The Damned (2024)

IN DER NOT VERFLUCHT DER MENSCH DIE SEE

7/10


© 2024 Vertical


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, ISLAND, IRLAND, BELGIEN 2024

REGIE: ÞÓRÐUR PÁLSSON

DREHBUCH: JAMIE HANNIGAN

CAST: ODESSA YOUNG, JOE COLE, LEWIS GRIBBEN, SIOBHAN FINNERAN, FRANCIS MAGEE, RORY MCCANN, TURLOUGH CONVERY, MICHEÁL ÓG LANE U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Kleine Sünden straft Gott sofort, heisst es doch so schon im Volksmund. Für große Sünden schickt dieser oder gar der Teufel die Toten wieder zurück zu den Lebenden als Wiedergänger, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Obwohl von Sünden nur eingefleischte Gläubige hinter vorgehaltener Hand zu murmeln wissen, nimmt dieses einem erbarmungslosen Weltgericht unterworfene Gleichnis von üblen Taten und schlechtem Gewissen jene Begrifflichkeit als Kompassnadel für die Chronik eines Wahnsinns, der sich in gespenstischer Isolation irgendwo an der Küste Islands Bahn brechen wird. Schuld sind dabei Menschen, die während eines kargen, entbehrungsreichen Winters um Nahrung ringen müssen – und die sich mehr erhoffen, als nur zu überleben.

Die langen Nächte tauchen die windumtoste Küste in scheinbar ewige Finsternis, im spärlichen Licht des Tages funkelt das Eis und spendet die Illusion eines Reichtums. Als Kaff lässt sich diese karge Ansammlung an Hütten gar nicht mal bezeichnen, und dennoch überwintert hier eine junge Witwe als Bootsbesitzerin, die dieses an eine Handvoll wettergegerbte Fischer verleiht, die wiederum dafür sorgen, dass genug auf den Teller kommt. Eines Tages sieht die kleine Gemeinschaft am Ende ihrer Bucht, wo gefährliche Untiefen herrschen, einen Dreimaster kentern. Wo ein Schiff, da gibt’s meistens auch Besatzung. Die gerettet werden muss, alles andere wäre unterlassen Hilfeleistung und somit nicht nur eine Straftat, sondern moralisch höchst verwerflich. Wo ein Schiff, da gibt es allerdings auch Proviant. Was die Strömung nicht an Land spült, holen sich die Fischer bei Nacht und Nebel. Die Schiffbrüchigen kommen dabei zum Handkuss. Denn schließlich; wer soll all die Mäuler denn stopfen, wenn es nicht mal für jene reicht, die den Winter überstehen wollen? Tage später werden die ersten Leichen angespült. Und mit ihnen kommt das Grauen.

Die Romantik des Mysteriösen

Das alles hört sich so an, als wäre die Vorlage eine des Films von H. P. Lovecraft. Gekonnt verknüpft Autor Jamie Hannigan ein düsteres, nihilistisches Abenteuerdrama mit mythologischem Gothic-Horror, der im Seemannsgarn herumspinnt. Regisseur Þórður Pálsson liefert dazu die atmosphärischen Bilder einer unwirtlichen Landschaft, wie Malereien eines Romantikers – der Wind, die Nacht, der Schnee, der Nebel – all diese natürlichen Parameter aus Meteorologie und Jahreszeit setzen die Bühne für einen Schrecken, der gar nicht mal visualisiert werden muss, da er sich in den Köpfen nicht nur der verfluchten Seelen manifestiert. Das Weglassen plumper Schockeffekte holt sich die Paranoia wie eine ansteckende Krankheit in den Kreis der Verängstigten, die in ausufernd klassischer Dramatik Opfer ihres eigenen Aberglaubens werden.

Stellenweise erinnert The Damned an Robert Eggers schwarzweißen Nautik-Terror Der Leuchtturm. Fans des von der Franklin-Expedition inspirierten Desaster-Abenteuers The Terror werden ihre helle Freude haben. Licht, Stimmung und der Verlust zivilisierter Menschlichkeit sind die Essenz für schaurige Fernwehstiller, die das entlegene Anderswo so ausweglos erscheinen lassen wie der entfernteste Winkel im Universum. Wenn dann noch das Paranormale hereinbricht, von dem keiner weiß, was es ist und sich erst ganz am Ende durch einen erstaunlichen Twist offenbart, wird man gut daran getan haben, diesen Film zu finstersten Stunde des Tages gesehen zu haben, wenn die Kälte durch die Ritzen der Türen und Fenster dringt und der Sommer lange vorbei ist.

The Damned (2024)

When Evil Lurks (2023)

DER TEUFEL LIEBT DILETTANTEN

6,5/10


© 2025 Drop Out Cinema


ORIGINALTITEL: CUANDO ACECHA LA MALDAD

LAND / JAHR: ARGENTINIEN, USA 2023

REGIE / DREHBUCH: DEMIÁN RUGNA

CAST: EZEQUIEL RODRÍGUEZ, DEMIÁN SALOMON, SILVIA SABATER, LUIS ZIEMBROWSKI, MARCELO MICHINAUX, EMILIO VODANOVICH, VIRGINIA GARÓFALO, PAULA RUBINSZTEIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wohin mit unliebsamen Dämonen? Tja, das ist eine Frage, die wir uns sicher alle schon einmal gestellt haben. Das ist eine Frage, die Ash Williams, dem kettensägenschwingenden Helden aus der Evil Dead-Reihe längst schon auf der Zunge brennt. Bevor klar wird, wie man sie fachgerecht entsorgt – und zwar nicht im Sondermüll und auch nicht am Straßenrand wie ein lästig gewordenes Hündchen, das schließlich überhaupt nichts dafür kann – muss klar sein, wie man sie bändigt. Und ganz wichtig dabei: Wer sich dieser Drecksarbeit letztlich annimmt. Denn Dämonen, die schlagen ja deshalb meistens im Diesseits auf, weil sie den Menschen gerne quälen. Allesamt sind das ungute Gesellen (außer im Buffyverse, da gibt’s auch Humanisten), meistens körperlos, mächtig, voll des Wissens in Sachen schwarzer Magie. Angesichts dessen sucht so manch gottgläubige Seele in embryonaler Stellung Bodenkontakt, nur um nicht besessen zu werden. Durch Besessenheit gelangt die unheilstiftende Entität schließlich in jene unsere Dimension und lässt den Wirtskörper Dinge tun, die dieser im Normalzustand niemals vollbringen würde wollen. Entsetzliche, destruktive Dinge.

Irgendwo im Nirgendwo Argentiniens, in der buchstäblichen Pampa sozusagen, hat es ein Dämon schließlich geschafft, sich des Körpers von Uriel zu bemächtigen – eines Sohnes der alten Maria Elena, die schon so lange auf Erden weilt, um zu wissen, wen man ruft, wenn das Böse sich heranschleicht (so der Titel). Dumm nur, wenn der Exorzist niemals ankommt, und stattdessen ein unbedarftes Brüderpaar, das unweit ihre eigene Farm bewirtschaftet, des Besessenen ansichtig wird. Dieser liegt als aufgedunsene und entstellte Kreatur auf seiner Bettstatt, aus ihm spricht das Böse. Trotz mahnender Hinweise der Alten wollen die beiden das Problem lieber mit der Logik amateurhafter Laien aus der Welt schaffen – keine gute Idee. Denn je mehr sie versuchen, dem Schrecken Herr zu werden, umso mehr entgleitet das Ganze. Ganz nach dem Prinzip: Es juckt – und man kratzt. Man kratzt und kratzt und irgendwann blutet es. Es wird schlimmer statt besser. When Evil Lurks wird zum verheerenden Anti-Tutorial, zur verstörend-erstaunlichen Katastrophe, wie ein spielfilmlanges Fail-Video auf Youtube, wo man hinsehen muss obwohl man nicht will, weil schiefgeht, was nur schiefgehen kann. Weil die Fehler, die passieren, irreversibel genug sind. Weil sie einen mächtigen Rattenschwanz an Ereignissen nach sich ziehen, die diesen ohnehin gottverlassenen Ort noch tiefer ins Grauen stürzen.

Dabei hat When Evil Lurks durchaus schadenfrohen Witz, so bierernst ist der Horror nicht, ungefähr genauso wenig wie Sam Raimis Fratzenreigen. Das Böse ist unerbittlich, und nur derber Zynismus kann dagegen helfen. Mit literweise Blut, ekligen Substanzen und Tabubrüchen schickt Regisseur Demián Rugna die paranormale Naturgewalt in die Zielgerade Richtung Apokalypse, naturalistischer Bodyhorror und erstklassiges Makeup garantieren ein Troubleshooting ohne Plan, ein Hinterholz 8 für Möchtegern-Dämonenjäger. Das Böse wabert dabei wie ein Virus durch die Welt und kann weder durch Aderlass noch durch anderen Good Will gebändigt werden. Rugna feiert den Nihilismus mit ganzer Inbrunst – deftig, gewalttätig, unheilig.

When Evil Lurks (2023)

She Loved Blossoms More (2024)

DR. WHO IM DROGENRAUSCH

5/10


She Loved Blossoms More© 2024 Yellow Veil Pictures


LAND / JAHR: GRIECHENLAND, FRANKREICH 2024

REGIE: YANNIS VESLEMES

DREHBUCH: YANNIS VESLEMES, DIMITRIS EMMANOUILIDIS

CAST: PANOS PAPADOPOULOS, JULIO GIORGOS KATSIS, ARIS BALIS, SANDRA ABUELGHANAM SARAFANOVA, ALEXIA KALTSIKI, DOMINIQUE PINON U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Dieser Film ist vieles, aber nichts wirklich konkret. Und ja, es ist keine Übertreibung, zu behaupten, She Loved Blossoms More des Griechen Yannis Veslemes, der sein Werk per Videobotschaft genauso wenig enthusiastisch gehostet hat wie seine Protagonisten letztlich die Sache in dieser Geschichte angehen werden, ist wohl eines der unzugänglichsten, aber auch unzulänglichsten Kuriositäten, die ich, auf Slash-Schiene fahrend, bisher sehen konnte. Da hatte selbst der verrückte The Belgian Wave noch einen roten Faden, während man sich in einem Tagtraumzustand wie diesen, der mit anderen Dimensionen kokettiert, einfach nur verlieren kann. Das ist aber nicht im positiven Sinn gemeint. Verlieren kann man – oder sollte man sich gar in einem Film als inhärenter Teil der Geschichte ohne aktive Funktion. Bei She Loved Blossoms More verliert man sich, als stünde man des Nächtens auf einem unberuhigten Verkehrsknotenpunkt in einem sogar noch alphabetisch fremden Land und müsste seinen Weg nachhause finden. Das Einzige, was als Fixpunkt herhalten kann, ist das weitläufige, düstere, holzwurmstichige Herrenhaus der Familie, bewohnt von drei Brüdern, die ihr Dasein irgendwo in naher, tropisch feuchter Zukunft am Rande von Athen mehr oder weniger bekifft und zugedröhnt bestreiten – verfilzt, antriebslos, gekleidet in verwaschenen Bademänteln und zwischendurch mal die tote Mutter betrauernd, die vor dem Haus begraben liegt. Im Wintergarten steht ein Schrank aus dem Jugendstil, eine Art „Tardis“, innen ausgepolstert und dazu da, Portale in andere Dimensionen zu öffnen. Genaugenommen soll keine Zeitreise, sondern ein Trip ins Jenseits unternommen werden, um das Projekt des abgängigen Vaters (Dominique Pinon, Delicatessen, Alien – Die Wiedergeburt) zu Ende zu führen und die allerliebste Mama zurückzubringen. Dabei testen sie die innovative Gerätschaft zuerst mal mit Schweinen und Hühnern – beides misslingt auf seine Art und hinterlässt einerseits grässliche, andererseits verblüffende Mutationen.

Und so geht es weiter, unter dampfenden Nächten und matthellen Tagen, immer im und ums Haus herum, später gibt’s Damenbesuch – die promiskuitive Griechin wird dann schließlich ebenfalls in den Schrank gesteckt – und ab da an wird es richtig konfus und so, als hätte Yannis Veslemes rein intuitiv und assoziativ inszeniert, denn was seinem Film schließlich fehlt, ist eine Richtung, ein Rhythmus, eine Stringenz in all dem Hokuspokus. Kaum glaubt man, es gehe etwas weiter, kehrt der bizarre Müßiggang wieder zu seinen Anfängen zurück, es ist wie Rutschbahn und Leiter, und andauernd erwischt es die Rutschbahn, die man auf grünem Schleim hinuntergleitet. Dieser Schleim zieht sich dann auch durch den Film, womöglich ist es Dimensionsschleim, keiner weiß es so genau, nicht mal der Regisseur und schon gar nicht seine Darsteller. Als würde Fear and Loathing in Las Vegas eben nicht in Las Vegas spielen und nur auf der Stelle treten, ein halbes Huhn am Schoß und den Kopf der Freundin, pittoresk gespalten, im oberen Schlafgemach. Surreales und Wundersames sind Veslemes Spezialität, sein Rätselspuk wäre ja vielleicht ganz reizvoll, hätte er wohl mehr darauf verzichtet, die Stadien unterschiedlicher Wahrnehmungszustände alle gleich aussehen oder die Brüder nicht andauernd dumm aus der Wäsche gucken zu lassen. Ein bisschen enerviert das Ganze, wenngleich die Bildsprache, die an Jean-Pierre Jeunets Frühwerke erinnert, und so manche verrückte Idee für sich durchaus ihre Berechtigung haben, ja geradezu verblüffen, hätte man sich erzählerisch am Riemen gerissen als nur das in Stichworten niedergeschriebene Protokoll eines Brainstormings als Film umgesetzt. Kann man machen, alles ist möglich, gerade im Phantastischen. Ob es funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Oder findet sich in einer anderen Dimension.

She Loved Blossoms More (2024)