EIN FILM ÜBER WOLKEN
6/10
© 2025 Universal Pictures
LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025
REGIE: RONAN DAY-LEWIS
DREHBUCH: RONAN DAY-LEWIS, DANIEL DAY-LEWIS
KAMERA: BEN FORDESMAN
CAST: DANIEL DAY-LEWIS, SEAN BEAN, SAMANTHA MORTON, SAMUEL BOTTOMLEY, SAFIA OAKLEY-GREEN, ADAM FOGERTY, KARL CAM, MATTY LUMSDEN U. A.
LÄNGE: 2 STD 1 MIN
Der König des Method Actings ist zurück: Daniel Day-Lewis. Was ihn wohl bewogen hat, wieder vor die Kamera zu treten? Natürlich der eigene Sohnemann, Ronan Day-Lewis, der angesichts dieses vielfach oscarprämierten Einflusses gar nicht anders kann, als nicht im Filmbiz seine berufliche Zukunft zu verorten. Nach Kurzfilmen und einem Musikvideo geht der Mittdreißiger nun seinen ersten abendfüllenden Spielfilm an, in den er alles mögliche hineinsteckt, was auch nur irgendwie dramatisches Gewicht hat. Wer könnte das alles nicht besser stemmen als der eigene erfahrene Schauspielvater, der sich vielleicht sogar hat lange bitten lassen, sogar vom Nachwuchs. Doch nun ist es geschafft, die Hürde genommen, Day-Lewis ist wieder da, mit grauem Haar, partiellem Vollbart und argwöhnischem Blick. Der Vater spielt einen Vater, doch einen, der den eigenen Sohn gar nicht mal kennt. Day-Lewis Senior und Junior haben dieses Projekt gemeinsam durchgezogen, zumindest das Drehbuch, während Freund Brad Pitt mit seiner Firma Plan B das Ganze produziert hat. Anemone nennt sich dieses düstere Wetterpanorama von Psychodrama, in dem sich die Wolken türmen und alles andere erdrücken.
Der Papa wird’s schon richten?
Zugegeben, einem Wetter wie diesem hier im Film kann ich einiges abgewinnen, ist gefühlt zehntausendmal besser als blauer Himmel. Der Sturm knechtet den düsteren, feuchtnassen Wald irgendwo im Norden Englands, regenschwere Drohkulissen schieben sich übers Meer, die Witterung nimmt die gepeinigte Seele eines Aussteigers in die Mangel, der, fernab der Zivilisation in der Wildnis sein restliches Dasein fristet. Dieser knorrige und grimmige Mann ist Ray – eine dankbare Rolle für Day-Lewis, mit der er improvisieren kann wie es ihm gefällt. Alles hat er hinter sich gelassen: den nordirischen Krieg gegen die IRA, ein ihm angelastetes Kriegsverbrechen, die Desertierung aus dem Militär, die Partnerin, den Sohn, das ganze bisherige Leben. Als ob die Verfolgung durch all die Dämonen nicht reicht, steht eines natürlich düsteren Tages Bruder Jem (Sean Bean) vor der Tür. Ebenso wortkarg, ebenso skeptisch, und vielleicht gar viel zu viel fordernd. Denn Rays unbekannter Sohn steckt in einer Krise. Niemanden dringender würde er nun an seiner Seite brauchen als den eigenen Vater. Tja, warum auch immer. Doch womöglich sind es ähnliche Dämonen, die Stoker Junior verfolgen wie die, die dem Senior Albträume bescheren.
Reden wir nicht übers Wetter
Betrachtet man Anemone aus einiger Entfernung, schrumpft das auf Spielfilmlänge gedehnte, bitterernste und kantige Superdrama, das sich mit dunklen, schweren, gesättigten Bildern schmückt, von denen man am liebsten kosten möchte und jeden Moment darauf wartet, dass der Regen von der Leinwand tröpfelt, auf eine Momentaufnahme zusammen. Viel Handlung hat Ronan Day-Lewis‘ Film daher keine. Wettgemacht wird der Umstand durch Kontemplation und Entschleunigung – und Wolken. Ganz vielen Wolken. Das Wetter ist in Anemone das Um und Auf, entspricht es doch den Gefühlszuständen eines ganze seitenlange Textblöcke rezitierenden Daniel Day-Lewis, der sowas womöglich schon immer machen wollte: Reden, reden, reden. Und er redet, redet, redet, anfangs zwar nicht, aber dann sprudelt es aus ihm heraus. Was man so hört, sind keine schönen Sachen, sie handeln von Missbrauch und Gnadenschüssen, von ewiger Reue und einem gequälten Gewissen. Sean Bean hört zu, bekümmert und mitfühlend. Beide halten ihre Gesichter in das Zwielicht des Tages, zerfurcht, verbraucht, versteinert.
Entspannung durch Niederschlag
Ronan Day-Lewis hatte für seinen ersten Langfilm ganz sicherlich eine Vision. Sein Handwerk versteht er, vor allem dann, wenn die schwer vom Fleck kommende Story mit dem Mysteriösen, Metaphysischen, Allegorischen kokettiert. Schöne Bilder sind da, abgelöst von einem irren Naturschauspiel, in dem es zum Glück keine Frösche regnet wie in Magnolia. Dann endlich entlädt sich die ganze aufgestaute, gravitative Energie, um einen wie ein Tornado um sich selbst kreisenden reumutigen Daniel Day-Lewis zurück auf den Boden eines kollektiven Neuanfangs zu bringen. Anemone ist wagnerische Katharsis und Schauspielvehikel für einen gern gesehenen Wiederkehrer, sich selbst aber immer wieder erdrückend und manchmal scheint es, als würde man keine Luft holen können.


