Das Kanu des Manitu (2025)

SENIORENTELLER FÜR ZIPFELKLATSCHER

5/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE: MICHAEL HERBIG

DREHBUCH: MICHAEL HERBIG, CHRISTIAN TRAMITZ, RICK KAVANIAN

KAMERA: ARMIN GOLISANO

CAST: MICHAEL HERBIG, CHRISTIAN TRAMITZ, RICK KAVANIAN, JASMIN SCHWIERS, JESSICA SCHWARZ, FRIEDRICH MÜCKE, SKY DU MONT, DANIEL ZILLMANN, TUTTY TRAN, TOBIAS VAN DIEKEN, PIT BUKOWSKI, AKEEM VAN FLODROP, MERLIN SANDMEYER, WALDEMAR KOBUS U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Erfolgskonzepte soll man nicht verstauben lassen. Das hat sich zuletzt auch Seth McFarlane gedacht und nach sage und schreibe 37 Jahren der Kanone noch einmal die Kleider vom Leib gerissen. Michael Bully Herbig, legendärer Parodist und Spaßmacher, hat sich womöglich ähnliches gedacht und dem Karl May-Ulk Der Schuh des Manitu, wohl erfolgreichster Kinofilm in Geamtdeutschland seit 1968, ein Dacapo beschert. Wann, wenn nicht jetzt, bevor es zu spät ist und sowohl Herbig, Cristian Tramitz und Rick Kavanian zu alt sein würden, um diesen Bullen zu reiten.

Woke und auch wieder nicht

Hier ist es fast schon ein Vierteljahrhundert her, seit man über die kulturelle Aneignung von drei Bayern nicht nur gelacht hat. Dass kein waschechter amerikanischer Indigener die Rolle des Abahatchi verkörpert hat, stieß schon damals manchen sauer auf. Längst wird schon als politisch unkorrekt betrachtet, wenn im jährlichen Faschingsfest im Kindergarten der eine oder andere Federschmuck zwischen Spiderman und Elsa den Franchise-Einheitsbrei unterbricht. Darf man alles nicht, soll man alles nicht? In hypersensiblen Zeiten wie diesen braucht es wieder mehr Akzeptanz. Und keinen pseudomoralischen Separatismus. Im Kanu des Manitu sitzt also ein Ensemble, das sein will, was es sich wünscht, dank der Möglichkeit, zum Apachenhäuptling zu werden, auch wenn kein Apache in den Genen steckt. Diese Lust an der uneuropäisch anderen Geschichte und die ganz andere Kultur ist komödiantischer Liberalismus, den man Michael Herbig nicht vorwerfen kann. Der ist diesmal ohnehin bemüht, keine hohen Wogen entstehen zu lassen, in Anbetracht dessen, dass Komödie vieles, wenn auch nicht alles darf.

Zum Vielen gehören persiflierte Klischees und ein zünftiges dialektbetontes „Servus“ aus dem Munde eines Indigenen, der partout nicht mehr Indianer genannt werden will. Diese zentraleuropäische Begrüßungsformel gilt dem Best Buddy, nämlich Christian Tramitz als Old Shatterhand-Neuauflage. Beide bilden eine Bromance für die Ewigkeit. Eine Freundschaft, die fast schon das Siegel einer langjährigen Ehe verdient, in der kleine Streitigkeiten den Alltag auf die Probe stellen, der eine ohne den anderen aber nicht kann. Diese beiden, seinerzeit Pierre Brice (auch kein Apache) und Lex Parker, bilden das Herzstück einer Fortsetzung, die in den Weiten der Prärie nach griffigen Gags suchen muss. Zugegeben, Der Schuh des Manitu war damals zwar der Blockbuster schlechthin, auf seine Art Deutschlands „weißer Hai“, das Vokabular der Witze aber zumindest für mich nicht ganz so bissfest. Charakter- und Genreparodie ging einher mit Slapstick im Stile von Zucker und Abrahams, mit eigenwilligen Showeinlagen und hampelndem Gesang. Das Bayrische machte es dann noch um einiges schräger. Bully konnte sich somit sicher sein, dass ihn niemand hier nachahmt.

Pointen wie Wasserquellen

Bis heute bleibt diese sonderbare Art of Humor unverwechselbar, wenngleich, und das zumindest im Sequel, etwas zu entschleunigt. Während im späten Nachzügler der Nackten Kanone Liam Neeson im Minuten-, wenn nicht gar Sekundentakt über kleine und große Witze stolpert, lässt Herbig den Wilden Westen als weites Land erscheinen, auf welchem sich niederfrequentierte Pointen wie Wasserquellen tummeln. Zum Kanu des Manitu zu gelangen hat keine Eile, es bleibt Zeit genug für partnerschaftliches Geplänkel und Rick Kavanians Wortspiele. Jessica Schwarz als Antagonistin führt, ohne genau zu wissen wie, einen diversen Männertrupp an, der das titelgebende Kanu finden will. Das geht nicht, ohne Abahachi zu entführen, und wo Abahachi ist, ist der Ranger nicht weit. Der trifft auf seine erwachsene Tochter, die wiederum heuert in Dimitris Taverne an. Und alle sind wiederum auf die Hilfe Winnetouchs angewiesen, dem homosexuellen Fechtkünstler, der die Puderrosa- auf die Rumba-Ranch upgraden ließ. Schräge Figuren also in einem dahinplätschernden Erholungstrip, auf welchem unausgeschlafene, allerdings merkwürdige Kalauer darauf warten, performt zu werden.

Im Western nichts Neues

So richtig originell ist das alles nicht. Und vor allem harmlos. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass sich Bully Herbig regelrecht darum bemüht, die gute alte Zeit wieder aufleben zu lassen, nur ist der Proviant fast aufgebraucht und die Freundschaft der beiden so sehr etabliert, dass sie sich fast nichts mehr zu sagen haben. Am Ende taucht auch die aus dem Ei gepellte Ikone einer Erznemesis wieder auf, der guten alten Zeiten wegen. So wie Die Nackte Kanone kehrt auch Das Kanu des Manitu wie der Schuster zurück zu seinen Leisten, ohne das Design neuer Hufe. Wer damals gelacht hat, wird diesmal nur schmunzeln.

Das Kanu des Manitu (2025)

American Fiction (2023)

SCHWARZ AUF WEISS GESCHRIEBEN

6,5/10


americanfiction© 2023 ORION RELEASING LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: CORD JEFFERSON

DREHBUCH: CORD JEFFERSON, NACH DEM ROMAN „ERASURE“ VON PERCIVAL EVERETT

CAST: JEFFREY WRIGHT, TRACEE ELLIS ROSS, ISSA RAE, STERLING K. BROWN, JOHN ORTIZ, ERIKA ALEXANDER, LESLIE UGGAMS, ADAM BRODY, KEITH DAVID U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Versteckt auf Amazon Prime und maximal zum Oscar-Vorabend von Sonntag auf Montag im Wiener Gartenbau-Kino als einmalige Screentime unter des Filmgottes Gnaden einem breiteren Publikum zugänglich, muss American Fiction für eine pflichterfüllende Diversitäts-Agenda herhalten und hatte sich letztes Jahr wohl am ehesten aus herkömmlichen künstlerischen Sichtweisen genauso herausmanövriert wie einst Jordan Peeles Get Out, um nun doch noch ganz vorne mitzuzmischen. American Fiction ist ungewöhnlich, soviel muss man dem Film lassen. Jedoch nichts, was seinen Anspruch rechtfertigen würde, mit neun weiteren Mitstreitern zum vielleicht besten Film des Jahres gekürt zu werden. Der kleine Independetfilm rund um einen Uni-Professor und Schriftsteller, der nicht so schreibt, als wäre er schwarz, dieses Soll aber bringen muss, um Erfolg zu haben, hat es selbst auf Amazon Prime schwer, in die Wohnzimmer von potenziell interessierten Zerstreuungs-Sehern zu gelangen, ist er doch nur im Original mit Untertiteln zu beziehen und somit drauf und dran, abgesehen von den ohnehin im städtischen Kleinkino vertretenen OmU-Stammkunden viele dabei zu vergraulen, einen Film anzusehen, der erstens USA-lastiger nicht sein kann und zweitens seine satirischen Spitzen so bruchsicher in ein Allerwelts-Familienportrait verpackt, dass man halbstündlich danach Ausschau halten muss, um keinen der Seitenhiebe zu verpassen.

Dabei verhindert American Fiction nicht nur den Shitstorm und die Entrüstung, die von der Black Community, die dort drüben längst und völlig gerechtfertigterweise viel mehr Macht und Einfluss auf die Gesellschaft ausübt als früher, wohl herniederbrechen würde, gäbe es zur diesjährigen Preisverleihung nur White Cinema und sonst nichts anderes. Das Werk entgeht den prognostizierten Unannehmlichkeiten auch, indem es Jeffrey Wright für den Oscar als männlichen Hauptdarsteller nominiert und Sterling K. Brown gleich für den besten Nebendarsteller. Bei letzterem lässt sich der Begeisterungssturm, der ihn auf die Nominiertenliste gesetzt haben muss, nur schwer nachvollziehen, bei Jeffrey Wright im Grunde ebenso wenig, doch seine passiv-aggressive Omnipräsenz als phlegmatischer Intellektueller könnte man gewissermaßen als Begründung dafür anführen. Eine richtige Sensation sind beide nicht, doch sie sind homogener Teil eines Ensemblefilms, dessen Würze und Originalität eigentlich darin liegt, alleine schon durch seine Alibi-Nominierung seine jovial-garstige Conclusio, die der Plot mit sich bringt, auf sich selbst und seine Position im Oscarrennen anzuwenden. Sollte diese sich selbst erfüllende Prophezeiung den rund sechstausend Jury-Mitgliedern tatsächlich nicht entgangen sein? Diese subversive Metaebene, auf welcher der Film als bestes Beispiel dafür steht, sich selbst als afroamerikanisches Paradekino dem Rest der Welt anbiedern zu müssen?

Viele Kreise zieht American Fiction eigentlich nicht. Jeffrey Wright gibt Thelonious „Monk“ Ellison, der nicht im Traum daran denkt, stereotype Klischees als Betroffenheitsromane an die weiße Öffentlichkeit zu bringen, obwohl Arbeitskollegin und Bestsellerautorin Sintara Golden (Issa Rae) genau das macht: den Ghetto-Slang in einen Sozialporno zu verpacken, der mit reißerischen Stilmitteln das schlechte Nationalgewissen der Leserschaft beruhigt. Ellison will das nicht. Er schreibt, als wäre er ein Weißer. Er schreibt Romane, die nichts mit der Black Community zu tun haben, denn… warum soll er auch? Umso mehr widert ihn an, dass die Klischee-Literatur den großen Reibach macht, während seine eigenen Bücher niemanden abholen. Dabei sind sie gut geschrieben, das sagen auch die Kritiken, das sagen alle. Um zu beweisen, dass Schwarze „schwarz“ schreiben müssen, um Erfolg zu haben, stellt Ellison Verlag, Leserschaft und Co eine Falle, indem er genau das schreibt, was alle lesen wollen: Den ganzen Black Community-Shit mit Drogen, Waffengewalt, Goldkette und Dysfunktionalität in der Unterschicht-Familie. Mit ungewollten Kindern, Hoffnungslosigkeit und Ressentiments im Alltag. Siehe da – die Bombe schlägt ein. Nur nicht so, wie Ellison sich das vorgestellt hat.

Diese sich selbst ständig konterkarierende Gesellschaftssatire hätte so richtig zünden können, hätte Cord Jefferson, bislang als Drehbuchautor unter anderem für die Serie Watchmen tätig, in seinem Regiedebüt nicht mehr als zwei Drittel seiner Arbeit mit dem Familienportrait einer afroamerikanischen Familie samt Haushälterin zugebracht, nur um zu zeigen, dass das Leben von Schwarzen ganz genauso abläuft wie das von Weißen – dass Schicksale, Probleme, die Wehwehchen mit den alten Eltern, neue Beziehungen und dergleichen nicht anders sind als die Schicksale, die Probleme und Wehwehchen woanders auch, weit jenseits einer Minderheit, die sich sowieso längst auf die Füße gestellt hat. Diese Vorarbeit hatte eigentlich schon die Cosby-Show mit dem in Ungnade gefallenen Patriarchen Bill geleistet. Black Community ist also keine Ghetto-Sache im Sozialstrudel der Ungerechtigkeiten mehr.

Im befreienden Zeitalter der Diversität, dass durch seine militante Agenda des Wokismus sich selbst ad absurdum führt, kratzt ein Film wie dieser an den letzten Überbleibseln rassistischen Denkens zumindest in der höheren Bildungsschicht. In dieses gemächliche und wenig aufmüpfige Familienbild, das viel zu oft vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenkt, erfreut sich Jefferson an seiner Probe aufs Exempel, nach der das amerikanische Volk eine gewisse Bequemlichkeit im Ablegen eines Schwarzweißdenkens offenbart. Gerade gegen Ende verschwimmen letztlich Realität und Fiktion auf doch noch beachtliche Weise, und rückblickend weiß man nur selten, in welche Schublade was nun einzuordnen ist. Wenn sich Jefferson letztlich doch noch besinnt, worum es eigentlich zu gehen hat, weiß American Fiction zu überzeugen.

Richtig prickelnd wird es dann, wenn klar wird, dass der Film an sich genauso wie das im Film geschriebene Buch mit dem obszönen Schimpftitel als astreine Satire in Lettern nur das Pflichtgefühl der latent überlegenen Weißen zur Political Correctness entlarvt, die American Fiction zur Einhaltung einer Diversität brauchen, über die eigentlich gar nicht mehr nachgedacht werden sollte.

American Fiction (2023)

Cassandro (2023)

BUNTER VOGEL OHNE STIMME

3,5/10


Cassandro© 2023 Amazon prime


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROGER ROSS WILLIAMS

DREHBUCH: DAVID TEAGUE, ROGER ROSS WILLIAMS, JULIÁN HERBERT

CAST: GAEL GARCÍA BERNAL, ROBERTA COLINDREZ, PERLA DE LA ROSA, JOAQUÍN COSÍO, RAÚL CASTILLO, ANDREA PAZMINO, BAD BUNNY U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Ich muss zugeben, es hat mal auch für mich eine Zeit gegeben, da war die üppige Überdramatik akrobatischer Ringkämpfe ein Guilty Pleasure am Feierabend, der Eurosport-Kanal zumindest für ein paar Monate nicht nur eine unbeachtete Fußnote im Rahmen der Kabelkanäle. Da waren Kapazunder wie Adam Bomb, The Undertaker oder Yokozuna gern gesehene Rüpel oder heldenhafte Muskelprotze, die, schweißglänzend und die tobende Menge für sich einnehmend, andere Nullnummern oder manchmal gar ernstzunehmende Widersacher im Showdown aufs Kreuz legten. Auch Dwayne „The Rock“ Johnson war so jemand, oder Dave Bautista – beide nun im Filmgeschäft. In Lateinamerika, insbesondere in Mexiko, kennt man Saúl Armendáriz, genannt Cassandro. Der hat’s ebenfalls zum Film geschafft, allerdings auf andere Weise. Statt selbst in irgendein Genre der laufenden Bilder zu wechseln und dann dort groß aufzuspielen, wird er zur biographischen Gestalt, mit dem Gesicht von Gael García Bernal, der sich in hautenge Trikots zwängt und in permanenter Jubelstimmung nicht nur das queere Filmpublikum für sich einnimmt. Dieser Cassandro, der steht für Liberalismus, Akzeptanz und sexueller Freiheit. Für die zurecht ungenierte Zurschaustellung homosexueller Orientierung und dem Hinterfragen geschlechtlicher Rollenbilder, die vor allem im Showsport des Wrestlings gerne vor die Kameras gehalten werden, ohne den Status quo zu hinterfragen. Als Botschafter der willkommenen Andersartigkeit scheint der schräge Vogel zwar schmächtig, aber gewitzt. Und wie es beim Wrestling nun mal als Parameter gilt: je beliebter man als Fäuste schwingender Ringkämpfer wird, umso mehr und umso öfter müssen die Kontrahenten zurückstecken. Das ist abgemachte Sache, da passiert nichts zufällig. Auch wenn wir alle gerne so hätten, es wäre so.

Cassandro mausert sich in ungestümer Beharrlichkeit und allen zumindest anfangs laut werdenden Unkenrufen zum Trotz zum beliebten Außenseiter, der, obwohl er die Branche konterkariert, als Klasse für sich phobisches Gesellschaftsdenken aufbricht. Dieses Herzensprojekt des kernigen Texaners ist zweifelsohne lobenswert. Roger Ross Williams, der 2010 für seinen Dokumentar-Kurzfilm Music by Prudence gar einen Oscar gewann, taucht seine biographische Tragikomödie in schillernde Farben und setzt sie deutlich oft dem Rampenlicht aus. Die kreischenden Outfits sitzen perfekt, García Bernal strahlt über das ganze Gesicht. Dass Cassandros Werdegang auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden war; dass das Emporkommen, der Widerstand aus dem Volk und gar der Tod der geliebten Mutter den Mann mit ziemlicher Sicherheit in ein Wechselbad der Gefühle gestoßen haben muss, lässt Williams niemals so recht spürbar werden. Es ist, als würde sein Avantgardist in permanent glückseligem Enthusiasmus sein Leben bestreiten, ganz ohne bewusstseinsverändernde Substanzen, was man kaum für möglich halten würde, wenn man es nicht besser wüsste. Es scheint, als lebe der von Bernal dargestellte Träumer und Idealist in einer Gemütsblase aus Verdrängung und bühnenhafter Oberfläche, auf der man gerade noch vor lauter Verzückung die Arme gen Publikum strecken kann, um jeden einzelnen in dieser zum Bersten vollen Sporthalle zu umarmen.

Diese beharrliche Erfolgslust flacht die biographische Figur allerdings deutlich ab. In die wahre Seele des Mannes durchzudringen, scheint hier unmöglich – da muss, da kann doch deutlich mehr gewesen sein als sich nur der Phrase Wenn du es willst, kannst du alles schaffen hingegeben zu haben. Als schier unglaubliches und gleichermaßen unglaubwürdiges Märchen stutzt sich Cassandro zu einem Testimonial zusammen, das wie ein Cartoon durch dessen eigene Lebenslagen stolziert, ohne innezuhalten und mehr von sich preiszugeben als nur den gelebten Traum. Diese Attitüde nutzt sich bald ab, das Drama wird belanglos, obwohl es das nicht sein sollte, denn die vermittelten Werte sind gut genug, um seine Zuseher emotional abzuholen. Aus all dem Potenzial nutzt Williams nicht viel mehr als die Rolle eines „Hans im Glück“, der aufgrund einer naiven Einstellung Liebkind eines Schicksals wird, das als fade erzähltes Gesellschafts- und Familienportrait kaum berührt.

Während Fighting with My Family, wohl einer der besten Wrestling-Filme, in welchem sogar Dwayne Johnson als er selbst der jungen Florence Pugh so einige Tipps gibt, wie man im Ring überlebt, die Balance zwischen Erfolgsgewieftheit und innerfamiliären Befindlichkeiten findet, und Aronofskys The Wrestler den destruktiven Abgesang zelebriert, findet Cassandro, anders als sein echtes Vorbild, nirgendwo seinen Platz.

Cassandro (2023)

Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)