gold. Oder eine andere Quelle, denn die scheinen unbegrenzt. Aus nichts kann alles entstehen. Man braucht nur Geschick. Oder eine Fügung des Schicksals. Letzteres scheint Figowitz zu widerfahren, da er eines Nachts auf den Flüchtigen Chinesen King Lu stößt. Er gibt dem Hungernden Essen, etwas zum Anziehen und einen Schlafplatz. Klingt fast schon nach Heiligem Martin. Einige Zeit später treffen beide abermals aufeinander, es ist Freundschaft (nicht Liebe) auf den zweiten Blick. Fu und Figowitz tun sich zusammen, hängen ihren Träumen von Ruhm und Reichtum nach, und haben tatsächlich auch eine brillante Geschäftsidee auf Lager. Wie wäre es, für Erste mal mit frittierten Backwaren die dörfliche Marktlücke zu schließen? Figowitz, gelernter Koch, kann das. Was allerdings fehlt, ist Milch. Kühe sind rar in der Gegend, einzig der Dorfchef hat eine auf der Wiese stehen. Die des Nächtens ja gemolken werden kann.

Wir kennen alle diese gehaltvollen Mehlspeisen – auch bekannt als Gebackene Mäuse, nur ohne Hefe. Löffelweise in kochendes Öl getaucht, sind diese Leckereien außen knusprig, innen weich. Nach dazu mit Honig bestrichen und mit Zimt bestreut – und die Dinger gehen weg wie die warmen Semmeln. Ein Western, indem es ums Backen geht? Nur bedingt. Ein Western, indem sich um zwölf Uhr mittags niemand auf die Straße stellt, um die Rechnung zu begleichen? Mit Sicherheit. First Cow trollt mit dem Tempo eines lange unterwegs Gewesenen aus der Reihe herkömmlicher Versatzstücke und versucht, auf Grundlage des Romans von Jonathan Raymond, etwas ganz anderes zu erzählen. Eine Geschichte über Pläne, Ideen und Potenzial. In einem Land, das keine Grenzen kennt, dass so wild und unerschlossen scheint, als wäre hier jeder, der diese Breitengrade erreicht, ein Pionier. In diesem nach Kälte, Holz und Feuer riechenden Niemandsland, indem nebst Vertreter aus aller Herren Länder in völliger Entspanntheit die indigene Bevölkerung einen Teil der Gesellschaft bildet, ist der Wilde Westen ein Ort des erschöpften Durchatmens und Durchstartens. Kelly Reichardt ist zudem nicht zum ersten Mal in dieser Gegend. 2010 verschlug es schon Michelle Williams auf den Meek’s Cutoff, ebenfalls nach einem Drehbuch von Raymond. Nun, im Bundesstaat angekommen, erzählt sie in ihrem bereits 2019 produzierten Film die karge Geschichte einer kleinen, aber verhängnisvollen Gaunerei, konzentriert sich aber lieber auf ihre bemerkenswerte Fähigkeit, Impressionen aus vergangenen Zeiten einer fotografischen Galerie gleich zur atmenden, kuriosen und exotischen Bühne ihres Dramas zu machen. First Cow ist eine Reise in eine konsequente Finsternis, die naturbedingt Teil einer Welt ist, die sich der Mensch urbar macht.

First Cow

The Sisters Brothers

WILDER WESTEN, UND KEINER GEHT HIN

6,5/10

 

The Sisters Brothers© 2018 The Wild Bunch

 

LAND: FRANKREICH, BELGIEN, RUMÄNIEN, SPANIEN 2018

REGIE: JACQUES AUDIARD

CAST: JOAQUIN PHOENIX, JOHN C. REILLY, JAKE GYLLENHAL, RIZ AHMED, RUTGER HAUER U. A.

 

Eine Überschlagsrechnung im Western-Genre ergibt, dass wohl die meisten Vertreter ihrer Gattung vorwiegend gut und gerne an einer Hand abzählbare bewährte Topics als dramaturgischen Unterbau heranziehen: Das sei mal allen voran die Motivation der Rache. Schillerndes und zeitloses Beispiel natürlich: Spiel mir das Lied vom Tod. Gier spielt auch noch eine tragende Rolle (The Good, the Bad and the Ugly), und zuletzt natürlich die Diskrepanz zwischen Weißen und Indianern, so wie erst letztes Jahr in dem elegischen Gewalt- und Versöhnungsdrama Hostiles mit Christian Bale. Zwischendurch gibt es aber auch Filme, die das Genre des amerikanischen Heimatfilms, wenn man so will, konterkarieren und ihm Seiten abgewinnen, die bislang selten in Betracht gezogen wurden. Die Coen-Brüder hatten mit ihrem makaber-melancholischen Episodenfilm The Ballad of Buster Scruggs (Oscarnominierung 2019 für das beste Drehbuch) die ausgetretenen Stereotypen der einsamen Cowboys verwildern lassen, und stattdessen ganz andere Schneisen geschlagen. Das Ergebnis war bemerkenswert. Der Franzose Jacques Audiard hat das verschwitze Halstuch eines John Wayne oder den speckigen Hut eines Clint Eastwood auf eine ähnliche Art von innen nach außen gekehrt. Obwohl es anfangs nicht den Anschein hat, dass da etwas ganz anderes auf uns zukommt.

The Sisters Brothers sind zwei Erfüllungsgehilfen, deren Begegnungen mit ihrer Zielperson relativ endgültig sind. Auftragskiller, wenn man so will, getarnt hinter dem bequemen Charme Durchreisender, die ihren Killerinstinkt im Griff haben und drohnengleich nur dort zuschlagen, wo die Koordinaten ihres Auftrages hinweisen. Die beiden wirken recht kauzig, leicht unterschätzbar. Beauftragt von einem mysteriösen Commodore (in einer seiner kleinsten Rollen: Rutger Hauer), reisen sie von Oregon in den Süden, um einem jungen Goldsucher namens Warm habhaft zu werden, der angeblich eine Formel für eine chemische Substanz besitzt, die Flussgold sichtbar werden lässt. Der Detektiv John Morris (hinter dichtem Bartwuchs versteckt: Jake Gyllenhal) ist bereits längst unterwegs – und soll den Jungspund finden.

Das unvermeidliche Gipfeltreffen aller vier Protagonisten findet natürlich statt, und nach klassischer Adam-Riese-Rechnung im Western-Genre führt wahrscheinlich ein astreiner Shootout zu geordneten Verhältnissen – wäre da nicht dieses Umdenken, das zumindest einige der Figuren ziemlich nachhaltig beschäftigt. John C. Reilly als Bruder Eli hat schon mal alle Gedanken voll zu tun, sich eine Zukunft jenseits von Mord und Totschlag vorzustellen. Da winkt schon das eine oder andere Mal der materielle Gegenentwurf eines gepflegten Lebens in Form einer Zahnbürste oder einer Klosettspülung, die den introvertierten Revolverhelden zu Begeisterungsstürmen hinreißen lässt. Diese Zahnbürste ist es auch, die das Räderwerk entgegengesetzter möglicher Lebensentwürfe überhaupt erst zum Laufen bringt. Das es im Westen auch anders gehen kann, ist nur noch eine Frage der Entscheidung. Des Willens. Und dem Einfluß auf andere, die das vielleicht nicht so wollen. Dieses Umdenken berauscht auch den Goldjungen Riz Ahmed. Seine Chemie ist zwar tödlich giftig, aber effizient – darüber hinaus aber steht mit all dem leicht gewonnene Reichtum die Idee einer pazifistischen Gesellschaft im Raum, die den Altruismus und das Miteinander als tägliches Soll erfüllt sehen will. Das sind natürlich Ideale, die haben in einer Welt aus Raubeinen und faustrechtlerischen Glücksrittern eigentlich nichts verloren. Doch – warum eigentlich nicht? Wie wäre das, ein achtsames Miteinander?

Patrick deWitt hat diesen Roman aus dem wilden Westen als ein Hinterfragen widerstandslos platzierter Figurenklischees konzipiert. Jacques Audiard hat dafür den richtigen Cast vereint. Obwohl das lustvolle Brechen von Erwartungshaltungen die narrativen Lassoschlingen zu zaghaft auswirft. Da scheint es, dass dem Franzosen manchmal die Zügel aus der Hand gleiten, da bekommt The Sisters Brothers eine gedankenverlorene, orientierungslose Eigendynamik. Da weiß keiner mehr, wohin man eigentlich will, was man eigentlich will. Und überhaupt: wer genau? Das Leben zu überdenken, das mag natürlich ähnliche Leerläufe nach sich ziehen, bis das Quergedachte wieder sattelfest obenauf sitzt. Das liest sich vielleicht besser, als es sich ansehen lässt. Trotz Joaquin Phoenix, der wie die weniger infantile Macho-Version eines Terence Hill einen Bud Spencer an seiner Seite hat, der will, dass Frau schöne Worte zu ihm sagt. Und ihm etwas schenkt, dass aus Liebe den Besitzer wechselt. In diesen stillen Szenen der Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe und Geborgenheit gelingen dem eigenwilligen Western die besten Momente.

The Sisters Brothers