Things Heard & Seen

GEISTER, DIE ZUR HAND GEHEN

4/10


thingsheardandseen© 2021 Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: SHARI SPRINGER BERMAN & ROBERT PULCINI, NACH DEM ROMAN VON ELIZABETH BRUNDAGE

CAST: AMANDA SEYFRIED, JAMES NORTON, NATALIA DYER, F. MURRAY ABRAHAM, RHEA SEEHORN, KAREN ALLEN, MICHAEL O’KEEFE, ALEX NEUSTAEDTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ich bin zwar keiner, der das Horrorgenre zu seinem liebsten zählt, aber zumindest jemand, der Filme wie Das Waisenhaus oder The Others sehr zu schätzen weiß. Weil sie das Parapsychologische ernst nehmen, und nicht nur auf Angst setzen, wie es gefühlt 99 Prozent all dieser anderen Filme tun. Das wäre für mich zu platt – viel interessanter ist stattdessen der relativ wertfreie Zugang in ein längst nicht wissenschaftlich untermauertes Mysterium an interdimensionalen Interaktionen, deren Ursachen und vielleicht auch deren Heilung. Die eingangs erwähnten beiden Filme sind aus meiner Sicht schwer zu erreichende Meisterwerke, in sich stimmig und wunderbar auserzählt. Das kribbelnde Unwohlsein, dass in diesen Werken entsteht, ist auf den Zustand des Nichtwissens zurückzuführen, die damit einhergehende sprichwörtliche Gänsehaut geradezu etwas Schönes, Bereicherndes, weil sie so eng mit kindlicher Neugierde verbunden ist. Ich will vor diesem Mysterium nicht davonlaufen müssen, sondern die Möglichkeit haben, den Mut dafür aufzubringen, diesem zwischenweltlichen Intermezzo entgegengehen zu dürfen.

Diesen Mut muss man allerdings bei Things Heard & Seen nicht aufbringen. Dies wäre vielleicht zu vermuten, doch am Ende der Nacht mit all seinen Spukgestalten ernüchtert die Erkenntnis, dass dieser Film ganze Dimensionen weit davon entfernt ist, die Klasse von Das Waisenhaus oder The Others zu erreichen – obwohl das Potenzial zumindest anfangs gegeben wäre. Denn wir haben, was das Setting betrifft, den für einen Gruselfilm wohl besten Ort gefunden: ein altes Gebäude, am besten im Nirgendwo und abseits von urbanem Geschehen. In so ein Gemäuer zieht Künstlerin Catherine (mit staunenden Augen, aber sehr souverän: Amanda Seyfried) gemeinsam mit ihrer Familie, weil Gatte George in der naheliegenden Uni eine vielversprechende Professur als Kunsthistoriker ergattert hat. Es scheint alles eitel Wonne zu sein, das Haus wird renoviert und geputzt – allerdings nicht gründlich genug, denn einige Zeit später findet Catherine das völlig staubfreie (wie das?) Exemplar einer alten Bibel, in denen die Namen der verstorbenen Bewohner aufgelistet sind. Einige davon sind durchgestrichen, mit dem Vermerk: Verdammt! Jetzt wird’s paranormal. Denn Catherine beginnt, die titelgebenden Dinge zu sehen, zu riechen und zu hören. Gediegene Geistererlebnisse mit allen Sinnen. Wie gesagt: vielversprechend, wenn es nun tatsächlich darum geht, steinalte Flüche zu bannen oder Seancen abzuhalten. Gothic-Grusel für retroaffine Neuzeitler.   

Doch sobald sich das Gefühl Bahn bricht, es nicht mit rechten Dingen zu tun zu haben, ist das Feeling auch schon wieder verschwunden. Was ist passiert? Ehrlich gestanden: je länger der Film dauert, umso weniger hat man eine Ahnung, wohin das ganze Szenario hinstrebt. Dem nicht zwingend böswilligen Vier-Wände-Horror schenkt das Regieduo Shari Springer Berman und Robert Pulcini viel zu wenig Beachtung, dafür aber schlagen sie sehr bald die Richtung hin zu einem an den Nackenhaaren herbeikonstruierten, relativ altbackenen Home-Terror-Thrillers ein, in dessen Mittelpunkt James Norton als Vater, Ehemann und ehrgeiziger Kunstkenner eine punktgenau unsympathische Filmfigur abgibt. Das große Problem an Things Heard & Seen ist aber nicht er, sondern die Plausibilität menschlichen Verhaltens. Die ist nicht gegeben. Es entsteht zwar während der Sichtung eine gewisse Kurzweil, und ja: man wartet von Minute zu Minute immer dringender auf die Auflösung des ganzen. Die hintereinander einfallenden, platten (und szenenweise ernüchternd vorhersehbaren) Wendungen jedoch verwirren das Gruselstelldichein, das eigentlich gar keines sein will, zusehends. Das Flüstern des Geistes, dessen Inhalt zur Klärung des Sachverhaltes vielleicht beitragen würde, ist so gut wie nicht zu verstehen, das nebulöse Durcheinander an Normalem und Paranormalem und Abnormalem verknotet sich zu einem hilflosen Ringen um Stil und Atmosphäre. Die metaphysische Allegorie als Schlusspunkt frohlockt dann nur noch mit hausierender Geheimniskulisse. Einzig Amanda Seyfried kämpft sich aus der verschwurbelten Tragödie und bleibt in guter Erinnerung, während der ganze unbefriedigende Rest am Ende dieser Nacht nur noch auf den Geist geht.

Things Heard & Seen

Der Leuchtturm

KEIN PLATZ AN NEPTUNS TAFEL

6,5/10

 

derleuchtturm© 2019 Universal Pictures International

 

LAND: USA 2019

REGIE: ROBERT EGGERS

CAST: WILLEM DAFORE, ROBERT PATTINSON, VALERIIA KARAMAN U. A. 

 

„Los gehen wir“ – „Wir können nicht.“ – „Warum?“ – „Wir warten auf Godot“. Zwei Seelen im Nirgendwo. Die eine dominant, die andere devot, irgendwann kommt noch ein namenloser Dritter, der sich wie ein Hund aufführt. Machtspiele auf engstem Raum, Suizidgedanken, nahe am Wahnsinn angesichts all der Sinnlosigkeit, die nur beendet werden kann, wenn der eine, dieser Godot, sich derer erbarmt, die auf ihn warten. Samuel Beckett hat seinen Klassiker, wie es scheint, als Allegorie auf die menschliche Existenz entworfen – zugegeben hat er das nie. Die Frage nach dem Zweck seiner Stücke blieb unkommentiert. Dabei macht gerade dieses Werk besonders Sinn – weil es die Episode unseres Daseins so gnadenlos verzerrt. Robert Eggers hat das mit seinem Inselkrieg in Schwarzweiß ungefähr ähnlich betrachtet. Ganz genau weiß ich das natürlich nicht, überhaupt blieben nach Sichtung von Der Leuchtturm manche Fragen offen. Was genau, und das haben sich, so vermute ich, auch andere Seher gedacht, hat dieses durchaus auffällige und gegen den Strom treibende Werk eigentlich zu bedeuten? Aller Zugang fällt schwer, man vergleicht mit bereits Gesehenem, das Grübeln über jedes Detail lässt sich nicht so schnell einstellen.

Für dieses surreale Theater eignet sich nichts besser als ein Eiland im Nirgendwo, umgeben von den unberechenbaren Launen des Meeres. In der Mitte ein Leuchtturm, mit dem Allerheiligsten ganz obendrauf, dem Licht, der Erleuchtung. Zwei Männer – wie bei Beckett: der eine dominant, der andere anfangs devot. Dem einen gehört das Licht, dem anderen die Drecksarbeit. Wie lange kann das gut gehen? Nun ja, es sind vier Wochen, das kann man schaffen. Doch nicht, wenn die Mythologie der Meere auch noch ein Wörtchen mitzureden hat, vor allem dann, wenn der eine – Ephraim – sich an den Seelen toter Seebären vergreift. Von da an tönt das Nebelhorn zum Endspiel. Ein Sturm zieht auf, Realität und Fiktion verschwimmen, das Dasein wird zur Belastungsprobe.

Mehr Plot gibt es nicht, in diesem Mikrokosmos des Kommens, Bleibens und Gehens. Robert Eggers macht aus dieser Allegorie einen wuchtigen, wenn auch in lahmen Leerläufen keuchenden Schreckensreigen, der von ganz klein auf anfängt, und der in arglos sittsamer Orientierung seinen Anfang nimmt, bevor Macht, Gier, Sünde und die Suche nach der Wahrheit zur Geißel werden. Da eignet sich besonders Schwarzweiß, und Eggers hat was ganz Spezielles probiert: so zu filmen, wie seinerzeit die alten Meister  – Murnau, Lang, Wegener, Wiene. In 4:3, analog und in expressionistischem Hell/Dunkel, das vorwiegend in der Hütte unter dem Licht der Petroleumlampe geisterhaft gut zur Geltung kommt. Der Leuchtturm ist ein entrücktes Stück Kino, eine Kopfgeburt und artifizielle Spielerei. Mit Willem Dafoe als Inkarnation aus Iglo-Seebär und Meeresgott Neptun hat er den ungekrönten König der Insel auf der einen Seite gefunden, auf der anderen Seite den argwöhnischen, sich duckenden, durchaus psychopathischen Robert Pattinson, der diesmal so richtig aus sich herausgeht, bis zum Exzess und viel weiter. Beide schenken sich nichts, da ist das Warten auf Godot lieber als das Warten auf das Nachlassen des Sturms. Doch der formlose Leviathan, die Welt der Toten und der vereitelnden Ankläger für welche Sünde auch immer, brechen auf diesen Felsen herein, pflügen die Erde um, lassen Wasser fließen und Blut vergießen. Über allem das gleißende Licht des Leuchtturms. Eine verheißungsvolle Wahrheit, die den Tod bringt, sich maximal posthum erschließt oder im Todeskampf. Ein ernüchterndes Zeugnis, das Eggers hier ausstellt: Der Mensch als geblendeter Sünder, der das Legendenhafte verlacht. Ist Eggers so gelagert? Glaubt er an das Paranormale, Transzendente? Ein Däniken des Kinos? Oder eher Lovecraft?

Was bleibt, ist eine nihilistische Sperrigkeit und das Auskosten eines Wahns, ähnlich wie in Roman Polanskis Psychohorror Ekel oder Der Mieter.  Während bei Polanski die Heimgesuchten schuldlos in den Untergang steuern, und bei Beckett naive Clowns bis in alle Ewigkeit ausharren, streunt in Eggers Film der Mensch als Sünder um den Leuchtturm herum. Die Gültigkeit dessen aber, was man sieht, wird zur Gänze zum Seemansgarn. Kein leichtes Stück Kino also – manisch egozentrisch, panisch und affektiert. Eine Filmerfahrung, das schon – für Liebhaber des schauerlich Abnormalen und für alle Philosophen der Leinwand, die Hochprozentiges gewohnt sind.

Der Leuchtturm