Paint (2023)

DIE BERGE DES PROPHETEN

5/10


paint© 2023 AMC+


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: BRIT MCADAMS

CAST: OWEN WILSON, MICHAELA WATKINS, WENDI MCLENDON-COVEY, CIARA RENÉE, STEPHEN ROOT, LUSIA STRUS U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Bob Ross, der legendäre Fernsehmaler, wurde zum Superstar des entschleunigten Entspannungs-TV, zum Vorreiter des Hobby-Manierismus und Verfechter simpler Maltechniken, anhand derer so manche Landschaften in fröhlich-pittoresker Kitschigkeit die Leinwände eroberten. Mit Lockenkopf und graurot meliertem Bart plauderte er während des Malens stets vor sich hin, in einschläfernder Monotonie, sehr leise und pinselnd, als wären Freunde zu Besuch und längst kein Millionenpublikum vor den Schirmen, die mit The Joy of Painting das Fernsehschlafen zelebrieren konnten, wenn die Space Night gerade mal nicht zur Verfügung stand. Owen Wilson hat sich ebenfalls Mähne und Bart zugelegt. Doch er ist nicht Bob Ross, sondern Carl Nargle, eine Alternativversion des bekannten Popkultur-Quotenkaisers, der einem Fernsehsender in Vermont die besten Zuschauerzahlen beschert, mit Pfeife im Mundwinkel und streichelweich gespülter Stimme. Niemand kann sich diesem Sog an einlullender Harmlosigkeit entziehen. Und niemand würde dabei jemals beanstanden, dass Carl Nargle immer den gleichen Berg malt, einmal bei Sonnenauf-, dann wieder bei Sonnenuntergang. Schneebedeckt, im Nebel oder bei Regen. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und dennoch ist der Mann ein Hit, und das fast schon drei Jahrzehnte lang.

Dass Zeiten sich ändern und frischer Wind den TV-Sender aus seinem Erfolgstief holen soll, ist der Lauf der Dinge. Es können sich zwar Diktatoren ganze Menschenleben lang an die Macht binden – bei Medienstars sieht das anders aus. Also muss sich Nargle bald mit einer weitaus pfiffigeren und künstlerisch deutlich begabteren Konkurrentin herumschlagen, die nicht nur Berge, sondern auch anderes Zeug malt. Die Vorzüge, die Nargle bislang genießen durfte, werden weniger, die Sendungen auf ein Minimum reduziert und dann ganz gestrichen. Der Yoga-Maler muss sich behaupten, um wieder im Rennen zu sein. Kein leichtes Unterfangen, da dieser streng nach den binsenweisen Lehrsprüchen „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ und „Alte Besen kehren gut“ alle möglichen Züge abfahren ließ, die ihn an den Zeitgeist angepasst hätten. So bleibt Nargle ein lebendes Fossil in einer Welt der Kurzlebigkeit und der schnellen Trends. Die Kontinuität seiner stets kontanten Masche wird ihm zum Verhängnis. Wie ein prähistorischer Exot, der dem Wandel seines ihn umgebenden Ökosystems nur kommentieren kann, ohne proaktiv Zeichen zu setzen.

Tatsächlich fand sich das Skript, verfasst und folglich auch inszeniert von Brit McAdams, der manches, was er selbst erlebt hatte, in seine Arbeit einbrachte, seit längerer Zeit schon auf der sogenannten Hollywood Black List, die die besten, noch nicht verfilmten Drehbücher enthält. Letztlich verwundert es dann doch, dass einem Film wie Paint die Bravour gelang, dort überhaupt aufzuscheinen, denn so richtig die Post geht hier nicht ab. Owen Wilson als Bob Ross-Imitat, das sich auf seinen Lorbeeren so lange ausruht, bis ihm jemand diesen Ruhmeskranz unter dem Hintern wegschnappt, ist in seiner gemächlichen Liebenswürdigkeit wie Klaustrophobie vertreibende Fahrstuhlmusik im Smooth-Jazz der Siebziger. McAdams entwirft für seine Schnurre das aus der Zeit gefallene Setting eines kleinen Fernsehsenders in einer aus der Zeit gefallenen Kleinstadt als angestaubte Hinterhof- und Joint-Analogie. Viel tut sich nicht in dieser schlendernden Komödie, die in ihrer Motorik aber vor allem ein höchst eigenwilliges Flair erzeugt, so wie Bob Ross‘ Fernsehshow. Paint ist nostalgisch und dann wieder nicht, zwischendurch treibt einen Owen Wilsons wortreiche Lethargie in eine Unruhe, die aber nur darüber Aufschluss gibt, wie wenig das Charakterdrama seine Ansprüche erfüllen kann. Gleichzeitig aber kann man davon nicht lassen, denn wie Ross selbst in immer gleicher Technik die immer gleichen, generischen Landschaften aus dem Ärmel schüttelte, so probt Paint genau das gleiche. Nichts davon ist wirklich gut, nichts von Wilsons Filmcharakter lässt sich greifen, und dennoch staunt man über dieses obskure Gesamtbildnis, das so manche Gedanken über verlorenen Zeitgeist, Fankult und Stagnation wie gedeckte Farbakzente über das zugrundeliegende Indie-Filmchen kleckert.

Paint (2023)

3 Engel für Charlie (2019)

SCHICKE MÄDELS AM TRAMPOLIN

5,5/10

 

engelcharlie© 2019 Sony Pictures

 

LAND: USA 2019

REGIE: ELIZABETH BANKS

CAST: KRISTEN STEWART, NAOMI SCOTT, ELLA BALANSKI, ELIZABETH BANKS, PATRICK STEWART, DJIMON HOUNSOU, SAM CLAFLIN U. A.

 

Wenn das A-Team gerade Urlaub macht, James Bond in Pension geht oder die Expendables gerade ihre Wunden lecken, dann gibt es noch ein ganz anderes, nicht minder erfahrenes Team, das schon seit den 70ern all den Schurken auf dieser Welt zeigt, wo der Barthel den Most holt. Dieses Team besteht prinzipiell aus drei jungen Damen, die Martial Arts genauso beherrschen wie den Umgang mit der Automatischen und sich verkleiden können als wäre das ganze Jahr über Fasching. Unter anderem waren da auf dem guten alten Röhrenbildschirm Kate Jackson und Farah Fawcett zu sehen, wobei Anfang der 80iger dann auch schon wieder Schluss war. Es folgten zwei Kinofilme, die, sagen wir mal so, nicht wirklich hinter dem Ofen hervorlocken konnten, weder Liebhaber des Actionkinos noch jene des Agentenkrimis. Drew Barrymore und Cameron Diaz (ja, was wurde eigentlich aus Cameron Diaz?) haben aus den Figuren herausgeholt, was herauszuholen war. Mehr steckt da allerdings leider nicht drin, eben ungefähr so viel wie bei den Haudegen aus dem A-Team. Das alles sind Figuren, die fürs Fernsehen konzipiert wurden, und Serien von damals hatten noch keinen durchgängig roten Faden, um einen Charakter einer dementsprechenden Entwicklung zu unterwerfen. Jede Folge war ein abgeschlossenes Abenteuer. Ab und an hatte ein Erzbösewicht wiederholte Auftritte (ich sage nur Goliath bei Knight Rider und Murdoch bei McGyver). Die 3 Engel für Charlie hatten so jemanden sicher auch. Also: keine Zeit, in die Tiefe zu gehen.

So ist auch Elizabeth Banks Damen-Actioner das, was wir zu sehen bekommen, und mehr aber auch nicht. Muss es das sein, das bisschen mehr? So wie bei Daniel Craigs James Bond, der sich, trotz jahrelanger Filmpausen, deutlich um- und weiterentwickelt hat? Nein, natürlich nicht. Man braucht nicht immer pschologische Metaebenen, die gab’s beim neuen Harley Quinn-Spin-Of Birds of Prey auch nicht wirklich, obwohl das Teamwork durchwegs gepasst hat. Zwischen Ella Balinska, Aladdin-Prinzessin Naomi Scott und einer sehr ausgeschlafenen Kristen Stewart stimmt die Chemie ebenfalls. Alle drei können sich gut riechen, womöglich auch außerhalb des Sets. Stewart, die hat ihre Bella Swann-Phlegmatik glücklicherweise zur Gänze abgelegt. Das sieht man auch an der schicken Kurzhaarfrisur, die ihr wirklich ausnehmend gut steht und die irgendwie den ganzen Film hindurch Stylistenherzen immer wieder höherschlagen lässt. Outfits sind hier überhaupt sehr wichtig, der Hosenanzug sitzt, die legere Lederjacke ebenso.

3 Engel für Charlie lockt sogar mit noch einem ganz anderen Altstar aus der Fernsehwelt: Patrick Stewart. Der Star Trek-Charakterkopf adelt die Fast-Food-Agentenkomödie mit bedächtigen Schritten und dezenten Gesten. Alles zusammen wirkt durchaus vergnüglich und aufrichtig harmlos. Elizabeth Banks hat zwar ihre A-Kapella-Combo Pitch Perfect hinter sich gelassen, am liebsten hätte sie´s aber gehabt, wenn ihre durchtrainierten, toughen Girlies vielleicht auch hier nochmal mit dem Becher klopfen. Ungefähr so fühlt sich 3 Engel für Charlie an – wie ein gut gelaunter Stageburner, wie eine abendfüllende Spezialfolge aus einer der Fernsehstaffeln mit einem Inhalt, der schnell vergessen ist, weil er nicht bemüht sein will, Erwartungshaltungen ernsthaft zu unterwandern. Ein bisschen Täuschung gibt’s dennoch, aber von der Sorte, mit der man gerechnet hat, denn zu offensichtlich sind die Ankerpunkte für den Plot gesetzt. Malen nach Zahlen im familienfreundlichen Actionkino also, mit schönen Gesichtern, ganz viel Glamour und – Danke, Kristen! – aparten Frisuren.

3 Engel für Charlie (2019)

El Camino – A Breaking Bad Movie

BLICK ZURÜCK NACH VORNE

6/10

 

elcamino© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: VINCE GILLIGAN

CAST: AARON PAUL, JESSE PLEMONS, ROBERT FORSTER, SCOTT MCARTHUR, CHARLES BAKER, SCOTT SHEPHERD, BRYAN CRANSTON, JONATHAN BANKS U. A.

 

Der Spoilometer gibt Entwarnung: denn dass Aaron Paul alias Jesse Pinkman einer der wohl besten Fernsehserien der Welt überlebt hat, ist seit dem Trailer zu El Camino – A Breaking Bad Movie kein Geheimnis mehr. Und wer die Serie damals als Mutter aller Binge-Watch-Formate inhaliert hat wie eine frische Tüte Kartoffelchips, der wird wohl die letzten Minuten der letzten Staffel wohl auch nie wieder vergessen: Heisenberg am Boden und Pinkman auf der Flucht, bewerkstelligt in einem schwarzrot-gestreiften El Camino, noch dazu fertig mit der Welt und dem Leben, gepeinigt, verängstigt, verwahrlost. Dieser El Camino ist es auch, der mühelos die Brücke schlägt zwischen dem Finale aus 2013 zu dem nun auf Netflix erschienenen Epilog einer Kette unrühmlicher, bizarrer und tragischer Ereignisse, die mit der Krebsdiagnose des Chemielehrers Walter White überhaupt erst begonnen haben. Mit gewissem Know-How lässt sich viel anrichten, zum Guten wie zum Bösen, und das haben der kongeniale Bryan Cranston und sein Schüler Aaron Paul in einer 5staffeligen Langzeitstudie eindringlich bewiesen. Wer da nicht Couchmaniküre betrieben hat, dürfte etwas ganz anderes gesehen haben, nur nicht Breaking Bad. Und es ist schön, nach so vielen Jahren sozusagen wieder heimzukommen nach Albuquerque, an den Ort weniger schöner, aber unter- und oberweltbewegender Extreme.

Mastermind Vince Gilligan hat letzten Endes also doch darauf verzichtet, das Schicksal des Jesse Pinkman der Fantasie seiner Fans zu überlassen. Das teilweise offene Ende hatte seinen unorthodoxen Reiz, so wie der ganze Stil der Serie, aber dennoch: wie der nicht erklingende letzte Ton einer uns bekannten Melodie dürfte die vage Zukunft wie Schrödingers Katze Gilligan so sehr gequält haben, das der letzte Vorhang um alles in der Welt noch fallen musste. Wir wissen also: Pinkman ist seinen Peinigern entkommen, diese wiederum haben unter dem Kugelhagel von Walter Whites tödlichem MG-Selbstauslöser das Zeitliche gesegnet. Einer von Ihnen, ein ganz perfider Bösling mit Hang zum beiläufigen Alltagsgrauen (Jesse Plemons in erschreckend unguter Psychopathen-Jovialität) dürfte dabei vorher schon sein unrechtmäßig Erspartes irgendwo in die Möblage seiner vier Wände integriert haben – welches Pinkman aber zwecks Neuanfang dringend nötig hat. Blöd nur, dass von dieser Kohle auch andere Leute wissen, und so entwickelt sich das spannende BB-Nachspiel zu einer Art The Good, the Bad and the Ugly, alle auf der Suche nach dem Schatz des Toten, während die Kavallerie Pinkman ganz oben auf die Liste gesetzt hat. Gilligans Reminiszenz an die Heist-Western gipfelt sogar in einer skurrilen Duellszene, die wie ein Plug-In formschön ins Breaking Bad-Universum passt. Notwendig wäre El Camino aber nicht gewesen, geschweige denn ungeduldig herbeigesehnt. Die Umstände einer Flucht nach vorne kann man in Erfahrung bringen, muss man aber nicht. Der Plot war damals schon auserzählt – die einen überleben, die anderen sterben. Pinkman wäre seinen Weg schon gegangen, unterkriegen ließ sich der Bursche ohnehin nie. Das Wiedersehen macht aber dennoch Spaß, und vor allem nerdige Flashbacks halten mit Cameos einiger kultiger Charaktere aus der Serie nicht hinterm Berg. Vor allem in diesen Szenen lässt sich erkennen, wie Aaron Paul seinen Charakter eigentlich angelegt und im Laufe der Geschichte verändert hat: vom blauäugigen, jugendlichen Kleinkriminellen zum traumatisierten Leidensgenossen, dem nichts mehr bleibt außer die Zähigkeit, sich neu zu erfinden.

Der steckbrieflichen Sogwirkung seiner Schöpfung bleibt Gilligan treu, auch in El Camino kann man schwer wegsehen oder sich währenddessen mit anderem beschäftigen. Dabei liegt die Qualität des Thrillers in seinen Konstellationen des Zufalls. Breaking Bad ist somit nach dem Abspann von El Camino endgültig Fernseh- und ein bisschen auch Filmgeschichte. Zeit also, dass sich Gilligan etwas Neues ausdenkt. Und das sollte man, erfahrungsgemäß, eigentlich nicht verpassen.

El Camino – A Breaking Bad Movie