Antlers (2021)

WENN MYTHEN WÜTEN

6/10


antlers© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA, MEXIKO, KANADA 2021

REGIE: SCOTT COOPER

BUCH: HENRY CHAISSON, NICK ANTOSCA, SCOTT COOPER

CAST: KERI RUSSELL, JESSE PLEMONS, JEREMY T. THOMAS, SCOTT HAZE, GRAHAM GREENE, RORY COCHRANE, AMY MADIGAN, SAWYER JONES U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Wenn schon Oberösterreichs Kindergärten keine Ausflüge mehr in den Wald wagen, aus Angst, Meister Isegrim zu begegnen (siehe derstandard.at, 30. März 2023) – was sollen dann Nordamerikas Ureinwohner sagen, insbesondere jene vom Stamm der Cree? Für sie lauert im finsteren Tann, von welchem es dort schließlich reichlich gibt, ein unguter mythischer Zeitgenosse, genannt der Wendigo. Dieser Naturgeist ist niemand, den man beschwört oder für seine Sache einsetzen kann. Dieser hier ist abgrundtief böse und gierig. Furchtbar gierig. Gierig nach Menschenfleisch. Und er schafft es auch, andere, ganz unbescholtene Leute in den Wahnsinn zu treiben. Interessanterweise aber sieht der Wendigo in so mancher Beschreibung gar nicht so aus wie in Scott Coopers 2021 inszeniertem Creature-Horror. Welche Gestalt er letztendlich annimmt, mag an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Jedenfalls benötigt er zumindest eine menschliche Hülle, um zu mutieren. Und das, ja, das mag unter Umständen eine ordentliche Sauerei ergeben. Die auch bleibt, denn niemand will nachher aufwischen.

Da wir aber in einer rationalen Welt leben, in welcher nur sein kann, was wissenschaftlich bewiesen wurde, sind Filmemacher brennend daran interessiert, diese arrogante Ansicht vorallem auch in Bezug auf Legenden zu unterwandern. Es entstehen daraufhin Filme wie Moloch oder Midsommar. Oder eben Antlers, auf deutsch: Geweih. Man kann sich also schon denken, woran man das Monster erkennen wird. Bis es aber so weit kommt, quält sich der stark introvertierte Lokalpolizist Paul Meadows mit bestialischen Todesfällen mitten im Forst herum, die nur ein tollwütiger Beutegreifer verschuldet haben könnte. Was aber zerlegt sein Opfer so genussvoll in seine Einzelteile? Neben dieses kniffligen Falles macht sich auch Pauls Schwester und Lehrerin Julia Gedanken um einen ihrer Schützlinge, ein so verwahrlostes wie verstört wirkendes Kind, das langsam vom Fleisch fällt und verschmutzte, löchrige Kleidung trägt. Es wäre mal ratsam, im Zuhause des kleinen Lucas vorbei- und nach dem Rechten zu sehen. Wie sich bald herausstellen wird: Ein grober Fehler, ganz allein und ohne Rückendeckung dort anzutanzen.

Spätestens hier, nach Einführung der Charaktere und einer Sightseeingtour durch ein trostloses Kaff, das unter wolkenverhangenem, grauem Himmel vor sich hindämmert, wird die Katze langsam, aber doch, aus dem Sack gelassen. Die Finsternis macht sich breit, das metaphysische Grauen ist entfesselt. Und auch wenn man von dieser folgenden Hatz nach dem Wendigo absieht, liegt über Antlers eine bleischwere Tristesse, die niemand lange aushalten kann. Dagegen ist Twin Peaks das reinste Elysium, während hier ein jeder seinem tröstlichen Ableben entgegendämmert. Ein bisschen zu borstig pinselt Scott Cooper (u. a. Der denkwürdige Fall des Mr Poe) seine Dark Fantasy, sodass diese an manchen Stellen dick aufgetragen und daher träge wirkt. Jesse Plemons wacht nie wirklich aus seiner Lethargie auf – Keri Russel dafür schon eher. Und dass Kinderdarsteller wie Jeremy T. Thomas keine nachhaltigen psychischen Schäden davontragen, wenn sie in Horrorfilmen mitspielen, ist mit immer wieder ein Rätsel.

Cooper aber schafft die Kurve und sammelt all seine Energie, die er anfangs nicht genutzt hat, um ein spektakuläres Finale abzuliefern, in welchem ganz normale Sterbliche über ihren Schatten springen, um sich dem Bösen zu stellen. Das ist der klassische Clinch des Diesseits gegen eine Anderswelt, die glaubt, Macht ausüben zu können, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Letztlich ist das genauso eine Art Arroganz, als würde man glauben, all das Seltsame zwischen Himmel und Erde wäre nur Humbug. Geister wie der Wendigo werden das schon sein – nur was wäre, wenn nicht? Der Glaube an des Menschen Mission, für das Gute zu kämpfen, stirbt zuletzt.

Antlers (2021)

Astronaut

OPA IM ALL

6,5/10


astronaut© 2020 Jets Filmverleih & Vertrieb


LAND / JAHR: KANADA 2019

BUCH / REGIE: SHELAG MCLEOD

CAST: RICHARD DREYFUS, KRISTA BRIDGES, LYRIQ BENT, COLM FEORE, GRAHAM GREENE, RICHIE LAWRENCE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Star Trek-Fans haben diesen Tag wohl schon lange Zeit vorher im Kalender rot angestrichen: Captain James T. Kirk fliegt wieder ins All, und zwar inkognito als William Shatner, noch dazu mit stattlichen 90 Jahren. Damit wird er wohl als bislang ältester Mensch in die Geschichte der Raumfahrt eingehen. Und gleich auch beweisen, dass Raumfahrt mittlerweile wirklich jeder machen kann, es sei denn er hat das nötige Kleingeld dazu. Wohlgemerkt beschränkt sich das Vergnügen aber lediglich auf einen zehnminütigen Ausflug in den Orbit, Schwerelosigkeit inbegriffen. Dass man sich dann aber selbst von der Kugelform unserer Erde überzeugen kann, dürfte all die Millionen wert sein. Shatner hingegen hat dafür nichts bezahlt. Den Captain will man schließlich ehren.

Leute wie Richard Dreyfus, mittlerweile über 70 und im Vergleich zu Shatner fast noch blutjung, könnten sich dieses Vergnügen ebenfalls geben. Doch Dreyfus will lieber bezahlt werden als dafür zahlen – also macht er einen Film, der sich zur Einstimmung für Shatners orbitales Ereignis wohl nicht besser eignen könnte. Unter dem schlichten Arbeitstitel Astronaut ist der Star aus Der weiße Hai und Oscarpreisträger 1977 für Der Untermieter ein kauziger, kleiner Witwer, mit Wehwehchen da und dort, weshalb er auch im Haus seiner Tochter wohnt. Erinnert ein bisschen an The Father mit Anthony Hopkins – nur Dreyfus hat keine Demenz und ist so klar im Kopf wie der Sternenhimmel, den er tagtäglich und gemeinsam mit seinem Enkel beobachtet. Ein fast schon paradiesischer Lebensabend – wenn da nicht die Familie den Opa aus Kapazitätsgründen ins Seniorenheim auslagert. Von wegen auslagern: Dreyfus macht‘s wie Dieter Hallervorden in Sein letztes Rennen und wird der Welt zeigen, dass die Reise ins All immer noch auf der Bucket List steht. Und wie es der Zufall will, wird Opa, der vorgaukelt, jünger zu sein als er ist, für den ersten touristischen Flug zu den Sternen auserwählt.

Wer noch weiß, wie sich der Science-Fiction-Film Cocoon aus den Achtzigern angefühlt hat, kann Astronaut von Shelag McLeod ungefähr in dieser Richtung verorten. Nur diesmal schwimmt kein außerirdischer Kokon im Pool des Seniorenheims, sondern der Jungbrunnen hier ist einzig und allein der Wille, Wunsch und Weg für etwas undenkbar Machbares. Regisseurin McLeod ist allerdings Optimistin, und will natürlich, dass die Figur ihres Angus Stewart einer auf idealstem Wege leicht komplizierten Welt begegnet, mit bewältigbaren Hindernissen und der Fairness, die ein gutes Leben verdient hat. Wie in Cocoon ist auch hier das Bild der pflegebedürftigen Generation zumindest eines, das nichts mit sozialpornographischen Missständen beim Altwerden zu tun haben will. Die betagte Entourage, die Dreyfus umgibt, hätte gerne noch Jessica Tandy (Oscar für Miss Daisy und ihr Chauffeur) in ihrer Mitte. Am liebsten, so scheint es, hätte vielleicht sie ins All fliegen sollen, doch der eigentliche Star des Films entzückt mit nachdenklichen Blicken, erfahrenem Charme und einer nimmermüden Leidenschaft für Neues. Die routinierte, teils sehr konventionelle Inszenierung wirkt da gar nicht mal so vorgestrig, vielleicht, weil eben die Erinnerung an Cocoon, so wie die an Captain Kirk, eine nostalgische ist. Zwischen Fiktion und tatsächlicher Himmelfahrt liegt also dieser kleine, warmherzige Film, der die Brücke schlägt zwischen Weltenraum und leistbarem Lebenstraum.

Astronaut

Wind River

JAGDSZENEN AUS WYOMING

6/10

 

windriver© 2017 Wild Bunch

 

LAND: USA 2017

REGIE: TAYLOR SHERIDAN

MIT JEREMY RENNER, ELIZABETH OLSEN, GRAHAM GREENE, JULIA JONES U. A.

 

Wenn es gerade so wie in diesem Frühsommer fast schon unerträglich heiß wird, können Filme wie dieser für die notwendige Abkühlung sorgen. Vielleicht ist Wind River ja sogar der Abkühlung zu viel, ein Pullover in Griffweite wäre ratsam. Denn dort, in Wyoming, wohin uns dieser Thriller führt, herrscht eisiger Winter. Eine Wildnis wie von Gott verlassen, eine Landschaft, von Wind und Wetter geformt. Wenn es mal schneit, dann nur als Schneesturm. Dazwischen, bei klarem Himmel – klirrende Kälte, die man leicht bekleidet nicht lange überleben würde. Schon gar nicht barfuss. Denn das ist die Leiche, die von Wildhüter Cory gefunden wird, unweit des Indianerreservats Wind River, mitten im Schnee. Tod durch Kälte. Normalerweise ein Fall für den Bezirkssheriff, doch welcher dieser Fälle ist schon normal. Noch dazu, da der verkniffene, wortkarge Jägersmann irgendwie von Anfang an schon mit drin steckt, und da auch nicht herauswill, ähnelt der Tod dieser 18jährigen Indianerin jenem seiner Tochter, die er vor drei Jahren zu Grabe tragen musste. Wie es das Schicksal will, bittet FBI-Agentin Jane Banner den so gebrochenen wie verschlossenen Spurensucher um Hilfe – hier in dieser lebensfeindlichen Gegend so dringend notwendig wie ein Bissen Brot.

Ich kann mich noch gut erinnern – vor zwei Jahren war der Hinterland-Krimi Hell or High Water in aller Munde, schon allein wegen der Nominierung zum besten Film. Der alternde Jeff Bridges will da Chris Pine und Ben Foster das Handwerk legen. Regiedebütant Taylor Sheridan hat da zwar nicht Regie geführt, aber das Drehbuch beigesteuert. In Wind River hat der gebürtige Texaner gleich beide Parts übernommen und diesmal Jeremy Renner einen weißen Overall übergezogen, um ihn nicht nur Pumas, sondern auch Mörder jagen zu lassen. Der sympathische Schauspieler, der sowohl die Avengers-Clique als auch das Team um Mission Impossible verlassen zu haben scheint, ist allein auf weiter Flur eindeutig besser dran. Renner ist ein Einzelgänger. Die meisten seiner Rollen sind das. Teamplayer ist was anderes. Das muss er aber auch nicht mögen. Oder gar machen müssen. Dem als Hurt Locker bekannt gewordenen Kalifornier steht der trauernde Wildhüter, der mit dem Motorschlitten durch den Tann dröhnt und  treffsicher zu zielen weiß, enorm gut zu Gesicht und legt seine bislang beste Performance auf die Piste. Fast wie eine Art Jean-Paul Belmondo, aber nicht in der Arroganz eines James Bond oder in Gigolo-Manier eines Jason Statham – das sind Einzelgänger, die alles können und mit Schmäh und Understatement letzten Endes immer gewinnen. Diese Attitüden hat der traumatisierte Shootist alle nicht. Sein Einzelgängertum ist auf das Wesentliche eingerext. Und längst ist nicht klar, ob er am Ende des Tages immer noch über allem steht. Das weiß selbst „Scarlett Witch“ Elizabeth Olsen nicht – als Greenhorn unter den FBI-Ermittlern hat sie zwar alle ihre Hausaufgaben gemacht – die Arbeit auf freiem Feld ist aber etwas, das man nur durch Erfahrung effizient bewerkstelligen kann. Diese Erkenntnis lässt Olsen in ihrer Rolle aufgehen und begegnet Jeremy Renner auf Augenhöhe. Dass sich beide sowohl ihren Defiziten as auch ihren Stärken bewusst sind, macht sie zu Identifikationsfiguren in einem Thriller, der allerdings einfach nur ein Thriller ist.

Ja, es ist saukalt, die unwirtliche Natur ist leinwandfüllend, das Licht des Tages meist schwindend. Landschaften, die schon in Genrefilmen wie Mörderischer Vorsprung die eigentlichen Stars der Geschichte waren. Dass es in Wind River um so Abscheulichkeiten wie Vergewaltigung und Mord geht, mag zwar zeitweise bleischwer im Magen liegen, letzten Endes aber wagt sich Sheridan´s Neo-Western kaum grenzüberschreitend weiter vor, um auch die Metaebene eines gesellschaftskritischen Diskurses aufs Tablett zu bringen. Ansätze sind zwar vorhanden, alle möglichen Ressourcen gehen aber auf die stark fokussierte Kriminalgeschichte, die dadurch aber auch so ziemlich lückenlos den Spannungsbogen bis zum Ende straff hält. Sheridan hat gute Arbeit gemacht, und war, so wie es scheint, vor allem für die endlos scheinende Wildnis Wyomings zu begeistern. Sonst ist Wind River wie schon Hell or High Water kein Kunst-, sondern eher das Handwerk eines bodenständigen Films über den gezähmten wilden Westen der Gegenwart, als Debüt verständlicherweise etwas hemdsärmelig, aber nach guter alter Schule inszeniert. Mag sein, dass die nächste Regie den eigenen Stil Sheridan´s womöglich erst definieren wird.

Wind River