From the World of John Wick: Ballerina (2025)

WENN WIR ALLE KILLER WÄREN

7/10


Ana de Armas als die Kikimora in Len Wisemans Actionfilm Ballerina© 2025 LEONINE Studios


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: LEN WISEMAN

DREHBUCH: SHAY HATTEN

CAST: ANA DE ARMAS, GABRIEL BYRNE, ANJELICA HUSTON, KEEANU REEVES, IAN MCSHANE, NORMAN REEDUS, CATALINA SANDINO MORENO, DAVID CASTAÑEDA, SHARON DUNCAN-BREWSTER, LANCE REDDICK, AVA JOYCE MCCARTHY U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Das von Derek Kolstad und Chad Stahelski aus der Taufe gehobene Universum aus Killern, Kriegern und Kampfmaschinen, das als scheinbar parallele Dimension zu der unseren existiert, bleibt insofern bemerkenswert, da es nicht nur darauf setzt, von einem Shootout, Fight oder Kill zum nächsten zu hetzen, was rasch für Ermüdungserscheinungen gesorgt oder sich abgenützt hätte. Die Welt von John Wick, der ja den Dreh- und Angelpunkt dieses Franchise bildet, ganz so wie Harry Potter im Universum der Hexen und Zauberer, gestaltet sich als eine Art Subkultur mit strengen Regeln, Gepflogenheiten und Traditionen. Hier darf natürlich getötet werden auf Teufel komm raus, jedoch sind Werte wie Respekt, Fairness und das Credo von Gefallen und Gegengefallen gleich wehenden Fahnen. Dazu werden nicht selten goldene Münzen gereicht, wenn der oder die eine bei dem oder der anderen in der Schuld steht. Diese zu begleichen bleibt eine Frage der Ehre. All diese Details und auch der Umstand, dass die mysteriöse Hotelkette Continental den Killern und Kriegern ein Leo bietet, falls man hinter ihnen her ist, lassen das klassische Action-Genre mit dem Sagenhaften kokettieren. Diese Welt ist – wie jene der Outlaws des Wilden Westens oder der Ronin Japans – eine, die sich aus Legenden bildet.

In die Reihe dieser Einzelgänger, abnormal unkaputtbar und lakonisch wie kaum sonst wer, sticht der dunkle Depri-Engel, der anfangs nur seinen Hund rächen will, wie eine prototypische Erscheinung hervor. Doch er ist nicht allein: Wie man in den Filmen mit Keanu Reeves in seiner Paraderolle, die selbst Neo aus Matrix überholt, bereits längst erfahren hat, ist die von Grand Dame Anjelica Huston geführte Balletschule der Ruska Roma die Wiege von John Wick und nach außen hin ein traditionelles, rustikales Theater. In Wahrheit ist diese Einrichtung eine Schule für eine todbringende Elite, in die auch die junge Waise Eve Maccaro integriert wird – und sich selbstredend zur eleganten Kriegerin mausert, die mit Ehrgeiz und eisernem Willen und auch kaum einer Spur von Skrupel oder Gewissen Zielpersonen über den Jordan schickt. Während ihres ersten Einsatzes jedoch wird sie mit den Schergen jenes Kults konfrontiert, die ihren Vater auf dem Gewissen haben. Keine Frage, da kann Grande Dame Huston noch so sehr darauf pochen, ihre Anweisungen zu befolgen – diese Leute müssen ins Gras beißen, allen voran der Kopf dieser Sekte, genannt der Kanzler. Gespielt wird dieser von Gabriel Byrne, der sich mit seinem Killer-Volk wo genau verschanzt hat?

Das Geheimnis von Hallstatt

Im letzten Drittel eines bemerkenswert frischen und straff hingezimmerten Actionfilms, in welchem Ana de Armas ihre Rolle im Eiltempo lieben lernt und sich so unarrogant und allürenlos gibt wie kaum sonst eine Abziehbildkillerin in der Filmgeschichte, reist Len Wiseman ins oberösterreichische Hallstatt. Was wir alle niemals vermutet hätten und uns fast schon wie einen erhellenden Schock trifft: Dieses pittoreske, rustikale Dörfchen und von den Chinesen nachgebaute Kulturgut Europas, umrahmt von Bergen, innerhalb derer es womöglich immer ein bisschen schneit, ist in Wahrheit nichts anderes als die Heimat einer finsteren Sekte, die keine Ehre kennt, keine Regeln befolgt und in der selbst das Bild der biederen vierköpfigen Familie mit Rodel und Skier vor der Haustür nur als Fassade für zur Waffe greifende Gesetzlose dient. Wiseman (Underworld) hatte nicht mal vor, den Ortsnamen zu ändern: Hallstatt bleibt Hallstatt, deren Bewohner nicht nur von der Kikimora dezimiert werden, sondern auch von der Baba Yaga, wie John Wick im Kreise der Ruska Roma genannt wird. Dieser Gastauftritt ist ein Genuss und entbehrt nicht eine gewisse Wehmut, wenn man weiß, was das Schicksal in John Wick: Kapitel 4 für ihn bereithielt.

Die Sache mit Hallstatt (Die Gemeinde dankt ob der guten Imagepflege) mag seltsam bizarr wirken – abgesehen davon ist From the World of John Wick: Ballerina wohl als ein diesjähriges Highlight des Genres zu feiern. Der Umstand ist neben dem Konzept, das hinter dieser Welt steht, einzig und allein Ana de Armas zu verdanken, die ordentlich einstecken kann, allerdings auch spüren lässt, dass nicht alles schmerzfrei an ihr vorübergeht. Sie keucht, sie schwitzt, sie blutet, sie improvisiert. Für letzteres gibt es im Rahmen ausgeklügelter und aufwändig gefilmter Actionszenen jede Menge blutbadender Gelegenheiten, bei denen tief in der Ideenkiste gekramt wird. Schließlich will man die Fans nicht langweilen. Und spätestens wenn die Flammenwerfer fauchen, muss man sich um Hallstatt langsam Sorgen machen.

From the World of John Wick: Ballerina (2025)

Death of a Ladies‘ Man

EIN SCHLUCKSPECHT AM DRAHTSEIL

6,5/10

 

deathofaladiesman© 2021 MFA+ FilmDistribution e.K.

 

LAND / JAHR: KANADA, IRLAND 2020

BUCh / REGIE: MATT BISSONNETTE

CAST: GABRIEL BYRNE, JESSICA PARÉ, BRIAN GLEESON, SUZANNE CLEMENT, KARELLE TREMBLAY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


In schleichenden Schritten nähert sich der Herbst. Monate, in denen der Geist klarer, kreativer, das Gemüt aber auch melancholischer wird. Wo die Nächte länger, die Wolken dichter werden; der Morgenfrost auf dem Weg in die Arbeit den Atem sichtbar macht. Es ist auch die Zeit, in der man wieder vermehrt so Poeten wie Leonard Cohen hört, vorzugsweise dann, wenn der Wind draußen peitscht oder die Tage nicht mal mehr richtig hell werden. Alles in allem eine Stimmung, die man während der Sommermonate auf Biegen und Brechen nicht hinbekommt. Eine entschleunigte, auch etwas versponnene Stimmung. Ein Zustand, der sich in einer filmgewordenen Hommage an einen großen, dunkelgrauen Künstler wiederfindet, an den Ludwig Hirsch Amerikas. Beide haben den Lebenden längst den Rücken gekehrt.

Leonard Cohen singt vom Glauben, vom Tod, von der Männlichkeit und vor allem aber auch von der Liebe. Sehr poetisch, sehr kryptisch. In Kombination mit einem langsamen, sonoren Singsang, der im Laufe seiner Karriere immer schwerer und tiefer wurde, bleibt Cohen ein Gesamterlebnis für fast schon alle Sinne. 1977 erschien Cohens fünftes Studioalbum mit dem Titel Death of a Ladies’ Man. 43 Jahre später gibt´s dazu auch einen Film selben Titels, geschrieben und inszeniert vom Kanadier Matt Bissonnette – und voll der Liebe eines Bewunderers. Der Tod ist dabei immer allgegenwärtig, oft personifiziert als klassischer Sensenmann im Hintergrund. Vor der Kamera allerdings fungiert ein alter Hase: Gabriel Byrne, dunkelgrauer Lebemann mit Affinität zum Okkulten. Charmant, lakonisch und mit Understatement. Als Literaturprofessor an der Uni, insbesondere für Lyrik, hat der langsam schon müde werdende Frauenheld schon bessere Zeiten erlebt. Der Alkohol ist sein bester Freund, doch den Augen darf man mittlerweile auch nicht mehr trauen. Seltsame Dinge gehen vor sich – beim Eishockeyspiel seines Sohnes tanzen die Spieler zu A Bird on a Wire, sein verstorbener Vater kommt zu Besuch und im nächsten Lokal serviert eine knapp gekleidete Kellnerin mit Tigerkopf die Drinks. Der alte Schwerenöter geht zum Arzt und erhält die Diagnose: irreversibler Hirntumor. Der Tod birgt für Samuel keine Schrecknisse, allerdings verstört ihn die Tatsache viel mehr, nach seinem Ableben in Vergessenheit zu geraten. Er zieht sich nach Irland zurück, um ein Buch zu schreiben.

Was Gabriel Byrne noch fehlen würde, um vollends das Alter Ego Leonard Cohens zu übernehmen, wäre der Fedora. Doch vielleicht wäre das auch zu offensichtlich, zu eindeutig, in einem Film voller Mehrdeutigkeiten und zweifelhaften Erscheinungen zwischen verschrobenem Singspiel und zärtlich groteskem Abgesang auf eine Lebensweise. Byrne gibt den leisen Denker und Brüter mit Begeisterung für Reduktion und Phlegmatismus, entspannter Ironie und Sehnsucht. Dazwischen, immer wieder, und fast schon zu spartanisch gesetzt, die unvergesslichen Lieder des großen dunklen Poeten, dessen Texte ratlos zurücklassen, deren Sinn man aber nicht unbedingt verstehen muss, weil die Stimmung, das Timbre, alles ist. Mag sein, dass das die Grenze zwischen Illusion und Realität mehr oder weniger zur Gänze von einer geordneten Wirklichkeit übernommen wird, die wiederum einer Melancholie, der man sich gerne hingibt, den Wind aus den Segeln nimmt. Rückblickend jedoch ist die Feststellung, das der Tod die gute Erinnerung an einen Menschen nicht mitnehmen kann, eine schöne Prämisse.

Death of a Ladies‘ Man

Lost Girls

IM SUMPF DER TRAUER

6,5/10

 

lostgirls© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: LIZ GARBUS

CAST: AMY RYAN, THOMASIN MCKENZIE, GABRIEL BYRNE, OONA LAWRENCE, REED BIRNEY, LOLA KIRKE U. A. 

 

Wer von euch kann sich eigentlich noch an Aktenzeichen XY erinnern? Lief immer freitags im Hauptabendprogramm, und immer dann, wenn mal nicht Derrick oder Der Alte ermitteln mussten. Aktenzeichen XY ließ sein Publikum anhand ungelöster Fälle rätseln und zittern – plus gespielter Szenen, die dem realen Schrecken noch eins draufsetzten. Ganz so wie dieses Aktenzeichen XY, wie die Chronik eines ungeklärten Verbrechens, von dem nur bekannt ist, dass die- oder derjenige Opfer krimineller Aktionen wurden – ganz so mutet Lost Girls an. Ein Film über ein Tappen im Dunkeln, über einen Fall, der sich tatsächlich so zugetragen hat. Vorlage dafür war das Sachbuch gleichen Titels von Robert Kolker. Die Spielszenen, bei XY normal nur einige Minuten lang, expandieren hier zu Spielfilmlänge – und zu einem bewölkten, trüben Drama mit schwermütigem November-Blues.

Love and Death in Long Island, könnte man sagen. Nur ohne Love, dafür doppelt so viele Tode. Gesucht wird die Tochter von Mari Gilbert, in resoluter Verbissenheit und mit Hausverstand darf nun Amy Ryan, die man sonst nur in Nebenrollen zu Gesicht bekommt, ganz vorne stehen. Der Nachwuchs – Tochter Shennan – hätte eigentlich beim Rest der Familie aufschlagen sollen, ist aber nie erschienen. Das Gewerbe, dass sie ausübt, nämlich das älteste der Welt, trägt auch nicht dazu bei, die Sicherheit im Job zu gewährleisten. Irgendwas muss passiert sein. Die Polizei wassert nach – mehr schlecht als recht – und Mari Gilbert tritt den laxen Kerlen in den Hintern. Bis noch mehr Mädchen auftauchen, tot natürlich. Und der Verdacht auf einen Serienkiller die Runde macht. Diesen hat es wirklich gegeben. Und gibt es noch. Denn aufgeklärt wurde die Causa eigentlich nie. Die Erkenntnis entfacht Unruhe, hinterlässt gar ein unbequemes Grundgefühl. Verdachtsfälle gab’s genug, einer davon sehr konkret. Aber ein Verdacht ist kein Beweis, also heißt es weiterforschen auf eigene Faust, damit zumindest die Leichen geborgen werden können und all die Mütter ohne Töchter zumindest über Leben und Tod Bescheid wissen können.

Wie lähmend muss das sein, genau diesen Umstand nicht zu wissen. Unweigerlich muss ich an den Fall von Natascha Kampusch denken. Letzten Endes eine Entführung, die das Mädchen überlebt hat. Als vermisst galt sie rund 8 Jahre lang. Ein Horror für die Eltern. Da lässt sich erahnen, wie entlastend das sein muss, zumindest darüber Gewissheit zu erlangen, ob das eigene Kind noch lebt, kein Leid ertragen hat oder beerdigt werden muss. Lost Girls ist eine freitagabendliche Kriminaltristesse, die sich in keinster Weise schönreden lässt. Die Suche nach den Toten ist ein quälendes Umherirren im Morast, quer durch die unwirtlichen Sumpfgebiete der wenig einladenden Ostküste. Das einzig Tröstende ist die Solidarisierung der Hinterbliebenen. Zu den Schwestern der Vermissten zählt auch die talentierte Newcomerin Thomasin McKenzie, die zuletzt in Taika Waititis Jojo Rabbit zu bewundern war. Sie bleibt aber eher im Hintergrund – das Feld führt Amy Ryan an, die sehr praktisch veranlagt – und das vielleicht zum eigenen Schutz – mit dem Schlimmsten rechnen muss.

Liz Garbus (Oscarnominierung für die Doku What happened, Miss Simone?) erster Spielfilm ist eine Netflix-Premiere. Schön, dass der Streamingriese auch Sundance-Beiträgen eine Plattform bietet, so wie dieses sehr ernste, semidokumentarische, nüchterne True-Crime-Szenario, das nur noch Eduard Zimmermann benötigt hätte, um den mysteriösen Fall auf eigene Initiative wieder aufzurollen.

Lost Girls