Taktik (2022)

DAS BÖSE FÜR DUMM VERKAUFEN

7/10


taktik2© 2022 Einhorn Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

BUCH / REGIE / PRODUKTION: HANS-GÜNTHER BÜCKING, MARION MITTERHAMMER

KAMERA: HANS-GÜNTHER BÜCKING

CAST: HARALD KRASSNITZER, SIMON HATZL, MARION MITTERHAMMER, MICHAEL THOMAS, ANOUSHIRAVAN MOHSENI, MICHOU FRIESZ, BOJANA GOLENAC, DANIELA GOLPASHIN, FLORIAN SCHEUBA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Hätte Karl Markovics in Elisabeth Scharangs Aufarbeitungs-Justizdrama Franz Fuchs – Ein Patriot nicht diesen Briefbomber gespielt – die Rolle hätte auch Harald Krassnitzer übernehmen können. Doch mittlerweile braucht man dieser möglichen Alternativbesetzung nicht nachweinen, mittlerweile hat der österreichische Tatort-Kommissar eine ganz andere Rolle zu seiner schauspielerischen Sternstunde gemacht, nämlich jene des Schwerverbrechers und erfahrenen Geiselnehmers Aloysius Steindl. Wie jetzt? Krassnitzer wechselt die Seiten und macht auf schlimmen Finger? Stimmt – und das Beste dabei: es gelingt ihm prächtig. Förderlich mag sein, dass die Figur des Kriminellen keinen Charakter vom Reißbrett aufpickt, sondern einen letztjährig verstorbenen Bankräuber und Mörder, dem nicht nur ein tatsächlicher Ausbruch aus dem Gefängnis im niederösterreichischen Stein beinahe gelungen wäre, sondern welcher vor allem durch eine Geiselnahme im Lebensmittelladen der Haftanstalt Karlau unrühmliche Bekanntheit erlangt hat. Die Rede ist von Adolf Schandl, der im November 1996 beschloss, mit zwei weiteren Mithäftlingen – einem Zuhälter (Seidl-Liebling Michael Thomas schüttelt den ekelhaften Superprolet nur so aus dem Ärmel) und einem palästinensischen Terroristen aus dem Libanon – unter Geiselnahme unbefristeten Freigang zu erpressen. Das hätte mit selbstgebastelten Bomben geschehen sollen, die in PET-Flaschen an drei Frauen geschnallt waren, die sich leider Gottes zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Würde man in Kürze aber rund 8 Millionen Schilling und einen Flucht-Helikopter sein eigen nennen dürfen, hätten die Damen natürlich nichts zu befürchten. Der Umstand, dass Verbrecher oftmals nicht wenig Eitelkeit besitzen, kommt dem Verhandler Eduard Hamedl zugute, im Film dargestellt von Simon Hatzl und unter neuem Namen Fredi Hollerer. Der legt eine spezielle Art von Taktik an den Tag und lässt den Kopf der Bande glauben, wirklich bewundert zu werden. Hollerer selbst nimmt dabei eine Rolle ein, die bereits Inspektor Columbo stets erfolgreich praktiziert hat. Nämlich jene, selbst unterschätzt zu werden, damit sich manch Täter in Sicherheit wiegt. Kurz: Er markiert den naiven Idioten. Und Aloysius Steindl, der wird ihm auf den Leim gehen.

Wie Harald Krassnitzer die Führung behält und sich von Hatzl umschmeicheln lässt, ist großes Kino. Im erdfarbenen Retro-Look, Schnauzbart und Krankenkassenbrille erscheint dieser Steindl als redseliger Opa von nebenan, hat’s aber faustdick hinter den Ohren und gewährt nicht selten Einblicke in eine kranke, psychopathische Seele, die zu allem möglich wäre – würde man sie provozieren oder in eine Ecke drängen. Der von seinen Kollegen völlig unverstandene Hollerer tut genau das nicht – und zögert durch sein einlullendes Gerede die von den Verbrechern erpressten zwei Stunden immer weiter hinaus. In der Enge der kleinen Greißlerei hingegen zieht im Vakuum zwischen Macht und Ohnmacht die aus der Langeweile des Wartens und aufgestauten Aggressionen geborene Willkür seine chaotischen Bahnen und offenbart sich in körperlichen wie psychischen Erniedrigungen der Geiseln, die ähnlich zum Handkuss kommen wie seinerzeit manch Strafgefangener in Abu Ghraib. Diese Damen aber, man möchte es fast nicht glauben, haben trotz sichtbarem Grenzgang einen fast längeren Atem als die Verbrecher selbst. In der Erduldung liegt ihre Kraft, während die bösen Buben langsam ihre Kraft verlieren. Und dennoch bleibt nichts an dem Film so faszinierend wie die taktische Zermürbung Harald Krassnitzers, der bis zuletzt nicht merkt, wie sehr er manipuliert wird, da die Überhöhung des eigenen Ichs blind macht für psychologische Kriegsführung. Dass die Polizeikollegen Hollerers das selbst nicht überreißen, ist weniger glaubhaft, denn man muss nicht vom Fach sein, um Simon Hatzls siebensüße Tarnung nicht zu verstehen.

Taktik, auf Basis wahrer Ereignisse geschrieben und inszeniert vom Ehepaar Hans-Günther Bücking und Marion Mitterhammer, die auch die weibliche Hauptrolle spielt und die sich als Greißlerin Gabi Pichler fast schon vor Angst übergeben muss (verstörend mitanzusehen), hat als Kammerspiel ganz besondere Dialogmomente zu verbuchen, bleibt spannend und fällt fast in die Kategorie Telefonfilm, wie No Turning Back, Nicht auflegen! oder The Guilty welche sind. Der periphere dramaturgische Zusatz wie zum Beispiel Florian Scheubas halbgares Cameo fällt für das Kernstück des Films dabei kaum unterstützend ins Gewicht. Doch zum Glück hat der eigentliche Nervenkrieg sowieso keine dringende Verwendung dafür.

Taktik (2022)

Stille Reserven

SCHLAFEN, WENN MAN TOT IST

5/10

 

stillereserven© 2016 Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2016

REGIE: VALENTIN HITZ

MIT CLEMENS SCHICK, LENA LAUZEMIS, MARION MITTERHAMMER, SIMON SCHWARZ U. A.

 

Welche Phrase verwenden Workaholics gerne, um ihren Duracell-Zustand zu rechtfertigen? „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Nun, in einer unbestimmten, nicht weit entfernten Zukunft, im Herzen der Europäischen Union, genauer gesagt in einem geradezu postapokalyptisch entseelten Wien, ist genau das zur optimierten Nutzung vorhandener Ressourcen gang und gäbe geworden. Nicht nur Altpapier, nicht nur Plastikflaschen und Biomüll – nein, in dieser nicht wirklich lebenswerten Zukunft werden auch tote Menschen nicht für tot gehalten, sondern vegetativ am Leben. Ähnlich wie in Matrix dämmert ein künstlich am Leben erhaltener Homo sapiens vor sich hin, um nach und nach ausgeschlachtet zu werden. Denn Ressourcen – die werden in den kommenden Tagen nicht verschwendet. Gut, man kann Nachhaltigkeit auch übertreiben. In Valentin Hitz abgasegrauer Dystopie ist genau das passiert. Jener Teil der Bevölkerung, der verschuldet das Zeitliche segnet, darf auch postmortem seine Schuldigkeit abbezahlen. Das ist fast so wie mit dem Teufel und seiner Seele. Wiener Sagen haben also zukünftig wieder Hochkonjunktur und sind sogar Teil des Regierungsprogramms – wenn der Teufel im Parlament sitzt. Das tut er. Und das nutzen auch Konzerne, die keilen was geht, um Todesversicherungen abzuschließen. Somit ist nicht mal mehr der Tod umsonst, denn selbst der kostet eigentlich das Leben. Versichern beruhigt also ungemein – sofern man das Geld dafür hat.

Valentin Hitz bedient sich mit Spaten und Schaufeln den Ideen George Orwells, den Zivilisationsalbträumen eines Terry Gilliam und den Film Noir-Elementen aus Blade Runner. Stille Reserven macht das versuchte Zitieren und Imitieren riesigen Spaß – nur ist fast mitleidig zu bemerken, dass der Film vergeblich so gerne so sein will wie die, die er zitiert, es aber zumeist nicht hinbekommt. Stille Reserven wirkt wie das Abschlussprojekt eines Filmschülers. Wäre dem tatsächlich so, gebürt Valentin Hitz großes Lob. Grün hinter den Ohren und so ein Film zum Einstand – da würde ich nicht meckern wollen. Nur dürfte es sich so leider nicht verhalten. Die Koproduktion aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hat zwar von überall her seine Finanzierungen erhalten – viel Zuschuss dürfte es nicht gewesen sein. Wobei Kameramann Martin Gschlacht hier versucht, Bilder einzufangen, die von hypnotisch-ohnmächtiger Kälte unbeheizter Bauwerke dominiert werden. Mittendrin Schauspieler, die sich wie Androiden verhalten. Womöglich sind sie das auch, zur Sprache kommt aber die Roboterthematik so gut wie gar nicht. Was aber ein verführerisch fuchsiger Gedanke wäre. Denn die Idee hinter Stille Reserven hätte das Zeug dazu gehabt, was weltbewegend Großes entstehen zu lassen. Natürlich längst nicht so etwas wie Blade Runner, aber zumindest etwas Visionäres. Etwas, das bewegt, und vielleicht sogar ein bisschen verstört.

Beides tut Stille Reserven nicht. Zugegeben, das Szenario des ungewohnten Todes, das Vorenthalten der Erlösung – das lädt schon zum Nachdenken ein, und hinterlässt auch das eine oder andere beklemmende Gefühl. Glücklich wird man bei Hitz Versuch eines futuristischen Versicherungskrimis jedenfalls nicht. Erstens weil die Welt, die er zeigt, nicht mal mehr sterbenswert zu sein scheint. Und zweitens, weil der Film seinen Höhepunkt verwirkt. Oder sagen wir, völlig fehlinszeniert im Keim erstickt. Gefühlte Dramatik hat in Stille Reserven nichts verloren. Die Protagonisten stolpern in sperrig-steifer Manier, in regennassen Mänteln und sinnierend rauchend durch eine Sin City der Todessehnsucht, auf die Größenordnung einer Wienerstadt schmalgespurt und die Skyline des Laaerberges in ein Wolkenkratzer-Stakkato verwandelt. Was bleibt, ist eine Beschattungs- und Informantenhatz zwischen Graffiti-Slum, Brazil und Soderbergh´s The Good German. Gehöriges Potenzial, das Hitz Film gehabt hätte. Doch leider zu eintönig, langatmig und unfreiwillig statisch. Wobei der Cameo von Dagmar Koller zwar irritiert, aber in all der Trostlosigkeit für Schmunzeln sorgt.

Stille Reserven