Brian and Charles (2022)

MEIN FREUND, DIE WASCHMASCHINE

6/10


brian_and_charles© 2022 Focus Features


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2022

REGIE: JIM ARCHER

DREHBUCH: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, NACH DEM KURZFILM VON JIM ARCHER

CAST: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, LOUISE BREALEY, JAMIE MICHIE, NINA SOSANYA, LYNN HUNTER, COLIN BENNETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Mitarbeiter im Patentamt würden sich angesichts der tolldreisten Erfindungen, die der Sonderling Brian tagtäglich aus dem Fundus an alten Teilen zusammenkonstruiert, wohl kaum mehr wundern als sonst während ihres beruflichen Alltags. Mit Sicherheit wandern dort des Öfteren gelinde gesagt recht unnütze Verschlimmbesserungen in die Rundablage, ohne überhaupt genauer geprüft werden zu müssen. Handstaubsauger mit Flaschenhalter, eine Kurbelklobürste und allerhand seltsame Gerätschaften schmücken die Werkstatt des zurückgezogen lebenden Mannes, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen Freund an seiner Seite – oder gar eine Freundin. Doch Brian ist ein kreativer Kopf, und solange die Ideen, so absurd sie auch sein mögen, aus seinem Denkapparat sprudeln, haben Depressionen keine Chance. Kreativität ist das Heilmittel für alles. Das Brainstorming vor dem großen Durchbruch ein spektakuläres Abenteuer.

Und dann das: Eines Tages kommt der Moment, den wohl auch der gute alte Gepetto erlebt haben muss, als eine Marionette aus Holz plötzlich stolz zum Morgengruß ansetzte. Etwas, das nicht leben kann, erfreut sich seiner Existenz. In diesem Fall ist es eben nicht Pinocchio, sondern Charles, eine Waschmaschine auf zwei Beinen, obendrauf der Kopf einer Schaufensterpuppe – dazu schütteres graues Haar und eine Brille. Wie durch ein Wunder scheint Brians Konzept für einen Roboter ins Schwarze getroffen zu haben. Wie er das gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Nicht nur für ihn oder für sein überschaubares soziales Umfeld, sondern auch für uns Zuseher. Dass dieser Charles Petrescu, wie er sich nennt, also mehr ist als die Summe seiner Teile, mag einige Neider auf den Plan rufen – aber auch die schüchterne Hazel, die bei ihrer Mutter wohnt und für den kauzigen Erfinder mehr als nur Sympathie empfindet.

Jim Archers Underdog-Science-Fiction nach seinem eigenen Kurzfilm muss man eigentlich mögen, es geht gar nicht anders. Comedian David Earl als völlig in seiner Leidenschaft des Erfindens versunkener Außenseiter weckt zumindest in mir das verbrüdernde Verständnis für die in sich ruhende Glückseligkeit, die man bekommt, würde man im Tun dessen, was Freude bringt, sich selbst genügen. Das mag für alle anderen verrückt erscheinen, doch was die anderen meinen, schert niemanden mehr. Eine gute Einstellung, und doch geht es nicht ohne soziale Interaktion. Und die mag von mir aus ein ungelenker Roboter sein, dem sein eigenes Ich bewusst wird, der minütlich neu dazulernt und der trotz seiner unförmigen Physiognomie seltsamerweise in jedes Auto passt.

Mit nachvollziehbarer Logik lässt sich Brian und Charles gar nicht erklären. Collodis Pinocchio aber genauso wenig. Beide sind Märchen, beide sind Gleichnisse auf Selbstbestimmung und Originalität, auf Einzigartigkeit und das stete Streben nach neuen Ufern. Archers handgemachter Science-Fiction-Film verlässt dabei klassisches Erzählkino und bedient sich den Mechanismen einer Mockumentary – Brian durchbricht dabei die vierte Wand, wendet sich immer wieder einem ins Geschehen eingebundenen Betrachter zu, der vielleicht gar das eine oder andere Wort verliert.

Platziert in diese dörfliche Struktur völliger Abgeschiedenheit von der großen weiten Welt, die Charles aber unbedingt kennenlernen will, kommt auch Archers Film nicht über den Status einer Filmschrulle hinaus, die als Ständchen auf den verspielten Esprit des völlig Unnützen oder dem fehlkonstruierten Chaos verstanden werden will, aus dem irgendwann, ganz wie von selbst, Sinn entsteht. Mit Charles als dieses Wunder, diesem unförmigen Koloss, mag der Film so gemütlich wie absurd wirken, erzählerisch aber wagt er keine großen Sprünge. Man schmunzelt, man wundert sich. Mehr nicht. Doch vielleicht genügt das ohnehin.

Brian and Charles (2022)

Nanny (2022)

DIE KINDER ANDERER LEUTE

5/10


nanny© 2022 Amazon Studios


LAND / JAHR: USA 2022

DREHBUCH / REGIE: NIKYATU JUSU

CAST: ANNA DIOP, ROSE DECKER, MICHELLE MONAGHAN, MORGAN SPECTOR, LESLIE UGGAMS, SINQUA WALLS, OLAMIDE CANDIDE-JOHNSON, JAHLEEL KAMARA U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Eine Kinoauswertung für diesen Film gab’s trotz Prämierung keine: Kaum bei den Sundance Filmfestspielen gewonnen, landete zumindest hier in Europa das metaphysische Drama Nanny direkt auf amazon prime – Netflix war da wohl nicht schnell genug. Wäre es aber schade darum gewesen, wenn Nanny sang- und klanglos im Nirvana festival-existenter Independent-Produktionen verschwunden wäre? Man kann auf solche Fragen nicht wirklich eine Antwort geben. Jedes filmische Kunstwerk sollte die Chance haben, für ein größeres Publikum ausgewertet zu werden. Schließlich steckt da eine Idee dahinter, schließlich sind hier Wochen, Monate, wenn nicht gar Jahre investiert worden, um eine Geschichte zu erzählen, die noch dazu filmtechnisch State of the Art sein will.

Nikyatu Jusu erzählt schließlich nicht irgendeine Geschichte. Sie kurbelt schließlich keinen Wühlkorb-Reißer herunter, sondern bringt eine ordentliche Meta-Ebene mit in ihr Projekt. Da Jusu selbst afrikanischer Herkunft ist, in Atlanta allerdings geboren wurde, ist naheliegend, dass sie weiß, wovon sie geschrieben hat. Und das fast ein ganzes Jahrzehnt lang, immer wieder, bis ihr Skript auf die Blacklist der besten noch nicht verfilmten Drehbücher kam. Dann aber war’s so weit. Und ein Film mit so viel Herzblut, den darf man ganz einfach nicht irgendwo abstellen. Der hätte ins Kino kommen sollen, und er hätte geteilte Meinungen über ihn sicher gut vertragen. Denn das Konzept hinter Nanny ist zweifelsohne spannend, die Umsetzung selbst hat mich nicht ganz so überzeugt. Doch das werden andere sicher anders sehen. Wie gesagt: Filmkunst ist subjektiv. Und ja, so gesehen wäre es schade darum gewesen, wenn sich keiner der Streamer diesem Werk angenommen hätte.

Im Zentrum des genreübergreifenden Dramas steht Anna Diop als Senegalesin Aisha, die bei ihrer Tante wohnt und nicht nur als Fremdsprachenlehrerin, sondern in ihrer freien Zeit noch als Kindermädchen arbeitet. Warum sie sich keinerlei Verschnaufpause gönnt? Um ihren kleinen Sohn Malik in die Vereinigten Staaten zu holen, braucht es jede Menge Kapital. Das lässt sich nur dann lukrieren, wenn neureiche Familien mit liberaler Einstellung jemanden wie Aisha einzustellen gedenken. In diesem Fall sind es Amy und Adam (Michelle Monaghan und Morgan Spector), die eine kleine Tochter haben, womöglich in dem Alter wie Aishas Nachwuchs. Bevor also das eigene Fleisch und Blut umsorgt werden kann, kommen die Kinder anderer Leute in den Genuss von Aishas betreuerischer Kompetenz. Nur leider ist das Ehepaar zwar begeistert von deren Arbeit, andererseits erliegen sie der Versuchung, jemanden Angewiesenen wie sie auch gehörig auszunutzen, während die Bezahlung vieler Stunden auf sich warten lässt. Dann wird auch noch der Ehemann übergriffig und zu allem Übel plagen Aisha Erscheinungen westafrikanischer Mythen, allen voran der Wassergeist Mami Wata und Anansi, der als Spinne manifestierte Gott des Schabernacks, die ihr seltsame Botschaften übermitteln, die wiederum mit dem Ertrinken zu tun haben.

Der als Horrorfilm beworbene Film ist natürlich nur bedingt diesem Genre zuzuordnen. Die Sorge, sich bei dessen Sichtung zu erschrecken, ist eher unbegründet – viel mehr aber ist die Stimmung darin eine bedrückende. Nanny braucht lange, um in die Gänge zu kommen und erzählt etwas zu behutsam und zögerlich von den Hoffnungen immigrierter Afrikaner, die sich in den Staaten die große Chance erhoffen. So schwer, wie diese Träume in die Realität umzusetzen sind, so sehr stemmt sich der Film gegen eine entgegengesetzte Strömung. Was Jusu vielleicht niemals wollte, ist, hier zu sehr in eine angstmachende Metaphysik zu kippen. Da ist es wohl besser, sich zurückzunehmen, und nur immer wieder mal die Heimsuchung aus anderen Welten einzustreuen. Durch diese gestrenge Selbstzügelung kann Nanny nicht die Wucht ihres Potenzials ausspielen. Die einnehmende Erscheinung Anna Diops reicht dann leider nicht aus, um sich mit dem Strom eines zu erwarteten Schicksals mitreißen zu lassen.

Nanny (2022)

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

EL CONDOR PASA

7/10


Utama© 2023 Polyfilm


LAND / JAHR: BOLIVIEN, URUGUAY, FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE / PRODUKTION: ALEJANDRO LOAYZA GRISI

CAST: JOSÉ CALCINA, LUISA QUISPE, SANTOS CHOQUE, CANDELARIA QUISPE, PLACIDE ALI, FÉLIX TICONA U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Damals hat der österreichische Poet Ludwig Hirsch den großen, schwarzen Vogel in seiner Ode an den Tod als Bote des Jenseits deklariert. Die Krähe weicht aber, sobald man den Atlantik überquert und in Südamerika ankommt, einem ganz anderen gefiederten Freund: Dem Kondor. Was dieser tut, wenn er weiß, dass sein Leben zu Ende geht? Er fliegt auf den höchsten Gipfel der Berge, und stürzt sich dort in den Tod, bevor das Leben all seine Würde verliert. Mit der Mentalität dieses stattlichen Tieres kann der alte Virginio ganz gut umgehen. Und er weiß auch: Lässt sich der Kondor blicken, kann das nur eines bedeuten. Das Leben geht zu Ende. Und dennoch heißt es: so lange weitermachen, bis der Arzt kommt. Oder bis er eben nicht kommt. Oder wieder geht. Denn Virginio, der braucht keine Hilfe von irgendwem. Schon gar nicht will er in die Stadt zu seinem Sohn, mit dem er sich längst zerstritten hat. Ehefrau Sisa sieht das vielleicht etwas anders. Aber sie fragt ja keiner. Sie weiß auch nicht, dass Virginio unter heftigen Hustenanfällen leidet, und die tagtägliche, kilometerlange Wanderung mit der hauseigenen Lamaherde immer mühsamer wird.

Da taucht plötzlich Enkel Clever auf, der seine Großeltern über alles liebt und auch dem mürrischen Opa zur Hand gehen will. Der ist skeptisch und sieht in Clevers Erscheinen nur eine indirekte Botschaft seines Sohnes, endlich die alte Hütte im Nirgendwo aufzugeben. Denn die Dürre hier im bolivianischen Hochland hat den letzten Brunnen des nahen Dorfes austrocken lassen. Der Weg zum Wasser wird immer länger. Die Ernte geht nicht auf, und dann bricht Virginio unterwegs auch noch zusammen. Das Ende einer Existenz im Einklang mit der Natur ist gekommen. Dagegen kann auch der Enkel nichts machen, denn wer nicht will, der hat schon alles, was er braucht.

Wie die älteste, noch lebende Generation mit dem Klimawandel zurechtzukommen versucht – diese Betrachtung eines hingenommenen Untergangs mehr schlecht als recht am Leben gehaltener Traditionen wurde beim Sundance Filmfestival 2022 mit dem World Cinema Grand Jury Price ausgezeichnet. Alejandro Loayza Grisi lässt in seinem beschaulichen und zugleich unwirtlichen Naturalismus-Drama weniger die Worte als vielmehr Geräusche sprechen. Der rasselnde Atem des an einer Lungenkrankheit leidenden alten Viehbauern zieht sich von Anfang bis Ende durch den ganzen Film. Einmal ist es ein kehliges Röcheln, dann schweres Luftholen, dann erbärmlicher Husten. Sein Schnaufen steht für eine Existenzgrundlage in ihren letzten Atemzügen. Dazwischen hören wir die eigenwilligen Töne der wuscheligen Kamele, das Knirschen von Sand und Steinen unter den Schuhen der Wandernden; das Grollen des Donners oder den Wind, der über die Ebene fegt. Der Sound von Utama. Ein Leben in Würde ist als nonverbales Requiem komponiert, während die beiden Alten gar nicht so viel zu sagen haben, sondern lieber diesem Abgesang lauschen, da sie mit ihren Gesten und Blicken genügsam genug sind.

Wie sehr es schwerfällt, im Alter den Umbruch zu akzeptieren, ist zwar keine wirklich neue Erkenntnis – doch der Blick in eine so ferne, alte und bis in die Gegenwart archivierte Welt macht klar, was auf diesem ganzen Erdball als einzige Sache wirklich alle angeht, und zwar wirklich alle, bis zum letzten Eremiten irgendwo versteckt in den Bergen: Das Ende des Klimas, so wie wir es kennen.

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

Klondike (2022)

MIT DEM KRIEG AUF DER COUCH

8/10


klondike© 2023 ZDF / Foto: Sviatoslav Bulakovskyi


LAND / JAHR: UKRAINE, TÜRKEI 2022

BUCH / REGIE / PRODUKTION / SCHNITT: MARYNA ER GORBACH

CAST: OXANA CHERKASHYNA, EVGENIY EFREMOV, ARTUR ARAMYAN, OLEG SHCHERBINA, SERGEY SHADRIN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Manche Filme stellen Dinge mit einem an, die lassen sich nicht voraussehen. Damit meine ich nicht, dass sie nachhaltig verstören und man als Zuseher Zeit braucht, um das Gesehene zu verarbeiten. Manchmal braucht es nicht den Schockeffekt als alleiniges Mittel, um das Publikum mitzureißen. Manchmal sind es höchst ungewöhnlich gesetzte Prioritäten oder eine der dramatischen Intensität des Gezeigten entgegenlaufende Dynamik, die erstmal irritiert, dann vielleicht sogar langweilt – in letzter Instanz aber genau dadurch zu einer Conclusio findet, die sowohl auf der Metabene des Films als auch in der ganzen augenscheinlichen Handlung funktioniert. Klondike von Maryna Er Gorbach ist so ein Werk. Ein nüchterner Lokalaugenschein, eine semidokumentarische Chronik unheilvoller Ereignisse und ein zutiefst humanistisches Manifest gegen den Irrsinn eines politischen Konflikts, dem nichts heilig ist, außer dass er die menschenverachtenden Mittel heiligt, die dem Zweck dienen sollen. 

Zu solch ähnlichen Erkenntnissen kommen Antikriegsfilme des öfteren. Alles sinnlos: Der Krieg, die Opfer, der Konflikt um gezogene Grenzen – letzten Endes nichts wert. So auch im Osten der Ukraine im Jahr 2014. Separatisten, die den Donpass längst schon unter russischen Fittichen sehen wollen, kämpfen gegen die ukrainische Regierung. Es herrscht lokaler Bürgerkrieg, der autoritäre Nachbar füttert von jenseits der Grenze seine Stellvertreter. Wir wissen längst, und spätestens seit Februar 2022, wohin das führen wird. Damals noch war alles etwas anders, aber nicht weniger erschütternd. In Klondike (naheliegend, dass dieser Titel auf den amerikanischen Goldrausch und seine Folgen anspielt – der auch anderswo entsprechend eskaliert, nur ist es eben Kohle statt Gold) steht ein Ehepaar im Mittelpunkt, das ihren kleinen Bauernhof unglücklicherweise direkt im Kriegsgebiet zur Selbstversorgung betreibt. Toliks Frau Irka ist hochschwanger und müsste bald ins Krankenhaus. Dumm nur, dass die Region von Separatisten abgesperrt wird, die beiden können nirgendwo hin. Ein Passagierflugzeug der Malaysian Airlines wird abgeschossen – ich bin mir sicher, wir alle erinnern uns noch, als dieses Unglück die Titelseiten dominierte. Die Gegend ist von Trümmern des Wracks übersät, überall liegen Leichen. Um der ganzen zerfahrenen Situation auch noch die Krone aufzusetzen, wird das Haus von Tolik und Irka von einem Geschütz getroffen und reißt die ganze Wohnzimmerfront ein. So sitzen die beiden nun auf der verstaubten Couch direkt vor dem klaffenden Loch mit Blick aufs Kriegsgebiet, von wo aus bald selbstgefällige Warlords heranrücken werden, um den beiden auch noch den letzten Rest nicht nur an Würde, sondern auch an Nahrung zu nehmen.

Wie sich erkennen lässt, ist Klondike wahrlich kein Film, der für gute Stimmung sorgt. Er stochert aber auch nicht zum Selbstzweck in offenen Wunden herum, nur um die Latte der Betroffenheit beim Publikum in schwindende Höhen zu treiben. Filmemacherin Gorbach, eine Ukrainerin, die mit ihrem erst 2022 beim Sundance Filmfestival ausgezeichneten Werk auch anderswo für Aufsehen gesorgt hat, schafft durch ihre bemerkenswerte filmische Reduktion eine völlig entrückte, sich fremd anfühlende Atmosphäre, in die Zuseher ohne viel Bezug zur Materie nur schwer einsteigen könnten. Das liegt auch an der nüchternen Betrachtung der Situation, die durch seine langen, langsamen Kamerafahrten und den fast schon selbstvergessenen Beobachtungen eines mühsam zusammengehaltenen Alltags, bestehend aus Sicherheit schaffenden Ritualen, die Geduld auf die Probe stellt. Oftmals verlässt die Kamera den Ort des Geschehens und studiert im 360°-Schwenk die ganze Umgebung, um letztlich wieder an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Das ist seltsam. Und doch erstaunlich. Mit dieser Methode kommt Klondike durch die Hintertür ins Oberstübchen seines Betrachters. Genau diese höchst ungewöhnliche Erzählweise schafft letzten Endes einen beklemmenden Sog, obwohl der Film seine Figuren auf Distanz hält – nur Irka rückt als Close-up ins Bild. Schließlich liegt in dieser Person die Kampfbereitschaft um Würde, liegt die Angst vor einer globalen Eskalation, liegt die Sorge um die nächste Generation, die als Baby ans Licht des Tages will.

Wie Gorbach alle Ereignisse zu einem bedeutungsvollen Schlussakt bündelt, gerät zum Meisterwerk des anderen Blicks. Gerät zu einem ikonischen Bild, dass mehr verkündet als jedes gesprochene Wort. Das einerseits an die Nieren geht, andererseits so sehr verblüfft und überrascht angesichts dieser schmerzvollen wie traurigen Konsequenz.

Klondike (2022)