Nightbitch (2024)

EIN JAMMER MIT DER MAMA

4,5/10


nightbitch© 2024 Searchlight Pictures. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: MARIELLE HELLER

CAST: AMY ADAMS, SCOOT MCNAIRY, MARY HOLLAND, JESSICA HARPER, KERRY O’MALLEY, ZOE CHAO U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Das alles ist schneller vorbei als uns Eltern lieb ist: Kaum sind unsere Schützlinge auf der Welt, steuern sie der Abnabelung zu. Die Phase des Kleinkindalters fühlt sich zwar wie eine Ewigkeit an, doch rückblickend war es nur ein Moment voller Entbehrungen für einen guten Zweck, nämlich das, was man über alles liebt, für ein ungeschriebenes Leben vorzubereiten. Wenn es hochkommt, sind es nur ein paar Jahre, dann kann sich der kleine Knopf schon selbst orientieren. Es geht schließlich ums Gesamtpaket einer werdenden Persönlichkeit, da sind schlaflose Nächte und kaum eigene Freizeit nur etwas, das man fürs große Ganze opfert. In dieser Zeit – und gegen alle Bemühungen, die Rollen neu zu verteilen – ist nach wie vor das „Muttertier“ aus dem gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Leben vorübergehend ausgeschlossen, schließlich geht es rein biologisch betrachtet um die Arterhaltung der Spezies Mensch. Als solcher will man schließlich alles haben – Karriere, Freunde, Freizeit, und nebenbei ein Kind. Geht doch. Betreuungen sind ohnehin buchbar, wenn es das Budget erlaubt. Wozu hat man dann aber Kinder? Aus Prestigegründen? Um sich selbst zu beweisen, alles hinzubekommen? Oder, um sich dem natürlichen zweck des Daseins zu besinnen?

In einer immer noch und leider Gottes patriarchalen Gesellschaft, die mit Trumps Wahlsieg wohl wieder mal erstarken wird, ist die Frau immer noch jene, die ungefragt zuhause bleibt. Schließlich ist sie Mutter, und daher wichtiger fürs Kind? Eine falsche Prämisse, die Amy Adams als wochentags alleinerziehendes Paradebeispiel einer Frau am Rande der Selbstaufgabe langsam erkennt. Der in sich zerrissenen, ehemaligen Künstlerin wird auch klar, dass Selbstverwirklichung kein Thema mehr sein darf, dass Ich-AG, Selbstfürsorge und Interessenspflege erst dann zum Zug kommen, wenn die Familie mal durch ist. Das jedoch findet nie statt. Unzufriedenheit macht sich breit, trotz Liebe zum Nachwuchs. Mama muss sich neu orientieren, neu justieren. Dem Ehemann in seinen veralteten Ansichten zur Ressourcenverteilung mal ordentlich die Leviten lesen. Und das innere, urtümliche Muttertier entdecken, die Wahrheit hinter dem ganzen Dilemma, ein Kind großzuziehen.

Dass die Amis auch Filme machen können, die der deutschen Wohlstandskomödien-Kinowelt entsprungen sein könnten, beweist Marielle Heller (Can You Ever Forgive Me?) mit dem Mutterschafts-Lamento Nightbitch – dem letzten Film aus meiner persönlichen Viennale-Auswahl. Amy Adams tut dabei alles, um an den Rand der Erschöpfung zu gelangen. Natürlich ist es anstrengend, entbehrungsreich, eine Grenzerfahrung – und obendrein nicht neu. Nightbitch liefert Erkenntnisse, die an einen Werbefilm für elterliche Gleichberechtigung erinnern. Es darf auch mal Papa zuhause bleiben, wie wäre es mit Väterkarenz? Und so weiter und so fort. Inspirierend ist das nicht, inspirierend ist vielleicht in Ansätzen jene fantastische Ebene, die womöglich nur in den Vorstellungen von Amy Adams Figur existiert. Der Werwolf-Mythos stellt sich ein, ein dick aufgetragener, eher plumper Symbolismus für ein animalisches Gefühl, das Schwangerschaft, Entbindung und die ersten Jahre eines neuen Lebens umspannen, und das Frau nicht verdrängen sollte. Ist es also mütterliche Pflicht, sich selbst aufzugeben, um zum Muttertier zu werden? Was genau will Heller mit ihrer satirischen Komödie uns normalsterblichen Eltern mit auf den Weg geben?

Dass die Gebärende lediglich gebärt, während der Rest des ganzen Projekts auch auf das Vatertier übertragen werden kann? Die Zugänge zu gleich mehreren Ansätzen sind schulmeisterlich bis banal. Binsenweisheiten und eine missglückte Metaebene, die gleichzeitig Freiheit vor den Konventionen und Rückbesinnung auf die Urtümlichkeit bedeuten. Nightbitch kann als archaisches, aber haareraufend unschlüssiges Familienabenteuer mit herkömmlicher Problemstereotypie betrachtet werden. Der radikale Rundumschlag, die mutige Avantgarde, sie bleiben verwehrt. Vielleicht auch, weil der Film unbedingt will, dass das Publikum sich wiederfindet. Mehr als Themenkabarett ist das manchmal aber nicht.

Nightbitch (2024)

Strange Darling (2023)

DER FEIND IM FREMDEN BETT

7,5/10


Strange Darling© 2024 Miramax


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JT MOLLNER

CAST: WILLA FITZGERALD, KYLE GALLNER, BARBARA HERSHEY, ED BEGLEY JR., ANDREW SEGAL, MADISEN BEATY, BIANCA SANTOS, EUGENIA KUZMINA, STEVEN MICHAEL QUEZADA, SHERI FOSTER, GIOVANNI RIBISI U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Nie, wirklich niemals, ist das Objekt genau dort, wo man es vermutet. Weder unter dem einen noch unter dem anderen Hütchen. Das liegt wohl daran, dass einige von denen, die mit namentlichem Spiel draufgängerische Passanten um ihr Kleingeld erleichtern, Trickbetrüger sind. Da lassen sich die Rochaden noch so genau beobachten – letztlich blickt man ins Leere.

Es gibt Filme, die ähnlich konstruiert sind. Die nicht wollen, dass ihr Publikum viel zu früh ahnt, welche Taktik hier ihre Anwendung findet. Die es darauf ankommen lassen, dass unkonventionelle Erzählweisen nicht immer willkommen sind. Doch diejenigen, die gerne erfrischend Neues erleben und sich mit einem Lächeln an der Nase herumführen lassen wollen, haben mit Strange Darling eine gute Partie – vorausgesetzt, der Versuch, aus der Gewohnheit auszuscheren, wirkt letztlich nicht allzu gewollt. So ein Zerstückeln des Erzählflusses braucht schließlich Geschmeidigkeit, muss sich anbieten und nicht so wirken, als hätte man erst viel zu spät entschieden, ein konventionelles B-Movie mit besonderem Twist zwangszubeglücken. Das merkt auch das Publikum. Bei Strange Darling merkt es das nicht. Denn der Thriller fuhrwerkt mit seinen sechs Kapiteln ebenso herum wie eingangs erwähnter Hütchenspieler. Dabei starten wir gleich mal mit Kapitel Nummer Drei. Und nein, vorne fehlt nichts, hinten fehlt nichts – dieses Puzzleteil wirft uns sogleich mit Anlauf hinein ins Geschehen. Wir sehen eine Blondine, die, blutverschmiert und gehetzt, mit einem roten Sportwagen über die Landstraße brettert. Hintendrein das Böse: ein grimmiger, toxisch-männlicher Killer, Sexualstraftäter, Psychopath – keiner weiß, was dieser Mann sonst noch alles in sich vereint. Er wirkt wie ein Rednex, wie ein diabolischer Hinterwäldler aus Beim Sterben ist jeder der Erste. Er hat es beinhart auf die junge Frau abgesehen, er will sie nicht entkommen lassen, sie ist schließlich seine Beute.

So viel kann sich das Publikum schon denken: Wenn Kapitel Drei den Thriller startet, ist nicht alles so, wie es scheint. Regisseur JT Mollner gibt nur so viel preis, damit es reicht, um bewährte Rollenbilder zu etablieren. Der stereotype böse Mann, die hilflose Blondine, es könnte ein gediegener, generischer Reißer sein, hätte Mollner nicht noch anderes im Sinn. Und da stecke ich aber als Filmblogger und Reviewer in einem Dilemma, denn Strange Darling ist ein Machwerk jener Sorte, über das man so wenig wie möglich schreiben und erzählen sollte. Don’t worry, ich werde das auch nicht tun, denn so lässt sich dieser Beitrag hier sowohl vor als auch nach dem Film bedenkenlos lesen. Was ich erwähnen kann: Der Kick an der Sache liegt im ausgeklügelten Hinauszögern an Informationen, im Zurückhalten wichtiger Wendungen und auch der Geduld, dieses Zögern durchzuhalten. Vielleicht lässt sich Strange Darling ein bisschen mit dem Roadmovie-Albtraum Hitcher – Der Highwaykiller vergleichen. Vielleicht auch nicht. Zumindest aber kam er mir in den Sinn. Und natürlich kommt einem auch Tarantino in den Sinn, denn dieser Mann zählt zu den großen Avantgardisten – was dieser an Stilideen nicht schon alles auf den Weg gebracht hat, damit andere diese variieren können, nimmt zumindest die Hälfte neuzeitlicher Filmchroniken ein. Bei Pulp Fiction pfiff dieser auf chronologische Akuratesse und etablierte das nonlineare Erzählen bei einer weitgehend durchgehenden Handlung, wenngleich das Episodenhafte noch viel stärker in den Vordergrund tritt als bei Strange Darling, bei welchem die Kontinuität einen Filmdreh wie aus einem Guss voraussetzt. Mollner setzt dabei fünf scharfe Schnitte, wirbelt diese aber nicht willkürlich durcheinander, sondern wohlüberlegt. Im Kopf ordnen sich die Fragmente sowieso in die richtige Reihenfolge, das macht das Hirn ganz von allein. Diese Fähigkeit nutzt Mollner auf irrwitzige Weise. Durch diese Methode konterkariert er die Wahrnehmung von Opfer sowie Täter, von Macht und Ohnmacht, Schwäche und Stärke. Angereichert mit perfiden, aber passgenauen Gewaltspitzen und einer Hauptdarstellerin in Höchstform, entwickelt sich Strange Darling zu einem pfiffigen Meta-Thriller, der sich Zeit lässt und dem die Laune am Spiel mit den Konventionen in jeder Szene anzumerken ist.

Man könnte das nonlineare Experiment sogar noch weiterführen. Nach Harald Zettler vom Online-Filmmagazin uncut.at könnten sich die Kapitel eines Films, wenn man es denn hinbekommt, jedes Mal neu ordnen. Was da herauskäme, wäre erfahrenswert. Jedenfalls ein sich ständig veränderndes Erzählen. Strange Darling macht schon mal den Anfang.

Strange Darling (2023)

Manodrome (2023)

DER MANN IN DER OPFERROLLE

6/10


manodrome© 2023 Images courtesy of Park Circus/Universal


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH / USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JOHN TRENGOVE

CAST: JESSE EISENBERG, ADRIEN BRODY, ODESSA YOUNG, SALLIEU SESAY, PHIL ETTINGER, ETHAN SUPLEE, EVAN JONINGKEIT, CALEB EBERHARDT, GHEORGHE MURENSAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Da hat wohl jemand zu oft Herbert Grönemeyers Männer gehört. Oder steckt in einer Zeit fest, in der die Herren der Schöpfung noch das waren, was sie immer gerne sein wollen: Harte Jungs, die sich nehmen dürfen, was sie wollen, die Frauen unterdrücken, aus Furcht davor, sie könnten den Mann überflügeln. Diese Panik wird traurigerweise oft nur mit Gewalt kuriert statt mit der Bereitschaft, respektvollen Umgang, Gelassenheit und Selbstwertgefühl zu erlernen. Der Mann an sich folgt dabei Glaubenssätzen, die zu nichts führen, außer dazu, in Selbstmitleid zu ertrinken und dabei einen Minderwertigkeitskomplex zu füttern, der sie letztlich Amok laufen lässt. So wie im Film Manodrome, in welchem Jesse Eisenberg als so blasser wie teigiger Soziopath auf Biegen und Brechen versucht, zum starken, männlichen Helden, zum sich selbst genügenden Herkules zu mutieren.

Dabei geht’s ihm gar nicht schlecht. Ganz im Gegenteil: Er lebt in einer Beziehung, die dem ersten Anschein nach relativ gut funktioniert – und er wird Vater. Was besseres als seine Gene weiterzugeben kann Mann sich gar nicht wünschen. Doch Ralphie, wie Eisenbergs Figur sich nennt, will alles und noch viel mehr. Er will die Freiheit, tun und lassen zu können, wonach ihm beliebt, keine Verantwortung tragen zu müssen, nur sich selbst gegenüber. Kraft, Muskeln, Mut und Ego: Wenn Ralphie sich im Gym halb zu Tode schwitzt und es nicht lassen kann, in der Umkleide neiderfüllt auf gestählte Muskelprotze zu blicken, die mit sich und der Welt im Reinen sind, weiß man längst, welcher Komplex den Typen reitet. Wie durch einen Wink des Schicksals macht der bis über beide Ohren in einer verfrühten Midlifecrisis steckende Möchtegern-Mann Bekanntschaft mit einer obskuren Gemeinschaft, angeführt vom geheimnisvollen und womöglich in NLP ausgezeichnet geschulten Dad Dan (Adrien Brody), der nichts anderes will, als den gebeutelten Ralphie auf den Pfad des selbstzufriedenen, erfüllten Mannes zu bringen, der letztlich alles hinter sich lässt – Frau, Kind und Familie. Der für nichts Rechenschaft ablegen muss und rund um die Uhr in die Selbstfürsorge geht, die längst nicht mehr das ist, was sie sein soll. Es ist die Nährung eines egozentrischen Weltbildes, die Entsagung jedweder möglichen Zurückweisung. Wohin das führt, wird schnell klar: Ein labiler Geist wie Ralphie findet die innere Stärke nicht in sich selbst, sondern in der Halbautomatischen, sprich: Die Waffe des Mannes ist sein Johannes. Und so wird aus der maskulinen Selbsthilfegruppe zumindest für manche die falsch verstandene offene Tür für reuelose Gewalt, die in ihrer Sinnlosigkeit den Sinn sucht.

Letztjährig beim Slash Filmfestival in Wien als Österreich-Premiere ins Programm aufgenommen, ist der Thriller des südafrikanischen Regisseurs John Trengrove ein urbanes, graustichiges Sozial- und Psychodrama, das Jesse Eisenberg womöglich die beste Performance seiner Schauspielkarriere beschert, dessen dargestellten Lebensloser man aber abstoßend findet. Dieser Ralphie wird zur unsympathischen männlichen Kreatur, die ihrem Zwang, geschlechtsbezogenen Stereotypen zu entsprechen, immer wieder nachgeben muss. Manodrome – so nennt sich auch die kuriose Männerkommune unter Brody – zelebriert den Abgesang auf den obsoleten Mann letztlich als profanen Thriller, der einzig mit dem Mut Jesse Eisenbergs punktet, nicht zwingend misogyne, aber soziopathische Widerwertigkeit als abstürzenden, jokerhaften Kasper darzustellen, dessen Schicksal einem aber auch nicht ganz egal ist, da die Möglichkeit, aus dem Schlamassel herauszukommen und ein besseres Leben zu führen, nichts ist, was dieser prinzipiell abzulehnen gedenkt.

Schlecht beobachtet ist Manodrome nicht, vielleicht etwas zu ungenau im Hinblick auf das Männersystem der Incel (ein Begriff, der mir bislang fremd war). Da der Fokus übertrieben stark auf Eisenberg liegt, gerät das Rundherum vielleicht etwas zu schal und antriebslos, doch im Grunde lässt sich die Dynamik schon erkennen, die Eisenberg ins Verhängnis treibt. In der Darstellung dessen, was männliche Krisen so alles anrichten können, ist Manodrome ein kränklicher Vogel, der durch das Entkommen eines vermeintlichen Käfigs nur wieder im Käfig landet. Das Bild am Ende verweist nicht zufällig auf Einer flog übers Kuckucksnest. Das männliche System ist wie ein unerbittliches Regime, aus dem sich mit Gewalt jedoch nicht ausbrechen lässt.

Manodrome (2023)