Horizon: Eine amerikanische Saga – Kapitel 1 (2024)

WILDWESTROMANTIK ALS LEBENSGEFÜHL

7,5/10


horizon© 2024 Tobis


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: KEVIN COSTNER

DREHBUCH: KEVIN COSTNER, JON BAIRD

CAST: KEVIN COSTNER, SIENNA MILLER, GEORGIA MCPHAIL, SAM WORTHINGTON, LUKE WILSON, THOMAS HADEN CHURCH, ABBEY LEE, ISABELLE FUHRMANN, ELLA HUNT, JENA MALONE, MICHAEL ROOKER, WILL PATTON, DANNY HUSTON, TOM PAYNE, TATANKA MEANS U. A.

LÄNGE: 3 STD 1 MIN


Vier Kapitel soll sein epochales Gesamtkunstwerk umfassen, das erste ist derzeit im Kino zu sehen, das zweite soll zwar nicht in den USA (wo es eigentlich hingehört) über die große Leinwand flimmern, dafür aber bei uns hier in Europa, und zwar schon Anfang November. Ich muss sagen: Darauf freue ich mich sehr. Und auch mag es klug sein, nicht zu viel Zeit zwischen den Teilen verstreichen zu lassen, damit man nicht vergisst, wer hier genau mit seinem Schicksal hadert, es herausfordert, annimmt oder als Geschenk überreicht bekommt, von höheren Mächten, die den nordamerikanischen Kontinent zur Zeit der Sezessionskriege fest im Griff haben. Da mag der Gott der weißen Männer und Frauen ebenso sein Wörtchen mitzureden haben wie all die Götter und gottgleichen Wesen der uramerikanischen Indigenenmythologie. Zu diesem Zeitalter der Anarchie, der Pionierabenteuer und dem freien Spiel der Kräfte mag Kevin Costner seine Meilen über Meilen weite Spielwiese gefunden haben, die er, seit er mit dem Wolf getanzt, liebgewonnen hat und bis heute ehrt, bewundert und für andere sichtbar macht. Dabei will er nicht nur das Schicksal eines einzelnen Mannes in den Fokus rücken, wie er es mit seiner Figur des John Dunbar gemacht hat, sondern gleich ein ganzes Ensemble, das unterschiedlicher nicht sein kann.

Vom verbissenen Apachen über das snobistische Ehepaar im Planwagen bis zum Jungen, der nach einem Überfall der Apachen auf die Siedlung Horizon alles verloren hat, bis zur Witwe und trauernden Mutter (Sienna Miller) mit ihrer einzigen verbliebenen Tochter, die dem First Lieutenant schöne Augen macht. Alles, wirklich alles ist in Horizon: Eine amerikanische Saga gepackt wie all das, was man braucht, verstaut in einem Planwagen, will man gen Westen ruckeln, zu einer Zeit, in der die gerechte Ordnung so fern schien wie nie zuvor und nie mehr danach. Ganz obendrauf: Kevin Costner selbst, als aufgeräumter, moralisch durchgepeilter Pferdehändler, der rein zufällig auf die Prostituierte Marigold (Abbey Lee) trifft, die ihn in ein Dilemma hineinreitet, welches wohl sein Leben grundlegend verändern wird. Hier im Westen, hier gibt es nämlich nicht nur das klassische, fast schon stereotype Narrativ der Cowboys gegen die Indianer, wie wir es seit den frühen kitschigen und wenig reflektierten Westernfilmen kennen. Hier gibt es auch Weiße gegen Weiße, hier geht’s um Blutrache, Familie und Ehre. Hier gibt es alles, was das Herz des Westernfans begehrt. Und gleichzeitig nichts, was das Herz des Westernfans nicht kennt oder so noch nicht gesehen hätte. Was jeder artverwandte Groschenroman mit sich führt oder Der mit dem Wolf tanzt ohnehin schon so tiefgreifend gut und reflektiert erzählt hat.

Costner liegt nichts daran, einen anderen Blickwinkel auf die uramerikanischste aller Zeitalter einzunehmen. Er bleibt bei seinem Opus Magnum ein Nostalgiker und Wildwest-Romantiker. Sein Neuversuch eines John Ford-Manierismus gipfelt in einer abgöttischen Liebe und Begeisterungsfähigkeit für uramerikanische Landschaften, die atemberaubender nicht sein können. Auf diesen weiten Flächen dann Dramen, die man so oder anders gut kennt, die einem vertraut vorkommen, die vor allem aber dadurch, dass sie die äußerst kurzweilige Laufzeit von drei Stunden untereinander aufteilen müssen, gewinnen. Horizon: Eine amerikanische Saga – Kapitel 1 wird so zum Episodenfilm, der seine fiktiven Biografien aber durchmischt wie die Spielkarten vor dem Zocken im Saloon. Ein erster kluger Schachzug. Der nächste: Costner weiß um dieses Pathos, welches er lostreten wird. Er weiß aber, wie er es zügeln kann. Und setzt es so punktgenau und planerisch ein wie zum Beispiel James Cameron in seinem Untergang der Titanic. Pathos ist per se nichts Schlechtes, nur will diese filmische Eigenschaft immer mehr mitmischen als sie guttut. Bei Horizon kippt das Wildwest-Bilderbuch nur gelegentlich in hausbackenen Kitsch, insbesondere die Romanze zwischen Miller und Sam Worthington will nicht so recht gelingen.

Das aber ist Jammern auf hohem Niveau. Denn Horizon gelingt das Kunststück vorallem im Casting. Keine noch so kleine, angeteaserte Nebenrolle aus dieser ganzen illustren Schar an Charakteren mag so uninteressant sein, dass man sie für überflüssig hält. Das Schicksal aller hat Relevanz, weckt die Neugier und den Wunsch, zu wissen, was ihnen allen des Weiteren widerfährt. Horizon fühlt sich in seiner melodramatische Wucht so an wie Fackeln im Sturm, setzt alles richtig, hält die Spannung, macht Zwischenmenschliches greifbar. Vielleicht sind das alles Klischees, vielleicht schwelgt Costner zu sehr in Tradition. Doch es ist das, was den Film so packend macht. Ein Wunder, dass in den USA Costners Herzensprojekt niemand sehen will. Vielleicht ist das Genre auf diese Art schon übersättigt. Doch wenn schon – der Qualität dieser Arbeit tut das keinen Abbruch. Mehr davon!

Horizon: Eine amerikanische Saga – Kapitel 1 (2024)

Love Lies Bleeding (2024)

DIE HARTE UND DIE ZARTE

6,5/10


Love-Lies-Bleeding© 2024 Courtesy of A24


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE: ROSE GLASS

DREHBUCH: ROSE GLASS, WERONIKA TOFILSKA

CAST: KRISTEN STEWART, KATY O’BRIAN, ED HARRIS, DAVE FRANCO, JENA MALONE, ANNA BARYSHNIKOV U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Würde Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll seinen silbernen Haarkranz so ungeniert wie ungehemmt wuchern lassen, hätte er nicht nur eine stattliche Mähne wie Guildo Horn, sondern würde auch so aussehen wie Ed Harris in Love Lies Bleeding, nur vielleicht etwas faltenfreier. Harris, gern gesehener Charakterdarsteller schon seit Jahrzehnten, gibt in diesem sozialpornografisch angehauchten Thrillerstück den mit einem ordentlichen Pensum an väterlichen Ratschlägen ausgestatteten Projektil-Zampano, dem auf diesem wüstenstaubigen Eck in New Mexiko scheinbar alles gehört – von der Muckibude bis zum Schießstand, auf welchem waffengeile Sozialfälle ihr Aiming checken. Dabei ist Harris ja gar nicht mal die wichtigste Figur in diesem Film, obwohl sich letztlich jedwede weibliche Aggression gegen ihn richten wird.

Wichtiger noch als das fiese Patriarchat sind die beiden jungen Frauen Kristen Stewart als Lesbe Lou und die durchtrainierte Martial Arts-Sportlerin Katy O’Brian als heimatlose Jackie, die durch die Gegend treibt wie herrenloses Gut auf bewegtem Gewässer. Zumindest aber hat letztere ein Ziel: Ein Contest im Bodybuilding, welches unweit in Las Vegas bald schon über die Bühne geht. Dafür trainiert sie in jenem Gym, welches nicht nur Lous Vater gehört – eben Ed Harris – sondern Lou selbst auch angestellt ist, um als Mädchen für alles auch mal verstopfte WC-Anlagen zu säubern. Mit einem geschmackvoll bebilderten Ringen um intakte Sanitäranlagen findet Regisseurin Rose Glass auch jene stilistische Bildsprache, die sich zwischen Gekotze, Blut und Garbage-Close-Ups durch den ganzen Film zieht. Man muss wissen, wie man solche Motive immerhin doch noch so in Szene setzt, damit sie einen gewissen anti-ästhetischen Wert haben. Überdies macht das Visuelle mehr als deutlich, auf welchen Niederungen der Gesellschaft wir uns eigentlich befinden. Lou und Jackie sind beide nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen. Die Sozialen Defizite lassen sich im besten Fall durch eine Romanze schönreden, die alsbald auch eintreten wird. Welch ein Glück, dass Jackie auf Lou genauso abfährt wie umgekehrt. Dem hitzigen Liebesleben würde nichts im Wege stehen, wäre da nicht Lous ekelhafter Schwager, der scheinbar nichts anderes verdient hat als endlich von der Bildfläche zu verschwinden. Ein Umstand, den Jackie letztlich herbeiführt – auf die brutale, gewalttätige Art, einschließlich explizitem Kieferbruch. Was folgt, sind Schwierigkeiten, die man sich eintritt, wenn man Kapitalverbrechen begeht. Und wenn man zu viel Steroide spritzt.

Rose Glass eklig-bunte Thriller-Romanze hat ihre besten Momente, wenn sie abtaucht in eine bizarre Welt aus surrealen Visionen und düsteren Erinnerungen. Katy O’Brians durchtrainierter Körper, gepaart mit dem Blähen ihrer Muskeln, lässt sie zum She-Hulk für die Übervorteilten, Zurückgelassenen und Ausgestoßenen werden, an ihrer Seite Kristen Stewarts introvertierte Verletzlichkeit und die verzweifelte Suche nach Ordnung und Gerechtigkeit in einer Welt, in der das provinzielle Faustrecht regiert. Und auch wenn das aus Schweiß, Blut und Tränen vermengte tragische Märchen ihre verzweifelten Kämpferinnen durch einen waffen- und gewaltstarrenden Parkour treibt, setzt sich Rose Glass nur unwillig mit den Biografien ihrer Protagonistinnen auseinander. Beide bleiben vom Schicksal hin- und her gestoßene, jedoch flache Gestalten, die stereotype Eigenschaften besitzen und deren Motivation für ihre Taten sich nicht immer erschließt. Dahinter als drohende Gefahr ein traniger Ed Harris, wie der gottgleiche Schurke aus Panos Cosmatos‘ Psychedelic-Oper Mandy. Wohin die Flucht letztlich gelingt – in der Vorstellung oder auch tatsächlich – hängt davon ab, welche Ambitionen Rose Glass antreibt. Es sind jene einer schillernden Verliererballade mit vertrauten Lyrics, bekannten Phrasen – und manchmal komplett quergedachten Impulsen, die Love Lies Bleeding immer wieder mal das gewisse Etwas verleihen.

Love Lies Bleeding (2024)

Rebel Moon – Teil 1: Kind des Feuers (2023)

BAUCHFLECK AUF KOSMISCHER URSUPPE

2/10


REBEL MOON© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ZACK SNYDER

DREHBUCH: SHAY HATTEN, KURT JOHNSTAD & ZACK SNYDER

CAST: SOFIA BOUTELLA, CHARLIE HUNNAM, MICHEL HUISMAN, ED SKREIN, DJIMON HOUNSOU, JENA MALONE, RAY FISHER, COREY STOLL, FRA FEE, CLEOPATRA COLEMAN, STAZ NAIR U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


George Lucas wollte sie nicht: Zack Snyder und sein selbst verfasstes Drehbuch zu einer Star Wars- Episode, die einfach gedreht werden musste, weil das Skript so gut sei. Als Arbeitstitel könnte auf dessen Deckblatt auch Die Sieben Samurai im Weltraum gestanden haben, doch das Konzept der zusammengewürfelten Selbsthilfegruppe zur Verteidigung von was weiß ich was allem ist eine gefühlt tausende Male schon interpretierte und letztlich ausgelutschte Sache. Die Saat hätte unter Zack Snyder allerdings neu aufgehen können. Wir wissen, welch ein Visionär der Mann sein kann. Ich schätze seine Ausflüge ins DC-Universum – die Sprache, die er dabei zum Ausdruck brachte, klingt nach jener aus den Comics. Dem Director‘s Cut seiner Justice League räume ich an guten Tagen gar den Status eines Meisterwerks ein. Und 300 – der spartanische Widerstand gegen die Perser: Ein Stück Action-Avantgarde. Doch Snyder ist vermutlich einer, der, angeleitet, Großes vollbringen mag. Der aber, mit sich selbst alleingelassen, nicht so recht weiß, wo er ansetzen und wo er absetzen soll. Bestes Beispiel, nicht zu wissen, mit welchen Dosen er hantieren muss, ist Rebel Moon. Mit Abstand der schwächste Film des eben erst vergangenen Jahres.

Zack Snyder hat jede Menge Potenzial, darüber lässt sich meiner Ansicht nach gar nicht streiten. Was er allerdings nicht kann, zeigt der Auftakt eines Franchise, welches, ist der erste Teil mit einer Länge von knapp zweieinhalb Stunden mal durchgestreamt, zumindest bis zu diesem Punkt nichts und niemanden bereichert. Weder das Genre des Science-Fiction-Films noch die dem Phantastischen zugetane Zielgruppe. Dass da so einiges nicht rund läuft, lässt sich bereits in einer der ersten Einstellungen erkennen. Sofia Boutella, Ex-Mumie und Star Trek-Alien, beackert auf dem Mond Veldt auf vorsintflutliche Weise ein Feld, hinter ihr ein aubergineroter Sonnenuntergang. Irgendeine Bodenfrucht gräbt unsere spätere Heldin dabei aus, während sie Besuch aus dem Dorf bekommt, das eher einer Siedlung gleicht. Das alles hat den Touch einer schlecht beleuchteten Bühne. Sets wie diese ohne Tiefenwirkung unterliegen artifiziellen Effekten, die keine Stimmung vermitteln – nur eine von mehreren Unzulänglichkeiten, die der prognostizierten Epik von Snyders persönlichem Vorhaben im Wege stehen. Die Problematik beginnt zeitgleich mit der Wahl seiner Mittel auch mit dem zugrundeliegenden Plot.

Die ehemalige Elitesoldatin Kora dürfte vor einiger Zeit mit ihrem Raumschiff auf Veldt abgestürzt und von der Gemeinschaft der autarken Bauern aufgenommen worden sein. Ein besserer Weg, um aus einer tyrannischen Maschinerie wie jene des Regenten Basilarius auszusteigen, wird sich wohl kaum finden. Und dennoch reicht der Arm der Mutterwelt sogar so weit, um der archaischen und stark an Nordländer erinnernden Gemeinschaft ein Komitee zu schicken. Admiral Noble nämlich, gespielt von Ed Skrein und seiner Uniform sowie überhaupt dem ganzen Gehabe nach stark an einen gehirngewaschenen Psychopathen aus dem Nazi-Regime erinnernd, sucht wie seinerzeit im Star Wars-Universum der Großinquisitor und seine Handlanger nach Rebellen, die sich hier versteckt halten. Die Bösen verbreiten naturgemäß Angst und Schrecken, während Kora und Gunnar mithilfe des an Han Solo erinnernden Vagabunden Kai entwischen können, um quer durch die Galaxis zu fliegen und Leute zu rekrutieren, die sich später, Seite an Seite mit Zugpferd Boutella, dem Regime in den Weg stellen sollen.

Ein paar bemühte Story-Twists sollen der schalen Geschichte ein bisschen Würze verleihen – leider vergebens. Rebel Moon schmeckt nach nichts. Hat weder Atmosphäre noch Charme noch Wirkung. Eine verdünnte kosmische Ursuppe, die sich frei heraus und mit unverhohlener Dreistigkeit bei gefühlt allen Klassikern des Genres auf eine Weise bedient, die auffälliger nicht sein könnte. Natürlich mischt Star Wars ganz vorne mit, des weiteren Blade Runner, Snyders eigene DC-Filme und Matrix. Snyders gewählter Stil passt vorne und hinten nicht zusammen. Ackerbau und Viehzucht aus stromlosen Zeiten, Mittelalter gepaart mit Steampunk-Monarchismus, griechischen Heldensagen, Harry Potter und antiquarischem High-Tech. Was für ein Hybrid, ein filmisches Kuckuckskind, das überall mitnascht, um nur nichts Eigenes zu entwickeln. In diesem Stückwerk aus angerissenen Welten und mauen Effekten: ein ganzes Ensemble wenig interessanter, geradezu flacher Charaktere, deren Biographien man nicht kennen will, deren Schicksale einem egal sind; die so lieblos aufs Spielbrett gesetzt werden wie Bauernopfer beim Schach. Noch ein Seitenblick auf Star Wars gefällig? Da sind Luka, Leia, Han, Obi Wan und Chewbacca Seelen, die dank ihres Charismas ein ganzes galaktisches System aus ihren Angeln heben können. Blickt man wieder zurück auf Rebel Moon, bleibt nur Schmuck ohne Körper. Langweilig und generisch – fast so, als käme das Drehbuch aus dem Hexenkessel einer KI.

Spätestens, wenn sich Möchtegern-Waterloo Staz Nair mit nacktem Oberkörper allen Zweifeln erhaben auf einen pechschwarzen Greifen schwingt, übertüncht die unfreiwillige Komik letztlich all die halb ausgebackenen Versatzstücke. Die leicht erworbene Selbstgerechtigkeit einer jeden einzelnen Figur steht vielleicht Bat- oder Superman, aber keiner und keinem einzigen in dieser Truppe. Ed Skrein mag da noch wahren, was es zu wahren gibt, als verbissener, aber eindimensionaler Schurke. Dem Rest mag bei der Fahrt durch ein Asteroidenfeld der Parcour gelingen oder auch nicht – die Sorge darüber hält sich in Grenzen.

Rebel Moon – Teil 1: Kind des Feuers (2023)

Ein ganz gewöhnlicher Held

EINMAL GANDHI ZUM MITNEHMEN

7/10


ganzgewoehnlicherheld© 2019 Koch Films


LAND: USA 2018

BUCH & REGIE: EMILIO ESTEVEZ

CAST: EMILIO ESTEVEZ, ALEC BALDWIN, JEFFREY WRIGHT, CHRISTIAN SLATER, TAYLOR SCHILLING, JENA MALONE, MICHAEL K. WILLIAMS, GABRIELLE UNION U. A. 

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Die Zeit des karitativen Bewusstseins hat längst wieder Einzug gehalten bei denen, die es sich leisten können, anderen zumindest kurzfristig die Existenznot zu nehmen. Kick-off dieses Bewusstseins: der 11. November, Martinstag. Besagter Martin hat ja bekanntlich seinen Mantel geteilt, um einem armen Schlucker vor dem Erfrieren zu bewahren. Nun, so lange das Geben und Teilen nicht den Vorschriften widerspricht, ist ja alles schön und gut. Sobald aber Zeichen gesetzt werden, die Verordnungen zuwiderlaufen, haben Menschenrechte das Nachsehen. So gesehen in vorliegendem Film von Emilio Estevez, der auch schon lange Zeit nichts mehr von sich hören ließ. Sein letzter Film war glaube ich jener über den Jakobsweg, in der Hauptrolle sein eigener Altvorderer Martin Sheen. Jetzt hockt der ehemalige Breakfast-Clubber zwischen den vollbeschlichteten Buchregalen einer städtischen Bibliothek, gemeinsam mit einer ganzen Schar Obdachloser, die vor einer Forstnacht Zuflucht suchen. Das ist der Stoff, aus dem besinnliche Filme über Nächstenliebe gemacht sind. Ich könnte mir ganz gut Jimmy Stewart in dem ganzen Szenario vorstellen. Aber Estevez in seiner Rolle als einer, der, selbst mal ohne Dach über dem Kopf, nun die Nöte der zusammengewürfelten Gruppe wohl am besten versteht, weiß die Begrifflichkeit der Menschenwürde nicht zu einem pathetischem Gloria zu überhöhen.

Worum es also geht: Estevez gibt den Bibliothekar Stuart, der in winterlichen Zeiten wie diesen wärmesuchenden Obdachlosen zu den Geschäftszeiten Tür und Tor öffnet. Das ändert sich bald, als es nämlich noch kälter wird und so gut wie alle karitativen Einrichtungen bereits zum Bersten voll sind. Wohin also mit den Bedürftigen? Natürlich hierbleiben, egal ob die Pforten schließen. Das ist gegen das Gesetz, und sogleich rückt die Polizei und auch die lokale Politik an, um diese Aktion zu unterbinden. Denn wie eine Aktion scheint das Ganze zu sein. Völlig gewaltfrei entschließen sich Stuart und die anderen zu einem Sit-in, zu einem gewaltfreien Protest, auch wenn diese verrückte, aber zutiefst menschliche Idee manchen den Job kosten wird.

Ein ganz gewöhnlicher Held, im Original nur schlicht und einfach The Public, hat zwar anfangs so seine Schwierigkeiten, all die angefangenen Erzählstränge effizient miteinander zu verknüpfen, doch sobald allesamt an einem Ort versammelt sind, kann die simple und demonstrative Mär eigentlich losgehen. Das dauert zwar, aber bis dahin erfreut man sich selten gesehener Gesichter wie jenes von Christian Slater, der allerdings einen recht schablonenhaften Kotzbrocken von Möchtegern-Bürgermeister gibt. Alec Baldwin als Chef-Verhandler bei Geiselnahmen sucht seinen ebenfalls obdachlosen Sohn und Jeffrey Wright gibt sich vorerst ganz zugeknöpft, bevor er langsam auftaut. Kein Wunder bei so einem herzerwärmenden Film wie diesen. Da geht’s um astreinen Altruismus, da würde der Heilige Martin wohlwollend nicken. Wäre hier nicht der Song I can see clearly now von Jimmy Cliff im Rahmen einer wirklich beeindruckenden und berührenden Schlussszene zu hören, könnte man auch gut und gerne das Weihnachtslied von König Wenzel dazu summen. Doch ein Weihnachtsfilm ist Ein ganz gewöhnlicher Held nicht. Eher ein zeitloses Statement für ein Miteinander, für das man sich erst mal durchringen muss. Doch dann, dann sieht man klarer.

Ein ganz gewöhnlicher Held