Rabbit Trap (2025)

HÖR MAL, WAS DA SPRICHT

6,5/10


© 2025 Bankside Films


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: BRYN CHAINEY

KAMERA: ANDREAS JOHANNESSEN

CAST: DEV PATEL, ROSY MCEWEN, JADE CROOT U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Wir lieben die Natur, wir schätzen die Natur und wir missachten sie gleichermaßen, weil wir davon ausgehen, dass wir längst verstehen, wie sie tickt. Doch das tun wir nicht. Wir haben keine Ahnung, was Natur eigentlich ist, wie alles zusammenpasst und ineinandergreift, was sie uns sagt und von uns verlangt. Und vor allem: was warum auf welche Weise seinen Nutzen hat. Wir lauschen also da hinein, ins Rauschen der Wälder, ins Zirpen der Vögel und ins Knarren und Knacken der Bäume. Dazwischen gibt es aber auch noch etwas. Eine Melodie, ein Raunen und Singen, eine ganze verborgene, metaphysische Landschaft aus einer Art dunkler Materie, die alles zusammenhält, in der Zwischenwelten und Zwischenwesen existieren. Diese Entität weckt Aberglauben und Ängste und erzählt von Gestalten, die es angeblich gar nicht gibt. In Skandinavien ist der Glaube an verborgene Völker wie Trolle, Feen oder Zwerge fest im kulturellen Erbe verankert, anderswo führen Forststraßen durch erschlossene Nationalparks und aufgekaufte Hektar, der Urwald ist mittlerweile etwas Besonderes, weil so seltenes.

Dem Rauschen lauschen

Am Rande eines solchen jedoch, fernab von jeglichem urbanen Treiben, isoliert im Nirgendwo wie auf einer Insel, dorthin hat sich das durchaus exzentrische Paar der Davenports zurückgezogen – Daphne und Darcy machen Musik, keine klassische, sondern experimentelle wohlgemerkt, die sich aus Klängen, Geräuschen und Wortfetzen zusammensetzt, dazwischen wummernde Synthies, lautstark aus diversen Boxen dröhnend, die an diversen Verstärkern hängen und so das rustikale Cottage und die ganze Umgebung ihren Rhythmen unterwiren. Während Daphne den Sound mixt, macht sich Darcy auf die Suche nach lohnenswerten Vibes und stößt dabei, wie kann es anders sein, auf ein höchst seltsames Geräusch, das so klingt, als wäre es durch Menschen verursacht – ein Flüstern, Kreischen und Wimmern. Die Stimme des Waldes, der Natur? Ganz benommen von dieser Entdeckung, dröhnt der neue Soundmix in satter Tonlage durch die Räume, durch die Wände, in die Welt zurück – um eine Gestalt anzulocken, eine junge Person, eigentlich noch ein Teenager, vielleicht gar minderjährig, niemand weiß das so genau. Sie steht da plötzlich vor dem Haus, wird hereingebeten, man freundet sich an, übernimmt völlig ungeachtet eines Vorsatzes so was wie Verantwortung – bis die Balance ganz deutlich kippt und klar wird, dass dieser fremde Mensch, der nicht mal einen Namen besitzt, etwas ganz anderes sein muss, nur nicht menschlich.

Verständnis für das Unverstandene

Es kann sein, dass Rabbit Trap von Debütant Bryn Chaney mit der Fülle seiner Ideen zu sehr auf die Dynamik dieses höchst mysteriösen und nicht immer ganz verständlichen Mysteriums drückt, obwohl es, wie man bald bemerkt, genau darum geht: um Verständnis für etwas, das der Mensch nicht versteht. Chaneys Film handelt von Gnade, Respekt und Verantwortung, von nicht erfüllbaren Zugeständnissen und dem namenlosen Dazwischen als Essenz für eine Dimension, die der unseren, begreifbaren und analysierten, inhärent zu sein scheint. Schauspielerin Jade Croot gibt dabei der phantastischen Figur des Findelkinds eine bemerkenswert unheilvolle Aura, pendelt zwischen erregtem Mitleid, Freundlichkeit und erschreckend raumfüllender Dominanz hin und her – dabei hält sich „Slumdog Millionaire“ Dev Patel ohnehin nur in einem Zustand der völligen Verwirrung auf, bleibt neben der Spur, verliert die Orientierung genauso wie Co-Star Rosy McEwen (Harvest). Faszinierend, was Chaney aus seiner Grundsatzannahme, die Natur ist mehr als die Summe ihrer Teile, alles hervorwuchern lässt. Als wäre es nur eine durch natürliche Drogen verursachte Wahrnehmung, verfängt sich das Schauspiel-Duo in einem Regelwerk unsichtbarer Mächte. Das darauffolgende dekorative Brimborium, den opulenten Overkill aus Sinnbildern und illustrierter Metaphysik, hätte es vielleicht gar nicht gebraucht. Tatsächlich ist das schon zu viel des Guten, wenngleich das Visuelle von Rabbit Trap durchaus besticht und das Staunen sich in die eigene Mimik schleicht.

Sieht man genauer hin und sucht vielleicht nach Vergleichen in der Filmgeschichte, die die Inkarnation von etwas Abstraktem zum Thema haben, stößt man vielleicht auf Michael Endes Unendlicher Geschichte und seine kindlichen Kaiserin, die flehentlich darum bittet, verstanden und benannt zu werden. Bei Rabbit Trap ist es die Natur, die keiner will, aber dringend braucht, um überhaupt weiterzumachen.

Rabbit Trap (2025)

Bird (2024)

GEFIEDERTE FREUNDE

8/10


© 2024 House Bird Limited


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: ANDREA ARNOLD

CAST: NYKIYA ADAMS, FRANZ ROGOWSKI, BARRY KEOGHAN, JASON BUDA, JAMES NELSON-JOYCE, JASMINE JOBSON, FRANKIE BOX, RHYS YATES, JOANNE MATTHEWS U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Sie singen alle gemeinsam Coldplays Love Song Yellow nach, damit die vermaledeite Kröte endlich ihren halluzinogenen Schleim spuckt. Barry Keoghan als viel zu junger Vater Bug, verziert mit allerlei Tattoos aus Brehms Tierleben, Band Insekten und Gliederfüßer, hält das Amphib dicht vor seinem entblößten Oberkörper, ein anderer hält dem Tier eine Glasscheibe vor. Mit diesem animalischen Auswurf, so Bug, will er sich und seine Familie finanziell sanieren. Und im Übrigen seine kurz bevorstehende Hochzeit ausrichten. Dieser Figur eines völlig aus dem Leben geworfenen und allmählich wieder zurückfindenden Menschen gibt Keoghan (oscarnominiert für The Banshees of Inisherin, Saltburn) Leben, schenkt ihm Liebe und Echtheit. Obwohl der Mann vieles nicht auf die Reihe bekommt. Schon gar nicht die Erziehung seines Nachwuchses. Das sind Hunter (Jason Buda), der in die Fußstapfen seines kumpelhaften Vaters tritt und seiner Freundin ein Kind macht – und Bailey (Nykiya Adams), ein zwölfjähriges Mädchen, das sich ihrer sexuellen Identität noch nicht ganz bewusst ist oder aber diesen Geschlechterrollen bis dato keine Beachtung geschenkt hat, da es dafür wirklich keinerlei Zeit und Raum gab, um sich selbst zu definieren.

Bailey ist die zentrale Protagonistin des Films, Andrea Arnold folgt ihr auf Schritt und Tritt, ohne sie zu bedrängen, allerdings auch, ohne sie loszulassen. Dieser soziale Käfig aber, oft als abstrakte Gitterstruktur im Bild, ist wieder ein anderer: Bird schildert schließlich die niederschmetternde soziale Tristesse in der Hafenstadt Gravesend nahe London. Von allerlei Graffiti beschmierte Wände sind die Schmuckstücke dieser Gegend, wohl auch, weil mitunter so manche Weisheiten zu lesen sind, die das Leben bejahen und seine womöglich sozial benachteiligten Leser dazu auffordern, nicht aufzugeben. Immer wieder streut Arnold gesprayte Oneliner ins Bild, ob auf dem Fenster des Linienbusses, in Baileys Zimmer oder am Bahnhof der Stadt. Diese Worte schnappt das Mädchen immer wieder auf. Und noch etwas: Es sind die Vögel dieser Stadt, die ihm wohlgesonnen sind. Ob Möwe, Krähe oder anderes: Baileys ungerufene gefiederte Begleiter scheinen Hoffnungs- und Freiheitsträger zu sein – diese Metapher setzt Arnold nicht nur ins Verhältnis zu des Vaters Affinität für niedere Tiere, die seinen sozialen Status determinieren. Bailey will und kann mehr. Und da setzt das soziale Märchen ein, die Poesie sickert in diese entbehrungsreiche Verwahrlosung aus allerlei Defiziten, die längst das Jugendamt hätten alarmieren sollen. Diese Welt ist aber frei von Regeln, es ist der sich selbst überlassene Untergrund, den die gutsituierte Gesellschaft neben die Mülltonne stellt.

Da erscheint Franz Rogowski, einzigartiger Schauspielexport aus Deutschland, eine schillernde, nonkonforme Person, in all seinen Rollen, konstant ausgestattet mit einer charakterlichen Metaebene, von der man meinen könnte, sie sei nicht von dieser Welt. Hier ist er titelgebender Bird, ein heimatloser Vagabund ohne Zugehörigkeit. Entkoppelt, entrückt, melancholisch. Bailey gewinnt ihn als Freund, der seinen Vater sucht. Bald scheint es, Bird ist mehr als das. Bird hat eine Aufgabe, eine Bedeutung. Ist er vielleicht nur Illusion? Nicht nur für Bailey selbst, sondern auch für alle anderen, die Hoffnung suchen oder Grenzen brauchen?

Andrea Arnolds analoger Filmstil ist die richtige Klaviatur in einem metaphysischen Sozialdrama, das niemanden kalt- oder seinem Schicksal überlässt. Hier ist das Gute am Werk, menschliche Werte, Wärme und überhaupt: Die Geborgenheit. Wie Bailey ihren Weg durch all diese Widrigkeiten findet, an ihrer Seite der seltsame Vogelmensch, der stets auf den Dächern sitzt und über seinen Schützling wacht, mag an Wim Wenders Der Himmel über Berlin erinnern. Und anders als das Betroffenheitskino des Ken Loach zaubert Arnold eine urbane Ballade der Heimatsuchenden und Heimatlosen auf die Leinwand, die imstande sind, ihr Leben umzugestalten. Bailey bekommt vieles in die Hand gegeben, zwar nicht durch ihre Familie, aber durch sich selbst – und durch die Obhut höhere Mächte.

Bird (2024)

Brian and Charles (2022)

MEIN FREUND, DIE WASCHMASCHINE

6/10


brian_and_charles© 2022 Focus Features


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2022

REGIE: JIM ARCHER

DREHBUCH: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, NACH DEM KURZFILM VON JIM ARCHER

CAST: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, LOUISE BREALEY, JAMIE MICHIE, NINA SOSANYA, LYNN HUNTER, COLIN BENNETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Mitarbeiter im Patentamt würden sich angesichts der tolldreisten Erfindungen, die der Sonderling Brian tagtäglich aus dem Fundus an alten Teilen zusammenkonstruiert, wohl kaum mehr wundern als sonst während ihres beruflichen Alltags. Mit Sicherheit wandern dort des Öfteren gelinde gesagt recht unnütze Verschlimmbesserungen in die Rundablage, ohne überhaupt genauer geprüft werden zu müssen. Handstaubsauger mit Flaschenhalter, eine Kurbelklobürste und allerhand seltsame Gerätschaften schmücken die Werkstatt des zurückgezogen lebenden Mannes, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen Freund an seiner Seite – oder gar eine Freundin. Doch Brian ist ein kreativer Kopf, und solange die Ideen, so absurd sie auch sein mögen, aus seinem Denkapparat sprudeln, haben Depressionen keine Chance. Kreativität ist das Heilmittel für alles. Das Brainstorming vor dem großen Durchbruch ein spektakuläres Abenteuer.

Und dann das: Eines Tages kommt der Moment, den wohl auch der gute alte Gepetto erlebt haben muss, als eine Marionette aus Holz plötzlich stolz zum Morgengruß ansetzte. Etwas, das nicht leben kann, erfreut sich seiner Existenz. In diesem Fall ist es eben nicht Pinocchio, sondern Charles, eine Waschmaschine auf zwei Beinen, obendrauf der Kopf einer Schaufensterpuppe – dazu schütteres graues Haar und eine Brille. Wie durch ein Wunder scheint Brians Konzept für einen Roboter ins Schwarze getroffen zu haben. Wie er das gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Nicht nur für ihn oder für sein überschaubares soziales Umfeld, sondern auch für uns Zuseher. Dass dieser Charles Petrescu, wie er sich nennt, also mehr ist als die Summe seiner Teile, mag einige Neider auf den Plan rufen – aber auch die schüchterne Hazel, die bei ihrer Mutter wohnt und für den kauzigen Erfinder mehr als nur Sympathie empfindet.

Jim Archers Underdog-Science-Fiction nach seinem eigenen Kurzfilm muss man eigentlich mögen, es geht gar nicht anders. Comedian David Earl als völlig in seiner Leidenschaft des Erfindens versunkener Außenseiter weckt zumindest in mir das verbrüdernde Verständnis für die in sich ruhende Glückseligkeit, die man bekommt, würde man im Tun dessen, was Freude bringt, sich selbst genügen. Das mag für alle anderen verrückt erscheinen, doch was die anderen meinen, schert niemanden mehr. Eine gute Einstellung, und doch geht es nicht ohne soziale Interaktion. Und die mag von mir aus ein ungelenker Roboter sein, dem sein eigenes Ich bewusst wird, der minütlich neu dazulernt und der trotz seiner unförmigen Physiognomie seltsamerweise in jedes Auto passt.

Mit nachvollziehbarer Logik lässt sich Brian und Charles gar nicht erklären. Collodis Pinocchio aber genauso wenig. Beide sind Märchen, beide sind Gleichnisse auf Selbstbestimmung und Originalität, auf Einzigartigkeit und das stete Streben nach neuen Ufern. Archers handgemachter Science-Fiction-Film verlässt dabei klassisches Erzählkino und bedient sich den Mechanismen einer Mockumentary – Brian durchbricht dabei die vierte Wand, wendet sich immer wieder einem ins Geschehen eingebundenen Betrachter zu, der vielleicht gar das eine oder andere Wort verliert.

Platziert in diese dörfliche Struktur völliger Abgeschiedenheit von der großen weiten Welt, die Charles aber unbedingt kennenlernen will, kommt auch Archers Film nicht über den Status einer Filmschrulle hinaus, die als Ständchen auf den verspielten Esprit des völlig Unnützen oder dem fehlkonstruierten Chaos verstanden werden will, aus dem irgendwann, ganz wie von selbst, Sinn entsteht. Mit Charles als dieses Wunder, diesem unförmigen Koloss, mag der Film so gemütlich wie absurd wirken, erzählerisch aber wagt er keine großen Sprünge. Man schmunzelt, man wundert sich. Mehr nicht. Doch vielleicht genügt das ohnehin.

Brian and Charles (2022)