Timestalker (2024)

VOM TOPF, DER NICHT ZUM DECKEL PASST

6/10


Timestalker© 2024 HanWay Films


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: ALICE LOWE

CAST: ALICE LOWE, ANEURIN BARNARD, NICK FROST, JACOB ANDERSON, KATE DICKIE, TANYA REYNOLDS, MIKE WOZNIAK U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Die Conclusio von gefühlt jeder Romantikschnulze lautet vermutlich so: Liebe überdauert alle Zeiten. Damit sind die guten und die schlechten zu zählen, sofern man das Vermählungsgelübde abgelegt hat. Damit sind vielleicht gar politische Wirren oder natürliche Katastrophen gemeint oder der Moment, wenn das Vertrauen wird auf die Probe gestellt wird. Geographische Distanz ist auch so ein Faktor, den man wacker bestreiten will. Im Film Timestalker überdauert die Liebe sogar diverse Lebenszeiten. Sprich: Ist die Tatsache einer Reinkarnation eine bewiesene, lässt sich somit auch der Lebensmensch über den Tod bringen, über den Stix schippern und in der neuen Existenzblase erneut ausfindig machen. Doch was, wenn dieser Lebensmensch gar nicht will? Wenn es gar nicht Liebe ist, sondern Obsession, die nur von einer Seite ausgeht und nicht erwidert wird? Stalken und Begehren über Raum und Zeit hinweg – was für absurde Ausmaße das Ganze annehmen kann, schildert die Comedian Alice Lowe in ihrer zweiten, zwischen Herz und blutigem Schmerz angesiedelten Regiearbeit. Die Britin selbst kennt man wohl am ehesten noch aus Ben Wheatleys Sightseers – einer urbritischen, schwarzhumorigen Version der Natural Born Killers, nur ohne Medienrummel. Slash-Festivalgeher ordnen ihr vielleicht noch den Schwangerschafts-Slasher Prevenge zu, der 2016 ebendort Premiere feierte.

Lowe setzt sich selbst als Mittelpunkt ihres Schaffens prominent in Szene, es ist ein Film für sie, mit ihr und von ihr. Timestalker lässt die Künstlerin in diverse Epochen eintauchen, vom 17. Jahrhundert der Häresie aufwärts bis in die nahe Zukunft, in der Unruhen das gesellschaftliche Leben bestimmen. Eine Frau namens Agnes liebäugelt dabei immer und jeweils in einer der Zeit angepassten Kluft mit dem ihr fremden Alex, der aber, so will es das Schicksal, immer wieder kurz davorsteht, sein Leben zu verlieren, würde Agnes nicht beharrlich intervenieren und statt seiner die Patschen strecken. Es wäre alles halb so wild, muss die von dieser besagten Liebe auf den ersten Blick gemarterte Lebenskünstlerin nicht alles wieder von neuem beginnen. Und wieder trifft sie auf Alex, mal als Prediger, mal als Bandit, mal als Rockstar. Für Agnes ist es Bestimmung, für den jungen Mann allerdings nicht. Eine Qual ist das, und es gibt keine Möglichkeit, die Balance zwischen dieser Figurenkonstellation auszugleichen oder aber die Paarbindung zu stärken. Erschwerend kommt hinzu, dass Nick Frost als herrlich provokanter Ungustl eine ähnliche Obsession für Agnes hegt, diese aber in toxischen Männlichkeitsfantasien auslebt, mit der das Objekt der Begierde nichts anfangen kann – ganz im Gegenteil. Und noch etwas: Im Hintergrund flammen lesbische Sehnsüchte auf, auch diese bleiben unerwidert. Lowe öffnet damit eine Kiste der im wahrsten Sinne des Wortes halbherzigen Beziehungen, der hoffnungslosen Bewunderungen, deren Energie ins Leere läuft.

Lowe reichert dabei ihre episodenhafte Anti-Romanze mit einigen blutigen Szenen an, die zum guten Ton schwarzhumorig-makabrer Light-Grotesken aus Britannien zählen, denn nicht nur einmal verliert Agnes den Kopf wahrlich nicht nur aus Liebe. Hinter dem, den sie so heiß begehrt, steckt einer, der so aussieht wie Sam Riley, tatsächlich aber als Aneurin Barnard bekannt ist und bereits schon bei Nolans Dunkirk mitgewirkt hat. Das Ensemble ist also in einem vergnüglichen Einklang vorzufinden, die Episoden selbst strahlen eine gewisse bühnenhafte Kauzigkeit aus, was vielleicht auch daran liegt, dass Lowe nicht auf Zug inszeniert. Gemächlich erscheint ihre immergleiche Grunddynamik der einzelnen Geschichten, ganz im Sinne der Idee dahinter fühlt sich vieles so an, als wäre es redundant. Kein Wunder, wenn die Figur der Agnes immer wieder gegen ihren Willen diesen einen Mann will, der im Grunde nichts für sie übrighat. Dieses Dilemma des Anhimmelns setzt Lowe in den Kontext gesellschaftlicher Marotten und Absonderlichkeiten der jeweiligen Zeitalter (schon wieder die Achtziger!), doch stets bleibt der Spaß in seiner Andeutung verhaftet, ohne in diesem Schicksalsspiel wirklich herumzurühren. Als ganz nett könnte man Timestalker bezeichnen – doch ist das nicht das Verheerendste, was einem Film wiederfahren kann, wenn man ihm diese Eigenschaft verleiht?

Nein, Timestalker ist bei weitem kein Reinfall. Doch als großen Wurf würde ich diese Reinkarnations-Komödie, die manchmal an Time Bandits erinnert und die ewige Schnulze der deterministischen großen Liebe in liebevoller Gehässigkeit hinterfragt, auch nicht bezeichnen. Der Twist am Ende macht immerhin vieles wieder wett, was vielleicht zu lange gedauert hat.

Timestalker (2024)

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

WIE DIE ANDEREN WOLLEN

7/10


davidcopperfield© 2020 Constantin Film


LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: ARMANDO IANNUCCI

CAST: DEV PATEL, TILDA SWINTON, HUGH LAURIE, BEN WISHAW, PETER CAPALDI, ANEURIN BARNARD, BENEDICT WONG, JAIRAJ VARSANI, ROSALIND ELEAZAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ist es nicht so? Bei Nennung des titelgebenden Namens kommt doch sogleich der amerikanischen Zauberkünstler mit den dunklen Augenbrauen in den Sinn, der durch die Chinesische Mauer ging oder die Freiheitsstatue hat verschwinden lassen. Der wiederum hat sich allein aufgrund des lautmalerischen Wohlklangs so benannt. Und noch etwas recht Interessantes tritt zutage, setzt man sich mit Charles Dickens´semi-fiktionaler Biopic David Copperfield auseinander: Uriah Heep kommt darin vor. Natürlich nicht als Hardrock-Band, sondern als Namensquelle selbiger. Warum aber haben sich die britischen Musiker ausgerechnet nach der niederträchtigsten Figur aus Dickens´ Roman benannt? Der wiederum von Death of Stalin-Regisseur Armando Iannucci auf höchst exzentrische, aber vergnügliche Art interpretiert wurde.

Viel anders als überstilisiert, so denke ich, lässt sich dieser Stoff in dieser Zeit aber wohl kaum publikumswirksam für die Leinwand adaptieren. Entstanden ist ein kostümfundiertes Kommen und Gehen unterschiedlicher skurriler Gestalten, neurotischer Lebenskünstler, von Reichtum und Armut. Vor allem jene letztgenannten Gegensätze, die bei Charles Dickens in vielen seiner Werke Kern der Sache sind, bilden nicht nur das Alpha und Omega der Memoiren von David Copperfield – vor allem die Armut ist zwischendurch immer wieder Antrieb und Quelle der Improvisation all dieser Figuren, die durch ihre Entrücktheit ihren Existenzzustand überhaupt erst erträglich machen. Dazwischen verweilt der Zuseher zwischen den blumigen Worten einer eloquenten Gesellschaftskomödie, eines Begegnungsreigens und einer chaotischen Zettelwirtschaft. Denn Copperfield, der sich eigentlich nur selbst so nennt, weil alle anderen ihn so nennen wie sie wollen, notiert sein Leben stets auf Resten von Papier – der Zettelpoet ist geboren.

Eine solche Verfilmung wäre vielleicht zur langatmigen Angelegenheit eines Lebens geworden, das nicht wirklich tangiert – wäre Iannucci nicht auf die Idee gekommen, nebst eines ausgeschlafenen und bestens aufgelegten Star-Ensembles (Tilda Swinton, Hugh Laurie und auch Ben Wishaw als Uriah Heep agieren großartig) ethnische Merkmale vollständig zu ignorieren. Das ist, soweit ich weiß, ein gänzlich neuer Impuls: Copperfield selbst ist indischer Herkunft, wobei beide Eltern Europäer sind. Der Industrielle Wickfield ist Asiate, seine Tochter eine Schwarze, so wie die Mutter von Copperfields weißem Kommilitonen Steerforth. Wie seltsam das plötzlich klingt: schwarz, weiß, asiatisch, indisch. Iannucci beschämt das schubladisierte Denken seines Pubikums, sprengt die gesellschaftlichen Normen dahinter, schert sich nicht um ethnische Unterschiede. Das ist mutig – zwar anfangs etwas verwirrend, aber letzten Endes durchaus konsequent. Auch altern all die Figuren kein bisschen, sie sind stets das, was sie in Copperfields Erinnerung sind: unabänderbare Erscheinungen aus der ersten Begegnung, wie Fotografien oder gemalte Portraits. Vor diesen farbenfrohen, satten Pop-Up-Bildern aus Requisiten und liebevoll eingerichteten Interieurs klingelt das Charakterkarussell rotierend vor sich hin. Nicht unanstrengend, das Ganze, weil Iannucci seine Inszenierung in einem zweistündigen Stakkato an exaltierter Theatralik loszulassen gedenkt. Auf der Habenseite allerdings steht eine komplexe Kostüm-Adaption – auf den Punkt gebracht, straff und kurzweilig.

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

Marie Curie – Elemente des Lebens

HIN UND WEG VOM GRÜNEN LEUCHTEN

5,5/10

 

MarieCurie2020© 2020 Studiocanal GmbH / Laurie Sparham

 

LAND: FRANKREICH, GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: MARJANE SATRAPI

CAST: ROSAMUNDE PIKE, SAM RILEY, ANEURIN BARNARD, ANYA TAYLOR-JOY, SIMON RUSSELL BEALE U. A. 

 

Biographien bekannter Persönlichkeiten können unterschiedlicher nicht betrachtet werden. Da gibt es die grundkonventionelle, chronologische Erzählweise von der Kindheit bis zum Tod. Das kann aber auch anhand einer einmaligen Episode aus dem Leben der beschriebenen Person gut funktionieren, meist aus der Sicht eines Außenstehenden (z.B. Life oder My Week with Marylin) und erzielt mit seinem Fokus auf diesen einen Moment einen viel stärkeren Impact. Kein Vergleich zu einer Biopic also, die das ganze Leben auswalzen will. So eine Vita kann aber auch nur assoziativ erzählt werden, aus Erinnerungen und Gefühlen bestehen. Regisseurin Marjane Satrapi versucht, letzteres mit ersterem zu kombinieren – und erliegt dabei einer recht scheuen Erzählweise, die ermüdend beginnt, gegen Ende aber glücklicherweise doch noch etwas an Fahrt aufnimmt.

Dabei liegt es natürlich nicht am nuancierten Spiel von Rosamunde Pike. Sie verleiht ihrer Interpretation der Physikerin und Chemikerin Marie Curie unterschiedliche Gemütsbilder von enthusiastischem Entdeckerdrang bis zur stillen, fast schon zynischen Resignation. Satrapi will sowohl von der wissenschaftshistorischen als auch von der privaten Figur der Marie Curie so gut wie alles wissen. Pike bemüht sich, dem gerecht zu werden. Wird manchmal, was etwas zu prätentiös wirkt, zur engelsgleichen Ikone hochstilisiert, dann wieder sind es die klassischen Elemente einer fast muffigen Halbdokumentation, wenn die gebürtige Polin gemeinsam mit ihrem Lebensmenschen Pierre Curie die beiden Elemente Radium und Polonium entdeckt. Das ist klassisches Schulfernsehen aus dem Archiv, so stellt man sich das natürlich vor. Satrapis Film ist somit gänzlich anders als jener der Französin Marie Noëlle aus dem Jahr 2016, der erst ansetzt, nachdem Ehemann Pierre Curie bei einem Kutschenunfall ums Leben kommt. Die uneheliche Liebschaft mit dem verheirateten Freund Paul Langevin und dem daraus resultierenden Shitstorm aus der Gesellschaft, ganz ohne Social Media, ist das eigentliche Thema ihres Films. Eine ausformulierte Betrachtung, die Curies preiswürdiges Schaffen nicht nochmal durchnimmt, sondern einen ganz anderen Aspekt, vor allem einen, der in Zeiten starken weiblichen Selbstbewusstseins relevant scheint, hervorarbeitet. Noëlles Film (siehe Marie Curie) ist zutiefst feministisch, einfach weil er den Fokus richtig setzt. Dieser Film hier ist fast schon zu allgemein.

Man merkt, Marjane Satrapi kommt aus dem Comic-Fach (Persepolis). Genauso wie Marie Curie fasziniert auch sie das grüne Leuchten des strahlenden Radiums – und Grün ist auch eine immer wiederkehrende Farbe in ihren Bildern. Wenn Comics schon so eine Art gezeichnete Filme sind, umso leichter dürfte ihr das Inszenieren von selbigen fallen, was aber hier nicht den Eindruck erweckt: Marie Curie – Elemente des Lebens (oder im Original einfach nur Radioactive) bleibt geschmackvolle Konvention, die erfrischende Innovationen vermissen lässt. So sehr Marie Curie auch inspiriert worden war durch all das Wirken der Chemie und den verborgenen Elementen – der Film selbst lässt sich davon kaum mitreißen. Leider sehr viel später erst beginnt Satrapi irgendwie aufzutauen, aus sich herauszugehen, liefert Sichtweisen in Bezug auf die Entdeckungen der Curies und verknüpft diese mit den historischen Eckpunkten zur Geschichte der Radioaktivität in Menschenhand – von Hiroshima bis Tschernobyl kann das Publikum in die vergangene Zukunft reisen und Einblick nehmen in ein ambivalentes Vermächtnis, das jeden von uns bereits längst tangiert hat. So wird Marie Curie doch noch zu einer greifbareren Gestalt, die bis in die Gegenwart hindurchwirkt.

Marie Curie – Elemente des Lebens