Plane (2023)

PILOTEN IST NICHTS VERBOTEN

5,5/10


plane© 2023 LEONINE / Kenneth Rexach


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JEAN-FRANÇOIS RICHET

CAST: GERARD BUTLER, MIKE COLTER, YOSON AN, DANIELLA PINEDA, PAUL BEN-VICTOR, REMI ADELEKE, JOEY SLOTNICK, EVAN DANE TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Geht ein Gewitter nieder, sollte man tunlichst nicht im Gebirge herumstiefeln, auf freien Flächen verweilen oder unter hohen Bäumen Schutz suchen. Man kann von Glück reden, befände man sich zur Zeit der heftigsten Entladungen im Inneren eines Autos, das als Faraday’scher Käfig gilt. Im Flugzeug kann einem auch nicht viel passieren, das schützt nach dem selben Prinzip, es sei denn, die Elektronik fällt aus. So gesehen im neuen Gerard Butler-Actionvehikel Plane mit dem geschmeidigen Subtitel Gemeinsam überleben oder alleine sterben. Man könnte diese Erkenntnis aber auch so drehen, dass es hieße: Alleine überleben oder gemeinsam sterben, was wohl eher realistischeren Szenarios entsprechen würde. Doch wir sind in einem Film, und im Film gelten immer andere Regeln, vor allem, wenn Gerard Butler dabei ist.

Der ist schließlich erfahrener Pilot mit Landeapplaus und hat auch schon die eine oder andere pikante Situation in Sachen Passagiere mit dem Kinnhaken gelöst. Er weiß, wie man zuschlägt – und natürlich, wie man fliegt. Wider jeglicher Vernunft aber folgt er den Anweisungen vom Tower, seine gerade mal mit 14 Passagieren spärlich besetzte Maschine von Singapur nach Tokyo durch ein Unwetter zu steuern. Es kommt, wie es kommen muss, der Faraday’sche Käfig ist nur noch ein Hohn, das Flugzeug gibt den Geist auf und Butler, nicht von allen Geistern verlassen, macht einen auf Sully, während er zur eleganten Notlandung auf den Philippinen ansetzt. Es ist kein Spoiler: dieses Manöver wird ihm gelingen. Doch wie heißt es so schön: Vom Regen in die Traufe. Und so greift der Franzose Jean-François Richet, bekannt geworden für seinen Unterwelt-Zweiteiler Public Enemy mit Vincent Cassel als Jacques Mesrine, nach einer authentischen Unterfütterung für sein dick aufgetragenes Szenario: er lässt seinen Cast auf der berüchtigten Insel Jolo stranden, einem fernab staatlicher Kontrolle befindlichen Unterschlupf der Islamisten-Gruppe Abu Sayyaf, die jenseits der Leinwand schon mehrmals und auch ganz medienwirksam ahnungslose Touristen genau dorthin verschleppt und mehrere Monate in Geiselhaft gehalten hat. Butler und seine Passagiere bekommen genau das zu spüren: den ruchlosen, aggressiven, starken Arm von ebensolchen Fanatikern, die ein notgelandetes Flugzeug als Jackpot betrachten.

Das Drehbuch zu Plane macht bereits vorweg die notwendigen Haken in der Handlung, um unseren Alltags-Helden mit dem Mut zur Gewalt irgendwann allein dastehen zu lassen. Im Schlepptau hat er den verurteilten Kriminellen Luke Cage alias Mike Colter, der für seine Verbrechen natürlich umstandsmildernde Erklärungen hat und sofort als moralisch integre Person mit einigen Grauzonen angesehen werden kann, die eigentlich für das Gute eintritt. Die beiden sind also ein Team, das alles daransetzt, den bösen Islamisten das Handwerk zu legen. Interessanterweise kann selbst Richet sein handzuhabendes Drehbuch nicht so weit verbiegen und verkrümmen, um die beiden Stars heil aus der Sache herauskämpfen zu lassen. Irgendwann wäre die Handlung nur noch hanebüchen gewesen, doch klugerweise sind Butler und Colter nicht mehr nur auf sich allein gestellt. Ein guter Schachzug in einem sonst routinierten und eigentlich sehr handverputzten Actionthriller, der seinen Figuren nur so viel psychosozialen Background angedeihen lässt wie gerade mal notwendig. Zugegeben, John McLane hatte auch nicht mehr – doch John McLane hatte Witz und Selbstironie. Butler hat die nicht, Colter genauso wenig. Doch wenn man so schwitzt wie die beiden unter tropischer Sonne, wundert es nicht.

Die bösen Philippinos sind wohl am ehesten das, was sie wirklich sind, nämlich böse. In diesem Schwarzweiß-Szenario mag man sich bequem in einem durchaus vorstellbaren Horror wiederfinden, dem man trotz wiederholter Fernreisen bislang entgangen war. Wie das eben so ist, beim Betrachten eines Survivaltrips, hat man beim Zusehen jede Menge Tipps parat. Nur in Plane wüsste man dann auch nicht, wie man es anstelle von Butler hätte besser machen können. Notlandung und Geiselnahme mögen im Doppelpack nun mal so gehandlet werden, geben aber als Film und in dieser Unglücksverkettung selten noch Neues her. Oder zumindest nichts, was man nicht schon so oder ähnlich gesehen hat. Und man weiß schließlich bei Butler immer: schreibt er gerade mal keine Briefe an Hilary Swank aus dem Jenseits, wird er, die Zähne zusammengebissen, seine Pflicht erfüllt haben.

Plane (2023)

Beasts of No Nation

KRIEG ALS ERZIEHUNG

7,5/10


beastsofnonation© 2015 Netflix

LAND / JAHR: USA 2015

REGIE: CARY JOJI FUKUNAGA

DREHBUCH: CARY JOJI FUKUNAGA, NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON UZODINMA IWEALA

CAST: ABRAHAM ATTAH, IDRIS ELBA, EMMANUEL NII ADOM QUAYE, KURT EGYIAWAN, JUDE AKUWUDIKE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Für den ersten Netflix-Originalfilm in der Geschichte nämlichen Streaming-Gigantens, der zumindest in den USA sowohl im Kino als auch auf den wohnzimmertauglichen Geräten lief, hätten sich manche durchaus etwas anderes vorgestellt. Etwas, das man mehr abfeiern hätte können. Etwas mehr Unterhaltsames vielleicht, für eine breite Zielgruppe. Doch Beasts of No Nation ist alles andere als das. Beasts of No Nation tut weh. Und erschüttert. Gleichsam aber fasziniert es auf eine Art, auf welcher man fremde Riten und Gebräuche bewundert, sie aber hinten und vorne nicht versteht. Auf eine Art, auf welcher man Serienkiller als ein Kuriosum betrachtet, weil sie so wenig der Normalität entsprechen. Ein Panoptikum des Grauens, wenn man so will. In etwa so wie Apocalypse Now – mehr als nur ein puristischer Kriegsfilm, mit einer ganzen Abhandlung zur Bestie Mensch im Gepäck.

Die Bestie Mensch lässt sich auch problemlos in diesem Film hier finden. Für dessen Regie zeichnet Cary Fukunaga verantwortlich, der mittlerweile nicht mehr nur aufgrund von True Detective, einer qualitativen Neuorientierung im Seriendschungel, bekannt ist. Fukunaga durfte auch den brandneuen James Bond inszenieren. Begonnen hat der Sohn einer Japanerin und eines Schweden allerdings mit der Verfilmung eines Buches von Uzodinma Iweala, der die Erlebnisse eines Kindersoldaten in einem nicht näher definierten, westafrikanischen Staat schildert. Dort lernt der Ich-Erzähler Agu Mord und Totschlag kennen, Missbrauch und Drogen. Warum genau will man so etwas eigentlich sehen? Ist es, weil es so dermaßen viel Aufschluss gibt darüber, wie der Mensch funktioniert oder eben nicht funktioniert? Wie er selbst sein größter Feind sein kann? Ist es, wie eingangs erwähnt, einfach die bizarre Exotik eines Horrors, der sich fast schon anfühlt wie ein pittoresker Abenteuerfilm? Farbintensiv ist das Ganze, voller Dschungelgrün und dem Blutrot sterbender und darüber gar sehr überrascht dreinblickender Menschen. Lateritrot die Erde, golden die tiefstehende Sonne. Darf es in so einem Paradies überhaupt so viel Grauen geben? Das hat sich Francis Ford Coppola auch gefragt. Das fragt sich der gerade mal zwölfjährige junge Agu ebenso, dessen glückliches Leben schlagartig enden muss, als eine Regierungseinheit schwer bewaffneter Soldaten das Dorf stürmt. Vater und Bruder sterben, die Mutter flieht mit ihrem Neugeborenen in die Hauptstadt. Agu versteckt sich im Dschungel, wird aber alsbald von einer archaischen Rebellengruppe aufgegriffen, die frappant an die ugandische LRA erinnert und bis an die Zähne bewaffnet und so bunt gekleidet ist wie ein Stamm Indigener für eine Folklore-Show. Deren Anführer nennt sich Commandante (charismatisch und gefährlich: Iris Elba in einer seiner besten Rollen), und der nimmt den Kleinen unter seine Fittiche. Dabei wird er zum Krieger ausgebildet, darf töten und metzeln, muss seinem Mentor Liebesdienste erweisen. Betäubt sich mit Schießpulver als Drogenersatz. Verliert seine Kindheit.

Mit Krieg als Erziehung lassen sich Menschenleben ruinieren. Fukunaga zeigt, wies geht. Und das ist heftig, verstörend und traurig. Wenn Agu das erste Mal mit einer Machete ausholt, unter den motivierten Zurufen des Commandante, und dem „Feind“ den Schädel spaltet, ist das Individuum fort, ist das Kind nur noch Maschine. Ein Prozess, den Darsteller Abraham Attah famos vor die Kamera bringt – diese bleierne Müdigkeit, diese gefühllose Lethargie, die, völlig übermannt von den schrecklichen Dingen, jeglichen Funken Zuversicht tilgt. Die Verrohung des Menschen steht in Beasts of No Nation explizit im Mittelpunkt, dabei ist das, was hier gezeigt wird, wohl locker auf mehrere zentralafrikanische Staaten umzulegen. Am Ende bleibt bei dieser Tragödie, in der zwischendurch immer wieder ganz andere Werte aufflackern, so, als wären sie das Glimmen eines niedergebrannten Feuers, das sich wieder entfachen ließe, kein aus den Wassern neugeborener König des Dschungels als nihilistische Prämisse zurück. Am Ende gibt es gar Hoffnung auf so etwas wie einen Neuanfang. Doch der Weg dorthin ist wieder ein ganz anderer Krieg.

Beasts of No Nation

Monos

CHILDREN FOR THE REVOLUTION

7,5/10 


monos© 2020 DCM


LAND / JAHR: KOLUMBIEN, ARGENTINIEN, NIEDERLANDE, DEUTSCHLAND, URUGUAY, SCHWEDEN 2019

REGIE: ALEXIS DOS SANTOS & ALEJANDRO LANDES

CAST: JULIANNE NICHOLSON, MOISES ARIAS, SOFIA BUENAVENTURA, JULIÁN GIRALDO, KAREN QUINTERO, DEIBY RUEDA, SNEIDER CASTRO, PAUL CUBIDES U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Wohl eines der erschütterndsten und spannendsten Bücher, die ich je gelesen habe, ist die Leidensgeschichte der Politikerin Ingrid Betancourt, die als Geisel der kolumbianischen FARC jahrelang als wertvollster Besitz galt. Mit Geiseln, so die Rebellen, lässt sich politisch am meisten bewegen. Was das für Leute sind, beschreibt Betancourt mit fast schon sachlicher Genauigkeit. Der Film Monos von Alexis Dos Santos und Alejandro Landes nimmt so einen wilden Haufen junger Hunde ebenfalls unter die Lupe. Dafür steigt er hoch auf die unwirtlichen Hochebenen des südamerikanischen Landes, dort, wo man bereits über den Wolken weilt und auf ein Panorama blickt, dass erstens den Atem raubt und zweitens das unbändige Gefühl von Freiheit vermittelt.

Von dieser Freiheit hat die aus den USA stammende Journalistin, die als Geisel genommen wurde, leider überhaupt nichts. Sie dämmert hier oben, zwischen Gebirgssteppe und verfallenem Bunker (eine fast surreale Kulisse) mehr oder weniger vor sich hin, ohne Aussicht darauf, ersonnene Fluchtpläne in die Tat umzusetzen. Doch diese Doctora, wie sie genannt wird, ist an sich nur die Protagonistin im Hintergrund. Ganz vorne mit dabei, kalaschnikowschwingend und ständig am Feiern: eine achtköpfige Gang, die sich Monos nennt und die einer nicht näher benannten Rebellengruppierung angehört. Anführer dieser Soldaten ist ein muskelbepackter Zwerg, der den Greenhorns immer wieder die Leviten liest – und dann wieder verschwindet. Die Burschen und Mädchen müssen sich also allein organisieren und überdies auf eine Milchkuh achten, die ihnen zum Geschenk gemacht wird. Dass das schiefgeht, ist nur eine Frage der Zeit. Und irgendwann muss die Gruppe weiterziehen, runter ins Tal – in den tropischen Dschungel.

Monos war für mich einer der Filme, die letztes Jahr coronabedingt keine Kinoauswertung hatten. Glücklicherweise gab es dafür das Sommerkino, doch selbst diesen einen Termin konnte ich nicht wahrnehmen. Dabei wäre die große Leinwand für ein Werk wie dieses hervorragend geeignet gewesen, vor allem, weil das Rebellendrama so sehr mit der Opulenz und der Üppigkeit seiner Umgebung spielt. Monos ist allerdings kein klassischer Thriller, und folgt auch keiner gewöhnlichen Erzählweise. Lange Zeit bleibt vieles im Dunkeln, die einzelnen, teils clownesk agierenden Gestalten werden nach und nach bekannt, auch ihre Beziehungen zueinander. Ob hoch oben oder tief unten im stickigen Blätterwald – der spannungsgeladene Mikrokosmos zwischen den acht jungen Menschen und ihrer Geisel gebärdet sich als Psychostudie zwischen Herr der Fliegen und Coppolas Apocalypse Now, wenn man vom Aspekt der Geiselnahme absieht. Jeder einzelne, kaum Herr seiner Lage, versucht sich an die Macht zu boxen oder versucht, eine Lücke für seine eigene Macht zu finden. Nur die Zähen überleben hier, in diesem gesetzlosen Vakuum, in dieser schwül-düsteren Anarchie aus Ehrenkodex, Anbiederung und langsam übergreifenden Wahnsinn. Mensch und die Natur verschmelzen. Archaische Tänze ums Feuer, Gesichter hinter Schlamm- und Erdmasken, sei es zur Tarnung, sei es, um den eigenen erdachten Kult von jeder sonstigen bestimmenden Institution loszulösen.

Monos ist ein rauer, wilder Film ohne Sanftmut und Bedächtigkeit. Mag sein, dass diese unorthodoxe kleine Geschichte über das Wesen des Menschseins für manche schwer zugänglich ist. Mir ging’s anfangs ähnlich, doch mit der Zeit, wenn die Rolle der Doctora sich aus dem sozialen Gefüge herauszuschälen versucht, wird aus dem Gruppenportrait ein spannender Survivalthriller, der die Wildheit Kolumbiens in satten, schweren Bildern anhimmelt und das Ganze noch mit einem hypnotischen, kunstvoll verzerrten Folklore-Score ergänzt. Dieser Trip ins Herz der Finsternis und wieder hinaus lohnt sich.

Monos