Caught Stealing (2025)

DER VERDAMMTE SCHLÜSSEL ZUR GLÜCKSELIGKEIT

6,5/10


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LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DARREN ARONOFSKY

DREHBUCH: CHARLIE HUSTON, NACH SEINEM ROMAN

KAMERA: MATTHEW LIBATIQUE

CAST: AUSTIN BUTLER, REGINA KING, ZOË KRAVITZ, MATT SMITH, GRIFFIN DUNNE, LIEV SCHREIBER, VINCENT D’ONOFRIO, D’PHARAOH WOON-A-TAI, BAD BUNNY, YURI KOLOKOLNIKOV, WILL BRILL U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Wenn jemand unverhofft in die Bredouille gerät, ohne auch nur ein bisschen etwas dafür zu können und auslöffeln muss, was ein anderer eingebrockt hat – sind die narrativen Parameter mal so gesetzt, dann handelt es sich dabei meist um eine Thrillerkomödie entweder aus der Feder der Gebrüder Coen oder aber um ein grunges Dialektwerk aus den Anfängen von Guy Ritchie. Wer hätte gedacht, dass einer wie Darren Aronofsky mal die Nase voll hat von bedeutungsschweren Schicksalsschlägen. In seinen Anfängen ließ er für uns Laien die Zahl Pi erklären, um dann später mit Requiem for a Dream den Schlag in die Magengrube zu setzen. Düsterer, nihilistischer und desaströser lässt sich Drama gar nicht auf die Beine stellen. Und auch wenn zuletzt der überschwere Brendan Fraser als The Whale an seinem Leid förmlich erstickt  – der Schritt ins Licht, wenn auch in eines nach dem Regen, mag mit Caught Stealing getan sein. Denn so zentnerschwer und existenzhinterfragend ist diese Kriminalpistole nun bei weitem nicht mehr.

Zeigen, was er sonst noch kann

Ein wirklich guter Filmemacher fischt nicht nur in seinem ureigenen Genre, in seiner gestalterischen Komfortzone, wenn man so will, sondern beweist vielleicht mitunter in seiner Laufbahn, dass auch ganz andere Geschichten nicht weniger gehaltvoll erzählt werden können. Manch ein bildender Künstler musste schon mal beweisen, dass er auch Realismus kann. Fürs Kino ließ sich David Lynch dazu hinreissen, mit The Straight Story eine wahre Geschichte zu erzählen, die von Alpträumen gar nichts weiß und so straight angelegt ist, dass man gar nicht glauben kann, sie sein vom Meister des Surrealen höchstselbst. Aronofsky nimmt sich diesmal die literarische Vorlage eines Charlie Huston zur Brust, genauer gesagt einen seiner Romane, in denen die existenzbedrohte Figur Hank Thompson die Hauptrolle spielt. Dieser Hank wird vom neuen Stern am Firmament des Kinos verkörpert, und nein, es ist nicht Pedro Pascal oder Timothée Chalamet, sondern Austin „Elvis“ Butler, sehr selbstgenügend, selbstironisch und beseelt von einer sich durch missliche Lebenslangen aalglatt windenden Sympathie, was dazu führt, dass man einem wie Thompson alles verzeiht, sogar Mord und Totschlag. Doch Hand anlegen am Leben anderer will der Knabe nicht. Viel lieber an den Flaschenhälsen hochprozentiger Flüssigware, die er sich hinter die Binde gießt und im Folgezustand so gut wie alles vermasselt, was man auch nur vermasseln kann. Freundin Zoë Kravitz sieht es ihm nach, denn manchmal ist er ja auch nüchtern. In diesem Aggregatszustand trifft er vor seiner Wohnung auf den windschiefen Nachbarn Russ (herrlich durchgeknallt: Matt Smith), seines Zeichens Punkrocker und die Hilfe von Thompson erbetend, was seine Katze betrifft, da er selbst für einige Tage weg muss.

Mit dieser Gefälligkeit gerät der Ball ins Rollen, und er rollt leider dorthin, wo Nasen wie die von Butler nichts zu suchen haben. Bald schon stehen die Russen vor seiner Tür, und nicht nur die – auch gewaltbereite Juden sind an einer Sache interessiert, von der Thompson nichts weiß und die womöglich ein Schlüssel zu etwas viel größerem sein muss, zu einem Geldbetrag, der alle glücklich machen soll.

Ganz viel Mazeltov

Aronofsky, wohl selbst nie im Genre der Komödie unterwegs und auch nie so wirklich im Thriller, wenn man Black Swan mal ausnimmt, hat die Rezeptur für so einen Film wie diesen allerdings durchaus verstanden, wenngleich der Mehrwert in der Metabene diesmal wohl nicht zu finden ist. Caught Stealing – der Titel ist Programm – ist, was er ist: grobkörnig gefilmtes Ensemblekino mit Hang zur Gosse, blutig im Detail und auch nicht davor zurückschreckend, wirklich schmerzhafte Kerben zu schlagen, was Schicksal und Glückseligkeit angeht. Butler, souverän als der Gejagte und Gehetzte, muss improvisieren, und gerade diese Momente sind die besten des Films. Über die Grundstruktur kann man sagen, was man will, neu erfunden ist das alles nicht, wenngleich dem geschmeidigen Jungstar zwei Altstars in orthodoxem Outfit beinahe die Show stehlen: Liev Schreiber und Vincent D’Onofrio als skurrile Killermaschinen mit Herz und Prinzipien sind das Sahnehäubchen in einem Wettlauf um den großen Gewinn. Währenddessen mag sich die Logik zugunsten einer umständlichen Handlungsweise durchaus verabschieden, stolpern so manche Twists manchmal etwas übereinander, ohne charmant den anderen vorzulassen. Was bleibt, ist eine zwar nicht sehr nennenswerte, aber inszenatorisch astreine Unterhaltung, die einer gewissen sozialen Schwere nicht ausweicht, dabei aber in eine fast schon naive Wohlgesonnenheit kippt, die man Aronofsky gar nicht zugetraut hätte.

Caught Stealing (2025)

Cassandro (2023)

BUNTER VOGEL OHNE STIMME

3,5/10


Cassandro© 2023 Amazon prime


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROGER ROSS WILLIAMS

DREHBUCH: DAVID TEAGUE, ROGER ROSS WILLIAMS, JULIÁN HERBERT

CAST: GAEL GARCÍA BERNAL, ROBERTA COLINDREZ, PERLA DE LA ROSA, JOAQUÍN COSÍO, RAÚL CASTILLO, ANDREA PAZMINO, BAD BUNNY U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Ich muss zugeben, es hat mal auch für mich eine Zeit gegeben, da war die üppige Überdramatik akrobatischer Ringkämpfe ein Guilty Pleasure am Feierabend, der Eurosport-Kanal zumindest für ein paar Monate nicht nur eine unbeachtete Fußnote im Rahmen der Kabelkanäle. Da waren Kapazunder wie Adam Bomb, The Undertaker oder Yokozuna gern gesehene Rüpel oder heldenhafte Muskelprotze, die, schweißglänzend und die tobende Menge für sich einnehmend, andere Nullnummern oder manchmal gar ernstzunehmende Widersacher im Showdown aufs Kreuz legten. Auch Dwayne „The Rock“ Johnson war so jemand, oder Dave Bautista – beide nun im Filmgeschäft. In Lateinamerika, insbesondere in Mexiko, kennt man Saúl Armendáriz, genannt Cassandro. Der hat’s ebenfalls zum Film geschafft, allerdings auf andere Weise. Statt selbst in irgendein Genre der laufenden Bilder zu wechseln und dann dort groß aufzuspielen, wird er zur biographischen Gestalt, mit dem Gesicht von Gael García Bernal, der sich in hautenge Trikots zwängt und in permanenter Jubelstimmung nicht nur das queere Filmpublikum für sich einnimmt. Dieser Cassandro, der steht für Liberalismus, Akzeptanz und sexueller Freiheit. Für die zurecht ungenierte Zurschaustellung homosexueller Orientierung und dem Hinterfragen geschlechtlicher Rollenbilder, die vor allem im Showsport des Wrestlings gerne vor die Kameras gehalten werden, ohne den Status quo zu hinterfragen. Als Botschafter der willkommenen Andersartigkeit scheint der schräge Vogel zwar schmächtig, aber gewitzt. Und wie es beim Wrestling nun mal als Parameter gilt: je beliebter man als Fäuste schwingender Ringkämpfer wird, umso mehr und umso öfter müssen die Kontrahenten zurückstecken. Das ist abgemachte Sache, da passiert nichts zufällig. Auch wenn wir alle gerne so hätten, es wäre so.

Cassandro mausert sich in ungestümer Beharrlichkeit und allen zumindest anfangs laut werdenden Unkenrufen zum Trotz zum beliebten Außenseiter, der, obwohl er die Branche konterkariert, als Klasse für sich phobisches Gesellschaftsdenken aufbricht. Dieses Herzensprojekt des kernigen Texaners ist zweifelsohne lobenswert. Roger Ross Williams, der 2010 für seinen Dokumentar-Kurzfilm Music by Prudence gar einen Oscar gewann, taucht seine biographische Tragikomödie in schillernde Farben und setzt sie deutlich oft dem Rampenlicht aus. Die kreischenden Outfits sitzen perfekt, García Bernal strahlt über das ganze Gesicht. Dass Cassandros Werdegang auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden war; dass das Emporkommen, der Widerstand aus dem Volk und gar der Tod der geliebten Mutter den Mann mit ziemlicher Sicherheit in ein Wechselbad der Gefühle gestoßen haben muss, lässt Williams niemals so recht spürbar werden. Es ist, als würde sein Avantgardist in permanent glückseligem Enthusiasmus sein Leben bestreiten, ganz ohne bewusstseinsverändernde Substanzen, was man kaum für möglich halten würde, wenn man es nicht besser wüsste. Es scheint, als lebe der von Bernal dargestellte Träumer und Idealist in einer Gemütsblase aus Verdrängung und bühnenhafter Oberfläche, auf der man gerade noch vor lauter Verzückung die Arme gen Publikum strecken kann, um jeden einzelnen in dieser zum Bersten vollen Sporthalle zu umarmen.

Diese beharrliche Erfolgslust flacht die biographische Figur allerdings deutlich ab. In die wahre Seele des Mannes durchzudringen, scheint hier unmöglich – da muss, da kann doch deutlich mehr gewesen sein als sich nur der Phrase Wenn du es willst, kannst du alles schaffen hingegeben zu haben. Als schier unglaubliches und gleichermaßen unglaubwürdiges Märchen stutzt sich Cassandro zu einem Testimonial zusammen, das wie ein Cartoon durch dessen eigene Lebenslagen stolziert, ohne innezuhalten und mehr von sich preiszugeben als nur den gelebten Traum. Diese Attitüde nutzt sich bald ab, das Drama wird belanglos, obwohl es das nicht sein sollte, denn die vermittelten Werte sind gut genug, um seine Zuseher emotional abzuholen. Aus all dem Potenzial nutzt Williams nicht viel mehr als die Rolle eines „Hans im Glück“, der aufgrund einer naiven Einstellung Liebkind eines Schicksals wird, das als fade erzähltes Gesellschafts- und Familienportrait kaum berührt.

Während Fighting with My Family, wohl einer der besten Wrestling-Filme, in welchem sogar Dwayne Johnson als er selbst der jungen Florence Pugh so einige Tipps gibt, wie man im Ring überlebt, die Balance zwischen Erfolgsgewieftheit und innerfamiliären Befindlichkeiten findet, und Aronofskys The Wrestler den destruktiven Abgesang zelebriert, findet Cassandro, anders als sein echtes Vorbild, nirgendwo seinen Platz.

Cassandro (2023)

Bullet Train

DAS KARMA BRICHT SICH BAHN

7/10


bullettrain© 2022 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DAVID LEITCH

CAST: BRAD PITT, JOEY KING, BRIAN TYREE HENRY, AARON TAYLOR-JOHNSON, ANDREW KOJI, HIROYUKI SANADA, SANDRA BULLOCK, MICHAEL SHANNON, LOGAN LERMAN, BAD BUNNY, ZAZIE BEETZ, CHANNING TATUM U. A. 

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Bevor sie ans kriminelle Handwerk gehen, unterhalten sich Zwei über Obst, und das im Shinkansen, dem schnellsten Zug Japans, auf dem Weg von Tokyo nach Kyoto. Klingt ein bisschen nach einer Forstsetzung von Pulp Fiction. Diesmal plaudern Travolta und Samuel L. Jackson nicht über Franchise-Burger, sondern über deren Decknamen Lemon und Tangerine. Doch falsch gedacht, die beiden sind es nicht. Es sind Aaron Taylor-Johnson (Wanda Maximoffs Bruder Quicksilver) und Bryan Tyree Henry (u. a. Eternals), zwei Brüder nicht nur im Geiste, denn die beiden verbindet Mord und Totschlag. Es sind Killer, die den Sohn eines gefürchteten Gangsterbosses namens Der weiße Tod von A nach B bringen sollen, gemeinsam mit einem Koffer voller Geld. Diesen Koffer wollen andere aber auch haben. Wie zum Beispiel Pechvogel Ladybug, dargestellt von Brad Pitt, der endlich wieder mal den verpeilten Sonderling geben darf, den er einfach so gut kann. Oder die arglos scheinende junge Dame namens Ms. Prinz (Joey King, The Princess), die andere dazu nötigt, ihren perfiden Plan auszuführen, der den gemeinsamen Nenner geben soll für all die hinterlistigen Schachzüge, die da in einer Nacht im Bullet Train in die Tat umgesetzt werden wollen. Dass sich dabei alle gegenseitig im Weg stehen, ist wohl klar. Und gerade dieses Durcheinander an verpassten Gelegenheiten, falschen Interpretationen und Missverständnissen, für welches der japanische Autor Kotaro Isaka in seinem gleichnamigen Roman gesorgt hat, funktioniert auf der großen Leinwand wie ein knallbuntes Bilderbuch aus Gewalt, Missgunst und Ehrgeiz.

Dabei gehen die Wogen immer wieder mal hoch und es kommt zu kabinentauglichen Exzessen, die sich ob der Weitläufigkeit dieses Hochgeschwindigkeitszuges in den sterilen, menschenleeren Teppichbodenabteilen fast schon im Verborgenen abspielen, wie kleine Kammerspiele, die in ineinandergreifenden Episoden die Schnitzeljagd zwar nicht so rasant wie der Zug selbst, aber dennoch in vergnüglicher Kurzweil vorwärtsbringen.

Stuntman David Leitch, der Charlize Theron in Atomic Blonde mit erdig-physischer Action konfrontiert und Ryan Reynolds als Deadpool 2 in selbstironische Höhen getrieben hat, scheint viel von seinen Kollegen gelernt – und sattelfest übernommen zu haben. Guy Ritchie zum Beispiel. Streckenweise hat man das Gefühl, hier einer Gaunerei des genannten Briten beizuwohnen, vor allem dank der Unzahl an Pro- und Antagonisten, die sich hier die Klinke reichen. Und dann wieder zitiert das Szenario den hochdramatischen Stil ostasiatischer Rachedramen im Dunstkreis der Unterwelt, angefangen von Takeshi Kitano bis hin zu Park Chan-Wook. Alle Welt fährt also mit diesem Zug, und so vielseitig die japanische Hauptinsel auch sein mag, so vielseitig sind David Leitchs Bekundungen an große Vorbilder und die Art und Weise stilistischer Handwerksproben, die brav an den Stationen warten, um einsteigen zu dürfen. Nebst der Fülle an Tötungsszenarien und biographischer Erklärungsfetzen stehen namhafte Stars Schlange, um in knackigen Cameos für Wiedersehensfreude zu sorgen. Mittendrin eben Brad Pitt mit Käppi und einer im Selbstmitleid gerne versinken wollenden Larmoyanz bezüglich seiner Pechsträhne, die unter diesen Umständen so nah am Glück vorbeischrammt wie nur möglich. Mut zur Antipathie zeigt der Star aber keine – er bleibt der Schöne Hollywoods, dem man nichts übelnehmen kann und will.

Bullet Train stellt die richtigen Weichen, um das Grundmuster von Filmen, die im Zug spielen, nicht zu kopieren oder gar auf bequeme Weise nachzuahmen. Langweilig wird’s nie, vorhersehbar auch nicht, wenngleich das Karma der guten Bösen und bösen Bösen festgelegt scheint. Hier nochmal konterzukarieren und die im Stillen gehegten Prophezeiungen des Publikums zu unterwandern, hätte aus Leitchs Railrun vielleicht gar ein kleines Meisterwerk des Actionkinos gemacht. Das Schicksal wäre zum eigenen Protagonisten geworden. So aber gehorcht sie einer manchmal zahmen Gefälligkeit, die eigentlich, so würde ich behaupten, niemand erwarten hätte wollen.

Darüber hinweg sieht man gerne. Denn im Minutentakt wechselnden Parameter sind der Grund dafür, warum Bullet Train richtig Spaß macht. Und irgendwann, kurz vor Kyoto, wachsen einem so manche Pechvögel und Glücksengelchen richtig ans Herz. Doch schnell kann’s gehen, und das Karma gibt sich seinen Launen hin.

Bullet Train