Barbie (2023)

AUF ZEHENSPITZEN INS LEBEN

7,5/10


barbie© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GRETA GERWIG

DREHBUCH: GRETA GERWIG, NOAH BAUMBACH

CAST: MARGOT ROBBIE, RYAN GOSLING, AMERICA FERRARA, ARIANA GREENBLATT, KATE MCKINNON, WILL FERRELL, MICHAEL CERA, ISSA RAE, SIMU LIU, KINGSLEY BEN-ADIR, EMMA MACKEY, RHEA PERLMAN, ALEXANDRA SHIPP, HARI NEF, DUA LIPA U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Das, was diesen Sommer in der Welt des Kinos passiert ist, gleicht einem Paradigmenwechsel. Genauer betrachtet bleibt zu dieser Zeit kaum ein Stein auf dem anderen. Das Publikum ist müde von dem, was es die längste Zeit vorgesetzt bekommt. Worin sich das äußert? Zuerst mal hängt der Megakonzern Disney ziemlich durch. Man könnte auch meinen, dass bei einer aufgeblähten Größe wie dieser irgendwann der Zusammenbruch kommen „muss“. Was politisch nicht funktioniert hat, kann auch wirtschaftlich nicht gutgehen. Die Maus frisst sich von innen auf, zersetzt sich, fährt Pleiten ein. Tilgt seine eigenen Produktionen aus dem Streamingportal, weint dem Ergebnis von Elemental, Indiana Jones und Geistervilla nach. Die Zeit der Superhelden scheint vorbei zu sein, all die langweiligen Real Life-Überzeichnungen bekannter Zeichentrickfilme mögen anöden, Verfilmungen von Themenpark-Attraktionen ebenso. Tom Cruise hat mit Mission: Impossible – Dead Reckoning zwar seinen qualitativen Höhepunkt erreicht, doch danach wird das ganze Franchise wohl auch sein Ende finden müssen. Was aus DC und Warner wird, liegt in den Händen von James Gunn – der mit The Flash allerdings auch nichts zu lachen hat, rein was das Einspiel betrifft.

Auf Basis dieser Umwälzungen ist allerdings letzten Monat etwas ganz Erstaunliches passiert. Das Phänomen Barbenheimer. Klingt ein bisschen nach Lindenstraße, ist aber die Verschmelzung von Barbie und Oppenheimer, von zwei Filmen, die unterschiedlicher nicht sein können, die aber eines gemeinsam haben: eine Vision. Christopher Nolan, der Retter des Covid-Kinos und Mindfuck-Ästhet, lässt dieses Jahr die Bombe platzen – und alle wollen hin. Warum nur? Weil eine True Story rund um den Weltfrieden alle angeht? Weil der jährliche Nolan fast schon etwas Vertrautes darstellt? Schließlich ist Oppenheimer kein gefälliger Film, und hat nichts, was einen Blockbuster letztlich ausmacht. Die Biographie des Physikers unter dem politischen Himmel Amerikas ist spannend, aber dialoglastig und experimentell. Liefert stilsichere Schauwerte, zieht sich aber auf drei Stunden Länge. Will die Masse tatsächlich mal etwas anderes? Etwas, dass sie fordert, triggert und zum Nachdenken anregt? Jedenfalls hat diese Tatsache einen lautstarken Aha-Effekt zur Folge, der bei Barbie widerhallt – einem Spielzeugfilm für Jung und Alt, ein wandelnder Katalog aus Puppen und Mode, Plastikhäusern in Pink und überall das Logo von Mattel. Wer genau will denn sowas sehen? Einen fast zweistündigen Werbespot zur Erweiterung der Gewinnmarge?

Ganz so ist es nicht. Natürlich verspricht sich der Konzern davon genug Profit, um auch die nächsten Jahre ruhig schlafen zu können. Ein Verbrechen ist das allerdings keines. Schon gar nicht, wenn Product-Placement wie dieses, so offensichtlich und ungeniert, einfach nur dazu da ist, um als Stilmittel zu fungieren, das Greta Gerwig und Noah Baumbach in ihrem metaphysischen Märchen so dermaßen geschickt einsetzt, dass man tatsächlich von einer Art Paradigmenwechsel sprechen kann, wenn es darum geht, das Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz neu zu evaluieren. Ich denke dabei an Andy Warhol, dem Pop-Art-Künstler, der mit dem Product Design bekannter Marken der Kunst jene Möglichkeit zugesprochen hat, auch massentauglich sein zu dürfen, ohne an Qualität zu verlieren. Gerwig folgt einem ähnlichen Weg. Für sie ist Barbie Campbell’s Tomatensuppe – und spielt damit herum, als hätte Mattel über gar nichts mehr zu bestimmen, außer über die eigene Hoffnung, dass die Sicht der Mumblecore-Autorenfilmerin den Konzern schadlos hält. Denn was sind sie denn, diese stereotypen Puppen mit ihren unrealistischen Maßen und ihrer heilen Welt? Was ist sie denn, diese Barbie, benannt nach Ruth Handlers Tochter Barbara, die dieses Spielzeug auf dem Markt brachte?

Nicht zu vergessen, da gibt es noch diesen Ken, der den heterosexuellen Beziehungsidealismus, sprich: genug Romantik ins Kinderzimmer bringen sollte, auf dem Niveau Grimm’scher Prinzessinnenmärchen, vorzugsweise in der Lieblingsfarbe kleiner Mädchen, nämlich Rosa mit all ihren Nuancen. Mit diesen Figuren, so dachte sich Gerwig, lässt sich die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern auf eine für alle verständliche, augenzwinkernde Parabel herunterbrechen, die als behutsame Satire bestens funktioniert und überdies mit Margot Robbie und Ryan Gosling ein Paar gefunden hat, welches als Testimonial für soziale Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau die lustvoll simplifizierte Message für die breite Masse hoch erhobenen Hauptes in die reale Welt trägt. Ich hätte nicht erwartet, dass Greta Gerwig sich selbst und ihren Prinzipien so sehr treu bleiben kann. Gerade dadurch gelingt ihr die Fusion von Kommerz und Kunst so leichthändig, als wäre die Marktwirtschaft längst schon devotes Werkzeug für Intellektuelle, um darzustellen, wo im gesellschaftlichen Miteinander Defizite existieren.

Barbie, Jahrzehnte im Geschäft und längst nicht nur mehr blond, hellhäutig und langbeinig, erfährt nun ihre lägst überfällige Bestimmung. Gerwigs ironischer und niemals tadelnder Film lässt zwischen La La Land und Pixars Toy Story die Puppen tanzen, einen bestens aufgelegten Ryan Gosling, der nicht nur Beach kann, sondern auch Komödie, übers Männerdasein singen und das Matriarchat dem Patriarchat eins auswischen. Das ist knallbunt, dann wieder schräges Revuekino. Letzten Endes aber folgt Barbie der Tatsache, dass Frauen ohne Männer jederzeit können – Männer ohne Frauen zwar auch, dafür müssen sie sich aber erstmal selbst finden. Ganz ohne Macht und Aufplustern.

Barbie (2023)

Tick, Tick… Boom!

VOM DASEIN ALS KÜNSTLER

7,5/10


ticktickboom© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: LIN-MANUEL MIRANDA

CAST: ANDREW GARFIELD, ALEXANDRA SHIPP, ROBIN DE JESÚS, VANESSA HUDGENS, BRADLEY WHITFORD, JUDITH LIGHT U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Kunst kann niemals nur sich selbst und dem, der sie erschaffen hat, genügen – vorausgesetzt, man will damit erfolgreich sein. Sobald Kunst zum Brotjob werden soll, sind es die anderen, die darüber entscheiden. Das Werk muss gefallen. Und es müssen sich genug Leute finden, die es zu schätzen wissen. Kunst ist dann plötzlich nichts eigenes mehr, sondern etwas Gefälliges. Um als Künstler für so etwas die Basis zu schaffen, braucht es Druck von allen Seiten, angeführt von den eigenen Hummeln im Hintern, die einen niemals zur Ruhe kommen lassen. Und dann sitzt man vor dem Bildschirm, die Finger schwebend über der Tastatur – und nichts geht. Kreativ zu sein ist anstrengend, macht müde, es ist fast wie Leistungssport. Und die Zeit läuft davon. Es ist wie das Ticken einer Zeitbombe. Und irgendwann macht es Boom, und alles ist zu spät.

Diesem kraftraubenden Umstand hat Jonathan Larson sogar ein Musical gewidmet – Tick, Tick… Boom!, basierend auf eigenen autobiographischen Erlebnissen. Von diesem Komponisten, der knapp vor seinem großen Durchbruch verstarb, hätte ich allerdings nie etwas erfahren, hätte nicht Andrew Garfield den Künstler auf den Screen geholt. Belohnt wurde dieses Engagement eben erst mit dem Golden Globe für den besten Hauptdarsteller. Kann sein, dass auch die Academy dem Ex-Spiderman Respekt zollen wird, man weiß es nicht. Wäre er aber nicht gewesen, wäre mir ein bemerkenswerter Musikfilm entgangen, der anfänglich nicht danach ausgesehen hat, mich auch nur irgendwie längerfristig zu interessieren. Mit Musicals, das wisst ihr vielleicht, hab ich’s nicht so. Gut, die Klassiker wie West Side Story müssen auch in ihrer Neuauflage begutachtet werden, und ja – La La Land war eine Sensation. Einige Ausnahmen bestätigen also die Regel meiner eher skeptischen Haltung gegenüber choreographiertem Gruppentanz und der melodiösen Beschreibung alltäglicher Zustände. Auch war mir nicht klar, dass sich Tick, Tick… Boom! tatsächlich zu einem astreinen Singspiel hin bequemt. Doch das tut es. Und nach 30 Minuten war ich versucht, den Film sein zu lassen. Irgendetwas oder irgendwer – eben Andrew Garfield, und ganz sicher nicht die Musik – haben mich daran gehindert. Und gut war’s.

Aus Tick,Tick… Boom!, Larsons vorletztem Musical, hat Schauspieler und Komponist Lin-Manuel Miranda (bekannt auch als Ballonfahrer Lee Scoresby aus der Serie His Dark Materials) die bewegende Biografie eines kreativen Tausendsassas extrahiert, und zwar geschieht dies auf zwei Ebenen. Rahmenhandlung ist dabei eine Aufführung des titelgebenden Musicals mit Garfield als Larsons Musical-Alter Ego Jon, der vom Leben, Lieben und Schaffen erzählt – Szenen, die wiederum in dessen Biografie stattfinden. Knotenpunkt ist da zum Beispiel der American Diner, in welchem der noch erfolglose Künstler Brötchen ausgibt und verdient. Oder eben auch die etwas heruntergekommene Wohngemeinschaft mit Freund Michael (Robin de Jesús), der als Künstler erfolglos bleibt. An allen Ecken und Enden von Larsons Leben: ein Gedränge aus Erwartung, Motivation und Fleiß, dazwischen der Alltag aus Beziehung, Freundschaft und sonstigen Bedürfnissen. Das Musical Superbia ist seit 5 Jahren in Arbeit, und Larson will dieses den Theatern New Yorks präsentieren, um vielleicht sogar am Broadway zu landen. Dafür braucht es Selbstdisziplin und die Fähigkeit, es allen recht zu machen, während das eigentliche Leben gnadenlos vorbeizieht.

Andrew Garfield macht dabei keine halben Sachen und entdeckt dabei gemeinsam mit seinem Publikum ein beachtliches Talent für gesangliche Performance. Der junge Mann mit der fülligen Haarpracht scheint mit Jonathan Larson einiges gemeinsam zu haben, vor allem ist da wie dort ganz viel Herzblut mit dabei. Durch ihn versprüht die tragikomische Ode aufs Künstlerdasein genug zündende Energie, um all die Originalnummern aus dem Musical so sehr mit der stimmigen Biografie eines Künstlers zu verknüpfen, als könnte man meinen, in dessen Leben sei tatsächlich immer wieder mal und einfach so gesungen worden.

Tick, Tick… Boom!

Shaft (2019)

MIT DEM OPA BEIM SHOOTOUT

3/10

 

shaft2019© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: TIM STORY

CAST: SAMUEl L. JACKSON, JESSIE USHER, REGINA HALL, ALEXANDRA SHIPP, RICHARD ROUNDTREE, METHOD MAN U. A.

 

Nein, Steve Jobs war nicht der letzte auf Gottes Erden, der noch mit allen Mitteln dieser Welt versucht hat, den Rollkragenpullover salonfähig zu halten. Seit des Netflix-Releases rund um den regelbrechenden Privatdetektiv Shaft wird klar, dass die genähte Halskrause wohl niemandem sonst so mondän zu Gesicht steht wie Samuel L. Jackson. Da könnte man meinen, die Siebziger hatten modetechnisch doch was für sich, und man könnte auch meinen, dass dem Klischee der unbunten Rollkragenträger aus der Werbebranche eine unverhohlene Liebe, ja geradezu ein Fetisch zugrundeliegt, noch dazu wenn es um die anregende Kombi Ledermantel und bis zum Kinn hochkriechende Pullover geht. Der neue Shaft feiert hierfür wirklich ein sagenhaftes Revival. Keine Ahnung, wie oft Samuel L. Jackson hier seine Garderobe wechselt, irgendwann macht das auch sein Filius, und dann auch noch der immer noch raubeinige Opa, den wir aus dem Original kennen. Und dann tanzen sie im Einheitslook die Straße runter, mit wehenden, braunorangen Mänteln, als wäre das das Schönste auf der Welt. Als wäre das Outfit sowieso schon die halbe Miete, wenn es um Verbrechensbekämpfung geht.

Tatsächlich verlässt sich der neue Shaft völlig gelassen auf die Schablonen lässiger Ziviluniformen, natürlich auch auf die egomanischen „Ich-scheiß-mir-nix“-Attitüden von Amerikas wohl heißbegehrtesten Afroamerikaner nach Barack Obama, wohl weil er wahrscheinlich angenehm unkompliziert sein muss, wenn es um das Dirigieren vor der Kamera geht. Samuel ist immer der coolste Motherfucker unter Kaliforniens Sonne, alles gelingt ihm, weil er ein Pfundskerl der alten Schule ist, der erstmal glaubt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen und tun muss, was ein Mann eben tun muss: den Bösen in den Arsch treten. Das ist eine Rolle, die hatte Samuel L. Jackson schon gefühlt hundert Mal. Jetzt gibt es das zum hundertundersten Mal aufgewärmt, mit Newcomer Jessie Usher (Independence Day: Wiederkehr) als der pazifistisch angelegte Sohnemann, der die Hilfe des kultigen Papas braucht, alle Erziehungsdefizite mal außen vorgelassen. Weil er aber auch mal ein Shaft ist, und ein Shaft keine halben Sachen macht, dirigiert ihn das in die patriarchale Schule der Altvorderen, während der Altvordere trotz anfänglichem Widerstand langsam überzuckert, dass harte Männer die Schule edler Ritter noch absolvieren müssen.

Was Tim Story aus der wüsten Figur mit dem nervösen Abzugfinger gemacht hat, ist mehr Buddykomödie als Blaxploitation, ist mehr zimperliches Herumgeeier als handfester Thriller. Beinahe sieht es aus, als wäre der neue Shaft eine erschöpfte Parodie seiner selbst, ein Zähmen vorgestriger Mannsbilder und Geschlechterrollen, allerdings nur im Schnurr- und Streichelmodus, aufgesetzt auf einen Plot, der nach dem Abspann der Vergessenheit anheimfällt, der maximal als Füllmaterial um den roten Faden einer Serien-Storyline dienen kann, der sein Potenzial restlos verschenkt und als dramaturgisches Mauerblümchen den fast schon peinlich aufspielenden Edelmännern den spendierten Trink ins Gesicht schüttet. Da helfen selbst die neu aufgelegten Rhythmen von Isaac Hayes nichts mehr, auch wenn diese immer noch zeitlos grooven. Das ist fast verlorene Liebesmüh angesichts der Symbolkarikatur einer Kultfigur, die ihre Zeiten bereits gehabt hat, und die mit den Outfits vom Flohmarkt maximal zum Zelebrieren auf irgendwelchen Comic Cons für wissendes Schmunzeln sorgt. Der Rollkragen kommt dann wieder in den Second Hand-Laden, denn wer trägt diese kratzenden Krausen denn noch wirklich?

Shaft (2019)