September 5 (2024)

DABEI SEIN IST ALLES

6,5/10


september5© 2024 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2024

REGIE: TIM FEHLBAUM

DREHBUCH: TIM FEHLBAUM, MORITZ BINDER

CAST: JOHN MAGARO, BEN CHAPLIN, LEONIE BENESCH, PETER SARSGAARD, COREY JOHNSON, RONY HERMAN, GEORGINA RICH, ZINEDINE SOUALEM, MARCUS RUTHERFORD U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Zeiten ändern sich. Am 11. September 2001 waren die Kameras bereits überall – fast so, als hätte man sie vorab in Position gebracht, um aus allen möglichen Blickwinkeln das Einstürzen der Twin Tower spektakulär genug festzuhalten. Die Geburtsstunde der Sozialen Medien ging dann mit dem taktischen Werbebewusstsein sämtlicher Terroristen einher, ihre Bekennerbotschaften, Parolen und Morde allesamt abzufilmen und online zu stellen. Bei den IS gibt es immer wen, der die ganzen Gräuel aufzeichnet. Damals, im Jahre 1972, war das noch nicht der Fall. Da hatten die mit Skimasken verhüllten Verbrecher noch keinerlei Ambition, ihre Taten medienwirksam in Szene zu setzen. Vielleicht aber interpretiere ich falsch und die Organisation des Schwarzen September kalkulierte den Ehrgeiz sämtlicher Fernsehsender, die sich um das olympische Dorf in München niedergelassen hatten, mit ein, jede Sekunde des Geschehens in eine Live-Show zu verpacken. Das Team des Sportkanals von abc war es dann schließlich auch, das im Nachhinein Fernsehgeschichte schrieb und es erstmals gelang, einen Terrorakt wie diesen vor laufender Kamera geschehen zu lassen.

Natürlich obliegt den Journalisten nicht die Verantwortung, eine Situation wie diese zu lösen. Dafür gibt es Verhandler, die Polizei, das Militär, den Geheimdienst. An diesem fünften September scheint es allerdings so, als wären Spezialisten für Situationen wie diese landesweit auf Urlaub, und nur das Fernsehen wäre imstande, entsprechend rasch zu reagieren. Keine hundert Meter vom Schauplatz des Geschehens fallen dann am Morgen des besagten Tages Schüsse, die nicht nur von Dolmetscherin Marianne Gebhardt, gespielt von Leonie Benesch (Das Lehrerzimmer), gehört und gleichsam richtig interpretiert werden. Was tut ein Nachrichtensender in diesem Fall? Er mobilisiert alles, was er hat, um Bad News wie diese ins Programm zu bringen. Unter der Führung des Fernsehproduzenten Roone Arledge erhält der aufstrebende Redakteur Geoffrey Mason, der sich schließlich profilieren will, die Regiegewalt über eine Ausnahmesituation, die sich so unberechenbar anfühlt wie eine Naturkatastrophe. Entsprechend hektisch, hastig und angespannt wird es an diesem Tag und der darauffolgenden Nacht auch zugehen.

Der deutsche Regisseur Tim Fehlbaum, der zuletzt den sehenswerten dystopischen Science-Fiction-Film Tides ins Kino brachte, orientiert sich am Genre des dokumentarischen Journalismus-Thrillers, wie ihn einst Alan J. Pakula (u. a. Die Unbestechlichen) inszeniert haben mag. September 5 fühlt sich in Folge wohl eher wie ein Film an, der nicht nur von den frühen Siebzigerjahren berichtet, sondern womöglich auch damals und zwar genauso hätte gedreht werden können. Die Ausstattung, das Setting, das Gefühl eines Zustands weit vor dem Informationszeitalter, das die Welt nachrichtentechnisch um vieles kleiner machen wird, geben ein immersiv-stimmiges Bild ab. Unterstützt wird dieser Stilwille vorallem auch durch eine Menge authentischen Bildmaterials, denn alles, was man auf den Fernsehschirmen sieht – mit Ausnahme des Moderators von abc – sind Filmdokumente von damals. Dadurch rückt September 5 näher an das Genre der Dokumentation heran. Und als ob dieser Fokus auf die wahren Geschehnisse aus der Sicht des Nachrichtenjournalismus nicht schon ausreichend eng gezogen wären: die Idee, das Ganze als Kammerspiel umzusetzen, macht das Szenario noch kribbelnder und panischer. Auf engstem Raum stauen sich nun Informationen und Emotionen, Druck, Stress und hundertzehn Prozent Aufmerksamkeit. Die Akkuratesse und die Anstrengung einer Live-Show, in der Anweisungen im Stakkato niederregnen und alle möglichen Leute für alles mögliche eingeteilt werden, während niemandem auch nur die kleinste Entwicklung der Geschehnisse entgehen darf – angesichts dieses unter Strom stehenden Arbeitsklimas schwirrt einem bald selbst der Kopf. Die vielen Namen, die vielen Wendungen, die vielen Fronten – Fehlbaum bündelt sie alle irgendwie und bricht sie auf ein Ensemble herunter, das im geschulten Teamwork miteinander synergiert.

Die Kritik an der Moral der Nachrichten und dem damit einhergehenden Missbrauchs menschlicher Katastrophen zum Nutzen der Quote kommt allerdings zu kurz. Ob die Terroristen zufälligerweise auch sehen, was abc in seiner Live-Show fabriziert, ist nur eine von wenigen hinterfragenden Überlegungen zur journalistischen Arbeit. Alles andere ist Berichterstattung, verständlicher Ehrgeiz, aber niemals die Absicht, mutwillig, für den eigenen Erfolg, die Lage zu verschlimmern oder gar über Leichen zu gehen. Übersehen lässt sich vielleicht so manche Grauzone, durch den Willen zur Information treibt manche Beteiligte zur Reflexion über das eigene Tun zwar etwas spät an, aber besser als nie. Dass das Drama von München 1972 derart eskalierte, lag wohl eher an der Überforderung der Behörden und an der Ratlosigkeit, mit Terror umzugehen. Somit ist September 5 keine Medienschelte wie Reporter des Satans, Network oder Nightcrawler – sondern schlicht und ergreifend ein emotionaler, aber akribisch aufgearbeiteter Tatsachenbericht ohne erwähnenswertem Tiefgang.

September 5 (2024)

Taktik (2022)

DAS BÖSE FÜR DUMM VERKAUFEN

7/10


taktik2© 2022 Einhorn Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

BUCH / REGIE / PRODUKTION: HANS-GÜNTHER BÜCKING, MARION MITTERHAMMER

KAMERA: HANS-GÜNTHER BÜCKING

CAST: HARALD KRASSNITZER, SIMON HATZL, MARION MITTERHAMMER, MICHAEL THOMAS, ANOUSHIRAVAN MOHSENI, MICHOU FRIESZ, BOJANA GOLENAC, DANIELA GOLPASHIN, FLORIAN SCHEUBA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Hätte Karl Markovics in Elisabeth Scharangs Aufarbeitungs-Justizdrama Franz Fuchs – Ein Patriot nicht diesen Briefbomber gespielt – die Rolle hätte auch Harald Krassnitzer übernehmen können. Doch mittlerweile braucht man dieser möglichen Alternativbesetzung nicht nachweinen, mittlerweile hat der österreichische Tatort-Kommissar eine ganz andere Rolle zu seiner schauspielerischen Sternstunde gemacht, nämlich jene des Schwerverbrechers und erfahrenen Geiselnehmers Aloysius Steindl. Wie jetzt? Krassnitzer wechselt die Seiten und macht auf schlimmen Finger? Stimmt – und das Beste dabei: es gelingt ihm prächtig. Förderlich mag sein, dass die Figur des Kriminellen keinen Charakter vom Reißbrett aufpickt, sondern einen letztjährig verstorbenen Bankräuber und Mörder, dem nicht nur ein tatsächlicher Ausbruch aus dem Gefängnis im niederösterreichischen Stein beinahe gelungen wäre, sondern welcher vor allem durch eine Geiselnahme im Lebensmittelladen der Haftanstalt Karlau unrühmliche Bekanntheit erlangt hat. Die Rede ist von Adolf Schandl, der im November 1996 beschloss, mit zwei weiteren Mithäftlingen – einem Zuhälter (Seidl-Liebling Michael Thomas schüttelt den ekelhaften Superprolet nur so aus dem Ärmel) und einem palästinensischen Terroristen aus dem Libanon – unter Geiselnahme unbefristeten Freigang zu erpressen. Das hätte mit selbstgebastelten Bomben geschehen sollen, die in PET-Flaschen an drei Frauen geschnallt waren, die sich leider Gottes zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Würde man in Kürze aber rund 8 Millionen Schilling und einen Flucht-Helikopter sein eigen nennen dürfen, hätten die Damen natürlich nichts zu befürchten. Der Umstand, dass Verbrecher oftmals nicht wenig Eitelkeit besitzen, kommt dem Verhandler Eduard Hamedl zugute, im Film dargestellt von Simon Hatzl und unter neuem Namen Fredi Hollerer. Der legt eine spezielle Art von Taktik an den Tag und lässt den Kopf der Bande glauben, wirklich bewundert zu werden. Hollerer selbst nimmt dabei eine Rolle ein, die bereits Inspektor Columbo stets erfolgreich praktiziert hat. Nämlich jene, selbst unterschätzt zu werden, damit sich manch Täter in Sicherheit wiegt. Kurz: Er markiert den naiven Idioten. Und Aloysius Steindl, der wird ihm auf den Leim gehen.

Wie Harald Krassnitzer die Führung behält und sich von Hatzl umschmeicheln lässt, ist großes Kino. Im erdfarbenen Retro-Look, Schnauzbart und Krankenkassenbrille erscheint dieser Steindl als redseliger Opa von nebenan, hat’s aber faustdick hinter den Ohren und gewährt nicht selten Einblicke in eine kranke, psychopathische Seele, die zu allem möglich wäre – würde man sie provozieren oder in eine Ecke drängen. Der von seinen Kollegen völlig unverstandene Hollerer tut genau das nicht – und zögert durch sein einlullendes Gerede die von den Verbrechern erpressten zwei Stunden immer weiter hinaus. In der Enge der kleinen Greißlerei hingegen zieht im Vakuum zwischen Macht und Ohnmacht die aus der Langeweile des Wartens und aufgestauten Aggressionen geborene Willkür seine chaotischen Bahnen und offenbart sich in körperlichen wie psychischen Erniedrigungen der Geiseln, die ähnlich zum Handkuss kommen wie seinerzeit manch Strafgefangener in Abu Ghraib. Diese Damen aber, man möchte es fast nicht glauben, haben trotz sichtbarem Grenzgang einen fast längeren Atem als die Verbrecher selbst. In der Erduldung liegt ihre Kraft, während die bösen Buben langsam ihre Kraft verlieren. Und dennoch bleibt nichts an dem Film so faszinierend wie die taktische Zermürbung Harald Krassnitzers, der bis zuletzt nicht merkt, wie sehr er manipuliert wird, da die Überhöhung des eigenen Ichs blind macht für psychologische Kriegsführung. Dass die Polizeikollegen Hollerers das selbst nicht überreißen, ist weniger glaubhaft, denn man muss nicht vom Fach sein, um Simon Hatzls siebensüße Tarnung nicht zu verstehen.

Taktik, auf Basis wahrer Ereignisse geschrieben und inszeniert vom Ehepaar Hans-Günther Bücking und Marion Mitterhammer, die auch die weibliche Hauptrolle spielt und die sich als Greißlerin Gabi Pichler fast schon vor Angst übergeben muss (verstörend mitanzusehen), hat als Kammerspiel ganz besondere Dialogmomente zu verbuchen, bleibt spannend und fällt fast in die Kategorie Telefonfilm, wie No Turning Back, Nicht auflegen! oder The Guilty welche sind. Der periphere dramaturgische Zusatz wie zum Beispiel Florian Scheubas halbgares Cameo fällt für das Kernstück des Films dabei kaum unterstützend ins Gewicht. Doch zum Glück hat der eigentliche Nervenkrieg sowieso keine dringende Verwendung dafür.

Taktik (2022)

Die Stockholm Story – Geliebte Geisel

AUCH GEISELNEHMER HABEN WAS NETTES

4,5/10


stockholmstory© 2019 Koch Films


LAND / JAHR: USA, KANADA 2018

BUCH / REGIE: ROBERT BUDREAU

CAST: NOOMI RAPACE, ETHAN HAWKE, MARK STRONG, CHRISTOPHER HEYERDAHL, BEA SANTOS, THORBJØRN HARR U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Woher kommt eigentlich der Begriff Stockholm-Syndrom? Was er ausdrücken soll, scheint allseits bekannt: Geiseln solidarisieren sich mit den Geiselnehmern, verstehen plötzlich deren Beweggründe und bieten sich sogar an, zu helfen. Mitunter entsteht sogar so etwas wie eine richtige emotionale Bindung. Ganz klar, was da abgeht, und warum das menschliche Verhalten da verrückt spielt, trotz und gerade wegen dieser enormen Stresssituation, welche die Angst über Leib und Leben in einen Zustand transformiert, der die Bedrohung so erträglich wie möglich macht. Mit anderen Worten: Ich mache meinen Feind zum Freund.

Dieses Phänomen wurde – wie kann es anders sein – erstmals in Stockholm bemerkt, und zwar im Sommer des Jahres 1973 während einer Geiselnahme in der Schwedischen Kreditbank am Norrmalmstorg. Der Verbrecher Jan Erik Olsson wollte dabei die Freilassung eines im Gefängnis sitzenden Komplizen erzwingen – inklusive allem, was zu einer damit einhergehenden Flucht sonst noch dazugehören darf. In seiner Gewalt: vier Geiseln, und zwar über hundertdreißig Stunden lang. Ein Medienereignis sondergleichen muss das gewesen sein, zumindest stellt Regisseur Robert Budreau die damaligen Ereignisse entsprechend dar.

Zum Cast seines Films zählt die in besagter Branche momentan nicht gerade auf der faulen Haut liegende Noomi Rapace – neu frisiert, auffallend bebrillt und gleichsam widerspenstig wie devot. Aber wen wundert das schon, wenn man in die Mündung einer Waffe blickt. Die gehört Ethan Hawke mit Schnauzer und wirrer Mähne unterm Cowboyhut. Überhaupt glaubt Ethan Hawkes Figur des Jan Erik Ollson, das ihm die Welt gehört und nichts und niemand ihn aufhalten kann. Aus den Augenwinkeln könnte man fast meinen, Frank Zappa dabei zu beobachten, wie er auf die schiefe Bahn gerät. Dabei lässt sich Ethan Hawke in der Auffassung seiner Figur zu unfreiwillig komischen Einlagen hinreissen. Mit Absicht? Keine Ahnung, doch wenn ja, nimmt der Filmstar mit seinem überzogenen Spiel all die Ereignisse von damals zu sehr auf die leichte Schulter. Rapace versucht die Schräglage erst gar nicht auszugleichen – auch sie probiert’s routiniert, mit bewährten Manierismen: entsetzten Blicken, denen sympathisierender Kooperationswille folgt.

Der verhaltenspsychologische Faktor bleibt außen vor. Der Wandel von Furcht zur Solidarisierung geht recht seifig vonstatten, da findet sich keine Szene, die bereit dazu wäre, den Richtungswechsel im Täter-Opfer-Konstrukt glaubhaft zu navigieren. In Erinnerung bleibt ein aufbrausender Hampelmann Hawke in einem wenig ehrgeizigen Geiseldrama, das es nicht schafft, die beiden Stars hinter ihren Rollen zu verbergen. Somit weicht die Authentizität, die das ganze Setting rundherum und das Siebzigerkolorit unterstützend bringen sollten, einer achselzuckenden Gleichgültigkeit, die dem Phänomen innerhalb radikaler Machtverhältnisse weder ernsthaftes Interesse zollt noch die Möglichkeit einräumt, den Zuschauer damit aus psychologischer Sicht zu verblüffen.

Die Stockholm Story – Geliebte Geisel

Captive

OB STAR ODER NICHT, HOLT MICH HIER RAUS!

4/10

 

captive© 2012 trigon-film.org

 

LAND: PHILIPPINEN 2012

REGIE: BRILLANTE MENDOZA

CAST: ISABELLE HUPPERT, MERCEDES CABRAL, COCO MARTIN, MARIA ISABEL LOPEZ U. A.

 

Michael Haneke´s Muse und Grande Dame des neuen französischen Films, Isabelle Huppert, soll nach eigenen Angaben selbst nicht so gewusst haben, ob die abgerissenenen Philippiner mit Kalaschnikow und keifendem Auftreten nicht doch echte Piraten sind. Um die Verwirrung der Darsteller noch zu unterstützen, hat sich Regisseur Brillante Mendoza mit der Wahrheit nur allzu gerne zurückgehalten. Was die unbequeme wie beklemmende Atmosphäre am Set naturgemäß eskalieren ließ. Diese Methode ist eine Vorgehensweise, die visionäre Filmemacher ans Ziel ihrer Vorhaben führt, ungeachtet der Tatsache, die eigene Crew unnötig psychisch zu quälen, nur um Emotionen hervorzukehren, welche die Glaubhaftigkeit des Erzählten bis zur unerträglichen Ernüchterung eines Tatsachenjournalismus hochschraubt. Auch diese Art von Handwerk kann Kino sein – erfüllt aber dabei keinerlei Mehrwert für den Betrachter.

Captive ist die Reality-TV-Version einer Entführung, basierend auf Tatsachen, die um die Ereignisse des 11. September stattgefunden haben, und wo selbst sogar deutsche Staatsbürger von der islamistischen Terrorgruppe der Abu Sayyaf verschleppt wurden. Damals, so kann ich mich erinnern, hat der libysche Diktator Muhammar Al Gaddafi die Geiseln freigekauft. Das Erschreckende an so einem Martyrium: die Ungewissheit der unmittelbaren Zukunft. Brillante Mendoza spielt diesen Albtraum bis zur Grenze des Erträglichen aus – und kriecht mit seinem nüchternen Dokumentarismus tief in die Eingeweide des Zuschauers. Captive mag zwar inmitten der Exotik des philippinischen Archipels spielen, immer wieder, wie einst Terrence Malick in Der schmale Grat, auf die versteckte Biodiversität tropischer Gefilde schielen – die akribische Buchführung des Elends aus Warten, Bangen, Hoffen und Verzweifeln holt sich aus der Fülle der Natur ringsherum nicht den geringsten Nutzen, quält sich von Lichtung zu Lichtung, während die Gefangenen immer mehr verfallen, schreien und sich dem Schicksal fast schon in apathischer Agonie fügen.

Viel Fantasie braucht man bei diesem Terrodrama nicht, um sich ganz genau vorzustellen, wie es wohl sein könnte, selbst Opfer eines solchen Überfalls zu werden. Leute, die sich das eigene Fernweh zerstören wollen, können Captive getrost ansehen. Liebhaber südostasiatischer Inselwelten könnten für einige Zeit genug davon haben, unter Palmen am Strand zu wohnen. Mendoza zieht die Wurzel der Reiselust zwar relativ schmerzhaft, dafür aber umso nachhaltiger. Sein Purismus aber ist Kino, das zwar bewusst auf Parameter für die große Leinwand verzichtet, sich aber durch seine schale Nüchternheit weder den Geiseln noch den Geiselnehmern annähert. Als hätte jemand das Jahr der Gefangenschaft mit seinem Smartphone gefilmt, ohne zu interagieren. Wie Big Brother ohne Werbeunterbrechung, ein Dschungelcamp mitten in der Wildnis, samt lästiger Insekten, allerdings stets unter dem Damoklesschwert des drohenden Todes, also somit etwas anders als das Trash-TV bekannter Privatsender, im Grunde aber ziemlich ähnlich. Mendoza´s Film entbehrt nicht eines gewissen Voyeurismus des Leidens, dass in den hysterischen Ausbrüchen Isabelle Hupperts seine nervtötende Vollendung findet. Jedenfalls konnte ich nicht umhin, mich leicht beschämt zu fragen, warum ich mir diese gequälten Personen aus der Schlüssellochperspektive denn überhaupt ansehen muss. Vielleicht, weil ich mir ein zweites Captain Philipps erwartet hätte – eines der packendsten Geiseldramen überhaupt, weil klug erzählt und künstlerisch versiert. Während Captive nicht mehr ist als ein scheinbar echtes Found Footage, in Wahrheit aber nachgestellt wie ein investigativer Lokalaugenschein vergangener Ereignisse, denen ich als Gaffer auch nicht wirklich beiwohnen muss.

Captive