In the Lost Lands (2025)

EIN TOURGUIDE FÜR DIE WUNSCHHEXE

5/10


© 2025 Praesens Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, KANADA, USA 2025

REGIE: PAUL W. S. ANDERSON

DREHBUCH: CONSTANTIN WERNER

CAST: MILLA JOVOVICH, DAVE BAUTISTA, ARLY JOVER, AMARA OKEREKE, FRASER JAMES, SIMON LÖÖF, DEIRDRE MULLINS, SEBASTIAN STANKIEWICZ, TUE LUNDING U. A. 

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der dunkle Turm, Fallout, Mad Max, Warhammer – das alles und noch viel mehr lässt sich dieser Tage im Paul W. S. Andersons neuem Endzeitspektakel In the Lost Lands wiederfinden, basierend auf einer Kurzgeschichte von GOT-Schöpfer George R. R. Martin, die dieser irgendwann in einem Anfall der Lust, die Postapokalypse mit verruchten Helden und Hexen zu bevölkern, womöglich innerhalb eines Abends auf ein Blatt Papier geschmiert haben könnte. Nun, Martin ist Martin, auch sowas verkauft sich und findet dann auch noch jemanden, der das ganze verfilmen will. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, den Niedergang unserer Welt sehen wir alle gerne, zumindest bannt dieses Subgenre vielleicht diverse Ängste, die zurzeit ohnehin massenhaft an die Oberfläche sickern.

Zu sehen ist ein verwüstetes Stück ehemalige urbane USA (was denn sonst), eingestürzte Wolkenkratzer machen sich immer gut, zum Glück verzichtet Anderson auf die Freiheitsstatue, denn die gibt’s ja schließlich schon anderswo. In dieser rauen Gegend, in welcher die Wüstenstürme toben und der Himmel dadurch in rostroten Farben strahlt, reitet ein einsamer Gunman in eine Stadt ein, die George Miller hätte entwerfen können. Oder aber auch in der Welt von Warhammer 40.000 zu finden gewesen wäre. Der bullige Revolvermann schiebt sein Konterfei bereits anfangs nah an die Kamera, um dem Publikum zuzuraunen, dass diese Geschichte keinesfalls ein Märchen sei, und ein Happy End gäbe es auch keines. Danke für den Spoiler an dieser Stelle, doch letztlich ist es egal, ob wir wissen, wie es ausgeht oder nicht. Wichtig ist Dave Bautista, die stiernackige Furchenstirn, und an seiner Seite Milla Jovovich, die immer noch eine gute Figur macht und vor allem als Hexe Gray Alys niemandem einen Wunsch abschlagen kann. Das ist ihr Credo, und dafür lebt sie – auch wenn sie vom alle Höllen überdauernden erzkatholischen Klerus zwischen jüdischem Hohepriestertum und Kreuzzug-Geilheit als Ketzerin gebrandmarkt und standrechtlich gelyncht werden soll. Lady Overlord, die Königin, schert das kein bisschen. Sie will Gray Alys in die Wüste schicken, damit sie einen Gestaltwandler heranschleppt, dessen magische Essenz sie absorbieren kann – um selbst die Macht des Tieres in sich zu tragen.

Also reiten Bautista und Jovovich als ungleiches Gespann auf ins Ungewisse, verfolgt von den klerikalen Schergen, um… was zu erleben? Abenteuer? Viele gibt es nicht, auch wenn über die Lost Lands als ein Ort ohne Wiederkehr nur hinter vorgehaltener Hand ehrfürchtig geflüstert wird. Durchs bildbearbeitete Nullachtfünfzehn-Ödland könnte sogar eine Schar Kinder reisen, sie müssten zumindest einen größeren Bogen um gewisse Orte machen, dann ist alles kein Problem. Das Drehbuch von Constantin Werner findet dabei sagenhaft serientaugliche Dialoge, vorhersehbare Wendungen und vor allem eines: ein konfuses letztes Drittel, dem man durchaus mehr Augenmerk hätte schenken können. Eine klare Sicht hat man bei diesem Sand im Getriebe dann längst nicht mehr, ein bisschen ratlos sieht man dabei zu, wie Milla Jovovich in ihrer Hexenrolle versucht, alle Wunscherfüllungen unter einen Hut zu bekommen. Es hapert immens an der Schlüssigkeit, doch die artifizielle Optik ist Anderson deutlich wichtiger. Was seinerzeit unter Zac Snyder im Spartaner-Epos 300 die Münder offen stehen hat lassen, erfreut das CGI-müde Auge gerade noch bei der ersten animierten Kamerafahrt vorbei am stahlgeschmiedeten Voest-Alpine-Kreuz hin zum totenkopfgeschmückten Overlord-Palast, angesichts dessen man He-Mans Greyskull-Zauberwort bereits in den Ohren hat. Später dann, nach dem wiederholten Schwenk und dem Closeup auf regennasse Totenschädel, ist der Spaß am phantastischen Trash-Kino keinesfalls ganz verklungen – er mag vielleicht in Langeweile umgeschlagen sein, dank einer gewissen visuellen wie erzählerischen Monotonie.

Das solide Kernstück bleiben Jovovich und Bautista – vielleicht reiten sie ja nochmal gen Sonnenuntergang, wie Lucky Luke, nur ohne Rantamplan, stattdessen eine klingenschwingende Madame Mim an seiner Seite – als diese noch ihre besten Jahre hatte.

In the Lost Lands (2025)

Maurice der Kater (2022)

GARFIELD IN DER SCHEIBENWELT

6/10


maurice© 2023 Praesens Film AG


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, DEUTSCHLAND 2022

REGIE: TOBY GENKEL, FLORIAN WESTERMANN

DREHBUCH: TERRY ROSSIO, NACH DEM ROMAN VON TERRY PRATCHETT

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): HUGH LAURIE, EMILIA CLARKE, DAVID THEWLIS, HIMESH PATEL, GEMMA ARTERTON, HUGH BONNEVILLE, DAVID TENNANT, ROB BRYDON U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): BASTIAN PASTEWKA, GABRIELLE PIETERMANN, JERRY HOFFMANN, MURALI PERUMAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Diese Woche war Internationaler Tag der Katze. Obwohl ich selbst kein Riesenfan des Stubentigers bin, allerdings gerne mal die beiden wohlgenährten Mitbewohner meiner Nachbarn hege und pflege, habe ich mich dennoch zu einer abendfüllenden Huldigung hinreissen lassen. Was würde sich dafür nicht besser eignen als der Anfang des Jahres im Kino angelaufene und nun für die eigenen vier Wände verfügbare Animationsfilm Maurice der Kater – ein selbstironisches Märchen aus der Feder des Scheibenwelt-Philosophen Terry Pratchett, der auf dieser gar nicht mal so flachen Erde seine eingeschworene Fangemeinde hat und mit dem Bild einer Welt, die von vier Elefanten getragen wird, die wiederum auf dem Rücken einer Schildkröte stehen, die eigene Fantasie verwöhnt. Bei Pratchett, 2015 leider verstorben, lässt sich darüber hinaus eine fast schon fanatische Affinität für nicht nur Grimm’sche Märchen erkennen – dazu zählt auch der ganze Stoff, aus dem Folkloremythen sind. Seine Welten sind bevölkert mit allem, was da so dazugehört: Magiern, Hexen, Zwergen, so richtig präsent ist stets der Sensenmann, zu dessen Gefolgschaft auch der Rattentod zählt – mit Mähutensil, blankem Nagerschädel und darüber die Kapuze. Solche Feinheiten, typisch Pratchett, sind die Highlights einer launigen Komödie, die keinesfalls auf Druck ihre Kalauer durch die Gegend pfeffern will wie so manch anderer hysterischer Trickfilm, dessen Figuren sich des Verdachts der Einnahme illegaler Substanzen nicht erwehren können. Maurice der Kater ist die weniger draufgängerische Version des gestiefelten Katers. Der Sprache ist er zwar mächtig, aber weder Schuhwerk noch ein Federhut zieren seine Gestalt, die ähnlich wie bei Garfield ausgiebig die Schwerkraft nutzt. Was beide noch gemeinsam haben: Sie sind sich selbst genug. Und wählen den Weg des geringsten Widerstands.

Maurice also, durch obskure Magie nun kognitiv auf Augenhöhe mit den Menschen, zieht mit Pseudo-Rattenfänger Keith und einem ganzen Haufen ebenso kognitiv auf Augenhöhe mit den Menschen befindlicher Ratten durch die Lande, um in jedem noch so kleinen Dorf ihre Rattenplage zu inszenieren, damit der lieblich flötende Keith seinen Job erledigen – und die Kassa klingeln lassen kann. Mit des Bürgermeisters Tochter Malicia ändern sich alsbald die Regeln, denn in deren Kleinstadt, welche die kauzigen Hochstapler als nächstes aufsuchen, treibt der Hunger sein Unwesen. Und nicht nur das: ein obskures Rattenfänger-Unternehmen, deren Vorsitz ein geheimnisvoll verhüllter Antagonist innehat, macht Katze, Ratte und Mensch bald die Hölle heiß.

Von der Tonalität her könnte Maurice der Kater genauso gut aus der Feder der Shrek-Macher stammen, allerdings mit weniger parodistischen Zügen oder Stereotype der Märchenwelt durch den Kakao ziehend. Bei der Verfilmung von Pratchetts Roman bleibt die mittelalterliche Märchenwelt mit ihren Fachwerkhaus-Eskapaden und pittoreskem Bilderbuchschick stets eine liebevolle Hommage an all das Beschauliche aus einer Welt, in welcher der Glaube ans Magische inhärent war. Selbst Kater Maurice gibt sich gar nicht mal so sehr seinen katzischen Allüren hin, und die Ratten mit ihren skurrilen Namen wie Pfirsiche, Gefährliche Bohnen oder Sardinen erinnern frappant an die Gefolgschaft des Küchennagers aus Ratatouille, wobei: knuffige Gemeinschaften wie diese lassen sich immer wieder neu auf die Leinwand bringen, von Katzen bekommen manche ja auch nie genug.

Es mag sein, dass Maurice der Kater in Sachen Optik längst nicht so eine stilistische Eigenständigkeit besitzt wie so manche Pixar– oder DreamWorks-Produktion. Auch Pratchetts Geschichte und folglich auch der für den Film adaptierte Plot schlägt nun mal keine Haken oder jongliert mit Klischees herum. Höchst seltsam ist dabei die mit dem roten Faden der Story verwobene Gutenachtgeschichte rund um einen Feldhasen im Anzug, der an Peter Hase erinnert. Dass diese auch als Rattenbibel dient, welches als Sinnbild für die Suche nach einem „Gelobten Land“ stehen könnte, beschert dem Abenteuer eine etwas unglückliche gesellschaftskritische Metaebene, die ihre Wirkung aber verspielt.

Trotz dieser Ausbremsungen bleibt der Film angenehm relaxt und unprätentiös, huldigt dem Understatement und einer gewissen Gelassenheit angesichts einer recht vorhersehbaren wie konventionellen Queste zur Rettung einer kleinen, überschaubaren Welt.

Maurice der Kater (2022)

Sisu (2022)

FAIRNESS AUF FINNISCH

6/10


sisu© 2023 Praesens Film


LAND / JAHR: FINNLAND 2022

REGIE / BUCH: JALMARI HELANDER

CAST: JORMA TOMMILA, AKSEL HENNIE, JACK DOOLAN, MIMOSA WILLAMO, ONNI TOMMILA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Wenn ein Außenseiter, der mit unorthodoxen und zweifelhaften Methoden dennoch eine gewisse Moral vertritt, wirklich schlimmen Jungs den Garaus macht, sei es nun aus Rache oder um die Schutzlosen zu beschützen – wenn so ein Fremder ohne Namen und mit wenigen Worten auf den Lippen in diesem Streben gar nicht anders kann als nicht zu sterben, dann ist das ein gern interpretierter Mythos in der Welt des Kinos. Und längst nichts Neues mehr. Ob Clint Eastwood, Chuck Norris oder Arnold Schwarzenegger – sie alle sind überzeichnete und fern realer Umstände Kämpfe austragende Kultfiguren, die unsere Sehnsucht nach einer gerechteren Welt zumindest in diesen paar Stunden, in denen sie über den Screen flirren, stillen können. Quentin Tarantino geht sogar so weit und verändert die Geschichte, um zu bekommen, was einer Welt mit moralischem Ordnungs-Soll eigentlich zusteht. 

Dieser wortkarge Finne im Actionstreifen Sisu ist auch so einer. Sisu – das ist finnisch steht für eine schwer bis gar nicht übersetzbare Umschreibung eines hartnäckigen Überlebenswillens. Und ja, ich muss zugeben – hartnäckiger ums Überleben kämpft eigentlich nur noch John Wick, der als Stehaufmännchen im letzten Teil seines Franchise was weiß ich wie oft die Stufen zum SacréCœur hat hochlaufen müssen.

Im Jahr 1944, während die Nationalsozialistische Armee bei ihrem Abzug aus Finnland nur verbrannte Erde hinterlässt, hat sich der Eigenbrötler Aatami Korpi, ehemals Kampfmaschine in den Diensten der finnischen Armee und rund 300 Russen am Gewissen, vom Krieg abgewandt und sucht in den weiten Ebenen Lapplands nach Gold. Seine Suche wird alsbald belohnt, und Fortuna schüttet in Form schwerer Edelmetallklumpen ihr Füllhorn aus. Auf dem Weg zurück in die Zivilisation queren marodierende Nazis seinen Weg – und zumindest einige von denen müssen sehr bald schon auf deftige Weise ins Gras beißen. Vom Gold wird dann auch noch Obersturmführer Helldorf (fast so garstig wie seinerzeit Lee van Cleef: Aksel Hennie) angelockt. Und es beginnt eine Hasenjagd per Panzer quer durchs Gelände, während Korpi sein Survival-Know How auspacken muss, um den Verbrechern immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

Bald aber stehen die Chancen für den Anti-Helden ziemlich schlecht. Und nach allen Parametern der Logik wäre Sisu ein Kurzfilm mit einer Länge von fünf, na sagen wir zehn Minuten. Doch nein – Nazis wie diese müssen – zumindest aus hier kolportierten sadistischen Gründen – dem groben Gutmenschen gegenüber Kulanz walten lassen. So verlangt es das Skript, so verlangt es nicht nur das Subgenre des längst aus der Zeit gefallenen Bahnhofs- oder Grindhouse-Kinos. Robert Rodriguez und Mastermind Tarantino – den beiden gelang es glatt,  das Vokabular der Exploitation-Filme mit Werken wie Death Proof, Planet Terror oder Machete neu erklingen zu lassen. Einflüsse des Italowesterns sind da kaum zu übersehen.

Sisu huldigt beiden Stilen. Und macht anhand üppiger Lettern, die, formschön eingeblendet, den Film in mehrere Kapitel unterteilen, überdeutlich, womit wir es zu tun haben. Mit einer stilsicheren Reminiszenz, dessen Macher Jalmari Helander (unbedingt ansehen: Rare Exports – der etwas andere Weihnachtsfilm) sein Handwerk versteht. Und der auch weiß, worauf es ankommt, um seinen archaischen Blut- und Beuschelreißer in einem überzeichneten und vielen, wenn nicht allen Gesetzen der Logik widerstrebendem Universum zu verankern. Ein satter, rauer Score und überhöhtes Sounddesign vor allem dann, wenn im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen fliegen, machen aus Sisu ein fast schon physisch greifbares Event. Im Grunde aber ist, so hingefetzt das Ganze inszeniert ist, nichts davon wirklich innovativ. Ein Mann-Armeen gibt‘s mittlerweile viele. Nazis fahren auch nicht zum ersten Mal zur Hölle, während ihnen ihre abgetrennten Extremitäten um die Ohren fliegen. Im Grunde mag Sisu recht dünn ausfallen. Was man aber zu schätzen weiß, ist der lakonische Zynismus, dieser schweigsame Zorn, die raue Gegend. Und die Liebe zur beinharten Trivialität, die die Grundemotionen von Rache und Genugtuung bedient.

Sisu (2022)