Damsel (2024)

DRACHENZÄHMEN ZU LEICHT GEMACHT

4/10


damsel© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JUAN CARLOS FRESNADILLO

DREHBUCH: DAN MAZEAU

CAST: MILLIE BOBBY BROWN, SHOHREH AGHDASHLOO, RAY WINSTONE, ANGELA BASSETT, NICK ROBINSON, ROBIN WRIGHT, MILO TWOMEY, BROOKE CARTER, NICOLE JOSEPH, ULLI ACKERMANN U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Der gute alte Nibelungen-Recke Siegfried soll dem Drachen Fafnir sein Schwert Gram – wahrscheinlich rücklings liegend, während die Bestie über ihn kam – ins Herz gestochen haben. So geht Drachentöten, meint die Legende. Als Dank dafür konnte der Muskelberg im unverwundbar machenden Blut des Drachen baden. An dieser Stelle sei vermerkt: Doofes Lindenblatt. Denn oft sind es Kleinigkeiten wie diese, die einen Rattenschwanz an Problemen nach sich ziehen. Als sprichwörtliches Lindenblatt lässt sich auch das Skript zum verheißungsvollen Fantasy-Event Damsel bezeichnen. Es klebt feuchtnass auf den Schultern einer beeindruckend ehrgeizigen Milly Bobby-Brown, der vermutlich von Anfang an klar war, dass der Plot wenig taugt, sie aber nicht verantwortlich dafür sein mochte, an den Mängeln des Filmes beigetragen zu haben.

Trotz Lindenblatt bietet die Stranger Things-Ikone eine ganze Bandbreite an schmerzgeplagten Lauten, angefangen vom verzweifelt-überraschten Kreischen nach dem Plumpsen in die Grube bis hin zum Zähnezusammenbeissen bei Brandwunden zweiten Grades, denn das Feuer des Drachen ist heiß wie eine Esse. Alles schmilzt unter dieser Intensität, da hat Prinzessin Elodie noch einmal Glück gehabt. Dieses Glück, das wird sie immer wieder haben, direkt lästig wird die Gunst des Schicksals, man möchte es loswerden, und vielleicht will Bobby Brown genau das: Nicht immer den Vorteil genießen, sondern auch mal mit dem Nachteil leben. Studios wie Netflix und überhaupt das kapitalistische Hollywood packt die panische Angst dabei, ihr Publikum zu überraschen. Man weiß schließlich nicht, wie es darauf reagieren würde, wären die Erwartungen mal konterkariert. In Damsel – die Bezeichnung für ein zart besaitetes Fräulein – weiß Prinzessin Elodie zumindest, wie man eine Axt schwingt. Sie ist also eine von jenen Jung-Adeligen, die nicht mehr dem Hofzeremoniell folgen, sondern ihren eigenen Kopf durchsetzen möchten. Elodie hat Muckis und Schneid, das sind schon mal gute Voraussetzungen, um einer Verheiratung mit einem weitaus wohlhabenderen Herrscherhaus zuzustimmen, ohne die Befürchtung haben zu müssen, sich vom Patriarchat im Folgenden unterworfen zu sehen.

Selbst nach den ersten Minuten des Films müssten andere bereits die Lunte riechen, die hier entzündet wurde: Warum nur sollte sich ein Königreich, das alles hat, mit einem anderen zusammentun, dass außer einer Braut nichts bietet? Den Argwohn allerdings lassen alle außen vor, und es verwundert nicht mal, wenn der Prinzgemahl ganz offensichtlich zum Polygamisten neigt. Irritierende Prämissen für einen Film, an dem erstaunlich viele Kompromisse die Runde machen, die einen auf allen Kanälen herausposaunten, knackigen Survivaltrip so sehr aufweichen, dass selbst Chantal im Märchenland einem Drachen die Leviten lesen hätte können. Und vielleicht tut sie das auch, im besagten Film – wissen werde ich es nie, da das Fack Ju Göthe Spin-Off nicht auf meiner Watchlist steht. Da war mir Damsel schon lieber, allein deswegen, weil ich an Filmen, von denen ich weiß, es sind Drachen mit im Spiel, einfach nicht vorbeigehen kann. Und zugegeben: Dieser hier kann zumindest damit punkten, aus liebevollem Enthusiasmus für feuerspeiende Kreaturen heraus entworfen worden zu sein. Viel Schnickschnack trägt das Biest, und seit Drachenzähmen leicht gemacht sollte man eher mal den Dialog suchen, bevor man das Schwert schwingt, denn Drachen sind klug – zwar gierig, aber sie lassen mit sich reden. Ausnahme: Bilbo Beutlin und Smaug, da herrschte wohl eher ein kalter Krieg, bevor es glühend heiß wurde. Bei Damsel sind das Duo Drache und Millie Bobby Brown noch das Beste an einem Film, der es seiner Heldin viel zu leicht macht. Das Unerhörteste jedoch ist die völlige Ignoranz hinsichtlich dessen, was Drachen so auf ihrer Habenseite wissen. So sehr unter Wert verkauft wurde selten einer. Kenner solcher Wesen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Kenner physischer Muskelkraft tun das ebenso. Mit dermaßen aufgeweichten Parametern und einer später völlig obskuren und zweifelhaften Moralvorstellung des Guten dem Bösen gegenüber bleibt nur ein nährstoffarmes Drachenfutter für zwischendurch, serviert von einer in die Vollen gehenden Milly Bobby Brown, deren Schmerzempfinden man gerne selbst haben möchte, um durchs Leben zu gehen. Denn das ist nicht minder hart, als mit einem Drachen zu kämpfen, sagt der Film.

Damsel (2024)

Dreizehn Leben

AUGEN ZU UND DURCH

7,5/10


thirteen-lives© 2022 MGM Studios


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2022

REGIE: RON HOWARD

DREHBUCH: WILLIAM NICHOLSON

CAST: COLIN FARRELL, VIGGO MORTENSEN, JOEL EDGERTON, TOM BATEMAN, SAHAJAK BOONTHANAKIT, VITHAYA PANSRINGARM, THIRAPHAT SAJAKUL, SUKOLLAWAT KANAROT, PAUL GLEESON, LEWIS FITZ-GERALD U. A.

LÄNGE: 2 STD 27 MIN


Wer gerne in Schauhöhlen geht und vielleicht schon mal die Lamprechtshöhle in Lofer an der salzburgischen Grenze zu Deutschland besucht hat, wird sich womöglich noch daran erinnern können, dass an allen möglichen Stellen Hinweisschilder zu finden sind, die vor Hochwasser warnen und unmissverständlich formuliert haben, was zu tun sei, würde man sich schlagartig in einer Situation wiederfinden, bei welcher einem das Wasser plötzlich bis zum Hals steht. Natürlich kommt da unweigerlich jene Schlagzeilen in den Sinn, die 2018 aus Thailand, dem tropischen Urlaubsland schlechthin, zu vermelden waren: Zwölf Mitgliedern einer Jugend-Fußballmannschaft wurde gemeinsam mit ihrem Trainer der Besuch der Tham-Luang-Höhle im Norden des Landes zum Verhängnis, als sie eines sonnigen Nachmittags mehrere Kilometer tief in den Berg gewandert waren. Damit, dass das Wetter so plötzlich umschwingen würde, hatte keiner gerechnet. Heftige Regenfälle und ein Überfluten einiger Passagen der schwierig zu begehenden Höhle waren die Folge. Zu diesem Zeitpunkt wusste natürlich noch niemand, dass alle überlebt haben werden. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich Experten aus aller Herren Länder am Ort des Geschehens eingefunden – thailändische Special Forces genauso wie Wetterexperten und Höhlentaucher, natürlich der Bürgermeister und ab und an auch der Minister. Nicht zu vergessen die Medien. Da die ganze Welt von dieser Sache erfuhr, folgten auch die beiden britischen Bergungsspezialisten John Volanten und Richard Stanton dem Ruf der Pflicht. Sie dürften es auch gewesen sein, die sich als erste von der Unversehrtheit der Mannschaft vergewissern konnten. Was dann aber folgte, waren Fehlversuche, ein Todesopfer und der lange Prozess einer Lösungsfindung in Anbetracht langer, schwieriger und vor allem auch beengender Tauchgänge, welche Kinder im Alter zwischen 11 und 16 Jahren ohne Vorkenntnis rein psychisch wohl nicht verkraften würden. Kurz bevor den Eingesperrten der Sauerstoff ausgeht, hat Richard Stanton eine verrückte, aber vielleicht durchaus machbare Idee…

Ohne Führung in eine solch halbherzig erschlossene und sehr tiefe Höhle vorzudringen – sowas lässt sich zum Beispiel in Österreich nicht erleben. In südostasiatischen Ländern wie in Thailand fehlt vermutlich das Budget, um ein Naturdenkmal wie die Tham-Luang-Höhle entsprechend abzusichern. Fahrlässig ist das schon, doch es passierte, was eben nun mal passiert ist. Und Ron Howard, alter Hase im Regiehandwerk und Experte zwar nicht im Höhlentauchen, aber im minutiösen Verfilmen tatsächlicher unglaublicher Ereignisse, blendet alles Periphere so gut es geht aus, nur um sich vollkommen auf die chronologische Schilderung der Ereignisse zu konzentrieren, die am Ende des Tages als Good News in die Geschichte eingehen werden. Good News verkaufen sich allerdings nicht so gut wie Bad News, umso löblicher ist es, hier mal nicht die Fehlbarkeit des Menschen aufgezeigt zu sehen, sondern dessen Sinn für Teamwork, Willenskraft und Wagemut. Der Mensch ist hier ein Held, weil er ein Mensch ist, und nicht, weil er Kräfte besitzt, die von anderswo aus der Popkultur kommen. Howard hat bereits in Apollo 13 mit Tom Hanks gezeigt, dass historische Chroniken längst nicht knochentrockene Dokumentationen sein müssen. In Spielfilmform erlebt das Publikum menschlichen Wagemut wie diesen hautnah. Dasselbe passiert nun mit Dreizehn Leben: Fakten und dazwischen das fiktional angepasste Drama einzelner Schicksale, die als Identifikationsfiguren dienen. William Nicholson (Regiedebüt mit Wer wir sind und wer wir waren) schrieb, wie schon für Balthasar Kormákurs Tatsachentragödie Everest, das Drehbuch. Viggo Mortensen, Colin Farrel und Joel Edgerton sorgen dafür, die bereits vierte filmische Abhandlung der spektakulären Höhlenrettung auf Starkino-Niveau zu heben. Und ja, sie agieren souverän, Mortensen zum Beispiel enorm glaubwürdig – rational und distanziert, wie Menschen vom Schlag eines Richard Stanton wohl sein müssen. Emotionen spielen hier weniger eine Rolle als nüchternes Abwägen der Risiken und kühler Berechnung.

Howard und Nicholson lassen also kein Detail außen vor. Alles ist durchgetaktet, hat in akribischer Perfektion seinen Platz und seine Rolle. Dreizehn Leben ist ein präziser, sachlicher, und gerade deswegen äußerst packender Film, bei dem man nie die Orientierung verliert und der gerade in seiner Filmtechnik, insbesondere den Unterwasserszenen, abenteuerlich genug anmutet, um ihn nicht als zu distanziert zu betrachten, wenngleich große Gefühle innerhalb der dichten Abfolge der Ereignisse wenig Platz bekommen.

Dreizehn Leben