Better Man – Die Robbie Williams Story (2024)

DER AFFE IM ROCKSTAR

8,5/10


BETTER MAN© 2024 Tobis Film GmbH


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, USA 2024

REGIE: MICHAEL GRACEY

DREHBUCH: OLIVER COLE, SIMON GLEESON, MICHAEL GRACEY

CAST: ROBBIE WILLIAMS, JONNO DAVIES, STEVE PEMBERTON, ALISON STEADMAN, DAMON HERRIMAN, KATE MULVANY, RAECHELLE BANNO, JAKE SIMMANCE, LIAM HEAD, JESSE HYDE, ANTHONY HAYES U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Echt jetzt? Jetzt schon ein Biopic über Robbie Williams? Um die Werbetrommel zu rühren für eine neue Scheibe, eine neue Tournee? Oder nur, um sich wichtigzumachen? Oder gar nur, um sich selbst zu bemitleiden? Und dann noch das: Der Sänger stellt sich selbst als Affe dar. Klingt nach Klamauk, nach mutwilliger Exzentrik. Muss ich nicht sehen, dachte ich mir, zu dem Zeitpunkt, als ich in den Film-News von einem Projekt gelesen hatte, das sich Better Man nennt. So eine Ankündigung muss aber erst mal sickern. Denn Musiker-Biopics gibt es mittlerweile zuhauf. So richtig begonnen hat das mit Bohemian Rhapsody, dann haben Studios Blut geleckt. Dann gab es Elton John, Amy Winehouse, Aretha Franklin, Miles Davis, Bob Marley, Whitney Houston und noch viele andere dazwischen. Muss sich einer wie Robbie Williams tatsächlich so derart in den Vordergrund rücken? Hat er denn das Format all dieser genannten Ikonen?

Meine Skepsis gegenüber Better Man und gegenüber Robbie Williams Idee, seine Memoiren auf eine Weise zu erzählen, die an Planet der Affen erinnert, sollen sich letzten Endes bis auf das letzte Molekül zerstreuen. Denn das Beste, was einem Filmfreund passieren kann, ist, im Kino überrascht zu werden. Überrumpelt, eines Besseren belehrt und von einem Experiment, das so noch nicht erprobt wurde, überzeugt. Better Man ist so ein Film, der das alles zusammenbringt. Und das liegt an diversen Parametern, die dafür sorgen, wie noch nie zuvor einer Berühmtheit aus dem Showbiz über das Medium Film so sehr nahezukommen wie in Michael Graceys fulminantem Geniestreich, der viel mehr psychologisches Drama als simple Biografie sein darf.

Robbie Williams erzählt in Better Man erstens, und das lässt schon mal einiges an Nähe zu, auf selbstkritische und ironische Weise über sich selbst. Das ist Autobiografie in seiner reinsten Form. Und nicht nur das: Williams hat den Mut, über sein Tun und sein Leben in einer Ehrlichkeit zu reflektieren, die fast schon zu intim, dadurch aber umso aufrichtiger erscheint. Er macht keinen Hehl daraus, sich als besten Entertainer überhaupt zu sehen. Das ist das, was er anstrebt und angestrebt hat. Er macht aber auch kein Hehl daraus, zuzugeben, mit einer ganzen Reihe psychischer Probleme zu hadern. Die da unter anderem wären, sich selbst als dismorph wahrzunehmen. Das führt dazu, dass sich Williams selbst als etwas sieht, das einem Menschenaffen gleicht. Als eine Außenseiterfigur, einen Nonkonformisten, als niederes Wesen voller Minderwertigkeitskomplexe und mangelndem Selbstwert. Michael Gracey (Greatest Showman) wagt daher den Clou des Jahres: Dem Star kein schauspielerisches Lookalike zu verpassen, sondern ihn vollends jedweder Identifikation zu berauben. Das Gesicht des Affen könnte eine Maske sein, ist aber das innewohnende, zerrissene und entfremdete Ich einer berühmten Persönlichkeit, die in den Momenten des Films nicht als solche gesehen werden will, sondern als rein abstrakte Impression eines Charakters, der sich offenbart.

Doch weder mit aufgesetztem Zynismus noch mit allürenhafter Wehleidigkeit will Williams sich selbst auf den Grund gehen. Seine Lebensgeschichte passiert zwar allerlei Stationen des Entertainment-Lebens, blickt aber genauso vehement zwischen den Ankerpunkten eines Curriculum Vitae, um begrifflich zu machen, wie wenig sich das Seelenleben einer Berühmtheit von jenen anderer Menschen, die in der urbanen Anonymität verschwinden, unterscheidet. Williams sieht und empfindet sich selbst als Affe. Mit frechem Charme und einer gewissen Erdung blickt der Einzelgänger, der er ist, zurück auf ein Schlachtfeld an Fehlentscheidungen, abgemurksten Dämonen und in Koks und Alkohol ertrunkener Zweifel. Gracey findet dafür grobkörnige, erdige Bilder, mal geschnitten in schnellem Stakkato, manchmal ruhend. Kongenial eingeflochten sind dabei Williams bekannteste Songs, dabei zeigt der Mann nicht nur, woran er scheitert, sondern auch, woran er wächst. Das Talent zum Entertainment, sein Gespür fürs Songwriting sind die Skills eines ambivalenten Helden, dem so vieles zu schaffen macht und der so vieles schafft.

Better Man ist großes, überwältigendes Kino. Eine Neuordnung des Biopic-Genres in Richtung Psycho-Allegorie. Ansatzweise war diese Methode bereits in Rocketman vorhanden, doch so vehement avantgardistisch und revolutionär wie in diesem Film gab es das noch nicht. Als spätes Filmhighlight des Jahres 2024 bleibt Better Man als WOW-Erlebnis so sehr in Erinnerung, als hätte man Robbie Williams tatsächlich nicht nur kennengelernt, sondern wäre auch sein Freund geworden.

Better Man – Die Robbie Williams Story (2024)

Gold (2022)

ANOTHER ONE BITES THE DUST

7/10


gold© 2022 Leonine Distribution


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2022

BUCH / REGIE: ANTHONY HAYES

CAST: ZAC EFRON, ANTHONY HAYES, SUSIE PORTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Die Cree haben es schon immer gewusst: Letztendlich kann sich keiner von Geld ernähren. Und genauso wenig von Gold. Da liegt er da, der Reichtum, gefühlt Milliarden Euro schwer, inmitten einer Ödnis, die kaum postapokalyptischer sein kann. Für Zac Efron als namenlosen Reisenden, den es in dieses Niemandsland verschlägt, ist das Glück womöglich ein Vogerl, dass sich auf seine Schulter gesetzt hat. Dass es dort auch noch hinkackt, davon merkt Zac Efron nichts. Und sein Chauffeur genauso wenig. Beide tanzen um das Goldene Kalb – einem Nugget so groß wie selbiges, halb eingegraben im staubtrockenen Boden und unmöglich, da rausgehoben zu werden. Es braucht einen Bagger – der Kerl mit dem Auto macht sich auf in die nächste Stadt, um alles Notwendige zu organisieren. Der andere, Efron eben, erklärt sich bereit, in der Wüste zu bleiben, um den Schatz zu bewachen. Vor wem, fragt sich? Wer wird hier wohl vorbeikommen, es sei denn, er hat eine Panne, wie eben genau diese beiden, um die es hier geht, eine gehabt haben. Aber seis drum, theoretisch könnten beide losziehen und den Bagger holen, aber so viel Gold überlässt man nicht einfach Skorpionen und Schlangen. Während der Glücksvogel auf der einen Schulter sitzt, meldet sich das kleine rote Teufelchen auf der anderen: Man weiß ja nie, sagt es. Die Gier wird zum streunenden Hund, den man mit Feuer fernhalten kann, während man allein hier unter sengender Sonne, trockenem Wind und ganz viel Staub die Zeit totschlägt. Schließlich sind’s doch nur ein paar Tage. Aus diesen paar Tagen wird schnell mehr, und der Namenlose bereut nun, hier geblieben zu sein.

Man nehme die Endzeitstimmung eines Mad Max-Abenteuers und verbinde diese mit einer Folge dieser Schatzsucher-Soaps, die gut und gerne auf DMAXX laufen. Fertig ist eine kleine, hundsgemeine Parabel auf die dunkle Seite des Reichtums, die mitunter sogar Anlehnung findet an die Legende von König Midas, der alles, was er berührt hat, zu Gold werden ließ und fast dabei verhungert wäre. Zac Efron ergeht es ähnlich, und diesmal hat der Schönling aus Baywatch und Bad Neighbours keinerlei Scheu davor, sich so richtig schmutzig zu machen. Der australische Schauspieler Anthony Hayes (u. a. The Rover, Cargo) bringt den glück- und auswegsuchenden Menschen von zivilisierten Gesellschaftsnormen ab, die moralische Verwahrlosung zeigt sich dabei in den Gesichtern, denen man nicht trauen kann. Selbst Efrons Figur birgt ein Geheimnis, das auf Gewalt zurückzuführen ist, aber so wirklich wird man’s nie wissen. Hayes selbst spielt den anderen Part, auch er schweißgebadet und staubverschmiert. Bald sieht man – vielleicht gar etwas überzeichnet, aber es passt zur expressiven, in der strahlenden Hitze ausgebleichten Optik des Filmes – was es anrichten kann, hat man keine Sonnencreme mit dabei. Der Durst ist da fast das geringste Problem, die abstrakte Panik vor dem Verlust des Reichtums, der da zu Füßen liegt, das allergrößte.

Efron verschwindet hinter einer Schicht aus Blut und Staub, wirkt bald wie Martin Sheen am Ende von Apocalypse Now, nur taucht Efron nicht aus dem Wasser, sondern aus dem Sand, und der verbläst sich in jede Ritze des streamingtauglichen Mediums bis hinaus ins Wohnzimmer oder wo man gerade sitzt, um einen symptomstarken Goldrausch zu umtosen, der seinen moralischen Kompass mit dem der Cree-Indigenen gleichgeschaltet hat. Ein feines, wind und wettergegerbtes Stück australisches Outdoorkino, bei dem man nicht schlecht staunt, was für trostlose Gegenden es in Down Under überhaupt geben kann.

Gold (2022)

Cargo

DA IST WAS IM BUSCH

6/10

 

cargo© 2018 Netflix

 

LAND: AUSTRALIEN 2018

REGIE: BEN HOWLING, YOLANDA RAMKE

MIT MARTIN FREEMAN, ANTHONY HAYES, CARMEN PISTORIUS U. A. 

 

Auch wenn Zombies im Grunde ihres Un-wesens wandelnde Tote sind – für Verblichene haben sie in der Welt von Film und Fernsehen wirklich einen langen Atem. Dabei ist nicht der Zombie an sich das Faszinierende für den Mainstream, sondern das Aushebeln gesellschaftlicher Ordnung – sprich das gesetz- und anstandslose Vakuum, das den Menschen umgibt, der doch so sehr so viele Regeln braucht, um überhaupt geradeaus existieren zu können. Survival of the Fittest ist dann meistens nur mehr eine Frage der Zeit, denn fit sind die wenigsten. Und die Unfittesten schlagen sich als geifernde Kannibalen durch den Großstadtdschungel. Allerdings muss es nicht immer der Großstadtdschungel sein, auch wenn die Gier nach Blut und Menschenfleisch das Non Plus Ultra einer pervertierten Weltordnung darstellt. Ohne Kannibalismus geht es gar nicht – ohne urbane Orientierungspunkte schon. Das beweist die neueste Produktion, die derzeit in den (noch) nicht vorhandenen Lichtspielhäusern von Netflix vom LED-Bildschirm flimmert.

Cargo nennt sich das apokalyptische Szenario aus Australien, und ja, auch hier trinken Zombies Blut. Wer glaubt, dass Cargo die Tendenz zur kolonialkritischen Abhandlung aufweist, der irrt: Dieses Virus trifft sowohl Aborigines als auch die weiße Herrenrasse. Woher diese Krankheit kommt, wird nicht näher erläutert. Wohin sie geht und ob man ihr Herr werden kann, ebenso wenig. Cargo ist eine Episode aus der Endzeit, die vielleicht nur Australien betrifft – wie es in Übersee aussieht, bleibt ein Geheimnis. In dieser Episode rennt der grundsympathische Familienvater Martin Freeman ums Überleben, in der Buckelkarre seine Tochter. So hetzt er durch den Busch. Immer wieder mal tauchen die Untoten auf, aus ihren Augen quillt Sekret, dass an Marmelade erinnert. Und wo Marmelade klebt, da können die torkelnden Kranken nicht weit sein. Selten ist es einem Zombie-Film so sehr gelungen, die instinktgesteuerten Mutanten als einen Haufen bemitleidenswerter Opfer darzustellen. Wenn die grobmotorischen Marmeladinger ihren Kopf in den Sand stecken, oder im Tunnel rastend an der Wand lehnen, wirken sie in ihrer symptomatischen Berechenbarkeit fast ein bisschen harmlos – und sehr, sehr armselig. Der Mensch ist in Cargo so wirklich ziemlich am Sand. Da würde sich empfehlen, auf dem Wasser zu bleiben. Und keinesfalls in vermeintlich verlassenen Booten herumzustöbern. Natürlich ist die Nahrung knapp. Aber die Neugier ist ein Hund, und die ist letzten Endes bissig. Also ist Freeman irgendwann ein lettes Überbleibsel – und wer weiß, vielleicht sogar selbst bald einer dieser traurigen Gestalten.

Das Zombie-Genre hat zwar, wie eingangs erwähnt, einen langen Atem, tendiert aber gleichermaßen dazu, langatmig zu werden. Angesichts des Bulks an thematisch ähnlich gelagerten Endzeit-Visionen laufen Film-Frischlinge dieser Art sehr leicht Gefahr, auszuleiern und kaum mehr Neues zu erzählen. Der Plot zu Cargo verheddert sich gelegentlich im dornigen Gestrüpp des Outbacks. Vieles, was der Film erzählt, ist vorhersehbar und allerlei Vorahnungen finden sich bestätigt. Dennoch liegt über dem Buschland, in dem einst Crocodile Dundee seine Abenteuer erlebt haben möchte, eine schicksalsversöhnte Melancholie, als wäre das Ende der Zivilisation nur willkommen. Und als würde die Zukunft des Menschen im Reboot seiner gesellschaftlichen Entwicklung liegen. Trotz der Anspannung herrscht resignativer Friede, ein Aftermath im Gelände, ein Ausatmen abgestandener Atemluft. In dieses schaumgebremste Aufbegehren der biedermännische Hobbit von früher  – voll väterlicher Verantwortung und panischer Suche nach einer Normalität, die niemals wiederkehren wird. Insofern ist das langsam erzählte Footmovie durchaus stimmig, wenn auch viel zu schnell mit sich selbst zufrieden.

Cargo