Tod auf dem Nil (2022)

DER DETEKTIV UND DIE LIEBE

6,5/10


todaufdemnil© 2022 Twentieth Century Studios


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: KENNETH BRANAGH

CAST: KENNETH BRANAGH, GAL GADOT, ARMIE HAMMER, EMMA MACKEY, ANNETTE BENING, TOM BATEMAN, LETITA WRIGHT, SOPHIE OKONEDO, ROSE LESLIE, RUSSEL BRAND U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Wie wär‘s heuer mal mit Ägypten? Wenn die Covid-Regeln überschaubar bleiben und keiner dort akut den Dschihad probt, dann hätte ich durchaus Lust darauf, Tutanchamuns Grab oder Ramses höchstpersönlich einen Besuch abzustatten. Natürlich einschließlich Pyramiden, Karnak und vielleicht sogar Abu Simbel ganz im Süden. Dorthin fährt nämlich Agatha Christies Vorzeigebelgier Hercule Poirot an Bord eines Luxus-Schaufelraddampfers, um den IQ einer illustren Hochzeitsgesellschaft zu heben. Beim Publikum hebt sich erstmal die Lust aufs Reisen angesichts dieser pittoresken Postkartenmotive. Die Motive für einen Mord sind zwar weniger nobel, aber zahlreich vorhanden. Im Mittelpunkt steht nämlich Wonder Woman Gal Godot (wie immer eine Augenweide) als steinreiches It-Girl Linnet, die ihrer besten Freundin den Mann ausgespannt hat. Sowas tut man nicht, aber andererseits: wo die Liebe hinfällt, wächst keine Moral. Also heiratet die Schöne den schnauzbärtigen Simon und reist mit ihm samt Entourage an den Nil, auf welchem der Tod natürlich schon eingecheckt hat. Weiters mit im Schlepptau: die um ihre rosige Zukunft geprellte Ex, die fröhlich durch die Gegend stalkt. Mit Hercule Poirot, der sich aus ganz anderen Gründen ebenfalls dort aufhält, hat sie allerdings nicht gerechnet, und Linnet bittet den alten Hasen mit den grauen Zellen, die Gesellschaft doch lieber im Blick zu behalten – es könnte ihr Übles widerfahren. Es dauert nicht lang, da fällt schon der erste Schuss. Poirot muss sich anstrengen, denn diesmal ist nicht nur das Kapital anderer, sondern auch ganz viel Liebe mit im Spiel. Sogar die eigene.

Und da hat Kenneth Branagh den eleganten Denker an seiner Achillesferse erwischt. Was John Guillermin in seiner Verfilmung mit Peter Ustinov nicht getan hat. In der ebenfalls sehr edlen Adaption aus den Siebzigern ist der Detektiv eine Ikone des Moments, geradezu eine Art Superheld der Kombinationsgabe. Wie Sherlock Holmes in etwa, vor dem man Ehrfurcht haben kann. Branagh legt seinen Poirot ganz anders an. Und das erkennt man schon in den ersten Szenen des neuen Films, bei welchem mich das Gefühl bemächtigt hat, im falschen Saal zu sitzen. Erster Weltkrieg, Grabenkämpfe in Belgien, Giftgas – und dann der junge Poirot, noch ohne Schnauzer, der seinem Bataillon den Allerwertesten rettet, selbst aber nicht ganz unversehrt bleibt. Was dann passiert, hat viel Einfluss auf den Charakter des Kriminologen, und daher geht Branagh auch entscheidend tiefer in die Psyche der Figur als es Guillermin jemals hätte tun wollen, um dem Idol außer einigen Spleens keine Schwächen zuzugestehen. Branagh hingegen hat keine Angst davor. Poirot ist hier kein zwingend frohsinniger Genießer wie Ustinov, sondern verbittert, aber distinguiert und gut erzogen. Dass einer wie Poirot sentimental werden kann, schien bislang unmöglich – diese Neuentdeckung des detektivischen Charakterzuges ist das Herzstück des Films und überwindet die Distanz zum Zuschauer. Das übrige Ensemble ist weicher gezeichnet, wenngleich mit Annette Bening oder der brillanten Sophie Okonedo gut besetzt. Ein schmissiger Score, der die Klänge des amerikanischen Jazz über den längsten Fluss Afrikas trägt, verleiht dem Setting eine launige Atmosphäre, der Nachbau der 70 Meter langen Sudan und des Abu Simbel-Tempels in den britischen Studios beweist wieder mal, dass man bei großen Filmen wie diesen keine Mühen scheut. Und dennoch bleibt das Gefühl, einen Rückschritt in das Studiokino ganz früherer Zeiten gemacht zu haben. Abgesehen von den Drohnenaufnahmen ist die ganze Reise den Nil entlang nur Stückwerk von überallher, nur nicht aus Nordafrika. Ägypten nachzubauen oder eben dort zu sein, sich ganz auf den Vibe der Location zu verlassen, das sind dann doch zwei Paar Schuhe. In Tod auf dem Nil wird manche Szenen überdeutlich kulissenhaft, womöglich mit dieser Art Projektionstechnik umgesetzt, die schon Jon Favreau für The Mandalorian entwickelt hat. Die Raffinesse gelingt nicht immer, vieles erscheint artifiziell, auch das Licht sitzt oftmals nicht richtig und passt meist nicht zu den Dämmerstunden im landschaftlichen Hintergrund.

Schade, dass Marokko als Drehort dann doch nicht genutzt worden war. So bleibt uns zumindest ein Kammerspiel, dessen kreuz und quer gesponnenes Netzwerk aus Bedürfnissen, Leidenschaften und sinisteren Plänen solide unterhält. Statt des Orient-Express ist es nun ein Schiff. Das Konzept, der Rhythmus – ungefähr gleich. Branagh, den der Doppeljob aus Dreh und Schauspiel nicht überfordert, gelingt ein weiteres Whodunit, dem man trotz der durch Ustinov für viele bereits bekannten Auflösung gerne zusieht. Am Schluss tut der Brite sogar etwas, das undenkbar scheint. Doch andererseits: Poirot ist auch nur ein Mensch.

Tod auf dem Nil (2022)

Spenser Confidential

WENN MACHENSCHAFTEN ZU SCHAFFEN MACHEN

6/10


spenserconfidential© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: PETER BERG

CAST: MARK WAHLBERG, WINSTON DUKE, ALAN ARKIN, BOKEEM WOODBINE, ILIZA SHLESINGER, MICHAEL GASTON, MARC MARON, POST MALONE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Mark Wahlberg hat seinen Arbeitsrhythmus gefunden. Und auch seinen Meister. Der heißt nämlich Peter Berg. Kaum mehr ein Film von ihm ohne seinen Star. Womöglich ist die gemeinsame Arbeit ein Musterbeispiel an Geschmeidigkeit. Berg braucht gar nicht mal groß zu erwähnen, wie Wahlberg seine Figuren anlegen soll. Vermutlich läuft das Ganze auf paraverbaler Ebene ab. Die Kombination hat sich bewährt – und scheint immer und immer wieder zu funktionieren. Der True-Story-Thriller Boston zum Beispiel war ausgezeichnete Arbeit, Lone Survivor ebenso. Spenser Confidential, produziert von Netflix, beweist ebenfalls gutes Handwerk, wenngleich sich mittlerweile auch eine gewisse Routine eingeschlichen hat. Aber, nichtsdestotrotz: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Und wo Berg draufsteht, ist Wahlberg drin.

Der ist übrigens zu Beginn des Films tatsächlich wo drin – und zwar im Knast. 5 Jahre absitzen aufgrund von Körperverletzung gegen einen Vorgesetzten. Der natürlich, wie wir schon ahnen, den Tango Korrupti getanzt hat. Wahlberg aber – von vorne bis hinten ein so wehrhafter wie fairer Mann, nimmt die Strafe an. Um nach diesen fünf Jahren, vom Dienst entlassen, wieder in diesen Sumpf aus Mord und Machenschaften hineingezogen zu werden. Allein: er kann nicht anders, als der Sache mit dem Mord an denjenigen, den er damals vermöbelt hatte, nachzugehen. Und er fischt in sehr trüben Gewässern, ihm zur Seite ein Hüne von einem Boxer (Winston Duke), der zwar nicht so viel redet, dafür aber zum treuen Begleiter wird.

Man darf sich nicht täuschen lassen: Spenser Confidential ist kein Buddy-Movie im klassischen Hollywood-Sinn. Kein ungleiches Duo, dass sich zusammenraufen muss und von einer Stunt-Nummer zur nächsten schlittert. Spenser Confidential beruht auf dem Roman Wonderland und lässt die Figur des Spenser, die Autor Robert B. Parker im Stile der Hardboiled-Krimis erfunden hat, für Unruhe bei den Bösen sorgen. Das allerdings als jemand, der zu viele Fragen stellt. Entsprechend investigativ ist auch dieser Krimi, der mit einzelnen faustverwöhnenden Fights für erfrischende Intermezzi sorgt und eine schnüffelnasige Story bietet, der man gut folgen kann. Seltsamerweise aber fehlt dem Streifen, trotzdem er vieles richtig macht, irgendwie das gewisse Etwas. Vielleicht sind all die Antagonisten wieder mal viel zu eindimensional gezeichnet, vielleicht ist es auch der bis zum Ende sichtbare, klare rote Faden, vielleicht auch diese Unfehlbarkeit von Mark Wahlberg, der als selbsternannter Detektiv des Lichts Licht in Sachen bringt, die ihn nichts angehen. Doch wer würde das sonst tun, wenn nicht er, der hartgesottene Amateurermittler. Am Ende lässt Spenser Confidential die Möglichkeit offen, es zukünftig vielleicht mit einem kleinen Franchise zu tun zu bekommen. Das wäre durchaus in Ordnung – aber auch nicht mehr. 

Spenser Confidential

Motherless Brooklyn

DIE BALLADE VOM SCHIMPFENDEN SCHNÜFFLER

6,5/10

 

motherlessbrooklyn© 2019 Warner Bros.

 

LAND: USA 2019

REGIE: EDWARD NORTON

CAST: EDWARD NORTON, GUGU MBATA-RAW, BRUCE WILLIS, WILLEM DAFOE, ETHAN SUPLEE, ALEC BALDWIN, LESLIE MANN, BOBBY CANNAVALE U. A. 

 

Kann noch irgendwer die genaue Handlung aus Howard Hawks Klassiker Die Spur des Falken rekapitulieren? Ich habe nur noch diese Vogelskulptur in Erinnerung, und Humphrey Bogarts müden Blick. Sonst aber war mir schon bei direkter Sichtung des Films der Plot einen Tick zu vertrackt. Der amerikanische Film Noir, der war bekannt dafür, einfach ganz viele Namen in ganze vielen Dialogen zu verstecken, die dann plötzlich immens wichtig waren und nach angestrengtem Erinnern vermutet man, diese irgendwann doch schon gehört zu haben. Hat man einmal nicht aufgepasst, hat man in der ganzen Dichte einer Story nicht den geringsten Durchblick mehr – Aufpassen wie ein Haftelmacher also das einzige Mittel dagegen. Edward Norton dürfte diese Art von Filmen der schwarzen Serie geliebt haben. Tote schlafen fest, Die Spur des Fremden oder wie sie alle heißen. Ein späteres Beispiel, das mir so in den Sinn kommt, ist The Two Jakes von Jack Nicholson, gemeint als Fortsetzung von Roman Polanskis Chinatown. Ein ungelöster Kriminalfall, mysteriöse Frauenfiguren und eine politische Verschwörung im Schatten – genau das ist es, was Norton auf die Leinwand bringen wollte, nicht weniger detailverzettelt und mit allerhand Namen. Um das zu gewährleisten, hat er gleich die literarische Vorlage des Schriftstellers Jonathan Lethem adaptiert. Warum gerade dieses Buch? Womöglich, weil Protagonist des ganzen wortgewaltigen Krimis keiner ist, der völlig unbemerkt in der Menge verschwinden kann. Dieser Lionel Essrog, oder auch Motherless Brooklyn, wie er gerne genannt wird, der leidet unter dem Tourette-Syndrom. Nicht leicht zu spielen so was. Entweder man verpeilt sich als Schauspieler in einer lächerlichen Nummer, oder man stellt die Krankheitssymptome, die sich in unkontrolliertem Lauteschmettern und Schimpfen bemerkbar machen, wirklich als ein pathologisches Defizit dar. Norton gelingt letzteres. Die Nervenkrankheit, die er imitiert, ist ein erschwerender Umstand in einem Job, der äußerste Diskretion verlangt. Ob all die Leute, denen er begegnet, mit diesem Erscheinungsbild umgehen können? Der blitzgescheite Lionel Essrog macht diesbezüglich niemanden etwas vor, denn er hat trotz all dieser Schwierigkeiten etwas, was wiederum andere vielleicht lieber hätten: ein eidetisches Gedächtnis. In diesem Zwielicht aus wandelndem Pocketmemo und Freakshow versucht der grundsympathische Sonderling, dem Mord an seinem Freund Frank (ein relativ farbloser Bruce Willis) aufzuklären. Was natürlich ungeahnte Kreise zieht.

Nortons gepflegte Krimikost samt Ich-Erzähler aus dem Off lädt zur mehr als abendfüllenden Postkartenschau aus dem Nachkriegs-New York, entwickelt eine Vorliebe für formschöne Boliden und erzählt aus einer längst vergangenen Zeit, in der noch Stil großgeschrieben wurde, fahrbare Untersätze noch Schmuckstücke waren und der Fedora als gängige Kopfbedeckung des kultivierten Mannes galt. Des Weiteren hat nicht nur Woody Allen eine fieberhafte Vorliebe für Jazzclubs und der dort gespielten Musik – auch in Motherless Brooklyn trötet die Trompete, klimpert das Klavier und federn die Saiten des Basses. Alles mit Stil, alles formschön und formatfüllend in Szene gesetzt – adrett, geschmackvoll und im Grunde fast jede Einstellung eine Verbeugung vor Huston, Hawks und einer ebenso längst vergangenen Film-Ära, die spannendes Bohren nach der Wahrheit mit sozialkritischen Untertönen vereinbaren konnte. So gesehen erfüllt Motherless Brooklyn als Reminiszenz auf das nostalgische Großstadtkino viele Erwartungen und bringt selbst Verweigerern von Hochprozentigem auf den Geschmack rauchiger Whiskeys. So richtig risikofreudig wird Norton bei der Interpretation bewährter Stilelemente allerdings nicht, wenngleich er nihilistische Weltbilder aus seinem Krimi weitestgehend getilgt hat und letztendlich zugunsten romantischer Ambitionen das Schlachtfeld aus langen Schatten von mantel- und huttragenden Daviden gegen krakengleiche Goliathe leerräumt.

Motherless Brooklyn

Shaft (2019)

MIT DEM OPA BEIM SHOOTOUT

3/10

 

shaft2019© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: TIM STORY

CAST: SAMUEl L. JACKSON, JESSIE USHER, REGINA HALL, ALEXANDRA SHIPP, RICHARD ROUNDTREE, METHOD MAN U. A.

 

Nein, Steve Jobs war nicht der letzte auf Gottes Erden, der noch mit allen Mitteln dieser Welt versucht hat, den Rollkragenpullover salonfähig zu halten. Seit des Netflix-Releases rund um den regelbrechenden Privatdetektiv Shaft wird klar, dass die genähte Halskrause wohl niemandem sonst so mondän zu Gesicht steht wie Samuel L. Jackson. Da könnte man meinen, die Siebziger hatten modetechnisch doch was für sich, und man könnte auch meinen, dass dem Klischee der unbunten Rollkragenträger aus der Werbebranche eine unverhohlene Liebe, ja geradezu ein Fetisch zugrundeliegt, noch dazu wenn es um die anregende Kombi Ledermantel und bis zum Kinn hochkriechende Pullover geht. Der neue Shaft feiert hierfür wirklich ein sagenhaftes Revival. Keine Ahnung, wie oft Samuel L. Jackson hier seine Garderobe wechselt, irgendwann macht das auch sein Filius, und dann auch noch der immer noch raubeinige Opa, den wir aus dem Original kennen. Und dann tanzen sie im Einheitslook die Straße runter, mit wehenden, braunorangen Mänteln, als wäre das das Schönste auf der Welt. Als wäre das Outfit sowieso schon die halbe Miete, wenn es um Verbrechensbekämpfung geht.

Tatsächlich verlässt sich der neue Shaft völlig gelassen auf die Schablonen lässiger Ziviluniformen, natürlich auch auf die egomanischen „Ich-scheiß-mir-nix“-Attitüden von Amerikas wohl heißbegehrtesten Afroamerikaner nach Barack Obama, wohl weil er wahrscheinlich angenehm unkompliziert sein muss, wenn es um das Dirigieren vor der Kamera geht. Samuel ist immer der coolste Motherfucker unter Kaliforniens Sonne, alles gelingt ihm, weil er ein Pfundskerl der alten Schule ist, der erstmal glaubt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen und tun muss, was ein Mann eben tun muss: den Bösen in den Arsch treten. Das ist eine Rolle, die hatte Samuel L. Jackson schon gefühlt hundert Mal. Jetzt gibt es das zum hundertundersten Mal aufgewärmt, mit Newcomer Jessie Usher (Independence Day: Wiederkehr) als der pazifistisch angelegte Sohnemann, der die Hilfe des kultigen Papas braucht, alle Erziehungsdefizite mal außen vorgelassen. Weil er aber auch mal ein Shaft ist, und ein Shaft keine halben Sachen macht, dirigiert ihn das in die patriarchale Schule der Altvorderen, während der Altvordere trotz anfänglichem Widerstand langsam überzuckert, dass harte Männer die Schule edler Ritter noch absolvieren müssen.

Was Tim Story aus der wüsten Figur mit dem nervösen Abzugfinger gemacht hat, ist mehr Buddykomödie als Blaxploitation, ist mehr zimperliches Herumgeeier als handfester Thriller. Beinahe sieht es aus, als wäre der neue Shaft eine erschöpfte Parodie seiner selbst, ein Zähmen vorgestriger Mannsbilder und Geschlechterrollen, allerdings nur im Schnurr- und Streichelmodus, aufgesetzt auf einen Plot, der nach dem Abspann der Vergessenheit anheimfällt, der maximal als Füllmaterial um den roten Faden einer Serien-Storyline dienen kann, der sein Potenzial restlos verschenkt und als dramaturgisches Mauerblümchen den fast schon peinlich aufspielenden Edelmännern den spendierten Trink ins Gesicht schüttet. Da helfen selbst die neu aufgelegten Rhythmen von Isaac Hayes nichts mehr, auch wenn diese immer noch zeitlos grooven. Das ist fast verlorene Liebesmüh angesichts der Symbolkarikatur einer Kultfigur, die ihre Zeiten bereits gehabt hat, und die mit den Outfits vom Flohmarkt maximal zum Zelebrieren auf irgendwelchen Comic Cons für wissendes Schmunzeln sorgt. Der Rollkragen kommt dann wieder in den Second Hand-Laden, denn wer trägt diese kratzenden Krausen denn noch wirklich?

Shaft (2019)

Das krumme Haus

DIE SIPPE AN DER KIPPE

7/10

 

krummehaus© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: GILLES PAQUET-BRENNER

CAST: MAX IRONS, GLENN CLOSE, TERENCE STAMP, STEFANIE MARTINI, CHRISTINA HENDRICKS, GILLIAN ANDERSON U. A.

 

Der König ist tot, lang lebe der König – oder zumindest das, was von ihm übrig blieb. Und das sind meist materielle Dinge, ein schier unendliches Vermögen in bar oder ganze Immobilien. Ist man klug, huldigt man dem Obersten schon Zeit seines Lebens aus diesem einem Zweck, nämlich ordentlich etwas abzustauben, wenn es soweit ist, das Zeitliche zu segnen. Das nennt sich Erbschleicherei, und manche können das wirklich gut. So wie diese liebe Familie in Agatha Christie´s zu Unrecht eher weniger bekanntem Roman, die schon so etwas wie eine Monarchie im Kleinformat vertritt. Über allem ein Patriarch, der die Strippen zieht und alle Untertanen kaum merkbar manipuliert. Diese Untertanen, die bewohnen das sogenannte krumme Haus – ein Anwesen, dafür würden Papapsychologen aus aller Welt an die alten Pforten klopfen. Das es in diesem schlossähnlichen Gemäuer nicht spukt, ist fast eine vertane Chance. Unheilvoll ist es aber trotzdem, mit all seinen Türmchen, gotischen Bögen und verwinkelten Zimmern, dessen jeweiliges Interieur die Persönlichkeit des Nutzers widerspiegelt. Mal sonnendurchflutet, dann wieder staubig und dunkel. Diese psychovisuelle Begehung des herrschaftlichen Sitzes alleine macht Das krumme Haus zu einer indiskreten Aufwartung, wenn Privatdetektiv Charles Hayward auf Gesuch einer ehemaligen Liebschaft durch die uneigenen Räumlichkeiten schnüffelt, um nacheinander Bekanntschaft mit einer illustren Runde zusammengewürfelter Egomanen zu machen, die sich anmaßen, eine Familie zu sein. Da weiß man wieder, das Blut nicht unbedingt dicker als Wasser sein muß, und das Familie nicht ist, was es auszusuchen gibt. Die geniale Agatha Christie hat sich diese Momentaufnahme eines neidvoll-garstigen Nachbebens nach dem Ableben auch sicher nicht aus den Fingern gesogen. In vielen ihrer Romane sind es augenscheinliche Gemeinschaften, die im Endeffekt nichts gemeinsam haben, gemeinsam aber ausharren müssen, weswegen auch immer. Dieses Miteinander-auskommen-müssen ist die Lunte, die Christie stets sehr geschmackvoll entzündet – und dann brennt sie lichterloh – und niemand ist mehr imstande, das Who is Who richtig einzuschätzen. Falsche Fährten sind die Folge.

Das krumme Haus, behutsam und in keinem Moment übereilt inszeniert von Gilles Paquet-Brenner, ist ein Agatha Christie, wie er im Buche steht. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Psychokrimi lässt sich sicher noch genüsslicher lesen als er anzusehen ist, allerdings ist ein Kinobesuch nicht weniger lohnenswert, denn Brenner macht aus diesem klassischen Whodunit ein langsam überkochendes Kammerspiel voll eleganter Suspense, die mit unheilvoll misstönenden Geigenklängen unterlegt ist. Orientiert an zeitgenössischem Theater, setzt er zwischen den diversen Schlüsselszenen stimmungsvoll verschwiegene Intermezzi, die Gesagtes stark genug wirken lassen. Und die, die etwas zu sagen haben, zeigen sich schauspielerisch nicht weniger von ihrer besten Seite. Schön, auch wieder mal Glenn Close in einer formidablen Rolle als familienältersten Maulwurfschreck zu begegnen. Terence Stamp als knorriger Kommissar könnte den Marple-Krimis entsprungen sein, und sowieso halten sich alle anderen Rollen eines Mysterykrimis adäquat bedeckt. Alles zusammen ergibt einen atmosphärischen Krimispaß, der sich den Traditionen alter Agatha Christie-Verfilmungen hingibt. Das ist tadellos fotografiert und hält in geschickter Balance aus Stimmungen und emotionalen Störfällen, was es verspricht. So wie die ungezählte Wiederholung der Schnüffeleien einer Margareth Rutherford, die in muffigem Samstagnachmittags-Schwarzweiß das Böse hinter bürgerlichem Anstand hervorkehrt. Max Irons ist zwar nicht Miss Marple, aber dennoch ist sein Rätselraten um die wahren Umstände des familiären Thronraubs ein Spiel der Indizien in geschmackvollem wie angenehm unbequemem Ambiente.

Das krumme Haus

Inherent Vice

DAS MODEL UND DER SCHNÜFFLER

4/10

 

inherentvice© 2014 Warner Bros.

 

LAND: USA 2014

REGIE: PAUL THOMAS ANDERSON

MIT JOAQUIN PHOENIX, JOSH BROLIN, OWEN WILSON, KATHERINE WATERSTON, REESE WITHERSPOON U. A.

 

Es gibt so dermaßen viele lesenswerte Bücher auf dieser Welt. So viele wirklich fesselnde Geschichten, die es wert sind, verfilmt zu werden. Von spannenden Krimis über unglaubliche, aber wahre Tatsachenromane bis zu detailliert ausgearbeiteten Utopien nach unserer Zeit. Aber nein, Paul Thomas Anderson greift zu der mit Abstand wohl uninteressantesten und belanglosesten literarischen Vorlage, bei der ich mich mit härtester Eigendisziplin dazu durchgerungen habe, den prätentiösen Murks bis zum Ende auszusitzen. Und wahrlich, es ist kaum zählbar, wie oft ich meine Gedanken bei diesem Film bändigen habe müssen, bevor sie irgendwohin in andere Bereiche des Erlebten oder noch zu Erlebenden abgeglitten wären. Inherent Vice ist wirklich harte Arbeit. Und das sicherlich nicht aufgrund der Geschichte, die der Film erzählt. Sondern aufgrund des Wunsches, dem Szenario nicht noch mehr sauer verdiente Lebenszeit zu opfern. Da drängt sich aber die Frage auf – wieso hab ich mir das angetan? Und wieso habe ich den Film nicht einfach vorzeitig beendet? Nein, das würde ich natürlich nicht tun, vor allem nicht, wenn ich eine Review wie diese schreiben möchte. Ich kann doch keinen halben Film beurteilen – oder sind im Filmjournalismus ganz andere Methoden usus? Stehen Kinoreporter ihre verordneten Filme bis zum Ende durch?

Zugegeben, es ist ein gutes Gefühl, wenn sich die Neon-Lettern des Abspanns von Inherent Vice in meinen Brillengläsern spiegeln. Da weiß ich, es ist vorbei. Und dabei hat Paul Thomas Anderson´s Krimigroteske nicht nur „natürliche Mängel“. Das ganze Kind mit dem Bade auszuschütten wäre irgendwie unfair. Denn schauspielerisch hat sich der Film nämlich gehörig ins Zeug gelegt. Ein Staraufgebot, da bekommt man feuchte Augen. Sogar einnehmende Gute-Laune-Bären wie Owen Wilson geben sich die Ehre. Absolut verführerisch und mit schwindelerregendem Sex-Appeal ausgestattet lässt Katherine Waterston, die wir eher in zugeknöpften Rollen aus Phantastic Beasts oder als Ripley-Verschnitt aus Alien: Covenant kennen, ungeniert die Hüllen fallen, da kann Jennifer Lawrence noch einiges lernen. Waterston strahlt so viel laszive Erotik aus, das hat zuletzt noch Sharon Stone geschafft. Die junge Dame ist ein Hingucker. Das ist der Backenbart von Joaquin Phoenix auch. Und ja, er brilliert in seiner Rolle. Aber wofür?

Ich habe die Vorlage von Pynchon natürlich nicht gelesen. Und nein, das werde ich auch nicht nachholen. Zu wenig Anreiz, das Ganze. Wer jetzt von wem in die Klapse gesteckt werden soll, und wer wann verschwindet, und wer dann wiederum am Verschwinden beteiligt ist, tangiert so wenig wie das neue Lippgloss von Paris Hilton. Gut, es gibt sicher jemanden, dem das wichtig ist, aber mir selbst geht die ganze Geschichte so ziemlich hinter dem Kinositz vorbei. Weder baut Inherent Vice irgendwelche Bezugspersonen auf, die das Geschehen wohl relevanter machen würden, noch bemüht sich Anderson auch nur irgendwie, sich auf gefällige Weise (und das ist im Kino bis zu einem gewissen Grad nicht verkehrt, gefällig zu sein) die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern. Viele Details erklären sich aus schnell gesprochenen Dialogen. Viele Namen kommen ins Spiel, eben auch nur verbalisiert. Passt man da einmal nicht auf – und ich habe vorhin schon erwähnt, wie schwer das war, dranzubleiben – geht’s einem so wie Privatdetektiv Larry Sportello, der den Auftrag hat, den Lover seiner Ex (eben diese K. Waterston) vor der Entmündigung durch dessen Gattin zu bewahren.

Sportello kennt aufgrund seines permanenten Stoned-Zustandes wohl kaum alle Namen. Den Durchblick hat er längst nicht, da bin ich noch in der ersten Halbzeit mit sattem Vorsprung mit dabei. Und ich war nicht mal bekifft. Aber vielleicht hätte ich das sein sollen. Dann wäre mir Inherent Vice nicht so dermaßen irrelevant erschienen. So nichtssagend in seiner gewollt aufgeplusterten Hippie-Reminiszenz, die mittlerweile auch keine Auszeichnung für eine Standing Alone-Idee mehr verdient. Alle Nase lang versucht ein Filmemacher, die Ära der Glockenhosen als schräges Kinovariete zu verkaufen. Dieser Versuchung ist schon David O. Russel mit American Hustle erlegen. Die Musik war gut, die Outfits auch – die Story flach wie Pizza Hawaii. So ergeht es auch Paul Thomas Anderson, der fraglos ein begnadeter Filmkünstler ist, der sich aber in seinem exorbitant gut fotografierten, aber hohlen Werk in eine Verklärung nostalgischer Coolness hineingeritten hat, aus der er satte zweieinhalb Stunden nicht mehr herausfindet.

Inherent Vice

Once upon a Time in Venice

DER SCHNÜFFLER OHNE MODEL

5/10

 

DSC_6912.NEF@ 2017 KSM

 

LAND: USA 2017

REGIE: MARK CULLEN

MIT BRUCE WILLIS, JOHN GOODMAN, JASON MOMOA, FAMKE JANSSEN U. A.

 

Bruce Willis ist zurück. Oder ist das nur ein kurzes Gastspiel? Alt ist er geworden. Immer noch kahl, dafür aber mit Fell am Rücken. Und ohne Feinripp fehlt ihm was. Auch wenn der über 60jährige immer noch vorgibt, voller Elan den bösen Buben am Skateboard zu entkommen – ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass es in Sachen Filmbiz für den auf ewig im Actionzenit einzementierten John McClane gewesen sein könnte. Sein verschlafenes kleines Comeback, das ausschließlich in Venice, Kalifornien, seinen episodenhaften Verlauf nimmt, könnte man als bequemes Intermezzo seines verfrühten Ruhestands betrachten. Von seinem Domizil bis nach Venice Beach ist es womöglich nur ein Katzensprung. Und wenn John Goodman mitmacht – warum eigentlich nicht. Dieses Warum eigentlich nicht steht ihm ins gelassen dreinblickende Gesicht geschrieben. Vielleicht hat er damals schon gewusst, dass er in die Fußstapfen von Charles Bronson steigen wird – Eli Roth steht mit seinem Remake der Selbstjustiz-Action Death Wish in den Kino-Startlöchern. Von überallher an den Kinowänden erstrahlt die neben Telly Savalas berühmteste Glatze Hollywoods im Licht der Erwartung. Eine Aufwärmrunde kann nicht schaden, wird sich der Busenfreund von Arnie und Sly wohl gedacht haben. Somit gibt es jetzt für alle, die nicht warten können, einen Ausflug in das Genre des Schnüffler-Krimis.

Mit Schnüfflern hat Bruce Willis ja schon so seine Erfahrungen. Begonnen hat seine Karriere ja mit Romantic Investigation. Gemeinsam mit Cybill Shepherd hatte er in Das Model und der Schnüffler so manchen Screwball-Charme versprüht. Seit damals sind Jahrzehnte vergangen, und der Schnüffler ist ohne Model im wahrsten Sinne des Wortes auf den Hund gekommen. Der kleine Köter kommt dem genussfreudigen Möchtegern-Detektiv irgendwann abhanden, und daran ist über den Daumen gerechnet die gesamte Unterwelt von Venice Schuld. Irgendwie jedenfalls. Das kann einer wie Bruce, so sehr er auch nach Ruhestand aussieht, nicht auf sich sitzen lassen und streunt kreuz und quer durch den wohlvertrauten Bade- und Erholungsort an der Westküste, um die Sache ins reine zu bringen. Dabei hat Bruce seinen Elan-Faktor nicht gerade bis in den roten Bereich hin angeworfen. Wie jemand, der zu lange in der Sonne gelegen hat, oder eben erst völlig verdattert aus dem Mittagsschlaf erwacht ist, ohne genau zu wissen, was eigentlich los ist. Und Bruce ist nicht der einzige, der so verschlafen wirkt. Das sind die Gangster auch. Und Buddy John Goodman in Hawaii-Hemd und mit seltsam steifen Schritten wirkt noch mehr neben der Spur wie unser alter Actionhero selbst. Wobei die Flitzerszene am Skateboard schon eine Nummer für sich ist, keine Frage!

Doch dieses Versonnen-Versponnene in Once upon a Time in Venice entbehrt nicht eines gewissen gefälligen Gewöhnungseffekts. Dieser schwüle Dauersommer, die seltsamen Typen mit der Phlegmatik eines Sonntagnachmittags und das zerstreute Hin und Her, von dem keiner weiß, wohin die ganze Hundeliebe, das Geldleihen, Geld beschaffen und Observieren führen soll, wäre gerne so schräg wie die kauzig-schwarzhumorigen Komödien der Coen-Brüder, ist aber maximal nur ein erwähnenswertes Bruce Willis-Vehikel, das den Glatzkopf nicht nur in einer verschwindenden Nebenrolle zeigt, sondern prominent in Szene setzt. Ein Film ganz eindeutig für Fans und Leute, die das On Demand-Programm gerne nebenbei laufen lassen. Ideal beim Kiffen, Zocken oder Hundekraulen.

Once upon a Time in Venice

Mord im Orient-Express

DIE GRAUZONEN DER GERECHTIGKEIT

6/10

 

orientexpress@ 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

REGIE: KENNETH BRANAGH

MIT KENNETH BRANAGH, JOHNNY DEPP, MICHELLE PFEIFFER, DAISY RIDLEY, JUDI DENCH U. A.

 

Nein, gezwirbelt hat er das liebevoll arrangierte Bartkunstwerk nicht, so wie einst Sir Peter Ustinov als Hercule Poirot. Und auch ist Kenneth Branagh nicht so eine einnehmende, kernsympathische Wuchtbrumme wie der hochintelligente Brite, aber immerhin fast annähernd ein solcher Genussmensch. Die von Kultautorin Agatha Christie ersonnene Figur des belgischen Detektivs Poirot ist um Eckhäuser zugänglicher als der arrogante Sherlock Holmes, der nicht weiß wohin mit seiner Hochbegabung. Poirot ist vor allem in den Filmen von John Guillermin und Guy Hamilton kein Kostverächter, und gleichzeitig ein akribisch denkender und stets beobachtender Mensch mit fotografischem Gedächtnis und einer Kombinationsgabe, die uns im Vergleich dazu jubeln lässt, wenn wir einfache Schlussrechnungen auf die Reihe bekommen. Kombinieren und Mörder finden, das können wir getrost anderen überlassen. Am Liebsten auch Miss Marple, die von Grand Dame Margarete Rutherford mit ihren weißen Locken und dem kuscheligen Knautschgesicht bis in alle Ewigkeit wegweisend besetzt wurde. Peter Ustinov war in seine Rolle ebenso unverwechselbar – ein anderer sollte diese Figur gar nicht mehr spielen dürfen. Doch Ustinov weilt in den ewigen Jagdgründen, und also müssen andere ran – sofern man noch die Muße hat, das bereits dreimal verfilmte Meisterwerk Agatha Christie´s tatsächlich nochmal zu bebildern.

Die meisten Leser und Kinogeher wissen, was es mit dem Mord im Orient-Express auf sich hat. Es ist längst kein Geheimnis mehr, auf was für eine unglaubliche Wahrheit der zwangsrekrutierte Detektiv inmitten schneeverwehter Landschaft da stoßen wird. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die nun vierte Verfilmung unter der Regie des theateraffinen Briten Kenneth Branagh äußerst entbehrlich, und ganz ehrlich gesagt wollte ich mir das altbekannte Szenario nicht noch einmal geben. Fast muss ich zugeben, dass Christie´s berühmtestes Buch und all jene Verfilmungen, die es bereits gibt, Branagh Neuauflage ungefähr so notwendig machen wie Gus van Sant´s farblich durchwirktes Imitat von Psycho. Aber sei´s drum – die wirklich geniale, leicht klaustrophobische und tiefenpsychologische Mörderhatz ist längst nicht nur ein Krimi. Bei Mord im Orient-Express kann sich der Zuseher trotz der widrigen Umstände des Schauplatzes irgendwie geborgen fühlen. Was zu erwarten ist, passiert auch. Branagh´s Film ist wie ein Samstagnachmittag auf der Couch, wenn man beim Zappen zufällig auf einen Agatha-Christie-Krimi stößt und dabei hängen bleibt, weil einfach die Stimmung, das Setting und die Schauspieler vielleicht ein bisschen an die zweite Dekade der Kindheit erinnern. Oder eben Reize auslöst, auf welche sich enorm kribbelige Gemütlichkeit einstellt. Das ist die eine Sache, die die Story immer wieder sehenswert macht. Die andere ist die, das hier ausnahmsweise Quantität tatsächlich gleich Qualität ist – nämlich die illustre Besetzungsliste, die sich liest wie die Sitzordnung eines Tisches bei der Oscarverleihung. Publikumslieblinge wohin man blickt – sogar „Jedi“ Daisy Ridley zwängt sich ins Abteil, Willem Dafoe gibt den Österreicher und Judi Dench ist sowieso die angenehm versnobte Grand Dame, die eigentlich bei keiner Agatha-Christie-Verfilmung fehlen sollte. Der, von dem wir vielleicht am Ehesten noch die Nase voll hätten, wäre Johnny Depp, aber der ist ja bekanntlich das Opfer und segnet das Zeitliche nach rund einer halben Stunde. Dafür legt Michelle Pfeiffer einen ehrwürdigen Auftritt hin. Und der rote Kimono fehlt auch nicht – den kennen wir schon aus den Vorgängerfilmen.

Der ganze Film ist ein elegantes, kurzweiliges Déjà-vu in opulent-nostalgischen Bildern und keinerlei Innovation, aber einem penetrant schnauzbärtigen Kenneth Branagh in der Titelrolle, der seine Sache allerdings souverän hinbekommt und den Gehirnakrobaten Poirot tatsächlich wiederauferstehen lässt. Natürlich, Ustinov ist er keiner. Aber das muss er auch nicht. Worauf Branagh aber Wert legt, ist die psychologische Tiefe der Geschichte. Das Motiv ist, worum es hier geht, weniger der Weg der Wahrheitsfindung. Das Ensemble schlittert und entgleist fast so wie der Zug in eine diffuse Schneeverwehung der Gerechtigkeit – in eine Grauzone aus Recht, Rache und Genugtuung. Ein Aspekt, der in keinen Agatha-Christie-Romanen je wieder so ambivalent und diskussionsanregend zu Tage tritt. Hätte ich einen Mustache wie Poirot, hätte ich ihn mir beim Abspann des Filmes womöglich nachdenklich gezwirbelt.

Mord im Orient-Express

Jack Reacher: Kein Weg zurück

DON´T FEAR THE REACHER!

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jackreacher

Was ist mit Tom Cruise passiert? Der ewige Maverick und Scientology-Aushängeschild hat sich nun endgültig von seinem juvenilen Image verabschiedet. Er ist zum Mann gereift. Zu einem relativ verbrauchten Helden mit leichtem Übergewicht, Ecken, Kanten und beginnendem Faltenwurf. Dieser Look ist zwar ungewohnt, aber ist zumindest endlich einmal altersadäquat und steht ihm gar nicht so schlecht zu Gesicht.  Und passt überraschenderweise zum Film, der auch um Einiges besser geworden ist als der Erstling mit Bösewicht Werner Herzog und völlig uninteressantem, reichlich konfusem Plot.

Jack Reacher: Kein Weg zurück, als Romanfigur ersonnen von Lee Child und neu aufbereitet von Edward Zwick, dessen Psycho- und Politdrama Bauernopfer ich kürzlich rezensieren durfte, überzeugt mit einer geradlinigen Story, die sich bequem verfolgen lässt und sehr stark an die Jason Bourne-Filme erinnert. Mit dem Unterschied, dass Tom Cruise etwas weniger genervt an die Sache herangeht als Matt Damon. Gut, Mr. „Top Gun“ hat ja auch noch nicht so viele Sequels auf dem Buckel wie Damon, vielleicht kommt das ja noch. Momentan ist Jack Reacher noch ziemlich motiviert, hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ein ziemlich perfekt ausgearbeitetes Verteidigungsprogramm, auch ganz ohne zusätzlicher Bewaffnung. Ihm zur Seite steht Ex-HIMYM-Grazie Cobie Smulders, die uns weismachen will, Major beim US-Militär zu sein. Nun, so ganz kann ich ihre Kompetenz nicht nachvollziehen, da war Demi Moore in Eine Frage der Ehre schon glaubwürdiger. Smulder´s Ausstrahlung macht es aber wieder wett, und so geraten alle beide, gemeinsam mit Reacher´s vermeintlicher Tochter, in einen Strudel aus Verfolgen und Verfolgt werden. Das zieht sich den ganzen Film hindurch, dazwischen gibt es kurze Verschnaufpausen in irgendwelchen Hotelzimmern oder im Auto. Sonst aber ist High-Speed angesagt, was dem Actionreißer durchaus zugutekommt.

Problematisch dabei ist allerdings seine inhaltliche Konventionalität. Damit meine ich weniger den Kern der Geschichte an sich. Vielmehr passiert Jack Reacher das, was – um ihn noch einmal zu zitieren – Jason Bourne oder ähnlichen weltrettenden Idealisten wiederfahren ist: Sie sind zu handlungslastig und zu schnell, um in Erinnerung zu bleiben. Sofern sie keine Atmosphäre, keine Tiefe und keine Persönlichkeiten aufbauen, unterhalten diese Filme zwar für den Moment, verschwinden aber aus dem Gedächtnis oder verschmelzen mit anderen Produktionen der gleichen Machart. Wobei, wie schon vorhin erwähnt, Jack Reacher um einen Tick mehr Stimmung erzeugt. Wahrscheinlich aufgrund der zu eigentlichen Thrillerhandlung paralell laufenden Vater-Tochter-Geschichte, die einen verletzlichen Tom Cruise zeigt. Kann sein, dass Zwick´s Sequel über den einzelgängerischen Mitlitärdetektiv etwas länger haften bleibt.

Fazit: Ein zum Glück und nicht ganz faltenfrei gebügelter Thriller klassischen Aufbaus, sehr konventionell und vorhersehbar, aber atemlos inszeniert, kurzweilig und mit einem Ensemble, das gut miteinander auskommt.

 

Jack Reacher: Kein Weg zurück