Mond (2024)

AUDIENZ IM GOLDENEN KÄFIG

7,5/10


Mond© 2024 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: KURDWIN AYUB

CAST: FLORENTINA HOLZINGER, ANDRIA TAYEH, CELINA SARHAN, NAGHAM ABU BAKER, OMAR ALMAJALI U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


In Kurdwin Ayubs Vorgängerfilm Sonne ging es noch darum, wie sehr es schicklich ist, als junge Muslimin auf Social Media jugendlicher Lebensfreude Ausdruck zu verleihen – ganz ohne Hijab und anderweitiger kulturell bedingter Verhüllungen. Ein leichtfüßiger, offener Versuch, auf experimentellem Wege ein Problem anzusprechen – dem es aber allerdings an Biss fehlt. Nach dem strahlenden Zentralgestirn rückt aber nun der Erdtrabant in den Vordergrund – er ist titelgebend für den Mittelteil einer geplanten Trilogie, und dieser lässt Performancekünstlerin Florentina Holzinger in ihrer ersten Filmrolle zu Luna werden, zu einer um einen zentralen Missstand kreisenden Satelliten, der sich anfangs nicht imstande sieht, das Geschehen auf diesem fremden Planeten zu beeinflussen, nicht mal, was die Gezeiten betrifft. Dieses fremde und doch so vertraute Gestirn ist ein goldener Käfig für drei weibliche Geschwister im Teenageralter, die auf Anweisen ihres größeren Bruders hin zur körperlichen Ertüchtigung angehalten werden. Holzinger gibt in Ayubs Film eine erfahrene Martial Arts-Sportlerin, deren Bestzeiten allerdings vorbei zu sein scheinen. Nach einer Niederlage im Wettkampf verdingt sie sich als Trainerin, bis sie die Anfrage eines steinreichen Jordaniers erhält, der Protagonistin Sarah gerne für einen Monat nach Amman einlädt, um seinen Schwestern beizubringen, wie man kämpft, in Form bleibt und vor allem eins: Disziplin erlernt.

Es mag der Luxus und der Prunk noch so sehr schillern – Holzingers Charakter Sarah ist nicht jemand, der sich davon blenden lässt. Ihr geerdetes Welt- und Werteempfinden kollidiert schon bald mit dem obskuren Regelwerk eines elitären, patriarchalen Haushalts, in welchem die jungen Frauen nichts zu sagen haben. Ihre von den Männern verordnete Gefangenschaft lässt sich zwar aushalten, doch Freiheiten gibt es kaum welche – wenn, dann nur Langeweile und übersättigter Luxus in kalten Räumen. Sarah wird zur Beobachterin eines dysfunktionalen Familienlebens, das nur so tut, als wäre es liberal genug, um westliche Besucher nicht vor den Kopf zu stoßen. Eine der Mädchen zieht die selbstbewusste Trainerin ins Vertrauen – in der Hoffnung, dass diese etwas ändern könnte an einem Status Quo, der so scheint, als könnte niemand ihn ändern.

Kurdwin Ayub beherrscht ihr Handwerk so souverän, als wäre sie schon lange Zeit im Filmbiz unterwegs, dabei ist Mond erst ihr zweiter Langfilm. Ein Naturtalent, könnte man meinen, vor allem auch deshalb, weil Ayub ein komplexes Thema verfolgt, das mit nur einem Film längst nicht auserzählt ist, wofür es zahlreiche Blickwinkel braucht, die zur Sprache gebracht und in Bilder gepackt werden müssen. Sowohl Konzept als auch das Skript und die Regie sind von ihr, gefördert und auf positive Weise beeinflusst durch alte Hasen auf ihrem Gebiet wie zum Beispiel Ulrich Seidl. Das Schöne daran: Ayub kopiert den Lehrmeister nicht, sondern macht ihr eigenes Ding. Sie kopiert auch nicht Regiekollegin Veronika Franz, die bei ihren Filmen ausführende Funktionen übernimmt. Ayub ist eine Quer- und Alleindenkerin, eine originäre Künstlerin, die in Mond, noch viel mehr als in Sonne, ihren eigenen Rhythmus gefunden hat. Und der ist streng, straff und dicht. Obwohl Mond per se kein Thriller ist, fühlt er sich an wie einer. Das liegt an den effizient verfassten Passagen des Drehbuchs, und an der Fähigkeit, Wesentliches vom Überflüssigen zu unterscheiden. Was bleibt, ist in Mond das Wesentliche. Ayubs Szenen erlauben viel Beobachtung und ruhende Momente, in denen Konflikte wachsen, die sich allesamt relevant anfühlen. Nichts ist nur so daherinszeniert, dahergesagt oder lediglich ausprobiert. Das authentische, ungekünstelte Spiel Holzingers unterstreicht diese Direktheit, dieses Hindurchgreifen zwischen die Gitterstäbe eines goldenen Käfigs. Dahinter die unterdrückte Weiblichkeit durch eine längst obsolete, fatale Männerkultur. Zivilcourage wird dabei nicht zum plakativen Heldenmut, sondern zur ambivalenten Notwendigkeit, zum Pflichtgefühl aufgrund zu verteidigender Werte.

Mond ist ein hochspannendes, faszinierendes Stück Konfliktkino, trotz oder gerade wegen seiner passiv-aggressiven Zurückhaltung. Raum für Persönliches und Raum für dezenten Suspense formulieren diesen Film zu einem prägnanten, klaren Statement. Und das nur mit wenigen, aber präzise gesetzten Kniffen.

Mond (2024)

No Bears (2022)

WO DÖRFLER IHRE GRENZEN ZIEHEN

5/10


nobears© 2022 Celluloid Dreams


LAND / JAHR: IRAN 2022

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: JAFAR PANAHI

CAST: JAFAR PANAHI, NASER HASHEMI, VAHID MOBASSERI, BAKHTIYAR PANJEEI, MINA KAVANI, REZA HEYDARI U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Jafar Panahi ( u. a. Taxi Teheran) will eigentlich nur Filme machen. Doch es sind Filme über den Iran, über dessen Werte, dessen politische Willkür, dessen fundamentale Strenge. Das sehen der oberste Führer Ali Chamenei und seine getreuen Hardliner natürlich nicht so gern, wie in jedem Land, in welchem Demokratie abgeschafft und gegen menschenverachtende Repressalien getauscht wurde. Trotz dieses Machtapparats kann sich der Iran – im Gegensatz zu Nordkorea – auf eine lebendige Filmwelt verlassen, auf zahlreiche Künstler, die nicht nur, aber vorallem, das Medium Kino dafür nutzen, um für ihr Land aktiv zu werden. Dieses Kino ist stark und laut, bekommt eine Bühne auf allen nur erdenklichen Filmfestspielen, um Missstände aufzuzeigen, die so nicht mehr tragbar sind. Jafar Panahi war und ist einer von jenen, die Engpässen trotzen, um zu tun, was getan werden muss. Und hatte das Pech, in seinem Land unter „Hausarrest“ gestellt zu werden. Eine Haftstrafe, die 2022 begann, konnte aufgrund eines Hungerstreiks Panahis ausgesetzt werden – auf Kaution. Bevor dies aber geschehen konnte, lief sein Film No Bears vor zwei Jahren auf den Filmfestspielen von Venedig. Und ist endlich, nach langer Verspätung, in den österreichischen Kinos zu sehen.

Was es mit Bären in Panahis Film auf sich hat, ist schnell erklärt. Es ist die Beschwichtigung vor Gefahren, die gar nicht existieren, die aber, um andere kontrollieren zu können, gerne als Warnung kolportiert werden. Diese Gefahren sind unter anderem pelzige Räuber, die sich durch die engen Gassen eines grenznahen Dorfs schieben könnten – es aber schließlich nicht tun, da es dort, an der Grenze zur Türkei, gar keine Bären gibt. Doch es gibt Schmuggler, Schieber, es gibt argwöhnische Polizisten und den Geheimdienst, der penibel darauf achtet, wer hier in der Provinz nicht ins Bild passt. Natürlich ist das Jafar Panahi, der sich selbst spielt, höchstpersönlich. Er will einen Film drehen, doch das Drehen ist für ihn längst verboten. Er tut dies im Geheimen, während sich Cast und Set jenseits der Grenze in der Türkei befinden. Panahi hat sich dafür in einem kleinen Dorf niedergelassen, in welchem jeder jeden kennt und jeder Neue sofort dazu instrumentalisiert wird, etwaige Querelen in der Gemeinschaft auszubaden. Während Reza, Panahis rechte Hand, allnächtlich mit dem nach Anweisungen des Meisters gedrehten Filmmaterial unbemerkt die Grenze passiert, bleibt Panahi nur die Möglichkeit, den Alltag der Menschen zu fotografieren und auf eine gute Internetverbindung zu warten. Da passiert es und Panahi macht das Foto eines Paares, das laut den Dorfdogmen gar nicht existieren darf, da von den Älteren längst bestimmt wird, wer wen zu heiraten hat. Die Community lässt nicht locker und nötigt Pahani zur Herausgabe des Corpus delicti. Der aber stellt sich quer.

Man kann sich denken, wie sehr die Sache eskalieren wird. Doch Panahi bemüht sich nicht, sein Drama hochkochen zu lassen. Es ist der Verzicht auf überschminkte Emotionen – eine Art neue Sachlichkeit im iranischen Kino. Viel stärker als Asghar Farhadi (u. a. The Salesman) bleibt Panahi Purist, akkurater Autorenfilmer eines nackten, aber unprätentiösen Realismus, der sein Konfliktdrama auf mehrere Ebenen auffächert. Natürlich steigert das Ineinanderspinnen dieser Erzählfäden die Ausdrucksstärke und Botschaft: Wie sehr in die staubtrockene Erde hineingerammt vorgestrige Traditionen so manches Leben aufs Spiel setzen, und wie sehr sich dörfliche Grundstrukturen auf die nationale Geißel hochrechnen lassen können, mag klar veranschaulicht sein. Doch bleibt das Drama in seiner kargen Nüchternheit, so sehr die Authentizität auch anzuerkennen ist, eine flüsternde Trauma- und Problembewältigung, die sich mit dem Film im Film im Grunde keinen Gefallen tut, zu flüchtig mag die Liebesgeschichte von zwei Flüchtenden erscheinen, die in der Türkei darauf warten, Pässe zur Weiterreise nach Frankreich zu bekommen.

Kann sich Panahi tatsächlich als sein fiktives autobiographisches Alter Ego Panahi im Film mit einer plakativ tragischen, aber schwülstigen Romanze wie dieser wirklich identifizieren? Sie steht dem eigentlichen Dilemma des Filmemachers konträr gegenüber, und irgendwann verliert man insofern den Überblick, da nicht mehr ganz klar ist, ob das, was als angeblicher Filmdreh passiert, auch wirklich noch Film ist oder begleitende Realität. Was also ist Drama und was Dokumentation? Der Wechsel zwischen diesen beiden Ebenen ist nur anfangs geglückt, wenig später bleibt die schale Story nur Anhang für etwas, das eigentlich auch nichts Neues berichtet. Ob Bären oder nicht: Als sehr persönliche Abrechnung mit der eigenen Unterdrückung holt sich Panahi jede Menge gerechtfertigte Aufmerksamkeit. Künstlerisch ausgefeilt ist sein Drama dabei aber kaum.

No Bears (2022)

Eineinhalb Tage (2023)

ROADMOVIE AUS DEM SETZKASTEN

4/10


eineinhalbtage© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: SCHWEDEN 2023

REGIE: FARES FARES

DREHBUCH: FARES FARES, PETER SMIRNAKOS

CAST: FARES FARES, ALMA PÖYSTI, ALEXEJ MANVELOV, ANNIKA HALLIN, STINA EKBLAD, ANNICA LILJEBLAD, RICHARD FORSGREN, BENGT C. W. CARLSSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Was haben Aki Kaurismäkis lakonisches, vielfach ausgezeichnetes Sozialmärchen Fallende Blätter und das Regiedebüt des schwedischen Schauspielers Fares Fares gemeinsam? Die Schauspielerin Alma Pyösti, die 2020 mit Tove, der Filmbiografie nämlicher Künstlerin, erstmals einem breiteren Publikum bekannt wurde. Seit September letzten Jahres wird sie auf Netflix als Krankenpflegerin Louise eines schönen Tages von Artan, ihrem Ex-Ehemann, heimgesucht, der, bewaffnet und emotional im Ausnahmezustand, einfach beschließt, die Mutter seiner Tochter als Geisel zu nehmen. Menschen wie Artan werden zum Unsicherheitsfaktor schlechthin, inmitten eines sicheren Europas, wo die Exekutive noch zeitnah heranrückt, wenn irgendwo einer beschließt, anderen den fremden Willen aufzuzwingen. So eine unschöne Situation lässt sich durch geschulte Verhandler entsprechend entschärfen, nur die Zeit drängt, und das Spezialkommando lässt sich bitten. Fares Fares ( u. a. Die Nile Hilton Affäre, Die Kairo Verschwörung) höchstselbst gibt den Exekutivbeamten, der in rechtschaffener Selbstlosigkeit dem aufgelösten Familienvater entgegentritt. Es gelingt ihm gar, das Geiseldrama ins Innere eines Polizeiwagens zu verfrachten, weg von all den Schaulustigen und Betroffenen, weg von möglichen Kollateralschäden, rauf auf die Bundesstraße – es bleiben Louise, Artan und der Polizist, unterwegs zu den Schwiegereltern des Mannes, dessen Tochter dort in deren Obhut weilt. Das Roadmovie kann beginnen.

Wie der Titel schon verrät, sind alle drei einen knappen Tag lang, eine Nacht und wieder einen halben Tag unterwegs. Stets hintendrein: Ein Konvoi an Polizeiwägen. Kommt einem dieses Szenario bekannt vor? Natürlich. Zwar liegt der Klassiker schon einige Jahrzehnte zurück, doch Sugarland Express von Steven Spielberg fasziniert immer noch. Allein schon wegen Goldie Hawns famoser Darstellung der Lou Jane Poplin, die ihren Mann aus dem Gefängnis befreit, einen Polizeiwagen samt Beamten kapert und diesen zwingt, die Pflegeeltern ihres kleinen Sohnes aufzusuchen. Sowohl Spielbergs Roadmovie-Klassiker als auch Fares Fares‘ Familiendrama auf vier Rädern beruhen auf wahren Begebenheiten – letzterer wohl mehr oder weniger nur sehr vage. Eher diente eine ähnliche Gesamtsituation, die es nicht mal in die internationalen Medien schaffte, als Inspiration für einen Film, bei dem man sich fühlt, als führen Opfer, Täter und Verhandler im Kreisverkehr, ohne abzubiegen. Der gebürtige Russe Alexej Manvelov punktet anfangs zwar mit einer beunruhigend nervösen Art, die aber auf Dauer keine Variationen zulässt und im Laufe des Films, der gottseidank keine eineinhalb Tage dauert, zusehends nervt. Alma Pöysti daneben auf der Rückbank hat wenig Text, gibt die Eingeschüchterte und auch sie kann ihre Figur im Laufe der Handlung kaum durch neue Erkenntnisse bereichern.

Nicht jeder, der schauspielern kann, ist auch im Regiefach bestens aufgehoben, geschweige denn als Drehbuchautor geeignet. Fares Fares hat für Eineinhalb Tage schließlich alles übernommen – und zumindest beim Skript auf vertraute Strukturen gesetzt. Ein Konzept wie dieses, auf engstem Raum und überschaubaren Plot, eignet sich bestimmt für ein Debütprojekt. Da Fares sich aber dramaturgisch nicht weiter aus dem Autofenster lehnt wie nötig, wechseln im braven Rhythmus die Interaktionen unter den dreien wie beim Bällewerfen – einmal mehr, dann wieder weniger emotional. Überraschungsmomente gibt es keine, die Geschichte ist vorhersehbar, und irgendwann ist man froh, diesen Artan losgeworden zu sein und überhaupt diese ganze bleierne Autofahrt hinter sich gebracht zu haben.

Eineinhalb Tage (2023)