Blood & Sinners (2025)

TANZ DER VAMPIRE

8,5/10


© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: SINNERS

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: RYAN COOGLER

CAST: MICHAEL B. JORDAN, MILES CATON, HAILEE STEINFELD, JACK O’CONNELL, WUNMI MOSAKU, JAYME LAWSON, OMAR BENSON MILLER, LI JUN LI, DELROY LINDO, DAVID MALDONADO U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Get Out!, hatte Jordan Peele damals seinem verzweifelt in der Klemme steckenden Daniel Kaluuya zugerufen, dem inmitten den Films längst schon klar geworden war, wie sehr ihn der perfide Rassismus einer selbsternannten Herrenrasse vereinnahmt hat. Get In!,ruft seit Kurzem Black Panther-Virtuose Ryan Coogler seinem Ensemble zu, das in einer mondhellen Nacht völlig unbeabsichtigt mit zum Niederknien guter Musik das Böse beschwört. Denn solange Vampire nicht irgendwo hineingebeten werden (sofern die Lokalität nicht sowieso öffentlich zugänglich ist), bleibt diesen nur die Möglichkeit, die Lebenden aus der Reserve zu locken. Mit manipulativen Worten, betörendem Geschwafel und herausfordernden Blicken mit Augen, die ein glühendes, nicht menschliches Funkeln in sich tragen.

In den Dreißigerjahren rund um das Delta des Mississippi, wo Alligatoren in der Hitze schlummern, Flechten von den Bäumen hängen und Moskitoschwärme aus der feuchtheißen Luft eines alle Sinne lähmenden Sommers aufsteigen, ist der Rhythmus des Blues die Antwort auf alle Fragen, ob sie gestellt werden oder nicht. Mit dem Blues lässt sich die Zeit anhalten, lässt sich die Hitze, das Liebesleid und all die Repressalien ertragen, welche die White Supremacy bis zum heutigen Tage der schwarzen Bevölkerung angedeihen lassen (siehe The Order mit Jude Law). Der Blues ist Stellungnahme und Eskapismus gleichzeitig, er erzählt von den afrikanischen Wurzeln genauso wie von einer möglichen Zukunft, die eine neues, selbstbewusstes Narrativ finden könnte. Er öffnet die Pforten zu anderen Dimensionen, bittet Vergangenheit und Zukunft an einen Tisch. Und weiß genau, dass das Böse, dass die Dunkelheit, genauso nicht anders kann, als den Klängen der Gitarre und den wimmernden, leidenden, kraftvollen Stimmen zu folgen, während das tanzende  Auditorium zeitgleich akkurat und im Rhythmus mit den Füßen stampft. In dieser Nacht werden sie kommen, die Untoten. Sie werden mehr werden. Und sie werden tanzen.

Zum letzten Mal schwangen Untote den Huf beim Musical Anna und die Apokalypse, zuvor noch im legendären Musikvideo von Michael Jackson zum ewigen Hit Thriller. Draculas Entourage hingegen machten zuletzt bei Roman Polanskis Schauermär Tanz der Vampire ganz dem Titel des Films entsprechend das gebohnerte Parkett unsicher, aufgerüscht im Look des Rokoko. Doch so, wie die nach Blut dürstenden Gestalten in Blood & Sinners ihren ganz privaten Hexensabbat schmeißen, gab es den Genremix noch nie. Ryan Coogler hat mit dieser episch anmutenden, enthusiastischen Ballade von realen und mystischen Monstern ein schwer niederzuringendes Highlight des Vampirfilms geschaffen, und so wie Jordan Peele die Themen überkreuzt, um etwas ganz Eigenes zu wirken, gelingt dies auch hier, dank der konzentrierten Arbeit eines Visionärs, der genau wusste, was er will, der die Ideen seines Horrors nicht aus der Hand gegeben hat, um ihn durch andere verwässern zu lassen. Blood & Sinners ist Ryan Coogler ganz eigenes Baby, und das erkennt man zweifelsohne an der geölten Stringenz und an dem Flow dieses Films, der so beginnt, als wäre er ein historisches Gangsterdrama im Dunstkreis des rassistischen Südens der Dreißiger.

Michael B. Jordan, Cooglers erste Wahl, wenn es um die Besetzung seiner Filme geht, darf sich hier gleich doppelt in Schale werfen – als personifizierte Coolness gibt er beide Cousins, die nach längerem Aufenthalt in Chicago wieder in ihre Heimat zurückreisen, um ein Etablissement zu eröffnen. Und nein, das ist nicht der Titty Twister aus From Dusk Till Dawn, sondern eine zum „Juke Joint“ umfunktionierte Scheune, in der zum Einstand des Unternehmens ordentlich gefeiert wird. Dafür rekrutieren die beiden alte Bekannte, allen voran den jungen Preacher Boy Sammie, der die besondere Gabe hat, beim Blues die Schleusen der Hölle zu öffnen. Völlig ungeplant wird die Nacht zur entbehrungsreichen Tragödie, zur blutigen Belagerung. Wer noch Freund war, wird zum seelenlosen Feind, wer noch küssender Lover, beißt plötzlich kräftig zu. Dabei ist der Vergleich mit Rodriguez und Tarantinos Splatter-Feuerwerk nicht nur, was den Schauplatz betrifft, ein zulässiger. Auch der Aufbau der Geschichte, das Heranführen des Publikums an mehr als ein Dutzend Charaktere, die wunderbar gezeichnet sind, erinnert an Tarantinos vorallem vorletztes Werk The Hateful Eight. Wenn Blood & Sinners beginnt, bricht ein neuer Tag an, der in drohender Vorahnung dahinkriecht, in dem sich Menschen begegnen und wiederfinden, die alle an einen Ort gelangen, der die Realität um hundertachtzig Grad dreht und das Paranormale heraufbeschwört.

Grandios, wie Coogler seine Szenen setzt – welche er prophetisch vorwegnimmt, was er darstellt und was nicht. Jetzt schon kultverdächtig ist das Gitarrenspiel des Preacher Boy, während die große Party steigt. Dabei werden die Ahnen wach, verschwimmen die Epochen, zeigen sich Visionen der Zukunft. Dazwischen folgen manche Szenen dem Rhythmus der Musik, als gerate der Film in eine Art Trance. Längst ist Blood & Sinners nicht nur mehr Rassismus- oder Südstaatendrama, sondern wird zum Gangsterfilm, zum Thriller, zum Horror. Zur tragischen Liebesgeschichte, zum Veitstanz einer schwarzen Gesellschaft, die erst durch die Aggression der Blutsauger auf Augenhöhe mit den Weißen gerät. Und immer, immer wieder diese hypnotische Musik; der ungebremste, sich verselbstständigende Erzählfluss, die getriebene Handlung, in der sowohl das angststarre als auch das todbringende Ensemble lückenlos miteinander harmoniert. Diese Opulenz bringt dabei die Tragweite eines erfrischend wiederbelebten Vampirismus zurück, den Anne Rice vor vielen Jahrzehnten schon entworfen und mit Interview mit einem Vampir eine ungewohnt geglückte Verfilmung verdient hat. Blood & Sinners könnte nun eine Art Nachfolger dieses Klassikers sein; neu durchdacht, innovativ arrangiert, doppelbödig und progressiv – ohne dabei aber darauf zu verzichten, was schon seit jeher in solchen Albträumen für Faszination sorgt. Diesem Albtraum aber gibt man sich hin, man lässt sich mitreißen, dabei verblassen mühsame Nachahmungen wie Nosferatu von Robert Eggers, insbesondere in der Darstellung der spektakulären Schlusssequenz, die Vampire, den Blues und den Sonnenaufgang über dem Mississippi zu einer immersiven, spektakulären Kinoerfahrung macht.

Wichtig dabei ist: Es gibt eine Post-Credit-Szene, die man nicht verpassen sollte, denn mit ihr schließt sich der Kreis.

Blood & Sinners (2025)

The Harder They Fall

ES GROOVT DER WILDE WESTEN

4/10


thehardertheyfall© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JEYMES SAMUEL

CAST: JONATHAN MAJORS, IDRIS ELBA, LAKEITH STANFIELD, REGINA KING, ZAZIE BEETZ, DANIELLE DEADWYLER, DELROY LINDO, RJ CYLER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Den Tod seiner Eltern wird der Junge den anderen bösen Jungs sein Leben lang nicht verzeihen. Die Rache wird folgen, und niemand wird seiner Strafe entgehen. Diese Ausgangssituation kommt irgendwie bekannt vor. Was nun fehlt, ist Ennio Morricones hypnotisch-faszinierendes Spiel auf Charles Bronsons Mundharmonika, bevor es brutal wird. Doch nein, die Rede ist nicht von Spiel mir das Lied vom Tod. Viel eher variiert Jeymes Samuel diese Vorlage als einen betont lässigen Videoclip für neu gemixte Versionen diverser Reggae-Nummern, die summa summarum einen Soundtrack oder besser gesagt einen Sampler abliefern, der ganz vorne mit dabei ist und das eigentliche Qualitätsmerkmal dieses Films darstellt, der sonst leider nur in stilsicheren Manierismen untergeht.

Was Samuel von Sergio Leone gelernt hat, das ist so gut wie alles in diesem Film – vorzugsweise die italienische Einstellung. Eine klare Hommage an den Meister des Spaghettiwesterns und der sowieso besten Western überhaupt, wenn es nach mir geht. Wem Samuel noch huldigt, ist natürlich Quentin Tarantino mit seiner Western-Version Django Unchained. Ein bisschen Blaxploitation noch dazu, wieder eine Referenz, und fertig ist ein stylisches Shoutout-Movie, das leider überhaupt keine eigenen Ideen hat.

Als originär gelten immerhin die Charaktere im Film, von denen die meisten tatsächlich existiert haben. Nat Love zum Beispiel war nach dem Sezessionskrieg als freier Mann unter anderem als Cowboy und Rodeoreiter tätig. Stagecoach Mary oder auch Mary Fields galt als erste afroamerikanische Postkutschen-Zustellerin. Rufus Buck hingegen war dann schon eher ein schlimmer Finger. Sie alle hat es gegeben – über den Weg gelaufen sind sie sich womöglich nicht. Zumindest nicht so, wie im Film dargestellt. Die Rachestory ist also rein fiktiv. Und das merkt man, denn die Geschichte schreibt wohl nicht einen Western, der so offensichtlich nach klassischen Formeln aufgebaut ist wie dieser. Samuel, der gemeinsam mit Boaz Yakin das Drehbuch schrieb, war wohl wichtig, den Coolness-Faktor seiner einzelnen Figuren in die Höhe zu schrauben, sich aus dem Westerngenre gierig zu bedienen und ein gerne mal zynisches Outlawdrama ganz einfach mit Schwarzen zu drehen, die auf der staubigen Durchzugsstraße eines Kaffs den Revolver ziehen. Es kommt das große Gähnen bei jenen, die mit Leone, Corbucci und Co aufgewachsen sind. Die Exotik der einzelnen Figuren hält auch nicht länger munter. Vor allem deswegen, weil es erstens viel zu viele nach vorne drängende Individualisten sind, und zweitens sich diese bis auf wenige Ausnahmen (Danielle Deadwyler als Crossdresserin Cuffee zum Beispiel) zu austauschbaren, grob umrissenen Persönlichkeiten hinreißen lassen müssen. Platzhalter für Stereotypen also. Darunter Zazie Beetz, die mit ihrer Rolle überhaupt nichts anfangen kann.

So will The Harder They Fall einfach nur stilistisch gefallen. Findet am Ende gar Momente, die das mögliche Potenzial gerade mal erahnen lassen. Dennoch bleibt das Ganze nur zerfahrenes Patchwork, unterlegt mit einem atemberaubend innovativen Sound. Wär‘s doch nur andersrum gewesen.

The Harder They Fall

Da 5 Bloods

VOM KRIEG, DER NICHT IN RENTE GEHT

6/10

 

da5bloods© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: SPIKE LEE

CAST: DELROY LINDO, CLARKE PETERS, ISIAH WHITLOCK JR., NORM LEWIS, CHADWICK BOSEMAN, JEAN RENO, MÉLANIE THIERRY, PAUL WALTER HAUSER, JASPER PÄÄKKÖNEN U. A. 

 

Da fällt mir doch gleich ein echter Klassiker von Dire Straits ein: Brothers in Arms. Im Vibra-Sound, recht verhalten und in den imaginären Stahlhelm gesungen, erzählt der Song vom Durch- und Zusammenhalten, wenn die Waffen sprechen. Sowas begründet natürlich, sofern man überlebt, niemals endende Freundschaften. Zwangsfreundschaften sozusagen. Innerhalb der schwarzen Bevölkerung ist das gefühlsmäßig etwas anders. Die sind nicht nur im Krieg Brüder – die solidarisieren sich auch so. Vor allem jetzt, wenn Black Lives Matter. Da sind all jene afrikanischen Ursprungs eine ganze große Familie, um gegen den zur us-amerikanischen Tagesordnung gehörenden Rassismus anzurennen. Spike Lee ist da ganz vorne mit dabei. Rassenhass, Gewalt und Politik waren immer sein Thema. Politik ganz besonders. Und all die ganzen zersetzenden Mechanismen einer Gesellschaft, die, egal ob schwarz oder weiß, so leicht in Frieden miteinander leben könnte. Lee sucht aber in seinen Filmen ganz andere Ansätze und verleiht dem Ansinnen auf ethnische Liberalität den Klang von Stereo, lässt seine wild schraffierten Ideen wie aktivistische Transparente nicht nur auf das Kinopublikum los – sondern jetzt auch auf all die User von Netflix, die exklusiv sein neues Werk begutachten können – und sich, sofern sie es gesehen haben, vielleicht an BlacKkKlansman erinnert fühlen.

Diese True Story, fast schon Satire, führt mit Freuden die White Power der USA ad absurdum, lässt Tomaten auf die weißen Gewänder der Kapuzenträger hinabregnen, wenngleich Lees Film trotz seiner ruhelosen Ambitionen weitestgehend handzahm daherkommt. Diese Phlegmatik könnte mit Da 5 Bloods jetzt ein Ende haben – obwohl auch dieser neue, überlange Streifen rund um den Vietnamkrieg und seine Nachwehen relativ viel Zeit benötigt, um wirklich in die Gänge zu kommen. Aber so ist das in den Tropen: einer Akklimatisierungsphase folgt ein Abenteuer Marke Baedeker, wie man es daheim anschließend gern erzählt. Die 4 Bloods – der fünfte im Bunde hatte schon während des Kriegseinsatzes in Fernost das Zeitliche segnen müssen – finden sich nach Jahrzehnten wieder dort ein, wo die „Blutsbrüderschaft“ ihren Anfang nahm: In Saigon, im Süden des Landes. Warum nun sind sie hier, diese vier Rentner? Mitnichten zum Urlauben. Sondern um einen Goldschatz zu heben, der im Hinterland vergraben liegt, mitsamt den Überresten des fünften Blood, den es als Vorwand zu finden gilt, würden doch die vietnamesischen Behörden dieses satte Kapital niemals ausreisen lassen. Vier Knacker sinds also, denen das Leben bereits ganz schon mitgespielt hat. Und die den Krieg nicht überwinden können. Zumindest einer – Delroy Lindo in bemerkenswert intensiver Spiellaune – scheint massiv traumatisiert. Doch wie geplant brechen sie in den Dschungel auf, und je näher sie ihrer gemeinsamen Vergangenheit kommen, umso präsenter wird ein Krieg, der Jahrzehnte vorbei zu sein scheint. Es ist fast wie ein Fluch, der auf denen lastet, die gekämpft haben.

Da 5 Bloods ist trotz einiger Verzettelungen und zäher Konfusion ein kurioses Konstrukt, das auf gewisse Weise nachwirkt. Perfekt ist Lees Film keineswegs. Die erste Stunde lang, wenn nicht länger, sieht man den vier Veteranen beim Quatschen zu, über das Leben und das Damals. Das wirkt fast so wie eine dieser Travel-Soaps, in denen Promis auf Reisen gehen. Irgendwann gibt’s auch noch einen Reiseleiter, der nur die Geschichte des fünften Blood kennt, aber nicht die des vielen Goldes. Lee wechselt das Bildformat wie ein Fotograf sein Objektiv – von 4:3 bis Cinemascope ist alles da. Aus einem Guss ist das nicht. Gewöhnungsbedürftig sind nicht nur die Szenen aus vergangenen Kriegstagen, die wie Super 8-Aufnahmen inszeniert sind, untermalt von pathetischer Orchestermusik wie für einen Chuck Norris-Reißer, und in denen die Bloods, bis auf den einen fünften („Black Panther“ Chadwick Boseman), genauso alt sind wie 5 Jahrzehnte später. Gewöhnungsgbedürftig ist der ganze Film, der manchmal einfach zu viel skandiert, der schockierende Archivaufnahmen aus dem echten Krieg wie Schrapnelle so manche Szene spaltet. Der Power-Point-Files in seinen War-Punch hineinwirft und alles nochmal aufkocht. Lees Senf zu Black Lives Matter wirkt dabei leider wie aufgesetzt, hat auch aus meiner Sicht mit dem Werk nur peripher zu tun. Aber gut, Spike Lee will so viel wie möglich, fällt fast schon in Rage. Dabei kippt das Werk ins Anarchische. Was folgt, ist ein regelrecht bizarres Apokalypse Now-Revival für die R.E.D.-Generation in drastischen Bildern, ein Antikriegsfilm mit nostalgischem Blick zurück ins Desaster, in dessen Folge der Sieg über den Feind auch nichts weiter ist als eine Niederlage der anderen Art.

Da 5 Bloods