Die Gewerkschafterin (2022)

AUS MANGEL AN BEWEISEN

4,5/10


gewerkschafterin© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2022

REGIE: JEAN-PAUL SALOMÉ

DREHBUCH: FADETTE DROUARD, JEAN-PAUL SALOMÉ

CAST: ISABELLE HUPPERT, GRÉGORY GADEBOIS, YVAN ATTAL, FRANÇOIS-XAVIER DEMAISON, PIERRE DELADONCHAMPS, ALEXANDRA MARIA LARA, GILLES COHEN, MARINA FOÏS U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Arbeitnehmer auf der ganzen Welt, vereinigt euch! Im Schulterschluss antretend, könnten jene, die schon längst nicht mehr glauben, sich Arbeitgebern als bezahlte Sklaven unterwerfen zu müssen, als wären ihre Verdienste lediglich Almosen, die aus der ach so gütigen Chefetage herabregnen, ganze Konzerne zu Fall bringen. Denn was sind diese schon, bleibt das Werkel nicht am Laufen? Gar nichts. Wo nicht gearbeitet wird, wird auch nichts produziert. Wer nichts produziert, schaut bald durch die Finger. Um zumindest pro Betrieb die Interessen und die Würde der Arbeitnehmer zu gewährleisten, gibt es Gewerkschaften. Und dort wiederum gewissenhafte Vorreiterinnen und Vorreiter, die die Fahne hissen und als Vertretung der anschaffenden Entourage recht unverblümt das Wilde runterräumen.

Die in Frankreich lebende Maureen Kearney, dargestellt von einer erblondeten und irritierend jugendlichen Isabelle Huppert, ist so jemand. Sie zeigt keinerlei Furcht vor der Obrigkeit, crasht schon mal gerne manches Meeting und steckt ihre Nase dort hinein, wo diese eigentlich nichts zu suchen hat. So zumindest sieht das der Atomenergie-Konzern Areva, der im Geheimen Absprachen mit den Chinesen hält, die drauf und dran sind, zumindest zur Hälfte erstmal Frankreichs und dann Europas Nukleartechnik zu kapern. Was das für die Belegschaft bedeutet? Gar nichts Gutes. Um die 50.000 Jobs sind in Gefahr, und so will Maureen den skandalösen Deal an die große Glocke hängen. Was denen ganz oben überhaupt nicht gefällt. Und diese dann zu mafiösen Mitteln greifen, um die Gewerkschafterin einzuschüchtern und zu diskreditieren.

Wie machtlos man einem Giganten wie Areva gegenüberstehen kann, lässt sich anhand dieses im Grunde erschütternden Tatsachendramas eigentlich nur erahnen. Ähnliches hat schon Whistleblower Russel Crowe in Michael Manns The Insider, in dem das Tschick-Imperium zurückschlägt und unrechtmäßige Faxen macht, an eigenem Leib erfahren müssen. In Jean-Pierre Salomés Streifen ist man geradezu versucht, wieder etwas mehr an Weltverschwörungen zu glauben. Doch trotzdem Die Gewerkschafterin ordentlich Stoff bereithält, der mehrere Ebenen abdeckt und tief in die Privatsphäre der von Isabelle Huppert dargestellten Kämpfernatur eindringt – so richtig zu überzeugen oder gar zu fesseln weiß der Film nicht. Das hat unterschiedliche Gründe.

Zum einen Isabelle Huppert. Ihr schauspielerischer Pragmatismus oder anders formuliert: ihr sich selbst genügendes Statusbewusstsein als Grande Dame ist kaum zu überbieten. Was zur Folge hat, dass sie zwar an ihrem Engagement teilnimmt, doch zeitweise so teilnahmslos agiert, als gäbe sie Schauspielunterricht. Weder zeigt sie den Umständen entsprechende emotionale Regungen, noch packt sie der Eifer in der Darstellung einer hochkomplexen, schwierig zu interpretierenden Figur, die noch dazu ein reales Vorbild hat. Eine gewisse Kühle geht von ihr aus, eine Unnahbarkeit, die man so nicht erwartet hätte, und an der sich auch Filmgatte Grégory Gadebois die Zähne ausbeißt, so wie überhaupt alle in diesem Film, die nicht an die Rekonstruktion der Tatsachen, die Hupperts Filmfigur zu Protokoll gibt, glauben möchten. Dabei tut sich die zweite Ursache auf, die die ganze Zeit über deutlich auf der Hand liegt und die nur aufgrund wenig engagierter Ermittlungen als Beweisargument durch den Rost der Plausibilität fallen konnte.

Zwischen Jodie Fosters Darstellung in Angeklagt – wobei die Klaviatur der Regungen, die Foster damals von sich gab, bei Huppert kaum zu finden ist – und Paul Verhoevens ambivalentem Rape-Thriller Elle schleppt sich ein recht zähes Kriminaldrama durch einen ungeordneten, leicht devastierten Wulst an schlampig formulierten Ermittlungsakten und unschlüssiger Verdächtigungen. Wie wenig Jean-Paul Salomé, der schon in Eine Frau mit berauschenden Talenten Huppert nur in mäßiger Brillanz auf distinguierte Breaking Bad-Spuren schickte, den ganzen brandheissen Stoff in den Griff bekommt, merkt man an etlichen dramaturgischen Hängern, die in scheinbar redundanten Dialogen die Geduld strapazieren. Ob nun Wirtschaftsdrama, Home Invasion-Thriller oder Justizfilm: Die Gewerkschafterin hat von allem etwas, doch nichts davon ist richtig überzeugend.

Die Gewerkschafterin (2022)

Der perfekte Chef

DAS WOHL DER UNTERGEBENEN

4,5/10


derperfektechef© 2022 Alamode Film


LAND / JAHR: SPANIEN 2021

BUCH / REGIE: FERNANDO LEÓN DE ARANOA

CAST: JAVIER BARDEM, MANOLO SOLO, ALMUNDENA AMOR, ÓSCAR DE LA FUENTE, SONIA ALMARCHA, FERNANDO ALBIZU, TARIK RMILI U. A.

LÄNGE: 2 STD


Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. So heißt es doch, oder? Klar ist aber, dass in Wahrheit der eine Umstand den anderen bedingt. Ergänzend wäre also zu sagen: Geht’s uns gut, geht’s der Wirtschaft gut. Denn wer nicht um seine Existenz bangen muss, wer glücklich durchs Leben geht oder wenn daheim der Haussegen nicht schief hängt, der hat auch Freude daran, für das Große und Ganze genug Motivation an den Tag zu legen. Wenn das Management diese Dynamik überreißt, ist das schon die halbe Miete. Julio Blanco, Erbe des traditionellen Familienunternehmens Blanco, welches schon seit Generationen Präzisionswaagen aller Art produziert, ist so einer dieser vorausschauenden und nachhaltig agierenden Wunderknaben, der geschickt Ziele des Unternehmens mit den Bedürfnissen seiner Mitarbeiter kombinieren kann, sieht er diese doch längst als seine Familie an und schenkt den Problemen seiner Untergebenen stets ein offenes Ohr.

Was kann bei so einem angenehmen Arbeitsklima denn noch schiefgehen? Und worüber bitte sollte man bei so einer geschmeidigen Ausgangssituation noch eine Satire auf allzu joviale Betriebswirtschaft aus dem Hut zaubern? Gibt es das denn? Lässt sich ein Betrieb aufgrund menschelnder Parameter an den Rand des Abgrunds führen? Natürlich gibt es das. Wenn die Chefetage keinerlei Distanz mehr wahrt und trotz einer gewissen Betriebshierarchie so tut, als wäre sie auf Augenhöhe mit allen, die ihre Existenz diesem Betrieb verdanken, schrillen die Alarmglocken. Doch anfangs scheint es, als wäre Julio Blanco ganz und gar aufrichtig damit, wenn es heißt, sich den privaten Problemen seines Teams zu widmen. Überdies steht eine neue Auszeichnung fürs Unternehmen ins Haus, und dafür wird sich in den nächsten Tagen eine ausgewählte Jury selbst ein Bild machen wollen. Also: Unter 100% Engagement ist bis auf weiteres ein Ding der Unbill, und da wir längst wissen, dass, wenn es uns gut geht, es der Wirtschaft ebenfalls gut geht, muss Julio Blanco die eine oder andere private Misere selbst ausbügeln. Dass er dabei manchen näher tritt, als beiden Parteien lieb gewesen wäre, könnte sich nicht zwingend positiv auf die Zukunft der Fabrik auswirken.

Die gemächliche Groteske auf heuchlerische Führungseliten hielt letztes Jahr mit 20 Goya-Nominierungen den Rekord bei den spanischen Oscars. Gewonnen hat der Streifen dann fünf der begehrten Preise, unter anderem auch für Javier Bardem, der sein komödiantisches Potenzial nutzt, um den Geist zwischen sozialem Spürsinn und unternehmerischer Härte zerrissener Machtmenschen mit reichlich Understatement darzustellen. Der Film selbst weiß allerdings nicht so zu überzeugen. Da sind die satirischen Klingen in der französischen Industrie-Farce Der Querkopf mit Louis de Funès um einiges schärfer gewetzt als in Der perfekte Chef. Vielleicht liegt es daran, dass Regisseur Fernando León De Aranoa zu bedächtig durch seinen Film schlendert und mal hier, mal dort den Untergebenen mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich aus der Patsche hilft. Wenn Bardem als apotheotischer Überboss bald gar nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht und ihm seine eigene Jovialität bis hin zu erotischen Stelldicheins den Überblick nimmt, geschieht das immer noch mit Handbremse. So richtig de Nerven verliert Bardem nie, so richtig aus dem Ruder läuft letzten Endes auch nichts, und in keinem Moment steht das Überleben der Firma auf der Kippe. Aranoa hätte das ganze Konvolut aus schmeichelnden Intrigen und herrischer Ordnung mehr an den Rand des Abgrunds schieben können, um die angedeuteten moralischen Diskrepanzen viel kontrastreicher ausfallen zu lassen.

Da Der perfekte Chef eigentlich niemanden so recht opfern will und wenn dann doch auf dem Schlachtfeld des guten wirtschaftlichen Ansehens der Bauer an die Front geschickt wird, so schlägt selbst das keine allzu großen Wellen. Der Arbeitsalltag unter besonderen Umständen fällt zwar nicht unbedingt zu versöhnlich, aber garantiert zu phlegmatisch aus. Die Arbeit geht weiter, wie sie es immer tut. Denn die Katze beißt sich schließlich in den Schwanz, wenn nicht.

Der perfekte Chef

The Last Shift

DER FLOH IM OHR

6,5/10


thelastshift© 2020 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: ANDREW COHN

CAST: RICHARD JENKINS, SHANE PAUL MCGHIE, ED O’NEILL, DA’VINE JOY RANDOLPH, ALLISON TOLMAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


In Nightmare Alley von Guillermo del Toro wurde Richard Jenkins eben erst übers Ohr gehauen. Und zwar so richtig. Mit Gefühlen spielt man nämlich nicht, das ist unterste Schublade. Man setzt aber auch niemanden einen Floh ins Ohr, vor allem dann nicht, wenn dieser wieder zurückspringt und Konsequenzen Tür und Tor öffnet, die so nicht beabsichtigt waren. So eine Eigendynamik lässt sich in dem auf Netflix veröffentlichten (aber nicht produzierten) Independentstreifen The Last Shift beobachten. Und ja, mit Richard Jenkins, diesmal alles andere als der reiche Krösus wie in eingangs erwähntem Film, sondern als einer, der nach 38 Jahren des beruflichen Alltags in einer mehr oder weniger heruntergekommenen Fastfood-Filiale die Schirmkappe an den Nagel hängen will. Ab nach Florida, mit der pflegebedürftigen Mama. Zuvor jedoch muss Stanley, so Jenkins‘ naiv-redselige Figur, seinen Nachfolger einschulen. Der wiederum ist ein junger Afroamerikaner, vorbestraft wegen Denkmalschändung und aus dem Gefängnis entlassen. Jevon ist Familienvater und Freigeist, werden will er allerdings Schriftsteller. Er sieht, wie Stanley schuftet. Für nichts und wieder nichts. Weiß dabei einiges zu Arbeitsrecht und Ausbeutung zu sagen. Der alte Burger-Profi erkennt sich langsam als missbrauchtes Rädchen einer Geldmaschine, die den Arbeitswillen nicht schätzt. Ein Floh im Ohr, wie schon gesagt.

Und Jenkins schluckt als astreiner Loser und knapp am Sozialfall vorbeischrammender Fachidiot die bittere Pille. Manch einer wird dann zum Amokläufer wie Michael Douglas in Falling Down. Andere versuchen, sich auf andere Weise schadlos zu halten. In beiden Fällen merken die Gelegenheitsrebellen wohl kaum, dass sie andere unfreiwillig mitziehen – auch wenn der Drang nach sozialer Gerechtigkeit absolut nachvollziehbar scheint. Emmy-Preisträger Andrew Cohn hat die Ironie eines alltäglichen Schicksals zwischen Frittierfett, stinkenden Toiletten und gut gemeinten Ratschlägen wohlmeinender Mitbürger platziert – dabei liegt dem Autor kein aufbrausender Rundumschlag im Sinn wie ihn vielleicht Ken Loach austeilen würde, denn der äugt mit seinen Fallstudien stets den dunklen Abgrund hinab. The Last Shift erspäht diesen zwar, lässt seine vom Schicksal unbeschenkten Gestalten zu ihrem fragwürdigen Glück doch erstmal lieber feststecken. Es geht weder vor, noch zurück, es geht aber auch nicht weiter abwärts. Cohn schöpft Vertrauen in seine verirrten Idealisten. Belehrt sie lieber, und weist sie an, ihr Weltbild auf die jeweils mögliche Weise geradezurücken. Klar ist der Prozess ein düsterer, unbequemer. Bei Andrew Cohn aber auch einer, der mit leisem, subversivem Humor die ungesunden Schräglagen gelebten Sozialrechts ausmisst und mitunter auch die Ursachen bei jenen sucht, die übervorteilt wurden.

The Last Shift